Bitte hier klicken für die pdf-Version Knut HüllerDes Bäckers umwerfende Theorie vom Gleichgewicht1. Wie die Volkswirtschaftslehre vom Himmel fielDieser Artikel untersucht, welche Realitätsbezüge neoklassische Wirtschaftstheorie so stabilisieren, dass sie sich trotz innerer Widersprüche (Ortlieb 2004a) und religionsähnlicher Züge (Freeman 2006) als Wissenschaft etablieren konnte. In Freemans Terminologie ausgedrückt geht es um die Wirklichkeitswahrnehmung durch die exoterische Komponente der VWL.1 ‚Paradoxa‘ in ihrer Theorie fallen zwar immer wieder auch akademischen Ökonomen auf und manche machen daraus einen regelrechten Arbeitsschwerpunkt (vgl. Helmedag 1991). Obwohl Einzelfirma und Gesamtsystem mit demselben Begriffsapparat behandelt werden, erscheinen die Paradoxa gerade dann geballt, wenn versucht wird, beide Ebenen zu verbinden. Aber selbst dieses Ergebnis führt noch nicht einmal zu einer Systematisierung, geschweige denn zum Verwerfen nennenswerter Teile der Theorie. Die Neoklassik bestreitet weiterhin pauschal die Sinnhaftigkeit von Begriffen wie Mehrwert, Durchschnittsprofitrate und Krise und behandelt beide Ebenen mit so genannten ‚Produktionsfunktionen‘. Auf diese konzentriert sich die Untersuchung, stellvertretend für Angebots-, Nachfrage- und Nutzenfunktionen und ähnliche Konstrukte. Die Untersuchung stützt sich weitgehend auf zwei führende Lehrbücher, den Überlegungen von Ortlieb (2004b) folgend. Zu ergänzen sind diese um zwei praktische Aspekte: die wesentlichen Ideologiekomponenten und Widersprüche stecken bereits in den Grundannahmen, und der Umgang mit diesen Widersprüchen spaltet die VWL in immer unübersichtlicherer Weise. So lernen auch Wirtschaftsstudenten als systematische Literatur vorwiegend werbeprospektartig aufgemachte Lehrbücher kennen. Deren Inhalt trägt das Seinige zur Entwissenschaftlichung bei: „Makroökonomie in moderner Form gab es gar nicht bis 1936, als John Maynard Keynes seine revolutionäre Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes publizierte.“ (S/N,5)2 Diese Passage bricht selber mit der bürgerlichen Klassik. Die Erhebung des Krisen-Ökonomen Keynes zum Propheten erklärt sich vielleicht aus der Laufbahn des Autors Samuelson3, korrekt beschrieben ist aber das kurze Gedächtnis der Disziplin, hervorgerufen durch ständiges Einströmen neuer Annahmen. Belegen lässt sich dies an J.M.K. persönlich: „In den Sechzigern beruhte so gut wie jede wirtschaftspolitische Analyse auf der keynesianischen Weltsicht. Danach haben neue Entwicklungen, welche Angebotsfaktoren, Erwartungen und neue Sichtweisen der Preis- und Lohndynamik beinhalten, den alten keynesianischen Konsens untergraben.“ (S/N, 407) Mit „Entwicklungen“ meint man neue theoretische Konstrukte („Angebotsfaktoren“) und neue „Sichtweisen“. Der Einbau ‚rationaler Erwartungen‘ in die Theorie führt als Basisannahme ein, dass sich die untersuchten Wirtschaftsobjekte so verhalten, wie die forschenden Ökonomen denken. Vergleichbare ‚naturwissenschaftliche‘ Methodik findet man in ‚Brehms Tierleben‘. Der Realitätsbezug der Lehrbuchaussage zeigt sich daher erst nach einem Blick auf den Kapitalismus der Sechziger. In dieser Phase wird die Krise chronisch und Keynes‘ praktisch orientierter Ansatz wird verdrängt durch eine Welt abstrakter Prinzipien, für deren Wirken nichts Diesseitiges verantwortlich gemacht werden kann. Wie in der Reformation wird dazu die vorhandene Offenbarung neu interpretiert: „Obwohl die Makroökonomie seit ihren ersten[!] Einsichten große Fortschritte[!] gemacht hat, bestimmen die von Keynes[!] angegangenen Themen heute noch[!] das Studium der Makroökonomie.“ (ebd.) Kein Wort aber über Keynes‘ Interventionismus oder irgendwelche anderen bewussten Handlungweisen, mit denen sich der (ökonomische) Mensch über die in der (ökonomischen) Natur waltenden Kräfte erheben könnte. Auch deshalb sind Vergleiche mit beschreibender oder gar angewandter Naturwissenschaft vollkommen fehl am Platz. Entsprechend ist die Erklärungskraft: „Wirtschaftstheorie erscheint oft wie ein endloser Vorüberzug neuer Rätsel, Probleme und Dilemmata.“ (S/N,xvii) Prägt sich hier die vom Alltagskapitalismus bekannte Kurzsichtigkeit spontan durch bis aufs höchste verfügbare intellektuelle Niveau? Oder eifert man Beschreibungen der Großen Reformation nach? „Befindet sich Gott im Unfasslichen, dann sind auch seine Gesetze, die den Weltlauf regieren oder die dem Menschen auferlegt sind, gleichermaßen uneinsichtig und unverständlich – ihre Existenz ist allenfalls zu erahnen. Durch den Brückenschlag der Vernunft unerreichbar sind sie menschlicher Erkenntnis entzogen und können so erst recht nicht durch menschliches Handeln erfüllt werden.“ (Haarmann 2005,75) Das von ihr selbst festgestellte kurze Gedächtnis der VWL lässt erwarten, dass sie schneller als andere Wissenschaften die Verfallsprozesse des Systems nachvollziehen kann. Bis in ihre Grundannahmen sollte sie daher Details beinhalten, die einerseits aussagekräftig hinsichtlich des heutigen Kapitalismus sind und andererseits als bereits immanenter Unsinn leicht analysierbar. Der Artikel wird versuchen, diese These zu belegen. 2. Gut fühlt man sich im Wellness-CenterNicht mehr überraschend gehört zu den proklamierten Zielsetzungen der VWL eine Veränderung der Welt zum Besseren. Die perfekte Welt soll aus der Perfektionierung der Lehre folgen: „Wir wollen Studenten helfen beim mühsamen Erlernen ökonomischer Prinzipien, die sie dann besser anwenden können – um die Welt zu einem besseren Ort zu machen für sich selbst, ihre Familien und ihre Gemeinschaften.“ (S/N,xix) Von den Studenten und ihren Gebühren lebt der moderne Professor, aber er hofft, auch andere zu erretten: „Wird das 21. Jhd. die Erfolge des letzten wiederholen? [...] Oder werden die apokalyptischen Reiter – Hunger, Krieg und Seuchen – weiter Afrika im Griff behalten und sich vielleicht noch weiter ausbreiten? Die Antworten auf diese Fragen hängen weitgehend und hauptsächlich von den ökonomischen Erfolgen der Nationen ab – auf dem Gebiet der Erziehung, des Investments, des Außenhandels und der Gesundheitsfürsorge.“ (S/N,xvii) Von ‚Erziehung‘ und ‚Gesundheitsfürsorge‘ liest man im Buchinneren nicht mehr viel; diese Ziele sollen wohl automatisch aus einem Idealzustand folgen, dem die wirtschaftliche Welt (abzüglich Afrika) aus sich heraus zustrebt und der mit dem harmonischen Wort ‚Gleichgewicht‘ bezeichnet wird. Das erste ‚Gleichgewicht‘ ist hiermit bereits entdeckt: es umfasst deklarierte Ziele und wissenschaftliche Ergebnisse der VWL (abzüglich des Sonderfalls Afrika). Was jedoch fehlt, ist eine klare Definition des ‚Gleichgewichts‘. Ins ganz moderne Buch von Mankiw wird der Begriff per Überrumpelungsverfahren eingeführt. „Was bringt Angebot und Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ins Gleichgewicht?“ heißt es zuerst in einer Gliederung (M,43)* und danach in der zugehörigen Kapitelüberschrift (M,58). Restzweifel beim Leser werden überrollt durch weitere fettgedruckte Überschriften, jeweils beginnend mit: „Gleichgewicht in....“. (M,58/59) Danach wird der durchschnittliche Student wohl dem Prospektautor das ‚Gleichgewicht‘ als Normalzustand wirtschaftlicher Systeme abkaufen. Für eine inhaltliche Aussage muss dieser zurückgreifen auf Keynes‘ „Annahme, dass die Ökonomie im Gleichgewicht ist, wenn die aktuell getätigten Ausgaben den geplanten Ausgaben entsprechen. Diese Annahme beruht auf der Vorstellung [idea], dass die Menschen nach Realisierung ihrer Vorhaben keinen Grund haben, an ihrem Handeln etwas zu ändern.“ (M,260) Da dieselbe Annahme aber auch auf gesättigte Braunbären zutreffen dürfte, lohnt ein präzisierender Blick in das ältere Lehrbuch: „Wir finden das Marktgleichgewicht, indem wir nach dem Preis suchen, bei dem die nachgefragte Menge gleich der angebotenen Menge ist.“ (S/N,55) Das ‚Gleichgewicht‘ ist also zunächst weniger etwas reales als ein theoretisches Konstrukt. Der Mathematiker würde schnöde von der Lösung einer Gleichung sprechen: suche den Wert von x, für welchen F(x)=G(x) ist!4 Abb. 1: Mechanische GleichgewichteAlle empirischen Wissenschaften kennen Systemzustände und Methoden zur Ermittlung ihrer Kenngrößen. Warum arbeitet ausgerechnet die VWL so penetrant mit dem Begriff des ‚Gleichgewichts‘? Liegt es vielleicht an einem bisher übersehenen Inhalt, der aus der Erfahrungswelt oder anderen Wissenschaften stammt? Die aus der Schulphysik bekannte Abb.1 identifiziert zunächst eine Begriffsunschärfe. ‚Gleichgewicht‘ meint in der VWL eigentlich: ‚Stabiles Gleichgewicht‘. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind thermodynamische Gleichgewichte, die durch Ausgleich der Temperatur5 zustandekommen und so Keynes‘ Sichtweise in einem wichtigen Punkt bestätigen: es gibt keine Triebkräfte mehr für Veränderungen. Das Interesse an dieser Eigenschaft beinhaltet eine interessante Selbsteinschätzung des heutigen Systemzustands. Aber auch von den meisten Individuen wird Störungsfreiheit als angenehm empfunden, weil sie sich z.B. mit Vorstellungen einer Badewanne oder eines Sessels in der behaglich geheizten Wohnung verbindet. Damit ist der Sprung in die moderne Gesellschaftstheorie geschafft. Jetzt kommt die Hiobsbotschaft: die Wanne kühlt sich ab, und auch die warme Wohnung ist kein Gleichgewichtszustand. Sie bleibt nur warm, weil Wärme aus der Heizung diejenige ersetzt, die ständig nach draußen abfließt. Das angenehme Ambiente wird also geschaffen. Dass der Zustand nicht aus sich selbst heraus stabil ist, erkennt man am vorhandenen Temperaturgefälle. Analog besteht das heutige kapitalistische Weltsystem aus Inseln mehr oder weniger behaglichen Wohlstands inmitten wachsender Spannungen, die der Kapitalismus zum großen Teil selbst erst installiert hat: zwischen Rassen, Klassen, Firmen, Nationen, Währungsgebieten, zwischen Normal- und Sonderwirtschaftszonen, zwischen 1./3./4. Welt. Dies provoziert eine Frage, deren ideologiefreie Formulierung zugleich Standpunkt und Objektivität der VWL zum Ausdruck bringt: “Wird der Überfluss der Wenigen sich zu den Vielen in den armen Ländern verbreiten?“ (S/N,xvii) „Fremd und ungerührt stehen [die göttlichen Gesetze] den Leiden und Schwächen der Individuen gegenüber.“ (Haarmann 2005,75) Differenzen und Widersprüche treiben zu Veränderungen und sind völlig unvereinbar mit Gleichgewichten. Deswegen muss „Afrika“ von vornherein aus der Theorie ausgeschlossen und der Blickwinkel auf die Badewanne verengt werden. Damit erscheint bereits die zweite Verkürzung des VWL-Gleichgewichtsbegriffs. Aber dies reicht nicht, denn die Wohlstandsinseln sind intern in Gegensätzen organisiert, von der doppelten Buchführung bis zur Politik. Dies offenbart sich vor allem in der Krise. Hier findet sich der funktionale Grund für die Ahistorizität der modernen VWL. Würde sie ihre eigene Empirie und Theorie so vollständig archivieren und nachbearbeiten wie die Physik, erreichte sie – wie letztere – noch nicht einmal ein eigenes ‚Gleichgewicht‘. Sie könnte dann das Ambiente privilegierter Weltbewohner nicht mehr wohltuend wärmen, sondern würde es stattdessen auch noch im intellektuellen Bereich stören. Zusammengefasst: Der VWL-Gleichgewichtsbegriff enthält einen ordentlichen Schuss Sehnsucht nach einer Heilen Welt – oder dem Paradies. Dorthin gelangt man nicht, indem man sich in die Luft sprengt. Man muss bereits drinnen sein und man bleibt drinnen, indem man streng objektiv zusieht, wie andere zugrundegehen. Diese sind selbst schuld daran – denn sie wissen nicht, was ‚Gleichgewichte‘ sind. Das Vorbild des thermodynamischen Gleichgewichts ist jedoch fast so selten wie der störungsfrei funktionierende Kapitalismus. Erreichbar ist es nur nach endlicher Zeit in vollständig abgeschlossenen Systemen wie dem Universum. Diese kann man definitionsgemäß aber weder betreten noch verlassen. Ganz streng genommen kann man sie von außen noch nicht einmal beobachten und damit gar nicht erst finden. Wie die VWL solche begrifflichen Probleme bei ihren von bewussten(?) Menschen bevölkerten ‚Gleichgewichts‘systemen löst, teilt sie leider nicht mit. Sie kann es auch nicht, denn damit würde sie zugeben, dass sie eine Gesellschaftswissenschaft ist. Nur implizit kann sie der Realität Rechnung tragen, was sofort zu Widersprüchen führt. Samuelsons Forderung, „die Welt zu einem besseren Ort zu machen[!]