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Interview mit Roswitha Scholz: "Ich will weder Beruf noch Familie"


»Ich will weder Beruf noch Familie«

Frauen zählen zu den besonderen Verlierern der Pandemie und der Anti-Corona-Maßnahmen. konkret sprach darüber mit der freien Publizistin und Redakteurin der Theorie-Zeitschrift »Exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft«, Roswitha Scholz

Konkret: Eine Krise wie die Corona-Pandemie verschärft gesellschaftliche Ungleichheiten generell, inwiefern trifft sie die Frauen?

Roswitha Scholz: Der Kernpunkt ist, dass bei diesem Lockdown die Kitas zu waren und dass es Frauen waren, die neben der Arbeit zu Hause, zum Beispiel im Home-Office, die Kinder beaufsichtigt und die Hausarbeit gemacht haben. Männer machen anscheinend im Home-Office die Tür einfach zu, und die Kinder bleiben draußen. Ich habe auch gelesen, dass Frauen, die eh meistens in Teilzeit beschäftigt sind, ihre Berufstätigkeit zurückgefahren haben. Zu 25 Prozent.

Das heißt, während der Pandemie fällt viel mehr unbezahlte Arbeit an, und die wird zum großen Teil von Frauen übernommen.

Das hat seine Ursachen in der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft, damit zusammenhängend in der Sozialisation von Frauen und Männern und in der übergreifenden Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, die wiederum eine sozialpsychologische Seite hat, die man nicht unterschätzen sollte. Und natürlich darin, dass Frauen sich eher für Sorgetätigkeiten zuständig fühlen und Männer für Tätigkeiten in Öffentlichkeit und Produktion.

Wenn Frauen sich nicht zuständig fühlen würden, würde die Reproduktionsarbeit bei den Männern hängenbleiben, und dann würden die die auch machen?

Wenn der Einwand gebracht wird, dass Frauen Nein sagen müssten, wird oft gesagt: »Dagegen spricht die Struktur«, das heißt: weil Frauen weniger verdienen als Männer. Aber hinzu kommt, dass Frauen die Rolle verinnerlicht haben, die aus dem alten Patriarchat in das postmoderne oder post-postmoderne Patriarchat übernommen worden ist.

Im Ernst machen Frauen in der Corona-Krise das gleiche, was sie schon davor gemacht haben, nur mehr davon.

Das stimmt. Wobei man natürlich sagen muss: Im Corona-Kontext und dem Shutdown wird jetzt etwa die Kinderbetreuung einfach wieder in die Privatsphäre verlegt. Aber diese Arbeiten wurden wie alle sozialen Sorgetätigkeiten auch professionell vor allem von Frauen erledigt.

Glauben Sie, dass Pflegeberufe auch deshalb so schlecht bezahlt werden, weil sie angeblich in der Natur von Frauen liegen?

Ja, es sind Konstruktionen und Zuschreibungen, die tief im kapitalistisch-patriarchalen System verankert sind und dazu führen, dass Produktionsarbeit oder Erwerbstätigkeit in der männlichen Sphäre verortet werden, während privat erbrachte Tätigkeiten minderbewertet werden, weil gedacht wird: Frauen sind von Natur aus so. Aber auch Frauen, die in sogenannten männlichen Berufen arbeiten, bekommen diese Abspaltung, wie ich das nenne, zu spüren und gelten als »Mannweiber« und vor allem als weniger kompetent.

Was ist Abspaltung?

Einfach gesagt heißt Abspaltung, dass Reproduktionstätigkeiten vom Wert, von der abstrakten Arbeit, abgespalten und in die Privatsphäre verwiesen werden, die den Frauen zugewiesen wird. In dem Zusammenhang entstehen ein öffentlicher und ein privater Bereich. Das Ganze hat auch eine sozialpsychologische Dimension: Aufgrund ihrer Sozialisation orientieren sich Mädchen und Jungen unterschiedlich: Männer glauben, sich von der Mutter und der Weiblichkeit abgrenzen zu müssen, Mädchen sollen sich mit der Mutter identifizieren, damit sie dann Fürsorgetätigkeiten übernehmen wollen. Dem entspricht der ganze Diskurs um Männlichkeit und Weiblichkeit.

