Claus Peter OrtliebWarme LuftBereits beim so genannten EU-Klimagipfel Anfang März und erst recht in seiner politischen bzw. diskursiven Umsetzung ging und geht es offensichtlich darum, den berühmten Pelz zu waschen, ohne sich dabei nass zu machen. Auf dem EU-Gipfel wurden unter dem Label des „ehrgeizigsten Klimaschutzprogramms der Welt“ (Barroso) Ziele zur CO2-Reduktion formuliert, die wegen des Bezugsjahrs 1990 und des Zusammenbruchs der osteuropäischen Industrien bereits weitgehend erreicht sind. Folgerichtig bestehe für Aktionismus keinerlei Anlass, wie es so schön heißt, schließlich seien wir im Bereich umweltverträglicher Innovationen Weltspitze, und ein Tempolimit bringe schon überhaupt nichts. War da was? „Das Klima als Merkel-Propaganda“ nennt Sven Giegold (taz vom 19.03.07) diesen Vorgang, womit er Recht hat und zugleich den Charakter des Problems völlig verfehlt, indem er es auf das persönliche und moralische Versagen von Politikern reduziert, denen es daher auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm Dampf zu machen gelte. Dabei hat die Bundeskanzlerin ja nur getan, wofür sie gewählt wurde, nämlich die Rahmenbedingungen für eine möglichst reibungslose und effektive Kapitalverwertung zu gewährleisten, die durch das Fortschreiten der Klimadiskussion ein wenig ins Schlingern zu geraten drohte. Schließlich hängt an ihr das Steueraufkommen als Voraussetzung jeglicher Politik ebenso wie die Arbeitsplätze, sie ist – etwas pathetisch gesagt – die Grundlage unserer gesamten Reproduktion als moderne Menschen. Auch Giegold stellt eine gelingende Wertverwertung in Rechnung, wenn er das notwendige Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent zu reduzieren, mit der Aussicht schmackhaft macht, es berge „viele Chancen auf neue Jobs und wirtschaftliche Entwicklung“ (a.a.O.). Was wäre, wenn er darin Unrecht hätte? Wäre dann der Klimaschutz ad acta zu legen? Solange die kapitalistische Produktionsweise als nicht hintergehbar gedacht wird, muss jede Kritik an ihren sozialen und ökologischen Folgen auf der moralischen Ebene bleiben und wird dort letztlich verpuffen. Ein Beispiel ist Giegolds Argumentation gegen die Durchsetzung von Patentrechten: „Für die rasche Verbreitung zukunftsfähiger Innovationen ist entscheidend, dass Entwicklungs- und Schwellenländer diese Technologien selbst produzieren und weiterentwickeln können. Dazu müssen geistige Eigentumsrechte innovationsfreundlich beschränkt und Schlüsseltechnologien in die Entwicklungsländer transferiert werden. Das ist genau das Gegenteil der von Angela Merkel für den G-8-Gipfel geforderten scharfen Durchsetzung von Patenten weltweit. Ähnlich wie bei Medikamenten und Saatgut sind ressourcenschonende Technologien überlebensnotwendig, die den Entwicklungs- und Schwellenländern weitgehend kostenlos zur Verfügung stehen müssen.“ (a.a.O) Gut gebrüllt, aber unter den Bedingungen der nicht in Frage gestellten Warenproduktion leider nicht tragfähig: Ohne Patente ließen sich aus Forschung und Entwicklung keine Profite generieren, und ohne solche Profite gäbe es keine Forschung und Entwicklung und damit auch kein Knowhow über zukunftsfähige Technologien, das den Entwicklungs- und Schwellenländern kostenlos zur Verfügung gestellt werden könnte. Das mag in manchen Ohren neoliberal klingen, ist es aber nicht, sondern folgt schlicht aus dem elementaren kapitalistischen Grundsatz, dass ein Aufwand nur dann getrieben wird, wenn er Mehrwert verspricht. Das erste (englische) Patentgesetz stammt übrigens aus dem Jahr 1623. Giegolds aus sachlichen Erfordernissen begründete und für einen wirksamen Klimaschutz absolut notwendige Forderung läuft gegen die Wand und bleibt unrealistisch, solange die Überwindung der Warenform – und nicht bloß die Verletzung von Profitinteressen einzelner Kapitalisten – undenkbar bleibt. Sie lässt sich auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise nicht erfüllen, und das ist keine Frage des fehlenden Willens. Wie in diesem Beispiel angedeutet, stellt sich aus systemischen Gründen – freilich nicht nur der zunehmenden Umweltzerstörung, sondern auch der fortschreitenden Entwertung der Arbeitskraft wegen – die Versorgung und das Überleben einer immer größer werdenden Zahl von Menschen als nicht mehr finanzierbar heraus, was bestenfalls mit achselzuckendem Bedauern konstatiert, in der Regel aber moralisch gegen die "Versager" selber gewendet wird. Auf diese Entwicklung mit dem Ruf nach Almosen oder neuen Finanzierungsmodellen zu antworten, ist eigentlich nur noch verrückt, doch viel weiter scheint die Antiglobalisierungsbewegung bisher nicht gekommen zu sein. Dagegen wäre das blind vorausgesetzte Kriterium der Finanzierbarkeit selber zu attackieren, womit sich das stellt, was manche die „Systemfrage“ nennen, ohne zu wissen, was sie da ansprechen: Es geht nicht bloß um uneinsichtige Regierungen oder die gern imaginierten, im Halbdunkel die Fäden ziehenden Kapitalisten. Es geht vielmehr um das ganz alltägliche warenproduzierende Patriarchat, also das „automatische Subjekt“ (Marx) der selbstzweckhaft prozessierenden Wertverwertung, dem Politik nur hinterher laufen, das sie aber nicht lenken kann, und seine inferior gesetzte „weibliche“ Kehrseite, zuständig für Emotionalität, menschliche Zuwendung und andere nicht verwertbare, aber gleichwohl notwendige Bestandteile der Reproduktion. Es ist inzwischen – nicht nur, aber auch an der Klimaproblematik – mit Händen zu greifen, dass dieser Vergesellschaftungsmodus sich selbst überlebt hat und im gerade begonnenen Jahrhundert die Menschheit mit in den Abgrund zu reißen droht. Da sich auch jede Gegenbewegung, ob sie will oder nicht, in diesem Modus bewegt und derzeit niemand sagen kann, wie sich menschliche Reproduktion auf dem heute erreichten Niveau anders organisieren lässt, ist selbstverständlich nichts gegen die Forderung einzuwenden, dass „soziale Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften in Heiligendamm massenhaft (Druck) aufbauen“ (a.a.O). Nur wird der ohne die Perspektive einer Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise nicht einmal immanent Erfolg haben können. |