Daniel Späth: Querfront allerorten

Vortrag und Gespräch

Es ist noch keine fünfzehn Jahr her, dass die kategoriale Krisentheorie der Wert-Abspaltungs-Kritik innerhalb der Linken mal als abgehoben, sektenhaft oder schlicht irrational abqualifiziert wurde. Noch die scheinbar unterschiedlichsten Strömungen kamen darin völlig überein, dass die Theorie einer Entwertung der Wertsubstanz eine wilde Spekulation sei, die, abgehoben und der realen empirischen Dynamik entgegen, auf luftigen theoretischen Begrifflichkeiten basiere und keinerlei Entsprechung in der kapitalistischen Entwicklung habe. Quer durch die Bank erfreute sich die Gesellschaftskritik an der scheinbar ungetrübten Akkumulation des Weltkapitals, die sie sich ganz sicher nicht von einer radikalen Krisentheorie verderben lassen wollten. Eine Entsprechung hatte diese grundlegende Aversion gegen die Krisentheorie auch im Postfeminismus der dritten Frauenbewegung, für den ein Zerfall der Wert-Abspaltungs-Form undenkbar erschien, denn auch dieser könne ja kurzerhand dekonstruiert werden.

Doch seit der Finanzkrise von 2007/8 ist die Krise auf einmal in aller Munde, auch im Linksradikalismus. So umfassend die linke Aversion gegen die radikale Krisentheorie vor dem Ausbruch der Finanzkrise auch war, in dem neuen Geraune um die „Krisen“ nach 2008 verlängert sich nicht nur die inhaltliche Abrüstung postmodernisierter Theoriefeindlichkeit, die den fetischistischen Gesamtzusammenhang in phänomenologische Einzelkrisen auflöst; darüber hinaus zieht sich noch durch diese oberflächlichen „Krisen“-Analysen ein bürgerliches Urvertrauen hindurch, das wie jeher, und vielleicht sogar noch blindwütiger als je zuvor, an der ewigen Existenz der globalen Wert-Abspaltungs-Vergesellschaftung festhält.

Insofern konnte die linke Gesellschaftskritik vom fortgeschrittenen Ausdruck der globalen Zerfallsprozesse nur mehr überrumpelt werden: Der Faschisierung auch der westlichen Zentren des Weltkapitals. Der kleinste gemeinsame analytische Nenner, der eine anachronistische „Wiederkehr des Nationalismus“ auszumachen sich anstrengt, schrammt deshalb auch konsequent an der konkret historischen und gesellschaftlichen Kritik des Neofaschismus vorbei, der weder eine Wiederkehr noch einen Nationalismus verkörpert, sondern im Gegenteil aus der aktuellen gesellschaftlichen Tendenz eines Zerfalls nationalstaatlicher Souveränität hervorgetrieben wird.

Die wohlfeile Einrichtung der Gesellschaftskritik im postmodernen Zerfallsprozess des Kapitals, die sich bis zur Finanzkrise von 2008 noch dem relativen Spielraum des westlichen Kapitals innerhalb der fundamentalen Krise verdankte, beginnt sich bitter zu rächen, weil es unter den zunehmend verwilderten Verhältnissen keine seichte Affirmation der Wert-Abspaltungs-Vergesellschaftung mehr geben kann. Die anachronistische und theoretische Fehleinschätzung des Neofaschismus von linker Seite ist nur das Pendant einer ideologischen Barbarisierung, die allerdings Zug um Zug davon Auskunft gibt, dass die Linke dieselben theoretischen Prämissen wie der Neofaschismus teilt, auch wenn man/frau sich innerhalb dieser basalen Gemeinsamkeit um Abgrenzung bemüht – eine bestenfalls oberflächliche Abgrenzung indessen, die zunehmend in Querfrontprozesse umschlägt, die binnen weniger Jahre eine erstaunliche Verbreitung erreicht haben.

In diesem Sinne wird der Vortrag „Querfront allerorten“ versuchen, den realen gesellschaftlichen Bedingungszusammenhang der globalen Fundamentalkrise nachzuzeichnen, dessen zugespitzter Entwertungszwang den realgesellschaftlichen Hintergrund für die Neofaschisierung der westlichen Zentren abgibt. Die daran anschließende ideologiekritische Analyse des deutschen Neofaschismus wird durch eine Analyse der linken Gesellschaftskritik ergänzt werden, um sodann die nicht nur ideologischen, sondern mitunter offen praktizierten Querfrontbestrebungen zwischen rechts und links in den Fokus zu nehmen.

Siehe auch den Text QUERFRONT ALLERORTEN! Oder: Die „Neueste Rechte“, die „neueste Linke“ und das Ende gesellschaftskritischer Transzendenz aus EXIT!, Heft 14.

Zum Referent_en: Daniel Späth, freier Publizist und Redakteur der Theoriezeitschrift EXIT!, Zeitschriften-Publikationen.