“,6 verlangt nichts anderes als den gezielten Eingriff in die postulierten ökonomischen Gleichgewichte - auf welchen Umwegen auch immer. Er hat eben Keynes noch nicht hinreichend abschütteln können. Der unsägliche Walrassche Auktionator und die von ihm kommandierten LÄMMer (vgl. Ortlieb 2004a/2004b) karikieren treffend das passende Menschenbild zu einem Gleichgewichtsbegriff, der selbst gegenüber dem naturwissenschaftlichen mehrfach verkürzt ist. Eine Verkürzung übersieht, dass die Einstellung eines Zustands Zeit und Wechselwirkungen (=menschliche Handlungen) braucht, so dass Existenz eines Gleichgewichtspunkts noch lange nicht bedeutet, dass er jemals erreicht wird. Den uniformen weltweiten Kapitalismus gibt es bisher so wenig wie die durch Erosion nivellierte Erdkugel mit einem gleichmäßig 2km tiefen Ozean darüber. Eine zweite Verkürzung vernachlässigt, dass die Prozesse einer Gleichgewichtseinstellung häufig wichtiger sind als der Zielpunkt der Bewegung. Man erhält am Ende dieselbe Temperaturverteilung, ob man den Tankinhalt abfackelt oder damit einen Motor betreibt. Ernstzunehmende Geologen erforschen aktuelle Gebirgsbildungen statt hypothetischer Nivellierungsniveaus. Aber die VWL sieht eine zerrissene und krisengeschüttelte Welt zusammengesetzt aus dauerhaften, allenfalls sekundär gestörten ‚Gleichgewichten‘. 3. Wenn Formeln und Ideologie im gleichen Ofen gebacken werdenMit gesamtwirtschaftlichen ‚Gleichgewichten‘ befasst sich die Makroökonomie, die „Untersuchung der Ökonomie als Ganzes.“ (M,2) Ähnlich, aber noch mit einer vagen Vorstellung zeitlicher Dimensionalität formulieren Samuelson/Nordhaus: „Makroökonomie ist die Untersuchung des Verhaltens[!] der Wirtschaft als Ganzes.“ (S/N,405). „Herzstück“ (Helmedag 1991) des Ganzen ist die sogenannte Produktionsfunktion. Diese lassen wir uns zunächst erklären: „Die verfügbare Produktionstechnik bestimmt, wieviel Ausstoß aus gegebenen Mengen von Kapital und Arbeit hergestellt werden kann. Ökonomen drücken die verfügbare Technik mittels einer Produktionsfunktion aus. Wenn wir mit Y die Ausstoßmenge7 bezeichnen, schreibt sich die Produktionsfunktion als Y=F(L,K). Diese Gleichung sagt aus, dass der Ausstoß Y von der Menge Kapital (K) und der Menge Arbeit (L) abhängt.“ (M,45,Hervorhebung M). Die erste Verflachung zeigt allerdings schon der Vergleich mit der Lehrbuch-Konkurrenz: „Die Produktionsfunktion spezifiziert den maximalen Output, der mit gegebenen Inputs hergestellt werden kann.“ (S/N,108, Hervorhebung K.H.). Erst das kursiv gedruckte Wort unterbindet die Möglichkeit einer subjektiv beliebigen Auslegung. Die entscheidende Frage ist natürlich diejenige nach den Eigenschaften solcher Produktionsfunktionen. „Viele Produktionsfunktionen haben eine Eigenschaft, die konstanter Skalenertrag genannt wird. Eine Produktionsfunktion hat konstanten Skalenertrag, wenn eine Zunahme aller Produktionsfaktoren um einen gleichen Prozentsatz den Ausstoß um denselben Prozentsatz erhöht.“ (M,45) Formal gilt dann für beliebige Zahlen z: Y(z°L,z°K) = z ° Y(L,K) (Definition des konstanten Skalenertrags) (1) Durchsichtig wird der Sinn dieser Begriffsbildung, sobald man erkennt, dass sich auch die üblicherweise unterstellten Kosten so verhalten. Der ‚Produktionsfaktor Arbeit‘ (L von labour) erhält den Lohn W (wage) und der Produktionsfaktor Kapital (K) den Zinssatz R (rate). Die Kostenfunktion ist deswegen sehr einfach (linear) und erfüllt die Gl.(1): C(L,K) = W°L + R°K (Kostenfunktion) (2) Gewinn ist Erlös minus Kosten; damit erweist sich der konstante Skalenertrag als Grenzfall, in dem sich Erlös- und Kostensteigerung bei Wachstum (tendenziell) die Waage halten.8 G(L,K) = Y–C = Y(L,K)–W°L–R°K (Gewinnformel) (3) Mankiw illustriert das Begriffssystem an einer Bäckerei. „Die Küche und deren Ausrüstung sind das Kapital9 der Bäckerei, die angeheuerten Arbeiter, die das Brot herstellen, sind die Arbeit und die Brotleibe der Ausstoß.“ (M,45) Ein konstanter Skalenertrag der Bäckerfirma ergäbe sich also z.B., wenn einem wachstumsversessenen Bäcker nichts besseres einfiele als eine zweite gleichgroße Küche anzumieten, dort Duplikate der schon vorhandenen Öfen aufzustellen, nochmals die gleiche Zahl Bäckergehilfen einzustellen und danach pro Tag die doppelte Menge Brot zu backen. Die Skala würde sich in diesem Falle verdoppeln oder die Zahl z in Gl.(1) wäre gleich zwei. Ohne jedes Rechnen zeigt sich sofort, dass diese Bäckerfirma nie ein stabiles Gleichgewicht erreicht. Macht der erste Laden Verlust, dann beschleunigt der zweite den Konkurs. Macht der erste Laden Gewinn, wird der Bäcker solange weitere Backstuben eröffnen, bis der Erdball meterhoch mit Laiben überflutet ist. Und falls der erste Laden +/-0 erwirtschaftet, ist (kapitalistisch betrachtet) sowieso alles egal. Die Katastrophe beschleunigt sich, wenn man in Gl.(1) das Gleichheitszeichen durch ‚größer als‘ ersetzt. Dieser Fall heißt ‚wachsender Skalenertrag‘. Der Ausstoß bzw. Erlös wächst jetzt schneller als die Kosten. Wachsender Skalenertrag bei positivem Ergebnis ist das Ideal jedes kapitalistischen Unternehmens. Ein stabiles Gleichgewicht ergibt sich jedoch nur im exakt gegenteiligen Fall des ‚fallenden Skalenertrags‘.10 Ab einer bestimmten Betriebsgröße hält dann der Zusatzerlös dank Vergrößerung nicht mehr Schritt mit den Zusatzkosten, wodurch das Wachstum gestoppt wird. Die VWL wiederum liebt konstante Skalenerträge, was sie empirisch begründen muss. Ihre Erkenntnismethode folgt einem Muster, das dem Staats- und Wirtschaftsbürger mittlerweile bei allen seinen Problemen empfohlen wird: man frage einen Fachmann, natürlich einen objektiven.
An dieser Funktion fällt inhaltlich die Gleichbehandlung der Arbeit L mit dem Sachkapital K auf. Diese Theorie beschreibt eine Ökonomie, in der nur Objekte agieren, entsprechend dem Selbstverständnis der VWL als Pseudo-Naturwissenschaft.12 Da der Arbeitskraft keinerlei Sonderrolle gegenüber anderen Waren oder ‚Produktionsfaktoren‘ eingeräumt wird, ist die Frage nach der Quelle des Profits in diesem Modell vorzumerken. Der Ausstoß nach Cobb/Douglas ist zwar proportional zur (salopp ausgedrückt) Firmengröße13 wie in der expandierenden Bäckerkette. Er wächst aber nicht mehr proportional zu Arbeit oder Kapital einzeln, eine Eigenschaft, die zentral für die gesamte ‚moderne‘ Wirtschaftstheorie ist. Als Funktion nur einer Variablen aufgetragen wird diese Funktion kontinuierlich flacher wie die Wurzelfunktion der Abb.2. „Die meisten Produktionsfunktionen haben die Eigenschaft abnehmenden Grenzertrags: hält man das Kapital konstant, nimmt der Grenzertrag der Arbeit ab, wenn ihre Menge zunimmt.“(M,48) So erzeugt man separate Wachstumsgrenzen für eingesetzte Arbeit bzw. Kapital. Beide zusammen ergeben wieder eine Wachstumsgrenze für den Gesamtbetrieb. Wir merken als Verdacht vor, dass so Widersprüche im Begriff des Skalenertrags umgangen werden sollen. ‚Gleichgewichte‘ aus Abflachen des (Grenz)Nutzens bei linearem oder noch steilerem Anwachsen des Aufwands sind jedenfalls das Universalprinzip der VWL überhaupt. Das Universalprinzip wird sofort angewandt, um Arbeit und Kapital explizit über einen Kamm zu scheren: „Wieviel Kapital die Firma aufnimmt, entscheidet sie in der gleichen Weise, wie sie die anzuheuernde Zahl Arbeiter festlegt.“(M,51) In der Bäckerei: „Arbeiter sind weniger produktiv, wenn die Küche gedrängt voll ist.“(M,48) Dies wird verallgemeinert auf den ersten Backgehilfen bzw. die ersten Produktionsmittel. Hiernach entsteht ein besonderes großer Produktionssprung, wenn an hundert wartende Arbeitswillige in der Fabrik der erste Schraubenschlüssel ausgeteilt wird. Der Bäcker nutzt die Merkwürdigkeiten in den Begriffen des Grenz- und Skalenertrags, um die darin enthaltenen Beschränkungen auszutricksen: wenn er eine gleichartige neue Filiale eröffnet, erzielt er immer konstanten Grenz- und Skalenertrag. Nur dumme Bäcker vergrößern stattdessen bei fallenden Grenz- und Skalenerträgen den Stammladen. Großbetriebe sind in diesem Modell ein höchst erstaunliches Phänomen. Abb. 2: (a) wachsende, (b) konstante, (c) fallende SkalenerträgeMit einem logischen Problem aus derselben Quelle muss die VWL leben, seit ihr mathematischer Existenzbeweis für das Allgemeine Marktgleichgewicht mit Nobelpreisen honoriert wurde. Die Preisträger (K.Arrow 1972, G.Débreu 1983) untersuchten die Bedingungen, unter denen Preise und produzierte sowie konsumierte Gütermengen im Gesamtmarkt so abgestimmt werden können, dass die Wirtschaftssubjekte in einem bestimmten Sinne ihren Nutzen optimieren (Débreu 1987;vgl. auch Ortlieb 2004b). Dieser Optimierung kommt das betriebliche Grenzkostengleichgewicht in die Quere, weil es vorher schon die Produktmengen der Einzelbetriebe festlegt, aus denen sich die Gütermengen des Gesamtmarktes zusammensetzen. Die Betriebe verwenden für ihre Mengenoptimierung u.a. Preise der Kapitalgüter (vgl. die Größe K in Gl.(2) und Gl.(3)). Es entsteht somit folgender Zirkel: Aus Preisen werden betriebliche Produktmengen bestimmt; aus deren Summe werden die Preise bestimmt. Die VWL debattiert noch heute den parallelen Zirkel von Kapitalwert und Profit als ‚Kapitalkontroverse‘ oder ‚Cambridge-Cambridge-Kontroverse‘ (vgl. Söllner 2001,102ff.). Mit solchen logischen Zirkeln und Kapital/Profit-Paradoxa werden sich die Abschnitte 6.ff. befassen. Vorerst wendet die VWL unbeeindruckt den Produktionsfunktions-Formalismus weiter auf volks- wie betriebswirtschaftlicher Ebene an. Wie am Bäckerkonzern zu sehen war, kann das Modell aber auf Firmenebene nur bei fallendem Skalenertrag und bei fallenden Grenzerträgen für Kapital und Arbeit funktionieren. Damit erscheint das nächste logisch schwierige und mathematisch unlösbare Problem: wie addiert man fallende betriebliche Skalenerträge zu einem gesamtwirtschaftlich konstanten Skalenertrag? Dieses Problem betrifft nebenbei die Wachstumsideologie der VWL, denn fallender Skalenertrag beinhaltet ein Sinken der Effizienz bei Wachstum. Mehrere Widersprüche ballen sich hier zu einem Knäuel zusammen, weshalb man in volkswirtschaftlicher Literatur nach Darstellungen mühsam stöbern muss: „Weil [dieses Resultat...] eigentlich nicht sein darf, wird immer ein rechter Eiertanz darum geführt.