Startseite Krise und Kritik der Warengesellschaft


Jörg Ulrich

Kleine magisch-religiöse Wortkunde des Kapitalismus

Der archaisch-magische Sinn des Vertriebs wird besonders deutlich, wenn man die Eigenart der Ware lebendige Arbeitskraft betrachtet. Hier müssen konkrete Menschen sich selbst bzw. den in ihrer Fähigkeit zu arbeiten sich manifestierenden "Geist" vertreiben, um ihr Leben reproduzieren zu können. Nur außerhalb ihrer selbst, im erfolgreichen Vertrieb ihrer Arbeitskraft, finden sie zu gesellschaftlich anerkannter Wirklichkeit (d.h. sie sind gesellschaftlich wirkend nur in der Form der Verausgabung ihrer Arbeitskraft) und befinden sich damit in exakt derselben Situation wie der archaische "Mensch der frühen Kulturen", der sich im Vollzug des magischen Rituals "nur in dem Maße für wirklich hält, als er aufhört, er selbst zu sein." (Mircea Eliade, Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Frankfurt am Main 1986, 48)

"Wenn in der einfachen Zirkulation der Wert der Waren ihrem Gebrauchswert gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes erhält, so stellt er sich hier plötzlich dar als eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloß Formen. Aber noch mehr. Statt Warenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt sozusagen in ein Privatverhältnis zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprünglicher Wert von sich selbst als Mehrwert, als Gott Vater von sich selbst als Gott Sohn, und beide sind vom selben Alter und bilden in der Tat nur eine Person, denn nur durch den Mehrwert von 10 Pfd. St. werden die vorgeschossenen 100 Pfd. St. Kapital, und sobald sie dies geworden, sobald der Sohn und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr Unterschied wieder und sind beide Eins, 110 Pfd. St." (Karl Marx, Das Kapital I, MEW 23, 169 f)