Konjunktur für GesundbeterEin polemischer Überblick über die Anpassungsleistungen kapitalistischer Ideologie in Zeiten der manifesten Klimakrise.
Tomasz Konicz
Angesichts der Klimakrise schmilzt das Vertrauen der Menschheit in den Kapitalismus als die beste aller möglichen Welten noch schneller dahin als die Eisberge und Gletscher der Arktis. Es sei "ein alarmierendes Ergebnis", das eine umfassende globale Umfrage bezüglich des Vertrauens in die kapitalistische Wirtschaftsordnung zutage gefördert habe, erklärte eine Sprecherin des "Kommunikationsunternehmens" Edelman im Januar 2020.1 Im Rahmen des alljährlichen "Trust Barometer", bei dem 34 000 Menschen aus 28 Ländern nach ihrem Vertrauen in die kapitalistische Wirtschaftsweise befragt werden, hat erstmals eine Mehrheit der Befragten2 eine überwiegend negative Meinung zur Marktwirtschaft geäußert. Dabei liegt Deutschland im kapitalismuskritischen globalen Trend. Das System weise mehr Nachteile als Vorteile auf – dieser Meinung schlossen sich auch 55 Prozent der Umfrageteilnehmer in der Bundesrepublik an. Nur 12 Prozent der Deutschen gaben an, von einer wachsenden Wirtschaft zu profitieren. Ungeklärt bliebt bei der Umfrage, was die befragten Bundesbürger konkret unter Kapitalismus verstehen, da zugleich rund 75 Prozent erklärten, der eigene Arbeitgeber sei ihr "vertrauensvollster Partner". Für die Studienmacher war diese Ambivalenz aber kein Grund, auf die explizite Warnung vor einer Legitimitätskrise des Kapitalismus zu verzichten, da die Menschen angesichts der Klimakrise und des "technologischen Wandels" auf der Suche seinen nach Antworten auf die "großen Fragen", so eine Unternehmenssprecherin: "Weil die Wirtschaft jedoch bislang keine ausreichenden Antworten gibt, stellen immer mehr Menschen das kapitalistische System selbst infrage". Diese zunehmende "Suche nach Antworten", die beim Komminukationsunternehmen Edelman die Alarmglocken schrillen lässt, ist eine Reaktion auf die sich verschärfende sozio-ökologische Systemkrise, die sich in Wechselwirkung von innerer3 und äußerer4 Schranke der Entwicklungsfähigkeit des kapitalistischen Weltsystems vollzieht; also der Unfähigkeit des Kapitals, der Produktion einer ökonomisch überflüssigen Menschheit bei gleichzeitiger ökologischer Verwüstung des Planeten wirksam zu begegnen. Aller ideologischen Dauerbeschallung zum Trotz dämmert es inzwischen einer Mehrheit der Weltbevölkerung, dass das Gesellschaftssystem, in dem sie zu leben genötigt sind, die Ursache der zunehmenden, schlicht katastrophalen Krisenerscheinungen5 ist, die alljährlich an Intensität6 gewinnen. Diese sich abzeichnende Legitimitätskrise des kapitalistischen Weltsystems lässt in der Medienbranche die Marktnachfrage nach neuen Legitimationsmustern, nach neuen ideologischen Narrativen ansteigen, mit denen das System gerechtfertigt werden könnte. Die manifeste Klimakrise, in der das Kapital ganze Kontinente um der uferlosen Selbstvermehrung willen verbrennt7, ist somit auch die große Zeit neuer Ideen und Argumentationsmuster, mit denen das falsche Ganze allen Katastrophen zum Trotz legitimiert werden soll. Die gegenwärtige manifeste Krisenzeit ist somit auch die große Zeit der Gesundbeter des Kapitalismus. Mehr Kapitalismus wagenWas kann noch den Absturz in die Klimakatastrophe abwenden, die durch den Verwertungszwang des Kapitals droht? Die herrschende Ideologie weiß da eine Antwort: mehr Kapitalismus, selbstverständlich! Der Wirtschaftskolumnist des beliebtesten deutschen Informationsportals frage sich8 folglich Mitte Januar, ob uns der Kapitalismus noch "retten" werde. Angesichts der evidenten Zusammenhänge und Fakten wird gar nicht mehr versucht, von den Ursachen der Klimakrise abzulenken. Selbstverständlich, "der Kapitalismus ist schuld", erklärte Kolumnist Henrik Müller in seinem Beitrag, da ohne die "Entfesselung von Produktivität und Gewinnstreben auf immer weiteren Teilen des Globus" sich die "planetare Gashülle vermutlich nicht in jenem Maß" erwärmt hätte, wie es derzeit der Fall sei. Was tun? Die Logik würde gebieten, sich ernsthaft Gedanken um gesellschaftliche Alternativen, um Wege zur Systemtransformation zu machen. Doch von so etwas wie Logik lässt sich ein Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus nicht beirren. Müller sieht folglich gerade in dem System, das die Menschheit an den Rand des ökologischen Abgrundes führt, das Allheilmittel gegen sich selbst. Der Kapitalismus sei "die