“ (Ortlieb 2004a) Eiertanz wie Widersprüche resultieren aus der Ideologiebildung in den vorgestellten Begriffen. Zuerst wird Produktion als nackte Kapitalverwertung behandelt. In diesem Rahmen werden Menschen (L) und Dinge (K) als ‚Produktionsfaktoren‘ formal gleichgestellt; dafür werden reale Zusammenhänge unterdrückt wie z.B. die Tatsache, dass in den meisten Produktionstechniken ein optimales Verhältnis K/L, von Küchengeräten und Backpersonal, existiert. Und zuletzt wird ein falscher Anschein von Vollständigkeit des Begriffssystems erweckt. Zahllose wichtige Funktionen weisen weder fallenden noch konstanten noch steigenden Grenz- oder Skalenertrag auf, d.h. ähneln in keiner Weise den Kurven in Abb.2. Was dort u.a. fehlt, sind Funktionen mit Maxima, mit Minima, mit Sprüngen, mit Stufen, mit Schwankungen aller Art. Eine Stufe würde man z.B. beim Anwerfen des Fließbands erwarten oder bei der Eröffnung der zweiten Bäckerei. Wo erkennt man solche Vorgänge in der Abb.2? Jede Ideologie selektiert willkürlich aus der Realität. Die VWL erweitert dieses Prinzip auf ihr (mathematisches) Handwerkszeug, um drei fundamentale Widersprüche zu überdecken: - Ein logischer Widerspruch steckt schon im Ansatz fallender betrieblicher Skalenerträge selbst. Im wirtschaftlichen Kreislauf sind die Kosten des einen die Erlöse des anderen. Auch Löhne verwandeln sich per Konsumgüternachfrage in betriebliche Erlöse. Wie ist es dann möglich, dass die betrieblichen Kosten generell proportional zur Skala wachsen, die betrieblichen Erlöse aber unterproportional? Und wie können bei Wachstum bestehende Gleichgewichte erhalten und dazu dauerhafte (womöglich wachsende!) Gewinne erzielt werden? Zumindest müssten fortlaufende strukturelle Änderungen der wirtschaftlichen Kreisläufe unterstellt werden, d.h. ständige Veränderungen im Zusammenhang von Inputs und Output. Solche Veränderungen machen aber den Begriff der Produktionsfunktion sinnlos. Diese Überlegung klärt immerhin, warum in einer Theorie der Gesamtwirtschaft keine fallenden Skalenerträge unterstellt werden können. Die Abschnitte 8.ff werden darüber hinaus zeigen, dass bei konstantem Skalenertrag im Mittel der Firmenprofit verschwinden muss, kein überraschendes Ergebnis, wenn in einem Kreislauf nur getauscht wird. Der fallende betriebliche Skalenertrag erscheint so als neuer Kunstgriff, Profit aus Tausch zu erklären. - Ein begrifflicher Widerspruch erscheint, wenn man die Frage nach den Maßeinheiten für Inputs und Output stellt. Von Mankiw wird anfangs – wie üblich – in physischen Einheiten argumentiert: mehr Bäckergehilfen mit mehr Küchenausrüstung erzeugen mehr Brot, was durchaus plausibel ist. In der Erfolgsrechnung müssen aber Inputs und Output in Geld angegeben werden. Den geldlichen Erlös erhält man, indem der physische Ausstoß mit dem Preis multipliziert wird. Gleiche Skalengesetze in physischen und monetären Einheiten sind also nur sichergestellt, wenn alle Preise Konstanten sind. Folgerichtig unterstellt die Theorie des idealen Wettbewerbs, dass die Tätigkeit einer Firma Preise nicht beeinflussen könne. Gesamtwirtschaftlich lässt sich dies aber nicht durchhalten, weil dann jede Begründung von Gleichgewichten des Gesamtmarkts zusammenbräche. So geht man gesamtwirtschaftlich vom Gegenteil, nämlich von mengen-, d.h. skalenabhängigen Preisen aus. Gerade der gesamtwirtschaftlich unterstellte konstante Skalenertrag ist aber ein scharf definierter Grenzfall. Besteht er in physischen Einheiten, zerstört ihn die geringste Skalenabhängigkeit der Preise unweigerlich in Geldeinheiten. Dieser Begriff ist daher schon unschlüssig definiert, und erst recht fragwürdig ist, ihn ausgerechnet der Theorie der Gesamtwirtschaft zugrundezulegen. Die VWL demonstriert hier ihre Unfähigkeit, Gebrauchs- und Tauschwerte bzw. deren Kreisläufe begrifflich auseinanderzuhalten.14 - Die Verwendung unterschiedlicher Annahmen über die Mengenabhängigkeit des Preises erzeugt einen mathematischen Widerspruch. Produktionssteigerung bei einer unabhängigen Einzelfirma bewirkt unvermeidlich eine gleich große Steigerung der Gesamtproduktion und muss daher genau den gleichen Einfluss auf den Produktpreis haben. Dies ist auch für bürgerliche Ökonomen per Differentialrechnung unschwer nachvollziehbar.15 Die moderne VWL muss sich hier einmal entscheiden zwischen Mathematik und ihrer Ideologie des idealen Wettbewerbs. Ihre Entscheidung für letztere reflektiert etwas durchaus Reales, nämlich die Tatsache, dass der bürgerliche Produzent sich dem Markt ausgeliefert fühlt. Als Teil dieses Marktes kann er sich anscheinend nicht sehen. Seine unterbewusste Furcht vor den Marktgöttern sitzt so tief, dass er sie bis in den Kernbereich seines Selbstverständnisses projiziert, nämlich auf die eigenen Waren. bzw. deren wichtigste Eigenschaft. Die geringe Macht des Einzelnen wird dabei als Ohnmacht wahrgenommen und die Übermacht des Marktes – sachlich falsch – als Allmacht. In dieser Gestalt schleicht sich der Warenfetisch bis in die Grundannahmen der Neoklassik. Man wird so auf Schritt und Tritt an Inhalte erinnert, die bereits vor 150 Jahren einen prominenten Kritiker veranlassten, von ‚Vulgärökonomie‘ zu sprechen. Der heutige mathematische Apparat erlaubt deren präzisere Formulierung. 4. Das MusterunternehmenMit einem Grundverständnis für Widersprüche gerüstet können wir uns ganz auf die Bäckerebene wagen. Was versteht die Neoklassik unter einer idealen Firma?
Wenn die Firma die Marktpreise nicht beeinflusst und wenn sie „typisch“ ist für andere Firmen, wie kommen dann Marktpreise überhaupt zustande? Man kann einwenden, dass im Zitat anfangs von „wenig“ Einfluss die Rede ist. Dann müsste in diesem „wenig“ der Mechanismus der Marktpreisbildung angesiedelt werden und diese Linie wäre konsequent durchzuhalten. Der letzte Satz des Zitats schließt ein solches Element aber vollständig aus. Oder wächst die Firma im Laufe der Zeit so weit an, dass sie nicht mehr „klein“ gegenüber dem Markt bleibt? Aber was ist dann typisch und ab wann gilt der erste Satz und zu wieviel Prozent? „Wenige“ unklare16 Formulierungen erzeugen hier eine Beliebigkeit, die an den Postmodernismus erinnert. Hier wie dort hat sie die Funktion, einer Kritik immer ausweichen zu können. Wir bleiben zunächst bei der Variante, dass alle ‚Firmen‘ dauerhaft „klein“ und kompetitiv bleiben. Da dann ein Verdrängungswettbewerb nur noch auf Ebene der Aktienkurse möglich ist, kann als erste Konsequenz das kursiv gedruckte Wort wegen Unverständlichkeit nicht mehr übersetzt werden. Eine auffällige Eigenschaft der ‚typischen Firma‘ ist das Fehlen von Eigenkapital: „Die Firma verkauft ihren Ausstoß zum Preis P, stellt Arbeiter ein zum Lohn W, und leiht Kapital zum Zinssatz R. Beachte: wenn wir davon sprechen, dass Firmen Kapital aufnehmen, dann unterstellen wir, dass die Haushalte den Kapitalstock der Ökonomie besitzen. In dieser Analyse verleihen Haushalte ihr Kapital, gerade so, wie sie ihre Arbeitskraft verkaufen. Die Firma erhält beide Produktionsfaktoren von ihren Eigentümern, den Haushalten.“ (M,47) Hier wird eine Firma beschrieben, die nach klassischem Verständnis ausschließlich mit Fremdkapital arbeitet. Dieses (Leih-)Kapital ist ausgestattet mit einer natürlichen Verzinsung R, welche die Firma sowenig beeinflussen kann wie die Warenpreise. Sie behält deswegen nur dann einen eigenen Gewinnanteil übrig, wenn sie aus der eigenen Tätigkeit mit dem geliehenen Kapital eine höhere Profitrate erzielt als R. Zum entscheidenden Erfolgskriterium wird, ob sie die ‚natürliche‘ Zinsrate R schlagen kann. Somit ist der übrigbleibende Unternehmensgewinn (economic profit) gar nicht der klassische Profit, sondern vielmehr ein Extraprofit. Die Theorie beschreibt im wesentlichen die Jagd der Individuen nach Extraprofit, und zwar privilegierter Individuen in privilegierten Zentren des kapitalistischen Weltsystems. Als unveränderlicher und unzerstörbarer Hintergrund des Unternehmerspiels wird der etablierte Kapitalismus mit. ‚natürlicher‘ Kapitalrendite, sprich Durchschnittsprofitrate, vorausgesetzt. Wahrgenommen wird diese Abhängigkeit genau andersherum, denn das bürgerliche Individuum sieht sich selbst als Nabel der von seinem Standpunkt aus sichtbaren Welt: „Die letzten vier Kapitel analysieren noch umfassender das Mikroökonomische hinter[!] den makroökonomischen Erscheinungen.“ (M,xxvii) Dieses Denkmuster wiederholt sich diverse Male in der Theorie sogenannter Partialmärkte: irgendwelche Individuen (oder Gruppen, Firmen, Branchen) richten ihr Verhalten nach Kurven aus, welche unveränderliche Eigenschaften des Gesamtmarkts darstellen sollen (‚Marshall-Kreuze‘; vgl. Ortlieb 2004a). Danach behauptet man, das Verhalten des Ganzen aus den Motiven der Individuen erklärt zu haben. Verdeckt die Durchschnittsprofitrate schon die konkrete Herkunft des Mehrwerts, so verwischt die Neoklassik noch den Unterschied zwischen Eigen- und Fremdkapital, zwischen Zins und Dividende sowie zwischen Voraussetzung und Folgerung. Dies alles hält man für ideologiefrei statt inhaltsfrei. Die Erzielung von Extraprofit ist seit jeher das vornehmliche subjektive Ziel jedes Kapitalisten, mit dem er sich uneingeschränkt identifiziert. Damit ist entdeckt, was die eigentliche Attraktivität neoklassischer Theorie ausmacht. Deswegen kann man diese aber auch schon rein logisch marxistischen und verwandten Theorien nicht frontal entgegenstellen. Die von ihr behandelte Thematik wäre in umfassendere Theorien als Bestandteil einzubauen, wenn auch nicht in der vorliegenden Form. Die neoliberale Theorie erhebt ein real vorhandenes Wunschbild des Einzelkapitals zum gesamtwirtschaftlich irrealen Postulat, dass nämlich das Kapital nicht nur verwertet werde, sondern auch noch überdurchschnittlich. Erst bei Erreichen dieser Schwelle zählt das Modell den Firmenprofit mathematisch positiv. Wie es möglich ist, dass der Regelfall den Durchschnitt überschreitet, bleibt unbeantwortet. Gesamtwirtschaftliche Überlegungen sind eben zweitrangig gegenüber dem glorifizierten individuellen Gewinnstreben. Die Zinsrate R muss deshalb wie die Preise auf mysteriöse Weise außerhalb des idealen Wettbewerbs der Firmen und Individuen zustandekommen. Vielleicht wird sie vom Heiligen Ökonomenvater in der US-Nationalbank festgesetzt? Zyniker oder Realisten würden formulieren: der perfekte Liberalismus braucht eben etwas Steuerung, so wie die reine Planwirtschaft ihre (Schwarz)märkte. 5. Ein Plan für Preis und Zinsa) Die Unterstellung der fixen Kapitalrendite enthält ähnlichen theoretischen Sprengstoff wie die Unterstellung mengenunabhängiger Preise. Abschnitt 3. beschrieb bereits die Wachstumskatastrophe, welche effiziente Firmen, d.h. solche mit wachsendem oder zumindest konstantem Skalenertrag, unbehandelbar macht. Diese Katastrophe wird in klassischen Theorien durch zins- und lohntreibende Verknappung der ‚Produktionsfaktoren‘ und/oder einen Preisverfall der Produkte verhindert. Als Ersatz-Wachstumsbeschränkung dienen der Neoklassik die Prinzipien des abnehmenden Grenz- und Skalenertrags, deren Funktion sich damit weiter klärt: sie dienen auch als Ersatz für Realität.17 Deswegen ließen sie sich vom Bäcker genauso einfach aushebeln wie der Fünfjahresplan vom Schwarzmarkt. Die zur Wachstumskatastrophe analoge Zinskatastrophe erscheint, wenn nach dem Schicksal der Firmen mit negativer Rendite (d.h.: R-x) gefragt wird. Diese müssen genauso verschwinden wie Firmen mit klassisch negativer Rendite (-x), wenn auch ohne den klassischen Firmenzusammenbruch. Sie geben ihr Kapital so einfach zurück, wie man Aktien verkauft, und sie entlassen... (usw.). Es bleiben nur Firmen übrig, welche aus eigener Tätigkeit eine Rendite R+x erzielen. Warum sollten aber die Kapitalbesitzer ihr Kapital zum Satz R verleihen statt selbst eine ‚Firma‘ aufzumachen, die R+x abwirft, beispielsweise eine Bank? Zumindest würden sie den Zinssatz R+x/2 verlangen und zunächst einige Firmen würden darauf eingehen. Hierdurch stiege die natürliche Rendite erst auf R+x/2 und dann ununterbrochen weiter. Ohne Marktgesetze lässt sich dieser Prozeß nur stoppen, indem der Aufstieg von Haushaltsmitgliedern zu Firmeninhabern untersagt und der Zinssatz überwacht wird. Die ideale (neo)liberale Firmentheorie kann also wählen zwischen der Zinskatastrophe und der Einführung eines Plan-Feudalismus. b) Bleibt zumindest die mit fallenden Grenz- und Skalenerträgen produzierende Einzelfirma katastrophenfrei? Mankiw gibt ein höchst simples Verfahren an, wie sie ihr Profitmaximum findet. Er beginnt mit einer Definition für den Grenzertrag der Arbeit oder MPL (marginal product of labour): „MPL ist die Menge zusätzlichen Brotes, das produziert wird, wenn eine zusätzliche Einheit [unit] Arbeitskraft angeheuert wird [...]Wenn bei konstantem Kapital mehr und mehr Arbeitskraft eingesetzt wird, fällt MPL jedoch.