Robert Kurz Deutschland, Einig Irrtum Die Wiedervereinigungsfalle und die Krise des warenproduzierenden Weltsystems 1. Der Osten hat verloren, aber der Westen hat nicht gewonnen. Nicht einmal über die Natur des sich zersetzenden Systemkonflikts herrscht mehr Klarheit. Freiheit versus Sozialismus? Arbeitermacht gegen Ausbeutung? Die Begriffe zerfallen zu Staub und enthüllen sich so als mumifizierte Ideologien, die aus der Grabkammer der versteinerten Nachkriegs-Konstellation an die frische Luft einer gänzlich veränderten weltgesellschaftlichen Wirklichkeit gebracht werden. Aber nicht nur beiderseits der Elbe denken und handeln die Protagonisten gleichsam pantomimisch weiter in den gewohnten, gespenstisch unwirklich gewordenen Posen der politischen Klasse; demoralisiert und demütig geworden die einen, mit verräterisch verzerrtem und fast ungläubigem Siegerlächeln die anderen. Worin aber besteht die fundamentale Veränderung, die sich derart dramatisch hinter dem Rücken der Galionsfiguren eines offenbar blinden und objektivierten historischen Prozesses vollstreckt hat? Konvergenztheorien haben seit langem einen immanenten Zwang zur Annäherung der sich gegenseitig scheinbar ausschliessenden Gesellschaftsformationen prognostiziert. Teils wurde diese verborgene innere Identität in den gemeinsamen naturwissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der modernen Industriegesellschaften gesehen (meistens im Kontext kulturpessimistischer Anschauungen), teils in der ökonomischen Notwendigkeit einer wechselseitigen Durchdringung von Marktmechanismen und staatlicher Regulation. Sowohl Markt als auch Staat, ebenso wie die in Bewegung gesetzten naturwissenschaftlich-technischen Agenzien, folgen jedoch einer tiefer liegenden gesellschaftlichen Basis-Logik. Deren Identifizierung als "Arbeitsgesellschaft" verweist keineswegs auf eine ontologische menschliche Grundbefindlichkeit. Denn "Arbeit" befindet sich hier immer schon in der spezifisch historischen Form einer abstrakten betriebswirtschaftlichen Vernutzung von menschlicher Arbeitskraft und Naturstoffen, wie sie allein dem warenproduzierenden System der "Moderne" inhärent ist. Die "Sowjetökonomie" hat daran gar nichts geändert, sondern dieser arbeitsgesellschaftlichen Logik des (unüberwundenen) warenproduzierenden Systems die etatistische Planung nur äusserlich aufgesetzt. Marktwirtschaft (der Oberflächenbegriff des warenproduzierenden Systems) ist abstrakte Arbeit als Selbstzweck, dargestellt in Geld. Ein genaueres Hinhören hätte schon immer erkennen lassen, dass das östliche Selbstverständnis eines "geplanten Marktes" das innere Wesen der Marktwirtschaft keineswegs transzendiert. Die Elemente der bürokratischen Staatsplanung entstammen nicht einer nach-, sondern einer vorbürgerlichen Logik, deren relative historische Sinnstiftung als gewaltsame "nachholende Industrialisierung" längst jede Legitimation eingebüsst hat. Der Export dieser in sich widersprüchlichen Formation "nachholender" bürgerlicher Vergesellschaftung in die westliche Peripherie des russischen Imperiums und speziell deren Installation im bereits hochindustrialisierten Deutschland-Ost war von vornherein kontraproduktiv und reaktionär. Von der historischen Lebenslüge ihres östlichen Pendants aber lebt die westliche politische Klasse legitimatorisch bis zum heutigen Tag; ihr vermeintlicher Sieg könnte sie in jeder Hinsicht teuer zu stehen kommen. Tatsächlich verweist der Zusammenbruch des Ostblocks auf eine tieferliegende Krisenpotenz der gemeinsamen arbeitsgesellschaftlichen Grundlagen des warenproduzierenden Weltsystems, deren schubweises Manifestwerden auch den Westen selber nicht aussparen kann. Dieser "realsozialistische" Zusammenbruch signalisiert, ebenso wie schon vorher derjenige weiter Teile der 3. Welt, keineswegs das Einmünden eines historischen Irrtums in die geschichtslose Wahrheit des Marktes, sondern viel eher die lebensgefährlich gewordene Erosion der gemeinsamen weltgesellschaftlichen Basisform. Jedes Gesamtsystem, und ein solches ist der totale Weltmarkt über alle scheinbaren Systemgrenzen