„Das Einmaleins der Aufklärung“Herbert BöttcherSo lautet die Überschrift über einen Text von Stephan Grigat (Vgl. https://taz.de/Plaedoyer-gegen-abstrakten-Atheismus/!5721820/). Darin plädiert er für eine konsequente Religionskritik, die zugleich zwischen Religionen unterscheidet. Aktueller Hintergrund ist der terroristische Mord an einem Pariser Lehrer, der Mohammed-Karikaturen in den Unterricht einbezogen hatte. Grundlage von Grigats Plädoyer für „Religionskritik – auch von links“ ist die Aufklärung. Darin aber greift er zu kurz; denn: „Das Einmaleins der Aufklärung“ ist nicht unbedingt die beste Grundlage für Religionskritik. Dies gilt unbeschadet dessen, dass Grigats Plädoyer „für eine konsequentere Religionskritik von links“ Zustimmung verdient. Anlass dazu gibt der islamistische Terror mehr als genug. Dabei wäre zu unterscheiden „zwischen den Religionen“, aber auch innerhalb der einzelnen Religionen, genauer zwischen theokratisch orientierten Traditionen mit ihren Herrschafts- und Gewaltimplikationen und zwischen emanzipatorischen Orientierungen. Dann ergibt sich ein Bild des Islam, das nicht einfach mit den ‚islamistischen‘ Terrorpotenzialen identifiziert werden kann. Zugleich wird auch der Blick auf das aktuelle Christentum und seine nicht zu unterschätzenden fundamentalistischen Anteile differenzierter. Diese gibt es in der offenen Liaison mit rechten Bewegungen. Als Beispiele dafür seien die Verbindung evangelikaler Gruppen mit Bolsonaro und Trump, Orbáns Verbindung mit der reformierten Kirche, die Verbindung von rechtem Autoritarismus und Katholizismus bis hin zu Kräften im Vatikan, die gegen Papst Franziskus in der Verbindung mit rechten Kräften die verlorene Macht der katholischen Kirche restaurieren möchten. Dazu gehören aber auch jene auf den ersten Blick eher liberal wirkenden Versuche, die Kirchen als ‚unternehmerische Kirchen‘ durch Esoterisierung ihrer Angebote aus der Bedeutungslosigkeit zu retten. Autoritäre und liberale Varianten sind dadurch miteinander verbunden, dass sie sich einer kritischen Reflexion von Religion entziehen – die einen durch das unmittelbare Pochen auf eine nicht hinterfragbare religiöse Autorität, die anderen dadurch, dass Innerlichkeit, religiöse Erfahrung und bloße Entscheidung zur letzten Legitimationsinstanz von Religion wird. Das alles vor allem vom ‚hohen Ross‘ der Aufklärung herab abhandeln zu wollen, zeugt nicht gerade von „einer über sich selbst aufgeklärten Aufklärung“. Auch der Bezug auf Horkheimers „jüdischen Messianismus“ – versehen mit dem Zusatz, „man müsste die Unterschiede zwischen den Religionen thematisieren“ – kann diesen Eindruck nicht korrigieren, geht es doch gleich weiter im Text mit: „Man dachte, über Religion sei alles gesagt, und es ist schwierig, dem … viel Neues hinzufügen“. Es bleibt dabei: das ‚Licht der Aufklärung‘ wird gegen mittelalterlichen ‚Obskurantismus‘ in Stellung gebracht. Dass gerade im Mittelalter die Frage der Vermittlung von ‚fides et ratio‘ eine wichtige – wenn auch aus heutiger Sicht zu problematisierende – Rolle gespielt hat, wird vom ‚Licht der Aufklärung‘ nicht erreicht. Schon gar nicht fällt ein selbstreflexives Licht auf die Verbindung von Aufklärung und Kapitalismus. Dabei könnte doch das vor etwa 100 Jahren erschienene Fragment „Kapitalismus als Religion“ von Walter Benjamin ein guter Anlass zu selbstkritischer Reflexion sein. Die aufgeklärte Vernunft ist eben nicht das andere der kapitalistischen Rationalität, sondern die ideologische Begleitmusik der Durchsetzung des Kapitalismus. Und selbst in der Krise segnet sie ihn unter Berufung auf Demokratie, ‚höhere Werte‘, Menschenrechte etc. ab, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass der Kapitalismus nur in der Polarität von Ökonomie und Politik existieren kann. Wenn der Verwertungsprozess in der Krise des Kapitalismus