“ (M,48) Schon wird die Wachstumsgrenze sichtbar: „Wenn die kompetitive, profitmaximierende Firma entscheiden muss, ob sie eine weitere Arbeitskraft anheuern soll, überlegt sie, wie eine solche Entscheidung den Profit beeinflusst.“ (M,49) Der immer langsamer wachsende Erlös pro zusätzlichem Arbeiter ist abzuwägen gegen die festen Zusatzkosten desselben. „Deshalb heuert der Manager solange Arbeitskräfte an, bis [...] MPL soweit fällt, dass die zusätzlichen Einnahmen gleich dem Lohn werden.“ (M,51) Nach Einstellung dieser Zahl Arbeiter, im folgenden als L0 bezeichnet, wiederholt der ‚Manager‘ das Verfahren mit dem Sachkapital. Dessen Menge K steigert er so lange, bis bei K=K0 der Einsatz einer weiteren Maschine gerade noch die dafür zu zahlenden Zinsen einbringt.18 Der bei Einsatz von (L0,K0) jetzt erzielte Gewinn G0 ist der maximal mögliche; bei weiterem Firmenwachstum begänne er wieder zu sinken. Soweit das Prinzip des Grenzkosten-Gleichgewichts, so wie es gewöhnlich dargestellt wird.19 Management ist hiernach viel einfacher, als man denkt; seine Kosten kommen im Modell gar nicht vor und vielleicht deswegen übersieht es eine Möglichkeit der Profitsteigerung, die der Bäcker (etwas abgewandelt) schon lange anwendet: Wenn die Firma den durch das Wertepaar (L0,K0) bestimmten Punkt maximalen (Profit-)Wachstums20 erreicht hat, teile man sie in zwei Firmen, die dann anfangs beide mit L0/2 Arbeitern und dem zugehörigen historischen Kapitalstock der Mutter produzieren. Nichts im Modell hindert die Schwestern, unabhängig voneinander durch denselben Optimierungsprozess wie ihre Mutter auf (L0,K0) anzuwachsen, da nach Modellvoraussetzung die Preise für Arbeit, Kapital und das Produkt nicht ‚verdorben‘ werden können. Jetzt erzielen sie zusammen den Gewinn 2°G0, jedenfalls solange sie sich nicht erneut teilen. Nur dumme Kapitalisten werden sich mit dem Gewinn G0 zufrieden geben, wenn sie durch n-malige Wiederholung dieses Vorgangs den 2n-fachen haben können. Diese Form der Wachstumskatastrophe lässt sich als Fundamentalabsurdität der neoklassischen Firmentheorie formalisieren: Wenn es ein eindeutig bestimmtes Gleichgewicht gibt, dann gibt es n Gleichgewichte. Wenn G0 der maximale Gewinn ist, dann kann auch ein Gewinn von 2n°G0 erzielt werden. Das Theorem erneuert neben der klassischen Ökonomie auch die klassische Logik und Mathematik. Samuelsons Definition der Produktionsfunktion ist sinnlos geworden, denn einen ‚maximalen Ausstoß‘ gibt es gar nicht; der Ausdruck 2n°Y potenziert sich heute noch, sofern er nicht gestorben ist. Mankiws schludrige Definition erweist sich zuletzt doch als die ‚modernere‘ Variante und weist den Weg des weiteren Fortschritts zu postmoderner Beliebigkeit. c) Die unbegrenzte Verfügbarkeit von Kapital zur festen Rate R ermöglicht nicht nur diverse Formen des unbegrenzten Wachstums, sondern sie macht es auch sinnlos, den Firmenprofit an einer Quantität verfügbaren Kapitals zu messen. Der Grenzkostenkalkül maximiert daher nicht eine Profitrate, sondern den absoluten Profit. Dies läuft am Ende darauf hinaus, dass für eine marginale Profitsteigerung eine Menge Kapital eingesetzt wird, die nach klassischem Verständnis verschwenderisch und auch gar nicht vorhanden wäre. Der idealen Firma kann diese Wertung zwar egal sein. Warum aber wechselt sie nicht aus reinem Eigennutz zuletzt in eine Branche, wo dank anders strukturierter Produktionsfunktion bei (L0,K0) der Profit noch weiter gesteigert werden könnte, selbst ohne Verdoppelung? Das Fehlen branchenübergreifender Kapitalverlagerung21 kann wieder nur durch unliberale Hemmnisse erklärt werden, etwa durch monopolistische Strukturen, welche die meisten Firmen mit ihrem Geschäftsfeld quasi verheiraten. Unerwartet sind wir plötzlich im realen Kapitalismus. Das eingesessene Monopol mit unbegrenzter Kapitalversorgung erinnert an nationale (neuerdings ‚europäische‘) Vorzeigekonzerne, die über Aufträge, Subvention und Protektion am Tropf des Krisenverwaltungsstaates hängen, wenn sie nicht sogar eine Historie als privatisierte Behörde mit Kostendeckungsgarantie aufweisen. Der Staat spendiert über solche Mechanismen Kapital de facto zur Rate R=0, neuerdings auch noch Arbeit zu W=1€, und ermöglicht damit die Fortsetzung der Verwertung unter schwieriger werdenden Umständen. Dass nicht Kapital sondern reale Verwertungsmöglichkeiten das eigentliche Problem des heutigen Kapitalismus sind, erfasst die neoliberale Theorie in verdrehter Form als jederzeit verfügbares Reservoir an nutzbarem Kapital und Arbeit. Ein kleiner Schuss Positivismus bringt ans Licht, was sich weiter abspielt. Die Form der Subvention wandelt sich von der einmaligen Kapitalspritze zur regelmäßigen und dann zum faktischen, nämlich vorher schon einkalkulierten Betriebskostenzuschuss, der in stets neuen Formen immer mehr Kapitalen gewährt werden muss. Die individuelle Identität der Einzelkapitale verschwimmt so langsam, ähnlich wie die AG die Persönlichkeit des industriellen Kapitalisten in Nischen zurückgedrängt hat. Für die bürgerliche Wissenschaft wird damit das Eigenkapital unsichtbar, da sie Kapital nur als abgrenzbare Quantität definiert statt als gesellschaftliches Verhältnis. Diesen blinden Fleck im Auge erhebt die Neoklassik zum wesentlichen Theoriebaustein. Das Kapitalverhältnis zieht sich in deformierter Gestalt in die BILD-Zeitung zurück: als amorphe ‚Wirtschaft‘, der alles unterzuordnen ist. Daneben fordern neoliberale Propagandisten eine Senkung der Staatsquote und die Rückkehr zur freien Bäckerwirtschaft. Im nächsten Zerfallsschritt müsste das Kapital insgesamt für die VWL unsichtbar (=unquantifizierbar) werden, wenn nämlich seine Durchdringung der gesamten Gesellschaft die Gegenpole für qualitative Abgrenzungen verblassen lässt. Die ‚Kapitalkontroverse‘ war auf diesem Weg ein Meilenstein: „Dennoch muss die neoklassische Theorie nicht aufgegeben werden. Ausreichend[!] ist vielmehr die Aufgabe des Begriffs ‚Kapital‘ in der neoklassischen Analyse; er ist lediglich als zusammenfassende Bezeichnung der Produktionsmittelbestände im Gleichgewicht zulässig (und von daher rein nominalistisch zu interpretieren). Der Verzicht auf den Faktor ‚Kapital‘ lässt zwei Alternativen übrig [...] In beiden Fällen ist zwar ein einheitlicher Kapitalbegriff überflüssig, weil ein Transfer von (unspezifiziertem[!]) ‚Kapital‘ zwischen verschiedenen Investitionsalternativen ausgeschlossen ist; doch muss dieser Vorteil durch die Inkaufnahme nicht unbeträchtlicher Probleme teuer bezahlt werden.“ (Söllner 2001,104, Hervorhebung ders.) Bemerkenswert ist, wie die Vollendung des Kapitalismus (‚Gleichgewicht‘) Hand in Hand geht mit dem Verfall der Kapitaltheorie. Nach vollständiger Durchsetzung kapitalistischer Verhältnisse hat die politische Ökonomie wohl ihre Erkenntnisschuldigkeit getan. Die Verhältnisse können nun als gottgewollt gelten und von einer Art Theologie begleitet werden. Deren zunehmend scholastische und womöglich inquisitorische Züge (vgl. Freeman 2006) deuten erneut auf die historische Endphase hin, in der sich das System selber sieht. Traditionell bis kritisch orientierte VWL-Strömungen suchen dagegen immer noch den verlorenen ‚Kapitalwert‘:22 „Die Vorteilhaftigkeit einer Finanzanlage wird typischerweise in der mit ihr erzielten Verzinsung gemessen und zehn Prozent sind mehr als fünf. Allerdings bezieht sich diese Rechnung auf einen fixen (Geld-)betrag, der nicht mit dem Kapitalwert in den in Rede stehenden Modellen konfundiert werden sollte [...] Der Kapitalwert in den Modellen linearer Einzelproduktion kann schon deswegen nicht als ‚gegeben‘ betrachtet werden, weil dort Bestandsgrößen überhaupt nicht auftreten: Der Kapitalwert entspricht den verteilungsabhängigen (variablen) Stückkosten. Was taugt aber die Profitrate als Gewinnindikator, wenn sie fällt, obwohl gleichzeitig ein Sektorengewinn absolut steigt? Es wird die Aufgabe weiterer Forschungen sein, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen.“ (Helmedag 1991, Hervorhebungen ders.) Hier verschwimmen Investition und Kosten wie in der Alltagssprache, wo Privatpersonen in Konsumgüter ‚investieren‘, statt diese einfach zu kaufen. Parallel beginnt eine Umwertung der Produktionssphäre, die sich als auf dem Kopf stehende Kritik der abstrakten Arbeit deuten lässt – sofern man der VWL solches zutrauen will. Die Geldvermehrung ohne Arbeit per Zins erscheint einfach und klar, der Profit aus materieller Produktion dagegen diffizil und mysteriös. In ebenso verdrehter Weise wird unterstellt, dass der Finanzier den prozentualen Normalprofit auf real vorhandenes Kapital einstreicht, der Industrielle dagegen Profite, die an keinen ‚Kapitalwert‘ mehr gebunden seien. Der Finanzier rückt so in die Rolle des maßvollen, guten Unternehmers, und der Industrielle erwirbt Züge des Heuschrecken-Zerrbilds. ‚Weitere Forschungen‘ sollten sich auch damit befassen, warum die systeminterne Schwerpunktverschiebung hin zum „Neuen Finanzkapital“ (Kurz 2005) in dieser verqueren Form verarbeitet wird! 6. ‚Einmal hin, einmal her, rundherum das ist nicht schwer‘Die unter 5.a/b vorgestellten Katastrophen beruhten auf den marktfremden Annahmen unbegrenzter Verfügbarkeit von Kapital und/oder der Nichtbeeinflussung von Preisen durch die Firmentätigkeit. Was geschieht, wenn man diese Extrempositionen fallenlässt? Einige Lehrbuchseiten zurück findet sich eine schön geschwungene Kurve, die zeigt, wie die Preise der ‚Produktionsfaktoren‘ mit der Nachfrage nach ihnen variieren.23 (M,47) Hier ist der klassische Markt noch intakt. „Der Preis, der für einen Produktionsfaktor gezahlt wird, hängt von Angebot und Nachfrage nach seinen Faktorleistungen [factor’s services] ab.