beste Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel". Weder "individuell moralisches Verhalten" noch die Politik seinen in der Lage, das Weltklima zu retten, deklarierte der Professor in einer für Wirtschaftsjournalisten charakteristischen Selbstzensur des Denkens, dem keine Handlungsalternativen jenseits von Bioladen oder Urnengang dämmern dürfen. Nachdem die Handlungsoptionen implizit auf "Moral und Altruismus" begrenzt wurden, wird nun feierlich erklärt, dass nicht "Moral und Altruismus" gefordert seien, sondern "Gewinnstreben, Risikovorsorge und Regulierung", um aus einem "moralischen Problem" (als ob etwa Australiens Feuerkatastrophe durch ein Moraldefizit verschuldet worden wäre) ein "ökonomisches" (was der Klimawandel von Anbeginn war und weiterhin ist) zu machen. Gerade den "viel geschmähten Kapitalmärkten" käme hier eine zentrale Rolle zu, erklärte Müller im Hinblick auf das letzte Eliten-treffen in Davos. Mr. Blackrock, übernehmen Sie!Die Eliten würden es schon richten, so die Meinung des Professors. Der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink, habe nämlich einen Brief geschrieben. Hierin warnt Fink, dass all diejenigen "Unternehmen und Länder", die "sich weder auf die Bedürfnisse ihrer Stakeholder einstellen noch Nachhaltigkeitsrisiken adressieren", von den Finanzmärkten mit einer "wachsenden Skepsis" gestraft würden, die sich in "höheren Kapitalkosten" manifestieren würde. Unternehmen, die "sauber" würden, könnten nun leichter an Geld kommen, da Mr. Blackrock, der sieben Billionen Dollar Anlegergelder verwaltet, sie mit niedrigeren Kapitalkosten belohnen würde, während Schmutzfinken mit Wettbewerbsnachteilen zu rechnen hätten. Dies würde zum "Ergrünen des Kapitalismus" führen, da Geschäfte mit ökologisch schädlichen Waren und Dienstleistungen zu einem Risiko ("stranded assets") würden, so der Professor für Wirtschaftsjournalismus in der besten aller möglichen Welten. Die Klimaproblematik komme "im Herzen des Kapitalismus an", das System sei dabei, "seine Abwehrkräfte zu mobilisieren". Investoren und Finanzmarktregulierer würden nun Druck machen, da die Klimakrise nicht nur Mensch und Natur, sondern auch - welch Horror! - die Finanzstabilität bedrohe. Der Kapitalismus sei gut darin, sich anzupassen, so Müller. Da Kapitalisten am liebsten ihr "Geld" dort investierten, wo es "möglichst sichere Renditen" abwerfe, würden sie sich nun gegen den Klimawandel "wehren", da dieser "fundamentale Unsicherheit" schaffe. Hurra, alles wird wieder gut. Wozu noch demonstrieren, sich organisieren? Der schreibfreudige Mr. Blackrock wird es schon richten. An diesen Ausführungen wird deutlich, wie Ideologie funktioniert. Es sind keine platten Lügen, sondern Halbwahrheiten oder Verzerrungen gesellschaftlicher Realität, die zwecks Legitimierung - oftmals unbewusst – verbreitet werden. Selbstverständlich wollen Kapitalisten ihr Geld "sicher" investieren, doch zugleich müssen sie möglichst hohe Renditen erzielen, wollen sie nicht in der Konkurrenz mit anderen Kapitalisten untergehen. Dieser marktvermittelte Zwang, aus Geld mehr Geld zu machen, konstituiert den Wachstumszwang des kapitalistischen Systems. Und eben daran kann sich das Kapital nicht anpassen, da es sich nicht an sich selbst anpassen kann. Kapital als gesellschaftliches Produktionsverhältnis ist eben das Geld, das durch Investitionen zu mehr Geld werden muss. Müller stellt somit nur die Aspekte der Finanzsphäre dar, die in seine Argumentation sich einfügen, blendet aber bei seiner Kapitalismusapologetik den Wachstums- und Verwertungszwang als Wesen des Kapitals aus. Und eben daran, das den wesenseigenen Verwertungszwang, kann sich das Kapital nicht anpassen, ihn also überwinden, ohne sich selbst zu negieren. Dies lässt sich auch konkret illustrieren: Die von der Finanzbranche getätigten Investitionen sind letzten Endes an die Warenproduktion gekoppelt, wo durch die Verwertung von Lohnarbeit der Mehrwert generiert wird. Deswegen ist das Agieren vieler mächtiger Finanzakteure, die der deutsche Wirtschaftsjournalismus zu Heilbringern in der Klimakrise stilisiert, von einer krassen Schizophrenie geprägt, wie was Beispiel von JP Morgan9 zeigt. Die Ökonomen der Großbank warnen inzwischen in internen Einschätzungen davor, dass der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung der Menschheit darstellt. Wie passt sich nun JP Morgan an diese "fundamentale Unsicherheit" (Müller) reell an? Drängt die "viel gescholtene" Finanzindustrie die Wirtschaft tatsächlich zur