Abspaltung bezieht sich auf eine Form von Arbeit, die nicht in die Wertschöpfung fällt?

Genau. Es ist aber nicht so, dass dieser Wert die Abspaltung beherrscht. Es besteht ein dialektisches Verhältnis: Das eine kann ohne das andere nicht sein.

Man braucht die Reproduktionsarbeit.

Ja.

Und deshalb auch einen Dummen, der sie macht.

Sozusagen.

Noch mal zur Corona-Krise: Inwiefern helfen die Maßnahmen, mit denen die Regierung die ökonomischen Folgen der Pandemie abfedern will, Frauen?

Ich muss zugeben, dass ich mich mit diesen Maßnahmen nicht beschäftigt habe. Was ich mitgekriegt habe, ist, dass das Kurzarbeitergeld für viele Frauen nicht greift, weil es für Teilzeitbeschäftigungen nur selten bezahlt wird. Und was den Pflegebereich angeht, hat man den Frauen ein paar vegane Würstchen angeboten (lacht) - ich meine damit die Prämien. Ich glaube nicht, dass »Frauenarbeit« nach der Pandemie großartig aufgewertet wird. Es wird eher so sein, dass weiterhin Staatskredite aufgenommen werden, sich Finanzblasen bilden und es zu Entwertungsschocks des Kapitals kommt, und ich glaube, dass dann recht bald nicht mehr das Füllhorn ausgeschüttet wird, sondern drastische Sparmaßnahmen kommen. Dann erleben wir eine Care- Revolution ganz anderer Art: Wenn der Staat professionelle Pflege nicht mehr finanzieren kann, kommt deren Rückdelegation in die Privatsphäre, und das heißt dann noch mehr Arbeit für Frauen.

... die nicht mehr bezahlt wird.

Genau.

Wird es zu dem kommen, was Angela Merkel und Jutta Allmendinger vom Berliner Wissenschaftszentrum »Retraditionalisierung« nennen?

Wie soll das überhaupt gehen? Das Hausfrau-Ernährer-Modell ist erledigt, weil Männer die Familie von ihrem Lohn längst nicht mehr ernähren können. Das Ganze wird darauf hinauslaufen, dass Frauen fürs Geldverdienen und für die Reproduktion zuständig sind. Wahrscheinlicher als eine Retraditionalisierung ist das, was ich eine Verwilderung des Patriarchats nenne: Wenn sich patriarchale Strukturen, Institutionen wie Familie und Erwerbsarbeit, auflösen, müssen sich Männer umso mehr als Männer beweisen, und das tun sie meistens, indem sie gewalttätig gegen Frauen sind. Wenn die ökonomische Verelendung nach der Pandemie voranschreitet, könnte es sein, dass sich Frauen Reproduktionstätigkeiten und Kindererziehung vermehrt mit anderen Frauen teilen. So etwas kennt man aus den sogenannten Slums der Dritten Welt. Es ist insofern auch problematisch, wenn jetzt in der Frauenbewegung Frauensolidarität wieder propagiert wird, denn die passt in krisenverwalterische Maßnahmen gut rein: Das, was sich aus der gesellschaftlichen Situation ohnehin ergibt, machen Frauen zu ihrem Emanzipationskonzept. Mit Margarete Stokowski könnte man sagen: Frauen sind systemrelevant, aber das System ist kaputt.

Ist das Gerede von der Retraditionalisierung nicht auch insofern problematisch, als es so tut, als wären wir schon viel weiter, als wir eigentlich sind?

