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Tomasz Konicz: Am Limit. Vor 50 Jahren legte der Club of Rome seine berühmte Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft vor


Zuerst erschienen in: Konkret Nr. 3/2022. Für die Veröffentlichung auf der exit-Homepage wurde der Text geringfügig geändert

Am Limit

Vor 50 Jahren legte der Club of Rome seine berühmte Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft vor

Tomasz Konicz

Es gibt wohl kaum eine zweite, derart ambivalente Studie wie The Limits to Growth, die 1972 vom Club of Rome veröffentlicht wurde. Übersetzt in 37 Sprachen, mit einer Auflage von mehr als 30 Millionen Exemplaren, gab die in Buchform gegossene Untersuchung einem dumpfen Massengefühl, einem breiten Unbehagen am Ende des fordistischen Nachkriegsbooms einen deutlichen Ausdruck – und sie lag mit vielen ihrer Annahmen und Schlussfolgerungen schlicht falsch.

Der Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, so der offizielle Untertitel des Bestsellers, stützte mit seiner Kernaussage von der Endlichkeit der Ressourcen die Umweltbewegung, um zugleich mit dem Malthusianismus reaktionäre Ideologie zu transportieren. Die Studie hinterließ sogar ihre Spuren in den Hervorbringungen der Kulturindustrie der siebziger Jahre. In dieser Zeit entstanden zahlreiche dystopische Filme, wie etwa der Klassiker „Soylent Green“.

Studien wie Die Grenzen des Wachstums entstehen, wenn kapitalistische Funktionseliten – und um die handelte es sich beim 1968 vom italienischen Kapitalisten Aurelio Peccei gegründeten Club of Rome – in kritischer Intention über den betriebswirtschaftlichen Zeithorizont hinausdenken. Die am Massachusetts Institute of Technology unter Zuhilfenahme computergestützter kybernetischer Modelle erarbeitete Untersuchung wurde von der Volkswagenstiftung mit einer Million D-Mark kofinanziert, der Öffentlichkeit bei einer Reihe hochrangiger Konferenzen präsentiert und dank einer geschickten Werbekampagne der sehr gut vernetzten Auftraggeber rasch popularisiert. Sie gibt dem aufkommenden ökologischen Unbehagen einen Ausdruck, ohne den Kapitalismus infrage zu stellen, was auch an den teils rätselhaften Handlungsempfehlungen deutlich wird: Vielfältige „menschliche Bestrebungen“ trieben demnach die Ressourcen- und Überbevölkerungskrise an, die nicht mehr mit „rein technischen, wirtschaftlichen oder gesetzlichen Maßnahmen“ gelöst werden könne, was „ganz neue Vorgehensweisen“ erforderlich mache, die „anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände“ abzielen müssten.

Es sind wohl gerade solcherlei schwammige Formulierungen, die den Welterfolg des Buches zusätzlich beförderten: Jeder konnte sich damit arrangieren, den Gemeinplätzen abstrakt zustimmen, ohne sich belästigt oder zu irgendwas verpflichtet zu fühlen. Insbesondere das arrivierte linksliberale Bürgertum liebt diesen unverbindlichen Seelenbalsam, wie es die Schlagzeilen der „Zeit“ („Die Erde zuerst“) oder des österreichischen „Standard“ („Die schwierige Suche nach einem Gleichgewicht“) anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Grenzen des Wachstums illustrieren.

Den positivistischen Kern der Studie bilden bis ins 21. Jahrhundert reichende Zukunftsszenarien, die einen gesellschaftlichen Kollaps aufgrund der Überausbeutung endlicher Ressourcen prognostizieren. In den Schlussfolgerungen heißt es, die anhaltende „Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen“ würde dazu führen, dass die „absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht“ würden, was zu „einem ziemlich raschen und nicht aufhaltbarem Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität“ führen werde. Die ökologischen Kapazitätsgrenzen der Erde würden durch Übernutzung der Ressourcen immer weiter absinken, die Bevölkerungsanzahl aufgrund eines Trägheitseffekts noch steigen, bis diese Entwicklung zu einem „Kollaps“ führe.

In der Einleitung preisen die Studienautoren ihre damals neuartigen Modelle „formaler und mathematischer Art“ an, die mit mühsam zusammengetragenen Daten gefüttert wurden, um sie anschließend mit Computern, deren bescheidene Rechenkapazität heute von jeder Smartwatch bei weitem übertroffen wird, für die kommenden Dekaden zu extrapolieren. Die einzelnen Bestandteile der Modelle, wie Bevölkerungsentwicklung, Geburtenrate, Industrieproduktion, Nahrungs- und Ressourcenverbrauch werden gar nicht als soziale Phänomene in ihrer inneren Widersprüchlichkeit wahrgenommen, sondern gehen als verdinglichte Faktoren, als bloße Wachstums- und Zahlenwerte in die Berechnung ein. Das Kapital als destruktive Dynamik verschwindet in einem positivistischen Zahlenmeer, bis das Wirtschaftswachstum als bloße Folge des Bevölkerungswachstums erscheint.