ökologischen Wende? Zugleich ist die Bank der weltweit größte Finanzier fossiler Energieprojekte, so der britische Guardian. Allein seit dem Abschluss des Pariser Klimaabkommens habe JP Morgan Öl- und Gaskonzernen rund 75 Milliarden zur Förderung fossiler Energieträger zur Verfügung gestellt. Während die Ökonomen der Großbank buchstäblich vor dem Ende der Menschheit warnen, muss vermittels Finanzinvestitionen aus Geld mehr Geld gemacht werden – was die zerstörerische, fetischistische Eigendynamik des Kapitals krass illustriert. Die von Müller ventilierte Schnapsidee, der zufolge Teile des Kapitals die Selbstzerstörungstendenzen des Kapitals irgendwie aufheben oder revidieren könnten, ist nicht neu. Eine Zeit lang galt die Versicherungsbranche als ein natürlicher Verbündeter der ökologischen Bewegung, da sie von den Zerstörungen infolge zunehmender Extremwetterereignisse besonders stark betroffen sei, wie etwa Spiegel-Online in einem Artikel von 200710 berichtete, in dem Spitzenmanager der Versicherungsbranche zitiert werden, die den Klimawandel "oben auf die Agenda" stellen wollten und sich für eine "Verringerung des Kohlendioxid- und Treibhausgasausstoßes" aussprachen. Die Ergebnisse dieser öffentlichen Forderungen der Versicherungsbranche nach konsequentem Klimaschutz sind bekannt. Nicht nur ist der CO2-Ausstoß seit 2007 global weiter munter angestiegen, die Branche selber beteiligt sich weiterhin an klimaschädlichen Projekten – gerade weil aus Geld mehr Geld gemacht werden muss. Die Allianz etwa unterstützt Kohleförderung11 in Polen, also in dem Land, das neben der Bundesrepublik einer der größten Klimasünder Europas ist. Überhaupt fußt die Idee, ein hoher Wirtschaftsfunktionär könne mittels eines Briefs oder einer Meinungsäußerung einer fundamentale Umorientierung der Verwertungsdynamik des gesamten kapitalistischen Weltsystems quasi per Ukas anordnen, auf einer absurden Überschätzung der Machtmittel der oberen Managementkaste, deren subjektiv vorhandene Handlungsfeinheit nur in der Optimierung des objektiv gegebenen Akkumulationsdynamik besteht – womit Müller ungewollt einer Personifizierung der subjektlosen Herrschaft des Kapitals Vorschub leistet, die in vielen akuten Krisenideologien Konjunktur hat (Wenn überhaupt, so käme dem bürgerlichen Staat in seiner Rolle als "ideeller Gesamtkapitalist" die Funktion zu, um der Erhaltung des Systems Willen die ökologische Wende durchzusetzen). Den apologetischen Glauben an die Allmacht des Kapitalisten teilt Müller folglich mit der verkürzten bzw. vermeintlichen Kapitalismuskritik, die die spätkapitalistische Welt nur als eine ewige Weltverschwörung begreifen kann. Somit scheint der deutsche Wirtschaftsjournalismus einen Hang zu einer gewissermaßen verkürzten Kapitalismusapologetik aufzuweisen, die die weit verbreitete, oftmals in Verschwörungsängsten abdriftende, verkürzte Kapitalismuskritik spiegelverkehrt reproduziert. Reformistische ProjektionenDie Idee, wonach mächtige Akteure aus der Finanzsphäre die "dreckige" fossile Wirtschaft schon noch zur Räson bringen werden, erweitere die Grünen-nahe Tageszeitung12 (taz) während der Auseinandersetzungen um Siemens-Geschäfte mit den Betreibern australischer Kohlemienen um eine weitere Variante, der zufolge es klimafreundliche "institutionelle Investoren" wie "Pensionsfonds, Kirchenfonds oder Versicherungsunternehmen" gäbe, die langfristig dächten, einen allmählichen ökologischen Wandel forderten und die selbst Siemens-Chef Joe Kaeser nicht mehr ignorieren könne. Demnach hätten sich "etwa Axa, Union Investment, der Pensionsfonds der Church of England oder der Caritas" beispielsweise zur Allianz "Climate Action 100" zusammengeschlossen, die nun insgesamt 35 Billionen Dollar verwalte und "Anteile an Siemens, BASF, Heidelberg Cement, Daimler, BMW, Eon, RWE, VW und Thyssenkrupp" halte. Ein Abzug des Kapitals dieser institutionellen Investoren wäre "ein klares öffentliches Signal, auch an andere Unternehmen, die Klimasauereien im Portfolio haben", so die taz. Doch zugleich musste die taz einräumen, dass diese institutionellen Anleger kaum ihr Kapital abziehen können, da "die Idee solcher Investoren" eben darin bestehe, "im Unternehmen zu bleiben, um ein Mitspracherecht zu haben". Dabei sein ist alles! Man muss also mitmachen, um gestaltend eingreifen zu können, so die Logik der taz. Es scheint fast so, als ob die billionenschweren Pensionsfonds hier einen Gang durch die kapitalistischen Institutionen transnationaler