Einladung zum
EXIT!-Seminar 2013
vom 25. - 27. Oktober in
Landau (Pfalz)
Gesellschaftliche
Naturverhältnisse
Nach
dem
Zusammenbruch des Ostblocks erlebte der Kasinokapitalismus in den
1990er Jahren
seinen Höhepunkt. In diesem Kontext stellten sich auch linke
und feministische
Theoriebildung auf kulturalistische und dekonstruktivistische Konzepte
um.
„Natur“ und eine wie auch immer verstandene
„Materie“ waren als
Beschäftigungsgegenstand weithin suspendiert, ja geradezu
verpönt. Man/frau
trug stets die Essentialismus-Keule bei sich. In den 2000er Jahren
änderte sich
dies, nicht zuletzt die Finanzkrise von 2008 machte deutlich, dass
objektive
und „materielle“ Problemlagen nicht mehr
selbstverständlich zurückgewiesen
werden können. Nun drängten auch liegen gelassene
ökologische Fragen wieder in
den Vordergrund, ausgehend von Skandalisierung der
Klimaveränderung. Allerdings
sind postmoderne Schlacken in großen Teilen der
Ökologie-Debatte noch
deutlich sichtbar: So etwa im linksfeministischen Kontext:
„Ziel der
sozial-ökologischen Forschung ist es, Wissensinhalte in Bezug
auf konkrete
Problemlagen zu generieren, die es ermöglichen, praktisch
verändernd in die
Welt einzugreifen. Dementsprechend beansprucht das Konzept der
gesellschaftlichen Naturverhältnisse keine universalisierende
Welterklärung,
sondern die Generierung kontextualisierten Gestaltungswissens.
Gesellschaftliche Naturverhältnisse werden in ihrer
Pluralität betrachtet und
es wird zwischen einer Vielzahl gesellschaftlicher
Naturverhältnisse
differenziert – es gibt nicht das singuläre
gesellschaftliche Naturverhältnis.“
(Diana Hummel/Irmgard Schulz, Hervorheb.i.O.)
Wenn wir von
gesellschaftlichen Naturverhältnissen sprechen, geht es um
etwas anderes,
nämlich um das Verhältnis von Natur und kapitalistischem Patriarchat, das sich nicht in postmoderne
Pluralität auflösen lässt.
Ökologische Probleme können unter kapitalistischen
Bedingungen nicht gelöst
werden; darüber hinaus weisen neue
ökologische Bewegungen starke
ideologische Momente auf, die bei fortschreitender Krise ihr
Destruktionspotential erst voll entfalten könnten, wie anhand
der
Postwachstumsbewegung aufgezeigt wird. Außerdem werden
Überlegungen zum
Androzentrismus in der Geschichte der Naturwissenschaften und zur
„Natur des
Subjekts und des Staates“ angestellt.
Freitag, 25. Oktober
19.00 – 21.30
Claus Peter Ortlieb
Kapitalistische
Krise und
Naturschranke
Anders als die ökonomische
Krise, die in der bürgerlichen
Öffentlichkeit als vorübergehende Erscheinung
gedeutet wird, wird die ökologische
Krise dort durchaus als Grundproblem der modernen Lebensweise
wahrgenommen.
Allzu offensichtlich ist der Widerspruch zwischen den
ökonomischen
Wachstumsimperativen auf der einen und der Endlichkeit der stofflichen
Ressourcen auf der anderen Seite. Solange allerdings die
kapitalistische
Produktionsweise für so natürlich gehalten wird wie
die Luft zum Atmen, beruhen
alle Problemlösungen auf Fiktionen: Während die einen
die Naturschranke unter
Hinweis auf den technischen Fortschritt als nicht existent vom Tisch
wischen,
vernachlässigen oder verniedlichen die anderen die
systemischen Zwänge und
halten allen Ernstes einen Kapitalismus ohne Wachstum für
möglich. Dazwischen
versucht eine Mehrheit, das Problem durch die Kreation logisch
unverträglicher
Begriffe wie den des „nachhaltigen Wachstums“ zu
vernebeln und sich so die
Vereinbarkeit des Unvereinbaren einzureden.