“ (ebd.) Der Mietpreis des Produktionsfaktors Kapital ist der Zinssatz R und die Nachfrage nach Kapital geht von den Firmen aus. Deren ‚wenig Einfluss‘ addiert sich also doch zu einem wirksamen ‚viel‘? Die Nachfrage wird jedenfalls hoch sein, wenn viele Firmen glauben, mit ihrer eigenen Rendite den aktuell niedrigen Zins R schlagen zu können. Dieser wird dann durch die Kapitalnachfrage nachgezogen. So ist doch noch die am Ende des Abschnitts 4 gestellte Frage beantwortet, wovon der Zinssatz R abhängt: von der typischen inneren Verfassung der Firmen, insbesondere ihrer Expansion und ihren internen Profitraten. Ab der nächsten Lehrbuchseite lernt man, wie R die Expansion der Firmen und ihr ‚Gleichgewichts‘-Profitniveau bestimmt. Damit ist ein weiterer Zins/Kapital-Zirkel entdeckt, vgl. hierzu Abschnitt 3. Das Reden vom Zirkelschluss war allerdings voreilig. Ein solcher Zirkel ist nur in der reinen Logik unsinnig und wenn man deren Regeln auf die Realität überträgt, wenn also z.B. eine instantane Anpassung realer Größen aneinander gefordert oder die Lage eines finalen Gleichgewichts mit dem Zirkel ‚erklärt‘ wird. Es gibt reale zirkuläre Systeme, die in definierter Weise funktionieren können. Die Technik nennt solche Systeme Regelkreise und sie werden im folgenden als Analogie dienen. Zum Beispiel: - Die Heizleistung bestimmt die Raumtemperatur. - Die Raumtemperatur erzeugt im Thermostat eine elektrische Spannung. - Die Spannung stellt ein Ventil ein. - Das Ventil begrenzt die Heizleistung. Eines kann auch der bestabgestimmte Heizungsregler prinzipiell nicht: die Endtemperatur auswählen. Ob und wie er ansonsten funktioniert, hängt u.a. von der Zeitverzögerung der wechselseitigen Einwirkungen ab. Falsche Einstellung erzeugt mehr oder weniger wilde Regelschwingungen – trotz Existenz eines sorgfältig einkonstruierten Gleichgewichtspunkts. Auf ähnlichen Prinzipien beruht der Mechanismus zyklischer Krisen; für Wachstum zu Boom-Zeiten werden teure, langfristige Kredite aufgenommen, die erst durch die Zinslast den Boom abwürgen und noch später den Abschwung bis zur Konkurswelle verschärfen. So kehrt sich der Boom selbst um. In der Rückwirkung stecken sowohl die Regelungsfähigkeit wie ein Potential für destruktive Schwingungen.24 Analog: wird die Feder ausgezogen, erzeugt sie selbst die Kraft, die sie zurücktreibt. Ob sie aber langsam oder schnell ins Gleichgewicht zurückkriecht, ob sie längere Zeit schwingt oder gar bricht, hängt von weiteren Faktoren ab. Ein Internetskript der Schweizer Universität Fribourg beschreibt ökonomische Theorien, denen nur eine kleine Ergänzung fehlt, um sie in ein Lehrbuch über Regelungstechnik verpflanzen zu können. Das Skript behandelt die „vier Autoren, die die neoklassische – marginalistische – Revolution zustande gebracht haben: Jevons, Walras, Menger und Marshall. [...Der Werttheorie Ricardos...] stellt Jevons eine subjektive Werttheorie gegenüber, die er in einer berühmten – aber nicht eindeutigen – Formel zusammengefasst hat:
Marshall hat die Formel von Jevons kritisiert und betrachtete sie als irrelevant. Man könne genauso sagen:
Wir ignorieren ‚Eindeutigkeit‘ und ‚Relevanz‘ dieser Theorien und befassen uns mit ihrer Erweiterbarkeit. Zuerst wird Jevons Modell ergänzt: ‘Der Preis der Produktionsmittel (und Konsumgüter) bestimmt die Produktionskosten.‘ In Marshalls Theorie lautet die äquivalente Zusatzzeile: ‚Der Preis beeinflusst die Nachfrage.‘ Nach der Erweiterung weisen beide Versionen die vom Regelkreis bekannte zirkuläre Struktur auf: -A bestimmt B -B bestimmt C -C bestimmt D -D bestimmt A Die originalen nicht-zirkulären Theorien von Jevons und Marshall (‚A bestimmt D‘) ergeben sich durch Wiederentfernen der letzten Zeile.. Aber auch Herausnahme der vorletzten Zeite ergibt etwas Sinnvolles: D bestimmt C. Und so weiter. Die ergänzten Zitate enthalten so in Keimform acht ökonomische Theorien, alle in Form einer logischen Kausalkette. Der Skriptautor diskutiert, ob Jevons‘ bzw. Marshalls Auswahl realistischer sei. Übersehen wird das Wichtigste: alle Wirkungen sind wechselseitig und zeitverzögert. Jedes Unterbrechen des Zirkels zur Herstellung gerichteter Kausalketten zerstört gleichzeitig die Rückwirkungen, die Regelungsfähigkeit des Systems und den theoretischen Zugang zur Form der Bewegung. Erst wenn sich Ökonomen der Realität nähern müssen, berücksichtigen sie dies wenigstens ansatzweise. Die Uni Freiburg lehrt folgende ‚empirisch erfolgreiche‘ Modifizierung, in der nicht zufällig die Zeit eine zentrale Rolle spielt: „Alfred Marshall betrachtet in seiner Partialanalyse einen Markt, auf dem der Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Dabei sind die Zeiträume, in denen ein Gleichgewicht zustande kommt, jeweils verschieden. So ergibt sich bei Marshall ein momentanes, kurzfristiges und langfristiges Gleichgewicht. Beim momentanen Gleichgewicht ist das Angebot gegeben, und die Nachfrage bestimmt den Preis; beim kurzfristigen bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis; in der langfristigen Betrachtung bestimmen die Produktionskosten den Preis und die Nachfrage die Menge.“ (ebd. S.5, Hervorhebung im Original) Dieses Beispiel demonstriert typische Züge vieler ökonomischer Theoriegebäude. Nach dem Aufbrechen des Wirkungszirkels zerreißt die Betrachtung nur eines Marktes weitere Zusammenhänge. So lassen sich die im Gesamtmodell vorhandenen Widersprüche bändigen. In das herausgebrochene Stück werden einige realistische Annahmen eingebaut, hier beschränkte Zeit- und Markteffekte. Das Resultat ist halb noch neoliberal, halb plausibel und halb schon wieder klassisch (vgl. den letzten Satz des Zitats). Es interessiert nur das Endergebnis. Dort wird mit der größten Selbstverständlichkeit unterschoben, dass die Bewegung der fünf gekoppelten Größen erstens begrenzt und zweitens von genau(!) drei Zeitskalen (Schwingungsfrequenzen) dominiert sei. Mit dem Problem, ob bzw. wann dies gilt, könnte man allerdings mehrere Physikinstitute langfristig beschäftigen.25 Es gehört zum System moderner Ökonomie zu übersehen, dass wesentliche Inhalte und Schwierigkeiten häufig in scheinbar peripheren Nebenbedingungen stecken. Kleine Veränderungen können großen Einfluss ausüben und z.B. bewirken, dass sogar die simple Pendeluhr dauerhaft ihren Gleichgewichtszustand einnimmt. Sie gilt dann als – kaputt! Ohne nachträglichen Einbau (verkürzter) realistischer Elemente in die Neoklassik26 ergeben sich – dann wirklich unsinnige – Zirkel-Kurzschlüsse bzw. die theoretischen Katastrophen des Abschnitts 5.. Dem Neoliberalismus bleibt aber mit oder ohne Teilrevision seiner Extrempositionen die Krise erhalten. In der Form des Reservoirs an unbeschäftigem Kapital und unbeschäftigter Arbeit setzt das Modell die chronische reale Krise bereits als Ausgangspunkt voraus. Es bringt daher bei konsequentem Durchdenken in jeder möglichen Variante wieder Krisen und Katastrophen hervor und genauso kontinuierlich immer wieder neue Widersprüche zum eigenen Gleichgewichtspostulat.27 7. Wo es noch Verluste gibtDie größte denkbare Katastrophe im Kapitalismus ist der Verlust oder negative Profit. Es fällt auf, dass der Grenzkostenkalkül stets nur von Wachsen und Maximum des Profits spricht (vgl. Abschnitt 5.a). Was aber garantiert, dass er positiv ist und nicht etwa von –10 auf –2 ‚wächst‘? Für die Diskussion dieser Frage trennen wir uns zunächst von den merkwürdigen ‚Einheiten Kapital‘ und ‚Einheiten Arbeit‘ der Lehrbücher. Diese erwecken ohnehin nur den Anschein, man denke in physischen Größen. Der Gewinnkalkül findet in beliebig stückelbaren Preisen statt und die forschende VWL benutzt daher üblicherweise von vornherein glatte Funktionen, auf die sich schwungvoll die Differentialrechnung anwenden lässt. „Man bezeichnet die Produktionsfunktion als ‚well behaved‘,28 wenn Y‘>0 und Y“<0 gilt.“ (Helmedag 1991). Wir unterstellen also in der Gl.(3) eine ‚well behaved‘, d.h. insbesondere stetige Funktion Y, und überlegen die Konsequenzen für den Gewinn G, wenn die Firma aus kleinen Anfängen aufgebaut wird. Am Punkt L=0 (noch ohne Arbeiter) ist die Produktion und damit Y sicherlich 0. Der Kostenbeitrag der Arbeit, W°L, ist ebenfalls 0 und genauso die Differenz beider Größen. Mit wachsendem L steigt diese Differenz stetig (ohne Sprünge) an. Es gibt in der Gl.(3) aber auch noch den Kostenbeitrag des Kapitals, R°K. Dieser Zins ist im Modell völlig unabhängig von L und macht anfangs den Gewinn negativ, falls K größer als 0 ist. Für einen Firmenstart aus kleinsten Anfängen (der Beschäftigtenzahl) müssen alle Firmen daher zwingend auch mit dem Kapital 0 beginnen. Diese simple Überlegung hebelt eine Voraussetzung der Theorien von Arrow und Debreu aus, nämlich die Annahme einer Anfangsausstattung der Haushalte auch mit Besitzanteilen (=Kapital) der Unternehmen (vgl. Ortlieb,2004b,9). Bevor diese Theorie angewandt werden kann, muss erst einmal ein fertiger Kapitalismus in Mindestgröße vom Himmel fallen. Analog ist ein Start mit kleinem Kapital unmöglich, wenn schon ein Arbeiter eingestellt ist. Dieses Huhn-und-Ei-Problem kann (wenn überhaupt!) nur so gelöst werden, dass eine Korrelation zwischen Arbeits- und Kapitalmenge eingeführt wird und beide zueinander passend ansteigen. Der Bäcker-Weltkonzern sicherte dies durch die Gleichartigkeit seiner Filialen. Damit sind aber die beiden Variablen L und K nicht mehr unabhängig voneinander und sämtliche später darauf aufgebauten mathematischen Schlüsse fallen in sich zusammen. Abb. 3: Gewinn- und VerlustzonenAbb.3 demonstriert den Sachverhalt in einer graphischen Darstellung. Diese stellt in der Papierebene die Variablen K und L dar, so dass man sich die Profithöhe als Gebirge über der Papierfläche vorzustellen hat. Entlang L- und K-Achse gibt es verbotene Streifen negativen Profitniveaus, die bei großen L und K mit dem per Skalengesetz (Wachstumsbegrenzung) verbotenen Gebiet verschmelzen. Irgendwo im erlaubten Gebiet ist der höchste Profitgipfel; nur der in den Lehrbüchern vorgesehene Zugang dahin ist versperrt.29 So widerlegt die bloße Existenz des Kapitalismus die Theorien seiner heutigen Rechtfertiger. Die neoklassische Theorie ist eine Ideologie des heutigen entwickelten Kapitalismus, die längst seine funktionalen Grundlagen und historischen Anfänge vergessen hat. Dagegen hilft auch nicht die Tarnung im Lehrbuch als Schöpfungsgeschichte (vulgär: Tellerwäscherkarriere). Beide untersuchten Lehrbücher vermeiden konsequent die Angabe betrieblicher Produktionsfunktionen in Formeln. Samuelson/Nordhaus erläutern die Findung des betrieblichen Produktions-Gleichgewichts zwar Schritt für Schritt anhand einer Profittabelle, verraten aber nicht, wie diese zustande kam. (S/N,110) Andernorts ist eine Beispiels-Produktionsfunktion für K- und L-Werte von 1 bis 6 tabelliert (S/N,142), wieder ohne Angabe einer Berechnungsformel oder anderer Prinzipien. Ein neuer Fall von Glauben statt Wissen. Zumindest wissen wir jetzt, warum geglaubt werden muss: da ausschließlich positive Profite tabelliert sind, war vielleicht auf die Eile keine „well behaved“ Produktionsfunktion zu finden, aus der sich eine passende Tabelle berechnen ließ? Leider sind damit auch uns weitere Forschungen auf diesem Gebiet unmöglich gemacht und wir können uns nur noch mit der in Abschnitt 5b dargestellten Methode zur Findung des Profitmaximums befassen. Am bester vergleicht man sie mit einschlägigen Methoden realer Mathematik. Weltweit arbeiten hunderte Lehrstühle an Optimierungsproblemen. Trotzdem gibt es keine festen Regeln, wie man absolute Maxima nichtlinearer Funktionen wie G(L,K) findet. Daher betreibt der Mathematiker nichtlineare Optimierung eher wie ein Geograph, der das unbekannte L/K-Land kartieren soll. Der Geograph wird sich durch Luftbilder eine grobe Vorstellung vom Profitgebirge verschaffen und danach von sinnvoll ausgewählten Stellen Detailvermessungen ausführen lassen. Der Mathematiker benutzt für beide Schritte Computerprogramme und arbeitet sich unter Einsatz von (wenigen) Grundregeln, Erfahrung und Intuition ins Detail vor. Beiden kann es durchaus passieren, dass sie den höchsten Gipfel trotz aller Mühe übersehen. Das VWL-Studenten vorgesetzte Verfahren entspricht dagegen folgender Anweisung an den (einzigen) Vermessungstrupp: ‚Geht in Richtung Norden, solange das Gelände ansteigt. Wenn es nicht mehr ansteigt, wendet euch nach Osten und zwar wieder genau so lange, wie es aufwärts geht. Dann setzt euch hin und ruft: Heureka, wir haben den höchsten Gipfel gefunden‘. Dieser Anspruch ist im wahrsten Sinne des Wortes vermessen. Gefunden wird so nach dem Zufallsprinzip allenfalls irgendein Hügelkamm. Dieses ‚Optimierungs‘verfahren gehört nicht in ein Uni-Lehrbuch, sondern in einen didaktischen Fachaufsatz und zwar als Negativbeispiel. Die Forderung nach ‚well behaved‘ Funktionen ist der Versuch, eine Landschaft zu konstruieren, in der diese Suchmethode wenigstens nicht sofort als unsinnig auffällt. Leider wurde übersehen, dass die Bauarbeiten wichtige Landesteile überfluten. 