Konzerne antreten würden, um diese dann nur um so gründlicher von innen her ökologisch zu transformieren, indem sie darauf pochten, "dass sich Unternehmen wie Siemens allmählich wandeln". Diese Argumentation in der Tageszeitung ähnelt somit einer reformistischen Projektion. Der reformistische Gang durch die Institutionen, durch den die Bundesrepublik einen grundlegenden ökologischen Wandel erfahren sollte, bildet den Kern des politischen Projekts der Grünen. Die naive Idee eines Wandels des Kapitalismus durchs fleißiges - und einträgliches - Mitmachen, die sich bereits in der rot-grünen Regierungsära Schröder-Fischer mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien und der Agenda 2010 bis auf die Knochen blamierte, wird hier schlicht auf die Wirtschaftssphäre projiziert. Die mächtigen Akteure in der Wirtschaft erscheinen so dem grünen Mittelschichtsjournalisten als potenzielle Partner, die eigentlich dasselbe wollten. Solche Ansichten im Hausblatt der Grünen bieten letztendlich einen deprimierenden Ausblick auf das drohende Elend opportunistischer Klimapolitik einer künftigen Regierung unter Führung der Grünen, wo offensichtlich immer noch an den wirkmächtigen guten Willen der ganz großen Akteure auf den Märkten geglaubt wird, dem man als Regierung eigentlich nur zum Durchbruch verhelfen müsse. Letztendlich schimmert hier eine opportunistische Ideologie durch, die unter Ausblendung konkret gegebener Widersprüche und Konflikte ein gemeinsames Interesse, ein "Gemeinwohl" halluziniert, bei dem jeglicher klimapolitischer Fortschritt einem angestrebten Konsens geopfert würde – dies im krassen Gegensatz zu der konfrontativen Politik eines Bernie Sanders und der amerikanischen Linken, die ihren Green New Deal, der auch nur einen ersten Schritt einer Systemtransformation bilden könnte, im expliziten Kampf gegen mächtige Kapitalinteressen durchzusetzen gedenken (wobei zu betonen ist, dass der Green-New-Deal kein "neues Akkumulationsmodell" bilden kann). Doch wie steht es eigentlich um die mächtigen, billionenschweren Pensionsfonds, die laut der taz langfristig dächten und nun daran gingen, Spitzenmanager wie Joe Kaeser zur ökologischen Vernunft zu bringen? Diese institutionellen Anleger befinden sich in einer schweren Krise13, da sie kaum noch in der Lage sind, ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachzukommen. Dies ist eine Folge der historisch einmaligen Niedrigzinspolitik, die in Reaktion auf den letzten Krisenschub – das Platzen der transatlantischen Immobilienblase 2008 – als Konjunkturstütze durchgesetzt wurde. Das billige Geld belebte zwar die Konjunktur, aber es brachte Versicherungen und Pensionskassen in eine zunehmende Schieflage, da sich nicht mehr in der Lage sind, die langfristig vertraglich vereinbarten, entsprechenden Renditen auf den Kapitalmärkten zu erwirtschaften. Es klaffen hier schon Milliardenlöcher.14 Deswegen sind die Pensionskassen gezwungen, größere Risiken einzugehen, sich stärker auf den Aktienmärkten sich zu engagieren, damit eben die notwendigen Renditen generieren werden. Als Beispiel nennt das Handelsblatt etwa Japans größten Fonds, den Government Pension Investment Fund (GPIF), der mit einem "Vermögen von rund 1,2 Billionen Euro … einer der größten Pensionsfonds der Welt" sei. Wegen der anhaltenden Niedrigzinsphase habe dieser Fonds "seine Staatsanleihequote von rund 60 Prozent auf 35 Prozent reduziert und die Aktienquote von 24 auf 50 Prozent erhöht". Es muss mehr Geld aus Geld gemacht werden, Millionen von Pensionsansprüchen hängen daran – es sind Einkünfte breiter Bevölkerungsschichten, die davon abhängen, nicht nur Profite einer kleinen Clique von Superreichen und Managern. Es bedarf somit sehr großer Phantasie, um ausgerechnet diese angeschlagenen "institutionellen Anleger", die auf Biegen und Brechen ihre Renditen erhöhen müssen, zu den Vorkämpfern eines ökologischen Kapitalismus zu erklären, die etwa einträgliche Siemens-Geschäfte mit australischen Kohleminen zugunsten ökologischer Nachhaltigkeit ausschlagen würden. An diesem Beispiel kann aber auch die Wechselwirkung von innerer und äußere Schranke des Kapitals, von ökonomischer und ökologischer Krise nachvollzogen werden: Die zunehmenden sozialen und ökologischen Widersprüche, die sich daraufhin verschärfenden "Sachzwänge" - sie verengen den Manövrierraum beim Klimaschutz immer weiter. Gut Ding will Weile haben!Neben der Halluzination irgendwelcher mächtigen Kapitalmarktakteure - von Blackrock, über