Zur Klärung der
Frage, was da eigentlich so zwanghaft wächst, sollen im
Referat die im Laufe
der kapitalistischen Entwicklung dynamisch sich verändernden
Beziehungen
zwischen Mehrwertproduktion, stofflichem Output und Ressourcenverbrauch
und die
aus ihnen resultierenden Wachstumszwänge untersucht werden.
Dabei zeigt sich,
dass ökonomische und ökologische Krise einerseits
dieselbe Ursache in dem immer
weiteren Auseinandertreten von stofflichem und abstraktem Reichtum
haben. Auf
der anderen Seite geraten die innerkapitalistischen
Lösungsversuche für beide
Krisen miteinander zunehmend in Widerspruch: Während etwa im
Rezessionsjahr
2009 die weltweite CO2-Emission
tatsächlich leicht zurückging,
laufen die vergeblichen Versuche zur Bewältigung der
ökonomischen Krise darauf
hinaus, noch die letzten natürlichen Schranken gewaltsam zu
durchbrechen.
Samstag, 26. Oktober
10.00 – 12.30 Uhr
Johannes Bareuther
Überlegungen
zum
Androzentrismus der naturbeherrschenden Vernunft
Dass
ein
enger Zusammenhang zwischen der Entstehung der neuzeitlichen
Naturwissenschaften und der kapitalistischen Vergesellschaftung
besteht, aus
dem sich auch deren destruktive Tendenzen erklären, diese
Ahnung treibt schon
länger TheoretikerInnen um. 2004 wies Eske Bockelmann in
überzeugender Weise
nach, dass sich die gesetzesförmige Naturerkenntnis der
klassischen Mechanik
einer an der Ware-Geld-Beziehung erlernten Abstraktionsleistung
verdankt. Nicht
in den Blick gerät in seiner Studie (wie in vielen anderen
Wissenschaftskritiken) jedoch, welch konstitutive Rolle dem sich in
derselben
Zeit umwälzenden Geschlechterverhältnis hinsichtlich
den
naturwissenschaftlichen Denk- und Praxisformen zukam. Und dies, obwohl
feministische Theoretikerinnen wie Elvira Scheich und Evelyn Fox Keller
diesem
Zusammenhang auf unterschiedlichen Ebenen bereits seit den 1980er
Jahren
nachgegangen sind. Keller untersuchte u. a. die
geschlechtliche Metaphorik
in den Schriften Francis Bacons, der von Bockelmann wie schon zuvor von
Adorno/Horkheimer als Kronzeuge des modernen Programms
wissenschaftlicher
Naturbeherrschung herangezogen wird. Scheich wiederum knüpft
in ihrem Buch Naturbeherrschung
und Weiblichkeit (1993) an Sohn-Rethels Versuche an, die
Entstehung der
Naturwissenschaft aus der formalen Vergesellschaftung über das
Geld zu
erklären. Dabei erweitert sie Sohn-Rethels androzentrische
Perspektive um die
Dimension der abgespaltenen, unbewusst gemachten Gesellschaftlichkeit
des
Geschlechterverhältnisses und hebt die Bedeutung des
Phantasmas der
Weiblichkeit für das wissenschaftliche
Naturverhältnis der Moderne hervor.
Der
Vortrag möchte, an die feministische Wissenschaftskritik
anknüpfend, einige Überlegungen vorstellen, wie eine
wert-abspaltungs-theoretisch zugespitzte Kritik der Naturwissenschaft
aussehen
kann, wobei der Schwerpunkt auf der historischen Konstitutionsphase um
das 17.
Jahrhundert liegen wird.
15.00 – 17.30
Karina Korecky
„Man
nennt mich Natur und ich
bin doch ganz Kunst“: Zur Natur des Subjekts und des Staates
Wer in kritischer Absicht von den
Gründen für Unfreiheit,
Unterdrückung und Diskriminierung spricht, verortet diese
normalerweise in der
Gesellschaft oder im Sozialen, keineswegs in der Natur. Alles, was
gesellschaftlich, sozial, gemacht oder konstruiert ist, kann
verändert werden,
während „Natur“ Ungleichheit und Zwang
verfestigt und legitimiert. Einst war
das genau anders herum: Die Natur war gut und ihr zum Durchbruch zu
verhelfen
Programm der Aufklärung zur Durchsetzung von Freiheit und
Gleichheit.
