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Zur Kritik der verkürzten Wertkritik


STELLUNGNAHME ZUM GEPLANTEN FRANKFURTER KONGRESS „POSTOPERAISMUS UND WERTKRITIK“

Vor einiger Zeit erhielten wir die Anfrage, ob wir uns an einer Diskussionsveranstaltung zum Thema „Postoperaismus und Wertkritik“ in Frankfurt beteiligen würden. Da eine öffentliche Debatte strittiger theoretischer Positionen in der Linken grundsätzlich sinnvoll ist, haben wir erst einmal zugesagt. Aufgrund der Art und Weise, wie dieses Veranstaltungsprojekt schließlich aufgebaut und ausgerichtet wurde, haben wir jedoch beschlossen, daran nicht teilzunehmen, nachdem zentrale Kritiken von uns am ursprünglichen Plan nicht oder bestenfalls kosmetisch aufgenommen wurden.

In der Konzeption des Kongresses werden vorhandene Positionen kunterbunt und undifferenziert in einem unklaren Programmaufbau zugeordnet. So gibt es innerhalb des Postoperaismus eine Differenzierung zwischen den Ansätzen von Hardt/Negri einerseits und Holloway andererseits. Was seit den späten 80er Jahren vor allem im deutschsprachigen Raum als Wertkritik firmiert, hat sich erst recht in unterschiedliche und gegensätzliche Positionen ausdifferenziert. Dabei handelt es sich nicht um eher persönliche „interne Streitigkeiten“, sondern um entscheidende inhaltliche Fragen, die einen Unterschied ums Ganze ausmachen. Die längst vor der deutschen Wertkritik entstandene Kritik am traditionellen marxistischen Wertbegriff von Postone wiederum hat ebenso ihren eigenen Stellenwert wie die Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie als monetäre Werttheorie durch Backhaus und deren Weiterentwicklung durch Heinrich. Es macht keinen Sinn, das alles durcheinander zu mengen und in einem Aufwasch abhandeln zu wollen. Dafür bestehen gar keine Voraussetzungen; die inhaltlichen Probleme müssen bei einem solchen Überanspruch „aus dem Stand“ zwangsläufig untergehen. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn es weniger darum gehen soll, die inhaltlichen Differenzen erst einmal offen zu legen und ernst zu nehmen, sondern sie vielmehr sofort auf „Strategien und Konzepte“ einer unausgewiesenen „Praxis“ herunterzubrechen.

Diese Unklarheit zieht sich durch den gesamten Programmaufbau. Das betrifft gerade die Kritik der politischen Ökonomie, die im Kongresskonzept ohne erkennbaren inneren Zusammenhang und weitgehend ohne Bezug auf die strittigen zentralen Begriffe erscheint, nicht zuletzt hinsichtlich unterschiedlicher Auffassungen des Marxschen Fetischbegriffs. Die theoretischen Differenzen im Verständnis von Wertform, Wertsubstanz und Wertgesetz kommen überhaupt nicht vor; die unterschiedlichen Ansätze einer „politischen Verwertung“ bei Negri, der monetären Werttheorie von Backhaus bzw. Heinrich und der kategorialen Wertkritik einschließlich des jeweiligen Bezugs zur Arbeitsontologie und zur Krisentheorie werden nicht diskutiert, sondern sind disparat auf Einzelthemen verteilt.

Entscheidend zeigt sich das Problem des Programmaufbaus hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses, das in klassisch androzentrisch-universalistischer Manier als „Sonderpunkt Feminismus“ erscheint, also als „abgeleitete“ Fragestellung und damit wieder einmal als „Nebenwiderspruch“. Dabei geht es nicht allein um eine zu geringe quantitative Beteiligung von Frauen, sondern um den Stellenwert des Geschlechterverhältnisses für die Kapitalismuskritik in den unterschiedlichen theoretischen Positionen. Roswitha Scholz hat in ihren Beiträgen das geschlechtliche Abspaltungsverhältnis als konstitutiv für das moderne warenproduzierende Patriarchat herausgearbeitet und damit als Fragestellung, die auf derselben Abstraktionsebene liegt wie der berühmte Wert, d.h. nicht als abgeleitetes, sekundäres Problem der kapitalistischen „Sphärentrennung“. Daher muss auch von Wert-Abspaltungskritik die Rede sein einschließlich der erkenntniskritischen Konsequenzen statt bloß von „Wertkritik“. Diese Problemstellung wird schon durch das Veranstaltungskonzept unterlaufen und auf einen subordinierten Platz verwiesen.