die Versicherungsbranche bis zum Rentenfondsmanager -, die als eine Art privatisierter Ersatzstaat nun den Kapitalismus aus einem wohlverstandenem strategischem Interesse heraus "ergrünen" lassen würden, spielt der Faktor Zeit eine zunehmende Rolle bei der Legitimierung des Spätkapitalismus. Durch eine selektive zeitliche Wahrnehmung der Klimakrise lassen sich bestimmte kurzfristige Tendenzen isolieren, verabsolutieren oder umdeuten, um entsprechende apologetische Narrative aufbauen zu können. Was tut man als Kommentatorin etwa der Süddeutschen Zeitung15 (SZ), wenn die Kids anfangen zu quengeln, weil sie keinen Fortschritt bei der Bekämpfung der Klimakrise sehen und partout nicht verrecken wollen in der drohenden Apokalypse? Man mahnt das junge, ungestüme Blut zur Geduld. Gut Ding will schließlich Weile haben. In Reaktion auf Klagen der prominenten Klimaaktivisten Greta Thunberg anlässlich des letzten Elitetreffens in Davos, es hätte sich in den vergangenen Monaten "praktisch nichts" in der Klimafrage getan, da die globalen Emissionen von Treibhausgasen munter weiter anstiegen, wollte die Süddeutsche Zeitung endlich "erste Fortschritte" erkennen. Klar: Das Zeitfenster zur Realisierung eines ambitionierten Klimaschutzes möge sich schließen, und dies könne für die Kids "natürlich besonders frustrierend" sein, vor allem, wenn man bedenke, "wie viel in dieser Zeit seit dem Beginn der Fridays-for-Future-Demonstrationen über Klimaschutz geredet wurde". Immerhin könne sich Greta aber nicht über "mangelndes Gehörtwerden beschweren", schulmeisterte die SZ, auch wenn dieses Zuhören "eben nicht Handeln" sei. Dennoch könne man nicht behaupten, es hätte sich "praktisch nichts" getan, dies sei eine "sehr pessimistische Sichtweise", die all die "bemerkenswerte Dinge" ignoriere, die in den vergangenen Jahren passiert seien, "vor allem in Anbetracht der Tatsache, wie wenig in den drei Jahrzehnten zuvor vorangegangen ist". Freilich wurde durch die jüngsten Verpflichtungen von Staaten und der EU zu schärferen Klimazielen "kein Gramm CO2" eingespart, gestand die renommierte Zeitung, aber anderseits müsse man bedenken, dass "Klimaschutz auch nicht vom Himmel" falle. Dieser müsse zuerst "mühevoll ausgehandelt werden". Der Aufruf zur Geduld beruht auf der simplen Einengung des Zeithorizonts – und er widerspricht sich selbst. Die SZ tut einerseits so, als ob das Problem des Klimaschutzes erst seit dem Beginn der Klimaproteste der Fridays for Future Bewegung auf der Agenda der Politik stünde. Hierbei wird einfach auf die Geschichtslosigkeit der spätkapitalistischen Öffentlichkeit spekuliert, deren Zeithorizont aufgrund kulturindustrieller Dauerbeschallung und unaufhörlicher Spektakelproduktion nur noch wenige Wochen umfasst. Nicht ist öder als die Nachrichten von vorgestern. So kann in Hinblick auf die junge Klimaschutzbewegung argumentiert werden, dass ihr Gegenstand erst mit ihrem Aufkommen zum Objekt der Politik werde – und man folglich Geduld haben müsse mit dem politischen Prozess, der Klimapolkit "mühevoll ausgehandelt". Durch eine einfache Verengung des Zeithorizonts kann das desaströse langfristige Ergebnis kapitalistischer Klimapolitik, die nicht in der Lage war, den extremen Anstieg der globalen CO2-Konzentration zu verhindern, und die somit buchstäblich "weniger als nichts" gebracht hat, zum Verschwinden gebracht werden. Doch zugleich erinnert die SZ selber daran, wie "wenig in den drei Jahrzehnten zuvor" sich in Fragen der Klimapolitik bewegt habe. Seit dreißig Jahren bemüht sich die kapitalistische Politkaste in einem kaum noch überschaubaren Gipfel- und Verhandlungsmarathon um wirksame Klimaschutzmaßnahmen – und trotzdem ist bislang kein Klimaschutz vom "Himmel" des Politolymps gefallen. Ihre Aufforderung zu Geduld wird von der SZ selber mit dem Verweis auf die evidente, dekadenlange Unwirksamkeit kapitalistischer Klimapolitik ad absurdum geführt. Es ließe sich nun eher fragen, worauf wir noch warten sollen? Oder sind drei Dekaden geduldigen Wartens nicht lang genug? Everything is fineLetztendlich teilt die SZ den Klimakids mit, dass es in den vergangenen 30 Jahren keine erfolgreiche kapitalistische Klimapolitik gegeben habe, und dass dies auch derzeit nicht der Fall sei – doch man müsse sich nur gedulden, weil bald alles viel besser sein werde. Großes Indianerehrenwort! Wobei dieser durchschaubaren und eigentlich lustlos verfassten Apologetik die Selbstzweifel und Skrupel, gewissermaßen das schlechte