hinweg, zerbricht zuerst an den Schwachstellen seiner peripheren Subsysteme. Nicht die endbürgerliche Lebens- und Reproduktionsform des totalen Marktes siegt, sondern die "nachholende" Integration des Südens und Ostens, d.h. der Mehrheit der Weltbevölkerung, in diese ausgeschöpfte und nicht mehr weiterzuentwickelnde bürgerliche Welt ist gescheitert. Und hierin liegt die Tragik der östlichen Reformer: sie möchten auch als politisch-moralische Subjekte und nicht bloss als ökonomische Entwicklungsmaschinen durch die Tür der "Moderne" treten und merken gar nicht, dass das Haus, zu dem diese Tür gehört, bereits in hellen Flammen steht. Die Arbeitsgesellschaft des warenproduzierenden Systems überholt sich selbst, weil die abstrakte betriebswirtschaftliche Vernutzungspotenz von Arbeitskraft auf dem konkurrenzwirtschaftlich erreichten industriellen Produktivitätsniveau strukturell rückläufig wird. Die Konkurrenz belohnt Steigerung der Produktivität mit überproportionaler Aneignungsfähigkeit von "Wert" (Geld) auf dem Weltmarkt; aber die daraus resultierende permanente Produktivitätssteigerung unterhöhlt gleichzeitig die weltweite Anwendungsfähigkeit von Lohnarbeit. Dieser säkulare Prozess scheint heute sein Reifestadium erreicht zu haben. Nicht mehr an der guten alten kapitalistischen "Ausbeutung" krankt die krisenhaft ins Leben tretende postfordistische Welt, sondern (die Warenproduktion vorausgesetzt) am zunehmenden Mangel derselben, vorangetrieben durch jeden neuen mikroelektronischen Produktivitätsschub. Die Zeche zahlen die "Weltmarktverlierer": Länder, Regionen, Branchen, Unternehmen, Individuen. Die von Daniel Bell prognostizierte "Dienstleistungsgesellschaft" erscheint zwar in der realen Tertiarisierung, aber in der volkswirtschaftlichen Gesamtreproduktion lassen sich die meisten "Dienste am Menschen" nicht kapitalisieren und schlagen um in "unproduktive" Finanzierungslücken. Um den Schein marktökonomischer Normalität aufrechtzuerhalten, muss weltweit durch einen historisch beispiellos sich auftürmenden Kredit- und Spekulationsüberbau "fiktiven Kapitals" (Marx) die Kaufkraft von Staaten, Unternehmen und Privaten simuliert werden. Die Kreditketten reissen notwendig zuerst in den produktivitätsschwachen Regionen des Weltmarkts. Die Schuldenkrise der 3. Welt und deren Verslumung, Deindustrialisierung und Barbarisierung findet deshalb ihre Fortsetzung im Zusammenbruchsprozess des nunmehr bereits ehemaligen Ostblocks. Das calvinistische Arbeitsethos der "Arbeiter-und-Bauern"-Mythologie blamiert sich gerade dadurch, dass der "geplante Markt" stagnativ auf niedrigem Produktivitätsniveau in der "ehrenvollen" massenhaften Arbeitskraft-Verausgabung verharrt, ohne die Tertiarisierung und mikroelektronische Umwälzung auf Weltniveau mitmachen zu können. Der vorbürgerliche Industrialisierungs-Sozialismus hat die Lohnarbeit nicht überwunden, sondern deren "Vollbeschäftigung" durch die Notenpresse bis zum unvermeidlichen Ende von Staatsbankrott und Hyperinflation simuliert. Dieser Bankrott musste früher oder später vollstreckt werden als Quittung für den Versuch, auf dem Boden des unüberwundenen warenproduzierenden Systems dessen "Zwangsgesetze der Konkurrenz" (Marx) bürokratisch substituieren zu wollen. Die künstlich subventionierte Arbeitskraft-Verausgabung unterhalb des Weltniveaus der Produktivität ist auf dem Weltmarkt "ungültig", und diese Ungültigkeit schlägt jetzt voll nach innen durch. Aber dieser Zusammenbruch sollte den Westen ebensowenig freuen wie die Krise der 3. Welt, kündigt er doch das Ende der kreditären Simulation von produktiver Kaufkraft auch im autochthonen westlichen Kapitalismus an, das schon in den Börsencrashs von 1987 und 1989, in der Krise des nordamerikanischen Junk-Bond-Marktes, im Prekärwerden der weltweiten gigantischen Immobilienspekulation (mit zunehmender Wohnungsnot als Folgeerscheinung) und in der geradezu phantastischen US-Sparkassenpleite aufgeblitzt war. Das Gebirge "fiktiven Kapitals" nicht bloss des Südens und Ostens, sondern auch des glorreichen Westens selber beginnt zu wanken. Nachdem die schon länger schwelende Krise des Südens den gesamten Osten erfasst hat, könnte sie gerade in Deutschland, an der hautnahen Berührungsstelle der Subsysteme des einen warenproduzierenden Weltsystems, in den Westen überschlagen. 