nicht mehr hinreichend Geld für die Finanzierung des „wahren Eden der angebor[e]nen Menschenrechte“ (Marx) hergibt, dann „frisst die Demokratie ihre Kinder“1 und selbstverständlich auch die Menschenrechte. Es macht also keinen Sinn, im Sinne einer ‚schlechten Unendlichkeit‘ das unvollendete Projekt der Aufklärung idealistisch in einer ‚Wiederkehr des Gleichen‘ immer wieder ‚neu‘ gegen die realen Krisenverhältnisse zu stellen und sie letztlich damit ‚abzusegnen‘. Religionskritisch wird ‚ein Schuh daraus‘, wenn wahr genommen wird, dass Marx die vermeintlich erledigte Kritik der Religion als Kritik des Kapitalismus und seiner Fetischverhältnisse weitergeführt hat. Eine derartige religionskritische Reflexion könnte das in den Blick rücken, was das ‚Licht der Aufklärung‘ überblendet oder ausblendet: die Irrationalität des kapitalistischen Selbstzwecks, Kapital um seiner selbst willen zu vermehren, und die Reproduktion abzuspalten und den inferiorisierten Frauen zuzuweisen. Das damit einhergehende Vernichtungspotential kann – noch harmlos formuliert – mit dem islamistischen Terror und all dem, was Religionen an Gewalt befeuert haben, durchaus mithalten. Das ‚Licht der Aufklärung‘ ist ein irdisches, hat aber „trotzdem einen seltsam transzendentalen Charakter angenommen. Der himmlische Glanz eines schlechthin unangreifbaren Gottes hat sich nämlich bloß säkularisiert zur monströsen Banalität des kapitalistischen Selbstzwecks, dessen Kabbalistik der irdischen Materie in der sinnlosen Anhäufung des ökonomischen Werts besteht. Das ist nicht Vernunft, sondern höherer Irrsinn; und was da leuchtet, ist der Glanz der Absurdität, der weh tut und die Augen blendet“2. Dagegen können emanzipatorische religiöse Traditionen Einspruch erheben. Ihre Rationalität gewinnen sie aus der kritischen Selbstreflexion ihrer eigenen Tradition. Im Blick auf die jüdisch-christliche Tradition formuliert: In ihr ist die Unterscheidung zwischen Israels – nicht definier- und darstellbarem, aber deshalb nicht inhaltslosem – Gott der Befreiung und Götzen als Herrschaft legitimierender Fetische auch im Blick auf die eigene Religion herrschaftskritisch wirksam geworden. Insofern sich Religionen auf das Ganze von Gesellschaft und Geschichte beziehen, ohne darüber verfügen zu können, transportieren sie – wie auch Grigat „etwa im Blick auf den jüdischen Messianismus“ und an Horkheimer anknüpfend zugesteht – „die Sehnsucht nach dem ganz Anderen“. Dennoch bleibt selbstreflexive Bescheidenheit angesagt. Auch emanzipatorisch verwurzelte religiöse Traditionen können sich nicht gleichsam aus der Unmittelbarkeit ihrer religiösen Autorität oder abgeleitet aus ihren Traditionen gesellschaftskritisch zur Geltung bringen, sondern nur dann, wenn sich ihre Inspiration mit Einsichten verbindet, die aus gesellschaftskritischer Reflexion gewonnen werden. Eine andere Frage ist, wie sich Gesellschaftstheorie und -kritik zu solchen Traditionen verhält. Sie könnte an das anknüpfen, was bei Vertretern kritischer Theorie wie Benjamin, Horkheimer und Adorno an ‚inverser Theologie‘ erkennbar wird: an Benjamins „schwacher messianischer Kraft“, die für „eine geheime Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem“ steht und „das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen“3 vermag, an die schon erwähnte „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ bei Horkheimer und nicht zuletzt an Adornos negativ-dialektisches Denken, das der Identifizierung auch mit einem materialistischen Positivismus widersteht. „Eine geheime Verabredung“ zwischen negativ-dialektischem und theologischem Denken könnte darin bestehen, dass auch theologisches Denken sich weigert, sich ontologisierend idealistisch in einem Ursprungsdenken zu verankern, in dem Sinn und Rettung immer schon gesichert sind.
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