Gewissen anzumerken sind, mit denen sie verfasst sein dürfte. Dem rechten Rand der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik sind solche Skrupel hingegen unbekannt. In der AfD-nahen Presse, beim Springer-Verlag, wurde schon immer gerne mit dem Vorschlaghammer argumentiert. Fakten und Zusammenhänge können schließlich so lange bearbeitet werden, bis die gewünschte, alternative "Wahrheit" konstruiert ist. Im Fall der Klimakrise kann die Antwort laut der Zeitung Die Welt16 einfach lauten, dass alles unter Kontrolle sei. Deutschland habe einen "Klima-Erfolg" errungen, der grüner "Gesinnungspolitik" einen "Tiefschlag" versetzt habe, so ein Anfang Januar publizierter Kommentar. Die "erste nennenswerte Verringerung der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland" sei nicht auf kleinteiligen "Staatsdirigismus" oder "linke Politik" zurückzuführen, sondern auf ein "kaltes, ökonomisches Konzept". Mehr Kapitalismus wagen – damit meint der Wirtschaftsjournalismus auch im Hause Springer das Patentrezept gegen die Klimakrise gefunden zu haben. Was war geschehen? Im letzten Jahr sind die Emissionen von Treibhausgasen in der Bundesrepublik zum ersten Mal seit langem deutlich gesunken17, was die Welt auf ihrer Onlinepräsenz dazu verleitet, quasi das Ende der Klimakrise auszurufen, wobei der europäische Emissionshandel als das marktgerechte Patentrezept zur Überwindung der Klimakrise genannt wird. Bei diesem Jubelbericht von der Klimafront wird nicht nur der Zeithorizont auf ein Jahr verengt, um die miserable klimapolitische Bilanz der Bundesrepublik in den vergangenen Dekaden auszublendenden, die sich als klimapolitischer Bremsklotz der EU18 betätigte, es wird auch das "Geschäftsmodell" des Exportweltmeisters Deutschland unterschlagen, das ja buchstäblich darin besteht, PS-Starke Verbrennungsmaschinen fossiler Energieträger in alle Welt zu exportieren. Die Zeit wird knapp – somit gilt es, aufbauend auf der ideologischen Vorarbeit der Kulturindustrie, die Zeit vollends zu verdinglichen, ihr ihren prozessualen Charakter zu nehmen, sie in isolierte, kleine Teilchen zu zerlegen, um so jegliches Geschichtsbewusstsein auszutilgen, das einen Überblick über das sich entfaltende Desaster kapitalistischer "Klimapolitik" böte. Die Süddeutsche Zeitung konnten drei Dekaden gescheiterter Klimapolitik nicht in ihrem Glauben an den Kapitalismus als die beste aller möglichen Welten erschüttern, der Welt reicht ein Jahr einer regional begrenzten Reduzierung von Treibhausgasemissionen, um den Sieg des Kapitals über die Klimakrise auszurufen. Dieser zeitliche "Snapshot", den die Welt hier isoliert, um daraus das Narrativ einer kapitalgerechten Überwindung der Klimakrise zu spinnen, geht somit einher mit einer geographischen Einengung. Die globalen Emissionen steigen ja weiter an – und es kommt bei dem Kampf gegen die Klimakrise gerade darauf an, ihn global zu führen, wozu eine krisengeplagte, spätkapitalistische Welt miteinander zunehmend konkurrierender Nationalstaaten nicht in der Lage ist. Ein klares empirisches Indiz dafür, dass die Klimakatastrophe abgewendet oder wenigstens abgemildert werden könnte, bestünde schlicht in global rasch sinkenden Emissionen von Treibhausgasen. Da der Kapitalismus mit seinem Wachstums- und Verwertungszwang dazu grundsätzlich nicht in der Lage ist, geht die "Journaille" (Karl Kraus) dazu über, chronologische und geografische Rosinenpickerei zu betreiben, um die entsprechenden "Narrative" aufbauen zu können. Bei dieser selektiven Wahrnehmung seitens der Springerzeitung, bei der Entwicklungslinien ignoriert und punktuelle Ereignisse aus ihrem Kontext gerissen werden, zeigt sich deutlich, dass Ideologie ein notwendig falsches Bewusstsein ist, das den gesellschaftlichen Verhältnissen innewohnt. Politik kann im Kapitalismus letztendlich nur national formuliert werden, wie es etwa die nationalen Auseinandersetzungen innerhalb der EU seit Ausbruch der Eurokrise evident machen. Dabei sind es gerade die sozioökonomischen Krisenschübe der vergangenen Dekaden, die den Konkurrenzzwang zwischen den Staatssubjekten ins Extrem treiben und so einen global koordinierten Kampf gegen die ökologische Krise hintertreiben. Notwendig wäre aber die Forcierung globaler, eng koordinierter Projekte im Klimakampf, die nur jenseits von Kapital und Nation, im Rahmen einer postkapitalistischen Transformation vollauf realisiert werden könnten. Ist die Klimakrise zu hart, bist du zu weich!Anstatt nach Systemalternativen