8. Der Kapitalismus als NullsummeDie verbotenen Streifen längs der Achsen in Abb.3 treten auf, wenn die Produktionsfunktion stetig ist und R sowie W überall endlich. Wäre W=0, verschwände der verbotene Streifen entlang der L-Achse, und für R=0 verschwände derjenige entlang der K-Achse. Lohn und Zins benötigt man aber zwingend im Kapitalismus. Dieser lässt sich vorläufig retten, wenn R bzw. W nur auf der jeweiligen Achse 0 sind und von dort zum Inneren hin so langsam ansteigen, dass der Erlös an jeder Stelle der L/K-Ebene den Kosten vorausbleibt. Dies macht allerdings nur Sinn auf Ebene der Gesamtwirtschaft, wo sich Lohn- und Zinssätze bilden. Glücklicherweise lässt sich das Paradox besonders einfach im Falle konstanten Skalenertrags zum Verschwinden bringen, was jetzt näher untersucht werden soll. Im folgenden sind zur Vermeidung von Verwechslungen alle kursiv gedruckten Größen gesamtwirtschaftliche und es wird gesamtwirtschaftlich konstanter Skalenertrag unterstellt. Nur bei der Frage, wie er zustandekommt, lässt uns die VWL im Stich, so dass eine Wahl aus den denkbaren Möglichkeiten mit Logik zu treffen ist:
Variante a) lässt sich mathematisch ausschließen, da die Addition als lineare Operation das Skalengesetz nicht verändern kann. Gegen c) spricht das unbegrenzte Bäckerwachstum, gegen d) wissenschaftstheoretische Einwände und gegen b) wie c) gibt es noch das empirische Argument, dass der dann erforderliche ‚economic profit‘ von 0 in jedem Betrieb bzw. bei jedem Produkt nicht einzuhalten ist (s.u.); ein System mit solcher Plantreue wäre schon lange vor dem sowjetischen zusammengebrochen. In Ermangelung von Besserem bleibt Option b) (vgl. Söllner 2001,83). Diese liegt daher allem weiteren zugrunde. Die meisten Schlussfolgerungen werden aber auch mit den anderen Varianten verträglich sein. Funktionen Y, welche die Bedingung der Gl.(1) erfüllen, lassen sich nach einem Theorem von Leonhard Euler durch ihre Grenzerträge (mathematisch: ‚partiellen Ableitungen‘) ausdrücken: Y=MPK°K +MPL°L (4) Solange die Firmen kein Eigenkapital besitzen und es eine Durchschnittsprofitrate R gibt, muss der mittlere Firmenprofit bzw. der gesamtwirtschaftliche economic profit 0 sein. Diesen Sachverhalt begründet die VWL auch aus dem konstanten Skalenertrag (M,51/52) oder mit dem Wettbewerb. (Söllner 2001,82) Die Gewinnformel der Gl.(3) lautet daher für die gesamtwirtschaftlichen Größen, nach Einsetzen von Y aus Gl.(4): 0 = Y-C = MPL°L + MPK°K – W°L – R°K (5) In dieser Industrie wird also kein Gewinn erzielt und kann kein Kapital akkumuliert werden. Dies gelingt nur dem Finanzsektor, der ihr Kapital leiht. Aus Geld macht er zuverlässig YF=(1+R)°Geld. Damit ist endlich der profitable Bereich mit zumindest konstantem Skalenertrag gefunden, dessen Existenz schon in Abschnitt 3. als notwendige Voraussetzung für Wachstum vermutet wurde. Neben dem konstanten Skalenertrag weist dieser Finanzsektor allerdings auch konstanten Grenzertrag auf, da bei einem einzigen Input (Geld) beide Begriffe zusammenfallen. Warum erleidet er nicht die vom Bäcker bekannte Wachstumskatastrophe? Diese Frage führt auf interessante Eigenschaften des Modells. Der Finanzsektor hat keine Kosten und ist damit nicht integriert in einen wirtschaftlichen Kreislauf. Deswegen kann er in der absurden Gestalt von „Haushalten“ auftreten. Seine Funktion besteht nur in der Aneignung des Mehrwerts, während die Industrie diesen erzeugt, um ihn sofort als Zins für das unbegrenzt vorhandene (Geld-)Kapital quasi zu verschenken. Die fortgeschrittenste bürgerliche Theorie vermeidet so, als Quelle des (Mehr)Werts die besondere Ware Arbeitskraft einführen zu müssen. Stattdessen richtet sie für die Mehrwertproduktion eine besondere Sphäre der Ökonomie ein: die Industrie! Diese Produzentin des Mehrwerts geht am Ende genauso leer aus wie die Arbeiter bei Marx. In chemisch reiner Form erscheint hier das Zerrbild von produktiver Arbeit vs. parasitärer Aneignung. In der wissenschaftlichen Variante wird allerdings der profitable Finanzbereich ontologisiert und nicht die (für die Verwertung scheinbar nutzlose) Produktion. Trifft hierauf die‚vulgäre‘ Sichtweise, müssen beide sich gegenseitig als auf dem Kopf stehend wahrnehmen. Diese Karikatur der Realität und der klassischen ökonomischen Theorie steigert sich noch zu einer Karikatur der Wertabspaltung: weder Industrie noch Finanz besitzen einen kompletten Kapitalkreislauf, sondern sie sind für dessen Schließung aufeinander angewiesen. Intern sind beide Teile der Symbiose als unterschiedlich amputierte Verwertungssysteme strukturiert. Kein Wunder, dass anstelle von Erkenntnis eine Fülle Paradoxa entsteht. Wir können mit dem erneut erweiterten Verständnis für die Herkunft von Paradoxa zur Theorie der Industrie zurückkehren. Diese ist nach Vervollkommnung des Kapitalismus in ihrer wichtigsten Kenngröße, dem Gesamtprofit, per Definition statisch, d.h. zeitlich unendlich und unveränderlich. Nur die Firma als Kind dieser Unendlichkeit kennt einen Anfang, jedoch kein zwingendes Ende. Die Frage nach der Verträglichkeit von Ewigkeit und Profitzahl 0 kann der Theologischen Ökonomie überlassen bleiben, da für den Nullprofit eine genügende Anzahl diesseitiger Erklärungen vorliegt. Stattdessen überlegen wir, wie instabil jede Theorie auf solcher Basis sein muss. Es hatte sich bereits in Abschnitt 3 gezeigt, dass geringste Abweichungen vom Grenzfall des konstanten Skalenertrags entweder eine Wachstumskatastrophe oder eine unüberwindliche Wachstumsschranke erzeugen. Genauso präzise ist der exakte Ausgleich von Kosten und Erlösen (economic profit=0) einzuhalten. Die kleinste positive Abweichung des Gewinns von 0 lassen Bäckerei bzw. Volkswirtschaft explodieren, die kleinste negative Abweichung führt zum Kollaps. Alle Theorien der Gesamtwirtschaft ruhen so auf dem Fundament zweier übereinandergestapelter labiler Gleichgewichte.30 Verwendet man Voraussetzungen dieser Art, so sollten sie zumindest sehr stichhaltig begründet werden. Darum kümmert sich die VWL aber wenig und liest stattdessen aus der Gl.(5) ab, wie W und R zu gestalten sind, um das Paradox negativer Profitzonen durch das (schwächere?) Paradox des generellen Nullprofits zu ersetzen. Das Ergebnis wird von ihr elegant interpretiert: „Jedem Produktionsfaktor wird sein Grenzprodukt aus dem Produktionsprozess gezahlt.“ (M,51) In Formeln: W = MPL (6a) Diese Formeln zwingen zu einer Präzisierung, was unter L und K verstanden werden soll. Mit diesen Variablen und der Produktionsfunktion stehen nämlich auch MPK und MPL fest und damit Lohn- und Zinssatz. Werden L und K als arbeitsfähige Bevölkerung und physisch vorhandene Produktionsmittel einer Wirtschaftsnation interpretiert, erhält man zwar schon per Definition unwiderlegbar Vollauslastung und Vollbeschäftigung, aber die schönen ‚Gleichgewichte‘ für Lohn und Zins (W und R) aus Abschnitt 6. müssten zusammen mit fast dem gesamten Rest der Theorie in den Papierkorb geworfen werden. Wenn für K, L und eine Theorie des Ganzen überhaupt Spielraum bestehen soll, kann mit den Variablen Kapital und Arbeit nur der aktuell in der Verwertung eingesetzte Teil gemeint sein und dieser muss unter 100% liegen. D.h.: es muss unbeschäftigte Arbeit und unbeschäftigtes Kapital geben, wie es schon in der Firmentheorie unterstellt wurde. Dies wirft die Frage auf, ob bzw. wie das System jemals aus eigener Kraft einen zumindest gleichgewichtsähnlichen Zustand an der absoluten Grenze seines Bewegungsspielraums erreichen kann. Im mechanischen Analogon wäre dies: direkt an der 100%-Wand bzw. noch genauer in der kleinen 100%/100%-Ecke, die sich bei Wachstum auch noch verschiebt. Sicherlich gelingt dies nicht, wenn am Rand eine (Markt-)Kraft nach innen wirkt. Im umgekehrten Fall wird das System (umgangssprachlich formuliert) irgendwo ‚an die Wand geklatscht‘ und dort fixiert. Der erste Arbeitslose oder das erste zwangsversteigerte Produktionsmittel würde die Theorie schon widerlegen. Also muss die Kraft zur Wand bzw. Ecke hin Null werden, was das neue Problem aufwirft, überhaupt noch jemals hinzugelangen. Die Thermodynamik hat sich mit der einfacheren Frage beschäftigt, ob man das Ende der Temperaturgeraden (den absoluten Nullpunkt) erreichen könne und diese Frage eindeutig beantwortet: ‚nein‘, weil es aus ähnlichen Gründen unendlich lange dauern würde. Hätte eine Theorie instantaner Zustandsänderungen und Gleichgewichtseinstellungen mit ‚ja‘ antworten können? Eine überzeugende Antwort hierauf sowie die noch ausstehende Ableitung von Vollauslastung und Vollbeschäftigung aus obigen Voraussetzungen bleibt Experten für ideale Marktgesetze überlassen. Vermutlich wird jeder Beweisführung ohnehin die Grundlage entzogen durch weitere Paradoxa, auf die sogar das Lehrbuch aufmerksam macht. Ableitung und elegante Interpretation der Gl.(6a/b) setzen nämlich voraus, dass der gesamtwirtschaftliche economic profit 0 ist. Dieser beinhaltet die Summe aller Firmenprofite, die im Grenzkostengleichgewicht einzeln als positiv nachgewiesen worden waren. Wie kann eine Summe positiver Zahlen Null sein? Dieses Ergebnis findet sogar der Volkswirtschaftler „überraschend“ (M,52). Allerdings stört ihn weniger der Widerspruch in seiner Theorie als die gehemmte Geldvermehrung, da jetzt, zumindest im Mittel, „der Firmengewinn 0 sein muss“ (ebd.). Warum gibt es dann überhaupt noch Unternehmer? Mit nobelpreisreifer Logik konstruiert die VWL zu ihren widersprüchlichen Ergebnissen die erforderlichen widersprüchlichen Voraussetzungen: „Wir hatten angenommen, dass es drei agierende Gruppen gibt: Arbeiter, Kapitalbesitzer und Firmeninhaber. Das gesamte Einkommen wird aufgeteilt auf Löhne, Kapitaleinkünfte und Firmengewinne. In der realen Welt aber besitzen die meisten Firmen das von ihnen eingesetzte Kapital, statt dass sie es leihen.