Die Studie Die Grenzen des Wachstums war tatsächlich wegweisend. Sie war in gewisser Weise Vorläufer der unzähligen computergestützten Modellstudien, die seither alltäglich vom Wissenschaftsbetrieb fabriziert werden; und die sich in den vergangenen Dekaden gerade an der Prognose des Klimawandels so furchtbar blamierten, da dessen durch Kipppunkte geprägte Dynamik sträflich unterschätzt wurde. In ideologischer Hinsicht nahm sie aber auch die Ambivalenz der Umweltbewegung vorweg, die stets eine offene Flanke fürs Reaktionäre hatte. Das wird immer dann deutlich, wenn „der Mensch“ an sich für die ökologischen Folgekosten des spätkapitalistischen Betriebs verantwortlich gemacht wird.

Aus heutiger Perspektive ist überdies klar, dass eine zentrale Grundannahme von Die Grenzen des Wachstums schlicht falsch ist: Es ist nicht allein die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen, die die ökologischen, äußeren Grenzen der Verwertungsbewegung des Kapitals bildet, sondern die globale Klimastabilität. Öl und Kohle werden trotz wachsender Förderkosten noch immer massenhaft abgebaut, während sich die Klimakrise zuspitzt und globale Kipppunkte des Klimasystems überschritten werden. Die epochemachende, richtige Konklusion des Club of Rome, wonach endloses Wachstum in einer endlichen Welt unmöglich sei, beruht auf falschen Prämissen.

Beim genauen Blick auf die Bevölkerungsentwicklung der vergangenen Dekaden wird schließlich deutlich, wie falsch der Club of Rome bei der Verknüpfung von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum lag. Die größte Zunahme des Ressourcenverbrauchs fand in den vergangenen Jahrzehnten nicht in den Ländern der Peripherie statt, die das größte Bevölkerungswachstum verzeichneten, sondern in den westlichen Zentren des Weltsystems und in Schwellenländern wie China, die eine prekäre kapitalistische Modernisierung durchliefen - bei stagnierenden Geburtenzahlen. Die zunehmende Ressourcenverbrennung ist somit nicht Ausdruck des Bevölkerungswachstums, sondern der uferlosen Verwertungsbewegung des Kapitals, das in seiner Dynamik als „automatisches Subjekt“ faktisch als Weltverbrennungsmaschine fungiert. An der Ideologie eines industriellen Malthusianismus, der Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum miteinander verbindet, hält der Club of Rome übrigens weiterhin fest. 2016 schlug der Elitezirkel vor, kinderlosen Frauen zum 50. Geburtstag 80.000 US-Dollar auszuzahlen.

Mit der ideologisch verzerrten Wahrnehmung der ökologischen Grenzen des Kapitals, auf die hinzuweisen trotz allem das historische Verdienst der Studie bleibt, korrespondierte von Anfang an eine falsche, mitunter reaktionäre Kritik. Nicht nur der Ökonom und Nobelpreisträger Paul A. Samuelson stellte die Existenz von Grenzen des Wachstums rundweg in Abrede, wobei die technische Innovationsfähigkeit des Kapitals und die Marktregulierung durch den Preismechanismus der damals noch verstörenden Idee einer ökologischen Schranke kapitalistischen Wachstums entgegengestellt wurde. Gerade der Verweis auf das ideologische Fundament der Studie, den Malthusianismus, gepaart mit der üblichen Kritik an vermeintlich apokalyptischen Vorstellungen, ermöglichte es vielen Medien, auch die Schlussfolgerung des Berichts zu verwerfen. Der „Spiegel“ bezeichnete die Studie in einem Verriss etwa als „Weltuntergangs-Vision aus dem Computer“, und der „Economist“ schrieb unter Verweis auf Malthus von einer „Hochwassermarke altmodischen Unsinns“.

Die linke Kritik am Club of Rome blieb häufig ebenfalls verkürzt; sie konzentrierte sich zumeist auf Hinweise, dass die Studie die sozialen Folgen der prognostizierten Ressourcenkrise ignoriere und Macht- sowie Klassenfragen bezüglich der globalen Ressourcenverteilung ausblenden würde. Eine grundsätzliche Kritik der sozioökologischen Widersprüche des Verwertungsprozesses brachte sie dagegen nicht zustande. Diese Traditionslinie einer mitunter offen reaktionären, linken Pseudo-Opposition, die vor einer kategorialen Kritik kapitalistischer Vergesellschaftung zurückschreckt, erstreckt sich bis in die Gegenwart.

Statt den kapitalistischen Wachstumswahn radikal in Frage zu stellen, wird - immer häufiger im Schulterschluss mit der sozialen Demagogie der Neuen Rechten - die soziale Frage gegen die Klimafrage diskutiert oder die überfällige Debatte über eine Systemtransformation durch stupide, sozialdemokratische Verteilungsdebatten abgeblockt. Der Mär von einem „grünen Kapitalismus“ wird das sture Festhalten am selbstzerstörerischen fossilen Kapitalismus entgegengesetzt.

Wie indes das Kapital mit verkürzter Kritik umzugehen versteht, macht im „dystopischen“ Jahr 2022 der Onlineshop Soylent.com deutlich, der ein Nahrungskonzentrat feilbietet, das alle Nährstoffbedürfnisse des gestressten Geeks abdecken soll. Grünes Soylent ist in der Geschmacksrichtung Pfefferminz-Schoko zu haben.




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