gegen die kapitalistische Klimakrise zu suchen, sind in der veröffentlichten Meinung hingegen Stimmen zu vernehmen, die gewissermaßen eine Verhärtung predigen. Man solle sich nicht so anstellen, so der Tenor dieses Narrativs, wobei gerne auf die Härten verwiesen wird, die Menschen in der Peripherie und Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems auf sich nehmen müssten. Der Klimawandel sei ein "Luxusproblem", ließ etwa Spiegel-Online19 seine Leser in einem Beitrag wissen, der Menschen aus der Peripherie zitierte, die angesichts schwerster sozialer und ökonomischer Verwerfungen in ihren Ländern dem sich beschleunigenden Klimawandel kaum Beachtung schenkten und diesen mitunter als eine Marotte verwöhnter westlicher Jugendlicher erscheinen ließen – Gegenstimmen, die sich sicherlich in den betreffenden Regionen finden würden, wurden nicht berücksichtigt. Jugendliche in Europa würden zwar fleißig für das Klima demonstrieren, in Ländern wie "Ghana, Südkorea, Indonesien und Nepal" sei dies aber kaum der Fall, wo die westlichen Proteste kaum bekannt seien oder "eher kritisch" gesehen würden, erklärte SPON. Die hier durchscheinende Argumentation, die sich auch in Netz in vielen Variationen Verbreitung findet, spielt somit das kapitalistische Elend – etwa in Westafrika, wo Klimawandel "Eher an zehnter" Stelle rangiert – gegen die kapitalistische Klimakrise aus. Die Folgen der ökonomischen Krise, die globale Produktion einer ökonomisch überflüssigen Menschheit, müssen als Rechtfertigung dafür herhalten, die Klimakrise zu ignorieren. Angesichts der Fülle der Krisen und Katastrophen kapitalistischer Vergesellschaftung könne man sich doch nicht auch noch um das "Luxusproblem" Klima kümmern – so die implizite Argumentation, die immer von einer Naturalisierung des Kapitalismus ausgeht. Die Kids im Westen sind einfach zu verwöhnt, nicht abgehärtet genug, sodass ihnen Flausen durch den Kopf geistern, weil sie die wahre Härte des Lebens nicht mehr kennen – so die reaktionäre, kulturpessimistische Klage, in der immer auch eine Drohung mitschwingt. Es ist eine Art Erziehung zur Härte, die hier gepredigt wird, wobei diese zunehmende Verhärtung gegen die evidenten klimatischen Verwerfungen mit einer Desensibilisierung einhergeht, die es den betroffenen Subjekten erschwert, soziale wie ökologische Krisentendenzen rechtzeitig wahrzunehmen. Gerade diese Erziehung zur Härte – mit Verweis auf die Härten des Überlebenskampfes in der Peripherie des spätkapitalistischen Weltsystems – machte Adorno in seiner berühmten Schrift "Erziehung nach Auschwitz" als ein zentrales Element faschistischer Erzielung aus. Je härter das Überleben sich in weiten Teilen der krisengeplagten kapitalistischen One World gestaltet, desto stärker drängt sich diese Logik der Verhärtung auch auf, die dann in entsprechende Krisenideologien der Neuen Rechten mündet. Die brutale Form dieser Argumentation, die bei SPON in einer bürgerlich domestizierten Form für Ressentiments und Zugriffe sorgen soll, beruht auf krassen Fälschungen und Manipulationen, die im Netz zu finden sind und die vor allem im Umfeld der Neuen Rechten kursieren. Hierbei werden oft einfach Fotomontagen verwendet, bei denen eine frühstückende Greta Thunberg mit hungernden afrikanischen Kindern20 kontrastiert wird, um so Klimaschutz zu einem "Luxusproblem" verzogener Mittelklasse-Gören zu stilisieren und eine kausale Verbindung zwischen Klimapolitik und dem kapitalistischen Elend zu konstruieren. Es entsteht somit implizit der Eindruck, als ob es der Klimaschutz selber sei, der den Kapitalismus davon abhalte, seine segensspendende Wirkung in Afrika zu entfalten. Der ideologische Subtext, der das kapitalistische Elend in der Peripherie durch eine Anklage der Klimabewegung exkulpiert, kann in etwa folgendermaßen auf den Punkt gebracht werden: Wenn nur nicht diese verweichlichten Klimakids nicht wären, dann würde die Wirtschaft auch südlich der Sahara kräftig brummen und die Kinder in Afrika müssten nicht hungern. Lerne, mit dem Feuer zu leben!Der Appell, sich doch einfach am Riemen zu reißen und nicht zu jammern, da es die Kinder in Afrika vorerst weitaus schlimmer hätten, geht oft in den ganzen Anpassungsdiskurs über, bei dem die Klimakrise als eine Art darwinistischer Herausforderung an die Anpassungsleistung der Marktsubjekte definiert wird. Man müsse einfach lernen, mit dem sich wandelnden Klima zu leben, so das Argument, das an den ganzen neoliberalen Sachzwang-Diskurs der