“ (M,52) Als Nothelfer wird hier das Eigenkapital in die Theorie zurückgeholt, was das Modell aber nur an anderer Stelle ins Rutschen bringt. Es wird ja nun unterstellt, dass ein relevanter Anteil eingesetzten Kapitals gar nicht zur Rate R geliehen ist und eine entsprechende Zahl Firmen daher straflos das grenzkostenbestimmte Gleichgewicht verletzen kann. Mit dem Niederreißen der Barriere zwischen Industrie- und Finanzsektor wird faktisch die Durchschnittsprofitrate geopfert und es erscheint ein neues Zinsparadox: Warum verleihen eigenkapitalbesitzende Firmen mit niedriger Rendite R-x ihr Kapital nicht zur höheren Rendite R an eigenkapitallose Firmen? Weil diese R-x/2 anbieten und damit die Katastrophe eines Zins-Zusammenbruchs einleiten würden? Die Einführung von Eigenkapital verweist auf ein bisher übergangenes Kapital-Paradox, indem sie dieses elegant umpolt. Solange die Firmen im Schnitt profitabel waren, stellte sich die Frage, welcher Mechanismus die Akkumulation von Eigenkapital bei ihnen verhindert hat. Diese Frage stellt sich nicht mehr bei Eigen-Ergebnissen von +/-0. Dafür stellt sich die neue Frage, wie das nun unterstellte Eigenkapital entstanden ist. Wir wissen soviel: einige Firmen haben sich entgegen neoklassischen Planansätzen eine Bank angegliedert. Dieses Phänomen ist real; der Spott über die ‚Siemensbank mit angegliedertem Elektrogeschäft‘ gelangt bis in die Börsensendungen. Bei konsequenter Auswertung der eigenen Theorie käme die Neoklassik zu interessanten weiteren Schlussfolgerungen. In ihrem Modell der idealen Konkurrenz konkurrieren die Firmen nicht untereinander, sondern gegen die Zinsrate. Die Vermischung von Finanz- und Industriesektor untergräbt daher die Konkurrenz, die gefeierte Grundlage der noch mehr gefeierten Effizienz. Während externe Kritiker Natur- und Gesellschaftszerstörung im entwickelten Kapitalismus anprangern, leistet die Neoklassik das ihr Mögliche und beschreibt den Autokannibalismus an seinen historischen Erfolgsprinzipien. Erstaunlicherweise bleibt dies unbeachtet, obwohl unsere Gesellschaft noch durchtränkt ist mit der ostwärts gerichteten Propaganda, dass vor allem Mangel an Konkurrenz korrupte Verhaltensweisen und wuchernde bürokratische Apparate erzeuge. Bestimmte Vorgänge bei VW oder das Hartz-IV-Desaster hätten sich so unschwer vorhersagen lassen. Vielleicht steckt sogar in der fast vergessenen Konvergenztheorie ein realer Kern, der erst erscheint, wenn man sie um 180 Grad dreht: einmal ganz seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten überlassen geht das westliche System langsam den Weg, den das östliche vorgezeichnet hat. 9. Die NullsummentheorieBisher ließen sich keine Widersprüche allein und ausschließlich auf das gesamtwirtschaftliche Prinzip des konstanten Skalenertrags zurückführen. Führt dieses aus irgendeinem Grund auf besonders einfach zu behandelnde Verhältnisse? Als ersten Schritt zu einer Antwort verwenden wir das Skalengesetz der Gl.(1), um die Produktionsfunktion zu vereinfachen: Y(L,K) = Y(L°1,L°K/L) = L°Y(1,K/L) (7) Hier wurde L nach dem zweiten Gleichheitszeichen so behandelt wie die Größe z in Gl.(1). Analog lässt sich mit der Kostenfunktion der Gl.(2) verfahren: C(L,K) = W°L + R°K = L° (W + R°K/L) (8) Erlös wie Kosten sind also explizit Funktionen nur der einen Variablen L, solange die ‚Kapitalintensität‘ K/L und damit Y(1,K/L) konstant bleiben. K/L=const. ist die Gleichung einer Geraden, die in Abb.3 vom Nullpunkt weg mit der Steigung K/L schräg aufwärts läuft. Mit solchen Geraden lässt sich der gesamte Innenraum31 der Abb.3 überdecken, so dass die vereinfachten Formeln noch immer die vollständige Theorie enthalten. Sogar ein betriebliches System mit konstanter Kapitalintensität kennen wir bereits: den Bäcker, der eine unendliche Anzahl gleicher Backstuben eröffnet. Die Bedingung des verschwindenden economic profit, 0=Y–C oder Y=C, ist jetzt höchst einfach zu erfüllen, indem man die Faktoren von L in Gl.(7) und in Gl.(8) gleichsetzt. Schon ist die allgemeine Theorie von Lohn und Zins fertig: W + R °K/L = Y(1,K/L) (9) Könnte man dieses Ergebnis widerlegen? Mathematisch sicher nicht, denn Gl.(9) enthält nur die Bedingung, unter der zwei Geraden zusammenfallen. Theoretisch ökonomisch? Das Modell kennt nur K und L als Variablen und damit wurde richtig gerechnet. Und empirisch? Zur Bestätigung oder Ablehnung einer Y-Funktion müsste man nicht nur zyklenbedingtes, sondern auch entwicklungsbedingtes strukturelles Wachsen und Schrumpfen an derselben Volkswirtschaft beobachten können; ein Widerspruch in sich, der selbst ohne Hinzuziehung von Karl Popper jeden Streit über die richtige volkswirtschaftliche Produktionsfunktion als sinnlos erledigt.32 So lassen sich aus Gl.(9) ungehindert Zusammenhänge zwischen Lohnrate W und Zinsrate R ausrechnen und zwar für unendlich viele Kapitalintensitäten K/L, für unendlich viele Funktionen Y(L,K) und für noch mehr plausible Nebenannahmen; ein unerschöpflicher Vorrat an Lebensaufgaben für moderne und postmoderne Akademiker. „Der Erfolg der Neoklassik lässt sich dadurch erklären, dass sie einerseits eine konsistente und elegante Theorie darstellt und andererseits ihre sehr weite Anwendbarkeit in einer Vielzahl von Fällen überzeugend demonstriert hat.“ (Söllner 2001,332) Wo nichts zu klären ist, entstehen in der Tat keine Widersprüche. Stattdessen kann man die ‚elegante Theorie‘ vereinfachen, was sich die reale VWL nicht zweimal sagen lässt. Da ‚Ausstoßmenge‘ Y und ‚Kapitalmenge‘ K nicht das geringste mit dem Charakter der Produkte zu tun haben, kann man z.B. annehmen, dass es überhaupt nur ein einziges gibt:
Die im Zitat zusammengefasste Theorie betrachtet die Volkswirtschaft wie eine Ansammlung von Bäckerketten unterschiedlicher Kapitalintensität (oder Rationalisierung) K/L, in denen überall dasselbe Brot gebacken und gegessen wird. Die Idee der Ein-Produkt-Ökonomie geht zurück auf Ricardo und andere Ökonomen des Frühkapitalismus und liefert ein bemerkenswertes Beispiel theoretischen Fortschritts. Diese frühen bürgerlichen Ökonomen müssen ein gutes Gespür für die Entwicklungstendenzen des Systems gehabt haben, auch wenn sie aufgrund des damaligen Entwicklungsstands als „Supergut“ noch Korn statt Geld unterstellten. Man spricht so bis heute von einem ‚Kornmodell‘. Heutige Ökonomen stülpen dieses der entwickelten Warengesellschaft über, um so in einem Zug auf den Charakter von Theorie und System als Auslaufmodelle hinzuweisen. In der neuen Marx-Engels-Gesamtausgabe werden Kornmodelle sogar schon als Einstieg in modernen Marxismus verwendet. (Schefold 2004,881ff) Welche Rolle spielen die Arbeiter in solchen Modellen? Sie sind ein Zwischenprodukt der Kornherstellung – oder Kapitalverwertung. Genausogut wäre es möglich, in einer Dienstleistungsgesellschaft die Konsumgüter als Lohn auszudrücken (auf diese Idee sind bisher weit weniger Ökonomen gekommen). Kann man also die Theorie in diesem Sinne vereinfachen und womöglich von Beginn an mit einer einzigen Variablen auskommen – egal ob L oder K? In Abschnitt wurde schon bemerkt, dass die Theorie der ‚Produktionsfaktoren‘ Kapital und Arbeit formal identisch ist mit einer Theorie, die stattdessen mit zwei (oder auch mehr) Kapitalgütern rechnet. Reduziert man deren Anzahl auf das einzige „Supergut“, so müssen sowohl ‚Erlös‘ (Produktion) als auch ‚Kosten‘ (Verbrauch) proportional zu dessen Menge sein. Einheiten sind im Ein-Produkt-System nicht relevant. Gl.(5) nimmt dann eine von zwei alternativ wählbaren Formen an, die vermutlich die maximal mögliche Vereinfachung moderner ökonomischer Theorie darstellen: 0
= Y(K) –
C(K) = a°K – a°K
= 0 (10a)33 Das Verschwinden des gesamtwirtschaftlichen economic profit beinhaltet die nun nicht mehr übersehbare Trivialität, dass produzierte und verbrauchte Gütermengen gleich sein sollten. Damit lassen sich jetzt Gl.(5ff.) besser verstehen. Dort war noch mit zwei qualitativ verschiedenen Gütern operiert worden, nämlich Produktionsmitteln und Konsumgütern, letztere dargestellt durch die Arbeit L. Dies führte auf zwei Gleichungen (6a/b), weil beide Typen von Gebrauchswerten getrennt verbraucht werden. Beide Mengen sind jedoch über betriebliche Kostenrechnungen, d.h. den Wertkreislauf, verknüpft; dies schleppte die Funktionen MPL und MPK in die Theorie ein, die wie Y von sowohl K als auch L abhängen. All diese, auch für die VWL manchmal schwer durchschaubaren Komplikationen entfallen jetzt, egal ob man sich für Variante 10a oder 10b entscheidet. Nach Reduktion der Industrietheorie auf ihren eigentlichen Kern braucht – im Gegensatz zu Gl.(9) – weder etwas ausgerechnet noch ein ‚Gleichgewicht‘ nachgewiesen zu werden. Auch sämtliche ‚Paradoxa‘ verschwinden auf einen Schlag dank wirklich konsequenter Entfernung allen Inhalts aus der Theorie. Welchen Inhalts? Zum Beispiel: Wer produziert und wie, was wird erzeugt und für welche Ziele verwendet man die Produkte? Auf der Ebene des Kornmodells: Muss alles Korn für die Arbeiter auf dem vorhandenen Feld verwendet werden oder gibt es genug, dass einige neues Land urbar machen können? Mit solchen Fragen haben sich Ricardo und seine Schüler noch länger befasst. Heute schreibt man einfach eine lösbare Gleichung auf. Darüber gehen Gl. (10a/b) jedoch hinaus. Ihre Lösbarkeit mit beliebigen Variablenwerten stellt einerseits ein Analogon zum indifferenten Gleichgewicht der Abb.1 dar und schlägt andrerseits eine unverbrüchliche Brücke zum Postmodernismus. In diesem Sinn beinhalten Gl. (10a/b) die ersten mehr als modernen Gleichgewichtstheorien. Wie alles Geniale sind sie höchst einfach, nämlich so einfach wie die Formel der Geldkapitalvermehrung und ebenso widerspruchsfrei. Weniger gut gelungen ist leider der Nachweis, dass alle Unternehmen überdurchschnittlichen Profit erzielen können. Am leichtesten noch gelingt der überdurchschnittliche Profit, wenn die anderen Kapitalisten unfähig sind. Steckt womöglich diese Philosophie hinter den Begriffsbildungen vom fallenden Grenz- und Skalenertrag? So bieten sich auch hier noch reichlich Forschungsthemen. Aber Fallstricke lauern überall. Denn wenn wir auch nicht viel über Wirtschaft gelernt haben, dann doch etwas über Wirtschaftstheorie: diese befindet sich ohne jeden Zweifel in einem Gleichgewicht und zwar in einem labilen, das schon gestört ist. Der kleinste Stoß aus der Realität bringt die Kugel wieder in Bewegung, obwohl ein ganzes akademisches Fach immer verzweifelter daran arbeitet, sie oben zu halten. Könnte es womöglich sein, dass eine aufgeklärte Theorie des Kapitalismus so unmöglich ist wie die nackte Verwertungsgesellschaft selbst? Selbst das Wort Neo-Liberalismus bringt ja sprachlich zum Ausdruck, dass etwas ignoriert werden soll, nämlich alle Zwänge aus dem Selbstzweck der Verwertung. So kann es nicht verwundern, wenn gerade die Wirtschaftstheorie an der Spitze des Verfalls marschiert, und Projekten ‚weiterer Forschungen‘ kann man schon jetzt das Scheitern vorhersagen. Sie werden nur dieselben Widersprüche in neue Formeln verpacken. Diese aber können sich auf gesichertes quantitatives Wachstum freuen, weil die zu beschreibenden und zugleich zu beschönigenden Zustände ständig unhaltbarer werden. Vielleicht scheitert der Kapitalismus eines Tages auch daran, dass sich nicht mehr genügend Intelligenz finden lässt, um ihn zu rechtfertigen? Debreu,
G. (1987): Theory of