Auf der einen Seite ist es tatsächlich so, dass wir so tun, als wären wir weiter, als wir eigentlich sind. Im Gegensatz zu den Diskursen der neunziger Jahre wird jetzt aber sehr wohl gesehen, dass die traditionelle Rollenverteilung noch überhaupt nicht überwunden ist. Auf der anderen Seite werden als Gegenbewegung zur »Entnennung« in den Neunzigern manche Sachen heutzutage nicht gesehen. Der ganze feministische Diskurs ist ins Marxistische, man muss schon fast sagen: ins Vulgärmarxistische gekippt. Denn wir leben nicht mehr in den Fünfzigern. Das Bildungsniveau von Frauen hat sich geändert, ebenso die Möglichkeiten von Empfängnisverhütung, es gab Rationalisierungsmaßnahmen im Haushalt und so weiter. Auch die Aufteilungen in Produktions- und Reproduktionsbereich gibt es so vereinfacht gar nicht mehr. Da ist das kapitalistische Patriarchat weitergegangen.

Ist Gleichberechtigung im Kapitalismus möglich?

Ja, da habe ich Probleme mit Ihren Fragen, weil die von einer Gleichstellung in einem ganz immanenten Sinne ausgehen. Das macht auch Jutta Allmendinger, für die es den Kapitalismus in dem Sinne nicht gibt. Es gibt bei ihr keinen Kontext, in dem Geschlechterdiskriminierung stattfindet. Sie sieht alles in einer verknappten Fragestellung: Ziehen die Frauen mit den Männern gleich oder nicht? Diese Frage stellt sich in einem wertabspaltungstheoretischen Sinne gar nicht.

Gleichberechtigung im Kapitalismus ist also nicht möglich?

Nein, die ist nicht möglich. Und ich will als Frau auch nicht doppelt vergesellschaftet sein. Ich will weder Beruf noch Familie. Weder der männliche Berufs- und Karrieremensch ist ein attraktives Modell noch die Mutterschaft.

… und schon gar nicht beides. Das ist ja der reine Stress.

Das ist der totale Stress. Ich meine, da ziehen Frauen ja die totale Arschkarte.

Noch eine Frage zum Verständnis: Das »verwilderte Patriarchat«, das stellt sich ein, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse besonders schlecht sind?

Wir haben ja nicht bloß eine konjunkturelle Krise, sondern eine strukturelle. Der Kapitalismus befindet sich in einem Zerfallsprozess, und diese ganzen populistischen Geschichten in der Linken sind mir zutiefst suspekt, vor allem ihre Hinwendung zu einem kruden Klassenmarxismus, obwohl es die Arbeiterklasse in dieser Form nicht mehr gibt. Weil es kaum noch Arbeiter gibt, erklärt man einfach andere Gruppen zur Arbeiterklasse: die Obdachlosen, die Wanderarbeiter, die Dienstleistenden ... Da wird der Klassenbegriff gebeugt zugunsten einer Konstruktion gegen »die da oben«. Da heißt es dann: »Enteignet Zuckerberg« oder die mit Hedgefonds oder die, die ihre Yachten vor Saint-Tropez haben - das sind alles 0-Töne. Und das Ganze hat natürlich wieder einen antisemitischen Charakter: Zuckerberg, Wallstreet und die böse Abstraktion. Es gibt ein Manifest von Nancy Fraser, Cinzia Arruzza und Tithi Bhattacharya mit dem Titel Feminismus für die 99%, das enthält Formulierungen wie »Die Tentakeln des Finanzwesens ranken sich um das soziale Gefüge- oder vom »Pesthauch quantitativer Abstraktion« - da gruselt's mich. Das Problem ist, dass die Wertabspaltungsvergesellschaftung ein anonymer Prozess ist und man, wenn sich Panik breitmacht, Schuldige sucht, auf die man mit dem Finger zeigen kann. Das ist immer so. Nur: Die Intellektuellen machen den ganzen Zinnober mit, obwohl es ihre Aufgabe wäre klarzumachen, dass das so einfach nicht ist. Statt dessen nehmen sie diesen Quatsch in ihre Theorien auf. Ich habe den Eindruck, je stärker die Krise, desto vulgärer wird es.

Interview: Friederike Gremliza




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