letzten Dekaden anknüpfen kann, als die krisenbedingt zunehmenden sozialen Zumutungen des Spätkapitalmus zu unabänderlichen Naturgesetzen erklärt wurden, an die es sich durch die ganzen jämmerlichen Strategien der Selbstoptimierung, Selbstvermarktung, Selbstausbeutung etc. als fidele Ich-AG anzupassen gelte. Der gesellschaftliche Fetischismus, das Ausgeliefertsein an die verselbstständigte gesellschaftliche Dynamik des Kapitals, dass das allgegenwärtige Gefühl von Heteronomie schafft und eben jene neoliberalen Anpassungsstrategien der Selbstzugrichtung der "Ware Arbeitskraft" hervorbringt, er bildet das soziale Fundament dieser ökodarwinistischen Ideologie der Anpassung, bei der sich die Marktsubjekte einer Dynamik des Klimawandels anpassen zu wollen, die eigentlich die Folge des fetischistischen Wachstumszwangs des Kapitals ist. Ohne die Überwindung des Letzteren kann aber die Erstere nicht im Zaun gehalten werden. In Reaktion auf die immer öfter in immer stärkerer Intensität tobenden Waldbrände wird etwa argumentiert, man müsse sich nun einmal daran anpassen, lernen, mit dem Feuer zu leben21, was aus der lokalen, kurzfristigen Perspektive auch sinnvoll ist, um etwa Brandvorsorge zu betreiben, so Risiken zu minimieren, etc. Problematisch wird dieser pragmatische, lokal oder regional sinnvolle Ansatz, wenn er auf den globalen, sprunghaft verlaufenden Prozess des Klimawandels Anwendung findet. Nun gelte es halt, zumeist unter Verweis auf die tolle Anpassungsfähigkeit des Kapitals, sich an den kapitalistischen Klimawandel anzupassen – was einer monströsen Fehleinschätzung der Dynamik des Klimawandels entspricht. Der Klimawandel ist etwas, an das sich die menschliche Gesellschaft in letzter Konsequenz gerade nicht anpassen kann – die in den neoliberalen Dekaden propagierte Anpassungsfähigkeit wird dem spätkapitalistischen Menschen zum Verhängnis. Der Klimawandel verläuft nicht graduell, sondern in Sprüngen, die bei Überschreiten klimatischer Kippunke ausgelöst würden – und die katastrophale Folgen für ganze Regionen nach sich zögen. Die Illusion, die bei der Anpassung an graduelle, quantitative Veränderungen aufkommt, würde sich bei einem voll einsetzenden, "qualitativen" Umschlag des Klimasystems blutig blamieren. Es geht nicht nur um Katastrophen wie den rapiden Anstieg des Meeresspiegels, die Verwüstung ganzer Kontinente, drohende Hungerkatastrophen oder die Unbewohnbarkeit großer Regionen22 im globalen Süden, die alle schon furchtbar genug sind. Letztendlich geht es um das nackte Überleben des Menschen als Gattung, der Flora und Fauna, wie wir sie heute kennen, wie beispielsweise der berühmte Essay23 "The uninhabitable Earth" unter Verweis auf die durch die steigende CO2-Konzentration verursachte Versauerung der Ozeane ausführte, durch die in letzter Konsequenz ein Großteil des Lebens in den Weltmeeren vernichtet würde, was gigantische, alles abtötende Mengen Schwefelwasserstoff freisetzen würde. Eine solche Katastrophe ereignete sich vor rund 252 Millionen Jahren, am Ende des Erdzeitalter Perm, als rund 97 aller Lebewesen vernichtet wurden, wie der obig erwähnte Essay ausführte: "Schwefelwasserstoff ist auch das, was uns in dieser Zeit [Perm-Massensterben vor 252 Millionen Jahren, T.K.] schließlich 97 Prozent allen Lebens auf der Erde gekostet hat, nachdem alle Rückkopplungsschleifen ausgelöst worden waren und die zirkulierenden Ströme eines erwärmten Ozeanbodens zum Stillstand gekommen waren - es ist das bevorzugte Gas des Planeten für einen natürlichen Holocaust. Nach und nach breiteten sich die toten Zonen in den Ozeanen aus und töteten Meerestiere, die die Ozeane über Hunderte von Millionen Jahren beherrscht hatten, und das Gas, das das Wasser in die Atmosphäre abgab, vergiftete alles an Land. Auch die Pflanzen. Es dauerte Millionen von Jahren, bis sich die Ozeane erholten." Durch die sich beständig zuspitzenden Widersprüche spätkapitalistischer Vergesellschaftung schreitet in der historischen Gesamtbewegung nicht etwa die Vernunft voran, wie von Hegel einstmals postuliert, sondern die Barbarei, die ihren Endpunkt in eben diesen gigantischen Furz hätte, der nahezu alles Leben auslöschte. Nur die Überwindung dieses in offene Verwesung übergehenden falschen Ganzen böte der Menschheit eine Überlebenschance.
Von Tomasz Konicz erschien aktuell im Mandelbaumverlag das Buch Klimakiller Kapital – Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört.24
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