Die freundliche
Natur der Aufklärung des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurde
zweihundert Jahre
später zur Berufungsinstanz für Ungleichheit. Wer
heute für gleiche Rechte
kämpft, kritisiert „Naturalisierung“ und
„Biologismus“. Am konsequentesten –
sozusagen als Aufklärung mit umgekehrten Vorzeichen
– geht dabei der linke
Poststrukturalismus vor, der eine klare Feinderklärung an
Natur abgibt und auf
die Fähigkeiten des Geistes zur (De-)Konstruktion setzt.
Demgegenüber steht in
der linken Debatte ein eher hilfloser und vage bleibender Verweis auf
Natur als
das unverfügbare Moment, das sich sperrt, nicht aufgeht im
beherrschenden
Zugriff – manchmal verbunden mit der Hoffnung, da
möge es ein Außen der
gesellschaftlichen Totalität geben, vielleicht sogar einen
Ausgangspunkt, an
dem der revolutionäre Hebel angesetzt werden kann.
Der Vortrag
handelt von der inneren Natur als Voraussetzung von Subjekt (Natur des
Menschen) und Staat (Naturzustand) und ihrer Geschichte. Gezeigt werden
soll,
dass Materialismus nicht heißen kann, nach dem richtigen
Naturbegriff zu
suchen, sondern die Geschichte des Verhältnisses von Geist und
Natur zu
erzählen: von der Befreiung versprechenden Natur zur
Biopolitik des autoritären
Staates.
19.00
–
20.00
Mitgliederversammlung
des Vereins für kritische Gesellschaftswissenschaften
Sonntag, 27. Oktober
10.00
–
12.30
Daniel
Späth
Postwachstumsbewegung:
Eine Variante
(links)liberaler Krisenverdrängung
Es
ist ein Wesensmerkmal des linken
ideologiekritischen Reduktionismus, sich in den vielfältigen
Polaritäten
moderner Subjektivität einzurichten und damit Freiheit im
Sinne Adornos, als
kritische Verweigerung gegenüber den herrschenden
Alternativen, der Partikularität
zu überantworten. Ob nun der Idealismus zu einem Materialismus
(Hegel vom Kopf
auf die Füße gestellt) oder aber der Subjektivismus
zu einem Objektivismus
(„Historischer Materialismus“) gewendet wird, das
Resultat ist immer dasselbe:
Als kritische Weiterentwicklung der bürgerlichen Vernunft
apostrophiert,
desavouiert sich der identitätslogische Anbau an der modernen
Theoriearchitektur nicht etwa als transzendierende Kritik, sondern
regelmäßig
als ein immanenter Widerpart. Dieser Reduktionismus blamiert sich
insbesondere
in der Krise des warenproduzierenden Patriarchats. Der westliche
Linksradikalismus, der statt der Fundamentalkrise überall
„Chancen“ und
„Aushandlungsoptionen“ wittert, hat die
realgeschichtlichen Metamorphosen der
Aufklärungsvernunft nicht überwunden, welche vielmehr
zum unhinterfragbaren
Selbstverständnis sedimentierte. Der weithin
neoliberalisierten Linken scheinen
sich quasi naturwüchsig neue Alternativen zu
eröffnen: „Aufklärung“ versus
„Gegenaufklärung“,
„Vernunft“ versus „Unvernunft“,
„Liberalismus“ versus
„Volkstum“ etc., wobei, der
identitätslogischen Versessenheit folgend, erstere
gerne dem „rationalen Westen“ und letztere
irgendwelchen „irrationalen Banden“
zugeordnet werden, wodurch der eigene männlich-westliche,
weiße Standpunkt
wieder mal fein raus ist.
Einer
derart
verkürzten „Ideologiekritik“ muss die
„Postwachstumsbewegung“ als Wiederkehr
eines ausgemacht völkischen Denkens gelten.
