Gastbeitrag mit freundlicher Genehmigung des Autors

Wer über Arbeitshäuser redet, darf über den Kapitalismus nicht schweigen

Der Arbeitskreis „Marginalisierte gestern und heute“ erinnerte an die Geschichte der als asozial Stigmatisierten vom Mittelalter bis in die Gegenwart

von Peter Nowak

Am 26.1.1938 gab der SS-Funktionär Heinrich Himmler mit dem Erlass „Arbeitsscheu Reich“ den Startschuss für die Inhaftierung und Ermordung von Tausenden Menschen, die schon lange vorher als Asoziale stigmatisiert worden waren. 70 Jahre später organisiert der Arbeitskreis „Marginalisierte – gestern und heute“ in Berlin eine Veranstaltungsreihe, die sich mit der Geschichte der Asozialenverfolgung vom Mittelalter bis in die Gegenwart befasst. Schon am Mittwoch wurde im Berliner Haus der Demokratie die Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ eröffnet. Sie zeigt auf, wie die Entrechtung der sogenannten Asozialen schon in der Weimarer Zeit begonnen hat. Die Grundalgen haben Kommunalbehörden, sowie Arbeits- und Wohnungsämter gelegt, die in Schreiben die Einweisen von Menschen unter dem Stigma „arbeitsscheu“ in KZ und Arbeitshäuser forderten. Dazu finden sich in der Ausstellung einige Beispiele.

Schöner wohnen im ehemaligen Arbeitshaus

Heute werben dort Schilder mit der Parole „„Arbeiten und Leben in der Rummelsburger Bucht" für schicke Eigentumswohnungen. Eine Gedenktafel sucht man vergeblich.

Der Kampf um eine Erinnerungsstätte in Rummelsburg wird an Bedeutung zunehmen. . Die Neubauten reichen schon an das ehemalige Arbeitshaus heran. Daher stellt sich die Frage, wie mit diesen historischen Stätten umgegangen wird. Wenn da nicht Druck gemacht wird, droht eine Entsorgung von der Art, wie man sie jetzt auf den Hinweisschildern lesen kann, die schon vor 2000 rund um da Expo-Projekt Rummelsburg aufgestellt wurden. Dort heißt es: Das Arbeitshaus und das ....Waisenhaus waren Sozialbauten, die vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Hauptstadt und ihrer sozialen Probleme entstanden“. Die NS-Zeit wird dort gar nicht erwähnt. Ansonsten wird der Eindruck erweckt, als wäre das Arbeitshaus ein Naturgesetz gewesen. Opfer und Täter kommen nicht vor. Bei aller Geschichtsrelativierung wird hier tatsächlich ein Zusammenhang offen, der den Verfassern der Tafel wahrscheinlich nicht auffiel. Die Arbeitshäuser entstanden sind mit dem aufkommenden Kapitalismus. In Großbritannien, wo sich der Kapitalismus früher als in Deutschland entwickelt hatte, gab es auch schon Jahrzehnte früher als in Deutschland Arbeitshäuser. Karl Marx hat über sie und ihre Funktion im Kapitalismus geschrieben. Wer sich mit der Geschichte der Arbeitshäuser befasst, kann zum Kapitalismus und seinen historisch unterschiedlichen Formen des Arbeitszwanges nicht schweigen. Das wird auch klar, wenn man ließt, was Wilhelm Polligkeit, der bis heute als Nestor der Jugendhilfe gefeiert wird, am 31.5.1933 geschrieben hat. Der NS-Symphatisant schlug vor: „Rechtsbestimmungen festzulegen, die ein autoritäres, festes Vorgehen gegen alle asozialen Elemente (Arbeitslose, Trunksüchtige usw.) in größerem Umfang als seither ermöglichen“. Damit stieß er bei den Nazis auf offene Ohren.

Die Verfolgung der sogenannten Asozialen endete nicht mit dem Ende des NS-Regimes. Die Stigmatisierung geht bis heute weiter. Selbst viele politische Verfolgte wehrten sich vehement dagegen, mit sogenannten Asozialen in eine Zelle gesperrt zu werden. Es wurde also so getan, als hätte die Einlieferung dieser Menschen nur dazu gedient, die politischen Gefangnen zu demütigen und zu diffamieren. Die Schicksale der als asozial abgestempelten Menschen fielen dabei unter dem Tisch. Dabei kann eine Arbeitsmythologie beigetragen haben, wie sie auch in der ArbeiterInnenbewegung dominant wurde. Je mehr das Ziel, der Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft und damit der Abschaffung sämtlicher Klassen, auch der ArbeiterInnenklasse aufgegeben wurde, desto größer wurde ein Kult der Arbeitenden, der schnell zu einer Abwertung der nicht so Produktiven führen konnte. Statt mit der Klassenherrschaft jede Ausbeutung abzuschaffen, wurde die Tatsache des Ausgebeutet sein praktisch mystifiziert. Daher richtet sich ein solcher Kult auch gegen die ArbeiterInnen selber. Schließlich war nicht ihre Befreiung von der Ausbeutung sondern die Verherrlichung der Ausbeutung das Ziel.

Eine kürzlich von dem Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer veröffentlichte Langzeitstudie ‚Deutsche Zustände 6’ zeigt, dass auch 207 jeder Dritte der Ansicht ist, die Gesellschaft könne sich Menschen, die wenig nützlich sind', nicht länger leisten. Man muss an den vom heutigen Konzernlobbyisten und damaligen SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clemens erstellten Report erinnern, in dem unter dem Titel „Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, "Abzocke" und Selbstbedienung im Sozialstaat“ gegen einen angeblichen Sozialmissbrauch gewettert wurde. Für die Betroffenen können solche Töne schwerwiegende Folgen haben. Die Gewalt gegen als arm qualifizierte Menschen hat in den letzten Jahren zugenommen.

Arbeitshaus und Irrenhaus hingen eng zusammen

Auch für Talbot handelt es sich dabei keineswegs um in historisches Thema.

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