Value, Yale University Press, New Haven und London 1 VWL oder Volkswirtschaftslehre steht im folgenden synonym für Neoklassik, da diese das Fach nach allen denkbaren Kriterien dominiert und nur charakteristisch neoklassisches Gedankengut betrachtet wird. 2 ‚S/N‘ steht für Samuelson/Nordhaus (2005); ‚M‘ steht für Mankiw (2003). Alle Übersetzungen aus dem Englischen sind vom Autor. 3 Samuelson publizierte die erste Ausgabe seines Lehrbuchs 1948, als Keynes‘ Stern noch aufging, und über 30 Jahre, bevor Mankiw den Doktorgrad erhielt. Man erkennt Entwicklungen der VWL deutlich an Details beider Bücher. Mankiw bezieht sich so gut wie überhaupt nicht mehr eigenständig auf die Historie; diese ist in eine stromlinienförmige Stoffdarstellung vom heutigen Standpunkt bruchstückhaft eingearbeitet. Bei Samuelson/Nordhaus hingegen sind diverse historische Debatten noch eigenständig präsent. * s. Fußnote 2 4 Vgl. Ortlieb (2004b) zur Notwendigkeit, erst einmal die Existenz eines solchen ‚x‘ nachzuweisen. Freeman (2006) beschreibt, wie ökonomische Gleichgewichtstheorien mit prinzipiell unbeobachtbaren Größen operieren. 5 Die Temperatur vertritt hier alle ‚intensiven‘ Variablen wie Druck, Konzentrationen, chemische Potentiale u.ä. 6 Das Vokabular des Zitats erinnert wohl nicht ganz zufällig an die Endzeit der DDR 7 Wie schon das Word „Technik“ nahelegt, wird der „Ausstoß“ zunächst in physischen Einheiten (z.B. Stück) verstanden. Konsequenzen daraus werden im Regelfall nicht gezogen. Stattdessen wird zügig durch Multiplikation mit dem Preis P der geldliche Erlös P°Y eingeführt und die Gewinnformel der Gl.(3) aufgestellt (vgl. M,48). Diese Vorgehensweise unterstellt stillschweigend, dass der gesamte Ausstoß auch verkauft wird und zwar zum Normalpreis P. Verschleuderte und unverkäufliche Ware werden so klammheimlich wegdefiniert mitsamt der Überproduktionskrise. So transportiert man Ideologie per Formel. Dieser Artikel spart sich den Taschenspielertrick und den Faktor P. Y sowie abgeleitete Größen sind von vornherein als Geldgrößen zu verstehen. Auf die damit verbundene Unterdrückung der Krise soll aber hingewiesen werden. 8 Aus der Sicht des forschenden Ökonomen: der konstante Skalenertrag ist ein Grenzfall, in dem sich relativ einfach rechenbare Beispiele konstruieren lassen. Vgl. Ortlieb (2004b) zur Rolle des Beispiels in der VWL. 9 Dieser Kapitalbegriff schließt den Arbeitslohn (variables Kapital) aus und ist daher bereits rein quantitativ nicht kompatibel mit dem marxistischen. 10 D.h., das Gleichheitszeichen in Gl.(1) wird ersetzt durch ‚kleiner als‘ oder ‚<‘. Korrekterweise muss in einer solchen Definition des fallenden (und des wachsenden) Skalenertrags die Einschränkung z>1 gemacht werden, weil für z=1 die Ungleichungen widersprüchlich werden und sich für z<1 der Inhalt jeweils umkehrt. Nur wenige VWL-Bücher und -Artikel weisen darauf hin. 11 Dass im Jahr 2003 dieses empirische Faktum als wesentliche Begründung einer Theorie verwendet wird, sagt alles über ihren Realitätsgehalt. 12 Um zu zeigen, dass die Funktion die Gl.(1) erfüllt, ist die Regel (z°K)a = za°Ka anzuwenden, und zwar zweimal (das zweite Mal auf den Ausdruck (z°L)(1-a) ). Wer weiterrechnet, sieht leicht, dass F(K,L) =B°K a°L b wachsenden/konstanten/fallenden Skalenertrag ergibt, wenn (a+b) größer/gleich/kleiner 1 ist. 13 Davon kann man sich überzeugen, indem man c für 1-a schreibt und entsprechend a durch 1-c ersetzt. Die Verwendung von gerade zwei ‚Produktionsfaktoren‘ ist daher nicht zwingend. Man kann genausogut mit mehreren Kapitalgütern rechnen oder mit mehreren Konsumgütern (anstelle des Lohns). Dann erscheinen in der Cobb-Douglas-Formel eben mehr (als zwei) Faktoren und in Gl.(2) mehr Summanden. 14 Nicht zufällig gehen volkswirtschaftliche Publikationen völlig wirr mit den Einheiten mathematischer Größen um. Sie addieren nicht nur die sprichwörtlichen Äpfel und Birnen, sondern verzichten häufig schon darauf, Äpfel und Birnen überhaupt zu unterscheiden. Dazu werden Größen im Verlauf einer Argumentation willkürlich und häufig stillschweigend umdefiniert. Für ein Beispiel hierfür s. Fußnote 18. 15 Keen et al. (2002). Schulmathematik und zwei Zeilen reichen für den Beweis. Man unterstelle, dass der Preis P(Q) vom Gesamtausstoß Q einer Branche abhängt und Q=q1+...qi+...+qn eine Summe der unabhängigen Ausstöße von n Firmen ist. Aufschreiben der Differentialquotienten von P nach Q und nach qi ergibt sofort, dass beide identisch sind. 16 Man kann „wenig“ durch etwas mehr oder etwas weniger „wenig“ annähern, z.B. 1.05 durch 1.0 oder 1.1. Die daraus entstehenden Fehler lassen sich abschätzen. Man kann aber nicht mit 0.0 statt 0.05 rechnen. Bei der ersten Multiplikation oder gar Division wird der qualitative Unterschied deutlich! 17 Das volkswirtschaftliche Gesetz vom konstanten Skalenertrag nach Cobb/Douglas hingegen ist einer (mittlerweile wohl historischen) Realität entnommen, die ihrerseits keine Rücksicht nimmt auf neoliberale Firmentheorie. Auch auf diese Weise entsteht der „ständige Vorüberzug“ neuer Rätsel – oder Widersprüche. 18 Mankiw verwendet auf seiner Seite 50 den Buchstaben R für den absoluten Zins, der pro ‚Einheit‘ an Kapital zu zahlen ist. Drei Seiten zuvor hatte er R anders definiert, nämlich ausdrücklich als Zinssatz (rate). Diese Umdefinition von R hängt möglicherweise mit einer genauso stillschweigenden Umdefinition der Größe K zusammen, die sich von einer stetigen Größe (Geld) auf der S.48 in eine diskrete Größe (Einheiten) auf S.51 verwandelt. Salopp gesagt schleicht sich der Maschinenpreis aus dem K ins R. Das Produkt R°K behält so seine Bedeutung, obwohl diejenige von R wie von K sich vollständig verändert hat. Solche Unsauberkeiten findet man reichlich in VWL-Büchern und Artikeln. Das Durcheinander wird noch verwirrender nach der Überlegung, dass die neue Definition für R in vielen Zusammenhängen gar nicht anwendbar ist, weil sie zwangsläufig jeder Branche einen eigenen Wert R zuweisen müsste, der auf die branchentypische Sachkapitalausstattung passt und sich demzufolge auch noch kontinuierlich mit den Produktionsmethoden ändert. 19 Dass sich auf diese Weise das Maximum gar nicht finden lässt, wird in Abschnitt 7. erörtert. 20 Dass Ausstoß-, Beschäftigungs- und Profitwachstum im Regelfall parallel laufen, muss hier übernommen werden, trotz tagtäglicher Widerlegung im Wall Street Journal. 21 Kapitalverlagerungen erzeugen in klassischen Theorien den Ausgleich der Profitrate und verhindern damit u.a. die Zinskatastrophe. In der Neoklassik würde sich – ohne Zusatzannahmen – der Absolutgewinn ausgleichen und alle Firmen würden in die Branche mit der ‚besten‘ Produktionsfunktion strömen. Die Konsequenz wäre eine Angebots-Katastrophe. Bei konsequenter Anwendung neoklassischer Kriterien wäre aufgrund ihrer geringen Profitabilität längst die Landwirtschaft verschwunden und nur die verarbeitende Lebensmittelindustrie übriggeblieben. Vgl. den EU-internen Dauerstreit hierzu. 22 Auch bei diversen Großkonkursen der letzten Zeit wurde verlorengegangener Kapitalwert gesucht und zwar früher undenkbare Mengen davon. Es erstaunt jetzt nicht mehr, dass solche Vorgänge zwar soziale Katastrophen verursachen, aber kaum noch lokalisierbare Wirkungen im ‚Wirtschafts‘system. 23 Die Spanne reicht vom oberen bis zum unteren Rand des Diagramms, leider stehen keine Einheiten am Rand. Man kann daher nicht beurteilen, ob die Preise um 0.01%, um 10% oder zwischen 0 und 1 Mio. variieren sollen (man rekapituliere die obige Betrachtung zum Begriff „wenig“). Dies als Nachtrag zu Ortliebs (2004a,170) Kritik an der Verwendung solcher Diagramme bis zum „Überdruss“. 24 Vgl. Freeman (1999) zur Modellierung des Wirtschaftszyklus durch eine einfache Schwingungsgleichung. 25 Die Relativbewegung zweier Größen ist zu beschreiben durch je eine Rückstellkraft, Trägheit und Dämpfung (Reibung). Diese bestimmen, wie weit die Bewegung ausschlägt, ob sie schwingend oder kriechend verläuft, ob und wann sie zum Stillstand kommt, und wie sie auf äußere Anstöße reagiert. Bei 5 Größen gibt es 10 mögliche Relativbewegungen und (im einfachsten Fall) 30 Kopplungskonstanten, wobei nicht diese selbst im Endergebnis erscheinen, sondern mehr oder weniger einfache Verhältniszahlen daraus. 26 Auch das Allgemeine Gleichgewichtsmodell hätte solche Einschüsse nötig (Ortlieb 2004b,11). 27 Die neueste einschlägige Entwicklung ist die periodisch auflebende Angst vor einem Kollaps der Finanzmärkte, obwohl dort wie nirgendwo anders Stabilität(!) per Zinssteuerung(!) der Zentralbanken garantiert wird, ein Element, das in der Tat an Zinskatastrophen und Wirtschaftspläne erinnern sollte. 28 Der Fachbegriff verrät, dass die Priesterschaft mehrheitlich glaubt‚ guten Göttern zu dienen. 29 Die vollständige Argumentation lautet: Auf der K-Achse ist L=0 und mangels Arbeitern auch der Ausstoß Y=0. Der Kostenbeitrag R°K in Gl.(3) macht G daher auf der gesamten K-Achse negativ, den Nullpunkt ausgenommen. Mit Y ist auch G eine stetige Funktion. Eine solche kann nicht von den negativen Werten -R°K auf der Achse nach 0 oder gar positiven Werten springen, sondern benötigt für den Anstieg eine endliche Strecke. Deswegen gibt es entlang der K-Achse einen zusammenhängenden Streifen endlicher Breite, in dem der Profit überall negativ ist. Analoges gilt entlang der L-Achse. Lediglich am Nullpunkt kann es einen Pfad ins erlaubte Gebiet geben, auf dem der Gewinn nicht negativ ist. Da G auf den Achsen bis beliebig dicht an den Nullpunkt negativ bleibt, kommen sich aber die Grenzen der verbotenen Streifen beliebig nahe, womit ein Zugang in Achsenrichtung blockiert ist. Um eine Entwicklung aus kleinen Anfängen zu ermöglichen, muss eine Korrelation zwischen L und K eingeführt werden, welche die Entwicklung der Firma auf dem (eventuell) vorhandenen erlaubten Pfad hält. Für genauere Aussagen wäre jede Y-Funktion einzeln auszuwerten. 30 Die linientreue Lösung des Basisproblems unterstellt variablen(!), d.h. erst wachsenden und später fallenden Skalenertrag. (vgl. Söllner 2001,82f.) Damit löst sich dieser Begriff in einen postmodernen Nichtbegriff auf. Das ‚Gleichgewicht‘ lässt sich daran erkennen, dass in jeder Branche nur noch gleichgroße Firmen tätig sind. 31 Puristen, die die K-Achse einschließen wollen (dort ist L=0), können sich analog zu Gl.(9) ableiten: Y(L,K)=K°Y(L/K,1); Polarkoordinaten werden hier bewusst vermieden. 32 Mit Mr.Douglas‘ Schülern wird man unendlich streiten können, ob die von ihm beobachtete Stabilität der Einkommensverteilung die Existenz einer universellen Produktionsfunktion belegt, oder irgendeinen anderen, damals längere Zeit konstanten Einflussfaktor (der Traditionsmarxismus gräbt bereits das konstante Kräfteverhältnis im Klassenkampf aus). Verfechter der universellen ewigen Produktionsfunktion müssten jedenfalls dies akzeptieren: Nach Gl.(6b) ist die Zinsrate mit MPK maximal, wenn die gesamtwirtschaftliche Kapitalmenge K klein ist, d.h. im frühesten Kapitalismus. Mit dessen Entwicklung, d.h. Wachstum von K, sollte die Zinsrate mit MPK gemäß dem Prinzip des abnehmenden Grenzertrags stetig fallen. Damit wäre für den wichtigen Spezialfall der normalen kapitalistischen Entwicklung Marx‘ bekannter Satz vom tendenziellen Fall der Profitrate bewiesen. Analog ergibt sich aus Gl.(6a) die Tendenz zur Verelendung der Lohnarbeiter. Die VWL hat diese Beweise wohl noch nicht entdeckt, weil sie zu sehr durch andere Paradoxa abgelenkt ist. 33 Der Ansatz Y=a°K für die Produktionsfunktion ist keine Satire des Autors, sondern damit beschreibt die ganz moderne VWL Wachstum (Söllner 2001,254), und zwar mit „einer sehr weiten Kapitaldefinition, die insbesondere auch Humankapital mit einschließt.“ (ebd.,255). Allerdings muss der Ansatz noch durch Zusatzannahmen bzw. -terme zu einem ernsthaft wissenschaftlichen entwickelt werden (ebd.). Es wird nichts darüber gesagt, ob als Option auch eine Weiterentwicklung der Leiharbeit zur Sklaverei angedacht wird. |