Schließlich operieren ihre
VertreterInnen nicht nur mit einem positiven Naturbegriff,
darüber hinaus
verweisen die diversen Begründungsmodi eines
„falschen Wachstums“ auf eine
strukturell antisemitische Ideologie, deren Ursachendiagnostik
bezüglich der
Krise sich ausschließlich auf das dämonisierte
Finanzkapital und den
inkriminierten Zins kapriziert. Für die assoziative
Grundgesinnung des
postmodernisierten Linksradikalismus bedürfte es hierbei
keinerlei
dialektischer Begründung mehr, zumindest dort, wo derartige
Sachverhalte noch
einem Anspruch der Kritik unterliegen: Naturversessenheit und
struktureller
Antisemitismus – na, wenn das kein völkisches Denken
ist... Allerdings
handelt es sich hierbei um einen
Trugschluss. Denn dass struktureller Antisemitismus und ein
problematischer
Naturbegriff gleichwohl zu Bestandteilen liberaler Gesinnung gerinnen
können,
soll an ausgewählten Texten jener
„Postwachstumsbewegung“ rekonstruiert werden.
In diesem Sinne wird der erste Teil des Vortrags einen erkenntnis- und
ideologiekritischen Durchgang durch zentrale Referenztheorien der
Postwachstumsideologie (Immanuel Kant/ Silvio Gesell) versuchen, um den
gemeinsamen epistemologischen Bezugsrahmen einer liberalen Zins- bzw.
Geld„kritik“ offenzulegen, um sodann ihre zentrale
Kategorie in den Fokus zu
rücken: Die Natur. Auch weitere wichtige Aspekte der
Postwachstumsbewegung
(Regionalwährung, quasi subsistenzwirtschaftliche
Arbeitsformen, neue Maßstäbe
des Wachstums etc.) werden dabei einer Kritik unterzogen und in den
Kontext der
Fundamentalkrise gerückt, deren konstitutiver
Bedingungszusammenhang für jene liberale
„Kritik“ des Wachstums evident ist.
Zum Tagungsort
Butenschoen-Haus (Protestantisches Bildungszentrum, Landau),
Wegbeschreibung
Butenschoen-Haus
Luitpoldstraße 8
76829 Landau
Tel.: 06341-9685590
Anfahrt
mit dem Auto:
Von
der A
65, Abfahrt Ausfahrt Landau-Nord, L 512/ Neustadter Straße,
Nordring,
Eichbornstraße Luitpoldstraße
Anfahrt
mit der Bahn:
Landau
Hbf, weiter mit dem Stadtbus (Linien 523, 521, 542) zur
Haltestelle
Messplatz/Universität. Von dort Richtung Westen, über
den Nordring in die
Eichbornstraße, zweite Straße rechts in die
Luitpoldstraße. Das
Butenschoen-Haus befindet sich am Ende dieser Straße.
Fußweg ca. 7 Min.
oder
Landau Hbf. weiter mit der Bahn zu
Bahnhof Landau West,
danach Fußweg von der Westbahnstraße nach Osten in
die Straße An 44, links in
den Nordring / weiter in die Eichborn, zweite
Straße rechts in die
Luitpoldstraße. Das Butenschoen-Haus befindet sich am Ende
dieser Straße.
Fußweg ca. 12 Min.
Teilnehmerkosten pro Person mit Übernachtung und
Verpflegung
Freitag bis Sonntag:
Doppelzimmer m. Dusche/WC: 110 Euro
Einzelzimmer m. Dusche/WC: 130 Euro
TN-Beiträge bitte nicht
vorher überweisen, sondern in bar
mitbringen.
Teilnahme nur am Seminar:
Tagungsbeitrag 20 Euro
Ermäßigung
Wer sich den TN-Beitrag nicht
leisten kann, muss deswegen
nicht auf das Seminar verzichten: bitte sprecht uns in diesem Fall bei
Eurer
Anmeldung wegen einer Ermäßigung an!
Anmeldung:
Per E-mail: seminar +
@exit-online.org (bitte manuell
zusammenfügen und das Pluszeichen dabei weglassen)
Per Post: Verein für
kritische
Gesellschaftswissenschaften, Hanns v. Bosse, Am
Heiligenhäuschen 68, 67657
Kaiserslautern
Roswitha Scholz für
die EXIT!-Redaktion