Eine weitere Unklarheit des Programmaufbaus besteht hinsichtlich des Problems der Ideologiekritik. Auch hier wären erst einmal die theoretischen Differenzen offen zu legen. Es ist keineswegs so, wie im Kongresspapier behauptet, dass der Postoperaismus einfach die subjektiv-politische Seite und die Wertkritik dagegen „die Bedeutung objektiver Gesetzmäßigkeiten“ betonen würden. Aus unserer Sicht geht die postoperaistische Subjektivierung der Kategorien der politischen Ökonomie einher mit einer postmodernen Reduktion von Ideologiekritik, während für die Wert-Abspaltungstheorie die negative Objektivität der kapitalistischen Konstitution und ihrer sozial übergreifenden Kategorien damit verbunden ist, dass die realen Verlaufsformen des gesellschaftlichen Prozesses entscheidend durch Ideologiebildung bzw. deren Kritik mitgeprägt werden. Insofern ist es ein zentraler Gesichtspunkt, die immanente bürgerliche Polarität von Struktur- und Handlungstheorie (Objektivismus und Subjektivismus) aufzubrechen, während der Postoperaismus in der westlich-marxistischen Tradition bloß den handlungstheoretischen Pol besetzt (eine ausführliche Auseinandersetzung dazu findet sich in EXIT! 4). Inhaltlich sind dabei aus unserer Sicht der Rassismus und das antisemitische Syndrom ebenso wenig wie der Sexismus „Nebenwidersprüche“, sondern von wesentlicher Bedeutung. Wir haben den antideutschen Bellizismus und die falsche Glorifizierung der bürgerlichen Aufklärungsideologie („bürgerliches Glücksversprechen“) nicht deshalb bekämpft, um uns das richtige Moment der Kritik am offenen („antizionistischen“) und strukturellen Antisemitismus einer verkürzten Kapitalismuskritik in der Linken abkaufen und als angeblich bloß „denunziatorisch“ verschwinden zu lassen (gerade auch hinsichtlich der Intifada-Romantik an der politischen Oberfläche, die sich an der Realität blamiert).

Schließlich bleibt auch die Frage der „Praxisorientierung“ im Kongresskonzept völlig verschwommen. Auch hier ginge es nicht um einen vorschnellen und billigen bewegungsideologischen Konsens, sondern erst einmal um die Offenlegung der theoretischen Differenzen. Denn der Praxisbegriff ist auch selber ein theoretisch zu reflektierendes Problem. Zentral dabei sind aus unserer Sicht die seit einigen Jahren grassierenden Begriffe der (alternativen) „Konstitution“ und der sogenannten „Aneignung“. Was wird darunter in den unterschiedlichen Ansätzen und Positionen überhaupt verstanden? Kann es eine partikulare „Konstitution“ angeblich nicht-kapitalistischer Reproduktionsverhältnisse innerhalb des ansonsten weiter bestehenden Kapitalismus geben oder kann nur der Modus negativer Vergesellschaftung als solcher überwunden werden durch eine gesamtgesellschaftliche Transformation? Worauf bezieht sich die „Aneignung“ eigentlich? In welchem Verhältnis stehen dabei der bürgerlich-juristische Eigentumsbegriff und der Formzusammenhang der Wert-Abspaltungsverhältnisse? Auch davon findet sich keine Spur im Kongresspapier.

Das ganze Verständnis von „Wertkritik“ im vorgelegten Konzept ist ausgerichtet auf das Label der ehemaligen Theoriezeitschrift „Krisis“, die als ursprünglicher theoretischer Fokus gar nicht mehr existiert und deren reduzierter Rest-Zusammenhang in keiner Weise repräsentativ ist für die weiterentwickelte wert-abspaltungskritische Theoriebildung, der aber im Programmaufbau ausgerechnet der Einsatz zu „inhaltlichen Grundkategorien“ zugewiesen wurde. Aus unserer Sicht ist die Entwicklung von Rest-„Krisis“ in mehrfacher Hinsicht regressiv, so zuletzt durch einen völligen Absturz in der theoretischen Reflexion der Kritik der politischen Ökonomie. „Wertkritik“ ist hier verkommen zur Legitimationsideologie der Open-Source-Bewegung (Free Software, Freie Kulturbewegung), die nichts mit radikaler Kritik, sondern viel mit neoliberaler „Flexibilisierung“ und Krisenverwaltung zu tun hat. Da sich ein ähnlich positiver Bezug auf Open Source bei Hardt/Negri findet, mag dies ins Kongresskonzept passen, wenn sich der Postoperaismus bloß mit einer selber schon halb postoperaisierten „Wertkritik“ ins Benehmen setzen will. Gleichzeitig passt es offenbar ins Konzept, dass Rest-„Krisis“ die Theorie der geschlechtlichen Abspaltung teils überhaupt nicht, teils nur in einer androzentrisch verkürzten und verstümmelten Version (als „abgeleitete“ Frage der „Sphärentrennung“) vertritt. Der Kongress kann dann ja die „Krisis“-Männer zur Abspaltungstheorie referieren lassen, damit es so richtig peinlich wird. Die vorgesehene Repräsentanz der wert-abspaltungskritischen Theorie auf dem Kongress ist eine Farce. Hier hat nicht der Wunsch nach einer Klärung theoretischer Fragen, sondern eine „Szenepolitik“ Regie geführt, der es nur um einen bequemen Sparringspartner für die Bewegungsideologie der Event-Linken zu tun ist.




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