2. Gerade die Wiedervereinigung, in der Treuherzigkeit des "politisch" beschränkten Bewusstseins gefeiert als Triumph der Freiheit oder (umgekehrt) resignierend akzeptiert als vermeintliche Übermächtigkeit "des Kapitals", könnte zur kritischen Masse für einen Super-GAU des warenproduzierenden Systems werden und eine Weltmarktkrise auslösen (falls sich nicht zuvor schon ein anderer Auslöser findet). Keine unerträglichere Last hätte der wunderbaren BRD aufgebürdet werden können als die Kapitulation der DDR und die Zumutung, das längst versteinerte und verkrustete Gebot des Grundgesetzes aus dem Jahr 1949 unter den Weltmarktbedingungen der 90er Jahre verwirklichen zu müssen. Es ist eine Sache, mit dem Finger auf das östliche Völkergefängnis zu zeigen und die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des "geplanten Marktes" zu beweisen; eine ganz andere Sache aber ist es, den 17 Millionen Brüdern und Schwestern wirklich die Hand zu reichen und sie an Bord der konkurrenzwirtschaftlich erfolgreichen Titanic zu hieven. Merkwürdig naiv setzt sich ein flacher Berufsoptimismus in Szene, wenn den östlichen Hilfsschülern des Kapitalismus suggeriert wird, dass ein blosser "Modellwechsel" des ökonomischen Allokationssystems ihnen per se Rettung, Wachstum und zukünftigen Wohlstand garantieren könne. Als gäbe es nicht reihenweise konkurrenzwirtschaftliche Weltmarktverlierer gerade auf der (erzwungenen) Basis des relativ "freien" Marktzugangs, und zwar keineswegs bloss in Afrika und Lateinamerika, sondern auch an der Peripherie der OECD-Länder selbst. Ja sogar Zentren wie die USA und Grossbritannien befinden sich seit langem zumindest partiell im Verlierersog der Weltmarktbewegung, mit sozialen Folgen übrigens, die denjenigen des untergehenden Ostblocks und der 3. Welt keineswegs unähnlich sind. Die Zersetzung der sozialen Architekturen ist längst auch in die Zentren der Weltmarktproduktivität vorgedrungen, die fordistische Globalprosperität nur noch historische Erinnerung. Lediglich in den Relationen und Reichweiten des Niedergangs und der Krisenprozesse unterscheiden sich die Regionen des warenproduzierenden Weltsystems. In der Montan-, Werft- und Textilindustrie gehört auch der ansonsten satte Weltmarktgewinner BRD zu den Verliererländern; da die Arbeitslosigkeit und Kapitalvernichtung aber im internationalen Produktivitätswettlauf nicht etwa unmittelbar bei den technologischen und infrastrukturellen Spitzenreitern auftritt, die zusätzliche Märkte erobern, sondern vielmehr in die Verliererregionen exportiert wird, muss sie auch dort subventioniert werden oder sekundäre Verelendungsprozesse auslösen. Die Einführung des konkurrenzwirtschaftlichen "Prinzips" im ehemaligen Ostblock kann also gar nicht als solche eine Besserung bringen, sondern nur mechanisch anzeigen, wo diese Länder vom Standpunkt der Produktivitätslogik des Weltmarkts aus real stehen: nämlich tief unten in den Randzonen der Armut. Die Wegnahme jener bürokratischen Käseglocke des "geplanten Marktes" und die Auflösung seiner Subventionsstrukturen, die den nie überwundenen Gesetzen der Vernutzung von Lohnarbeit nicht länger standhalten konnten, enthüllt nur die hoffnungslose Verrottung eines künstlich fixierten frühfordistischen und mittlerweile antiken Reproduktionsapparats. Die Weltmarktverlierer, die bisher noch nicht so genau wussten, dass sie solche sind, müssen nun ohne Erbarmen büssen. Das sagen auch wenigstens die frischgebackenen katholischen Monetaristen Polens in wünschenswerter Klarheit. Aber da die "Schocktherapie" einer Freisetzung der Konkurrenzlogik in Wirklichkeit nur den Ausbruch der Krankheit beschleunigen und deren Symptome verschlimmern kann, wird sie auch nicht zur Heilung führen. Dass es nach einer "vorübergehenden" Durststrecke zu ungeahnten Aufschwüngen und neuen "Wirtschaftswundern" kommen könnte, ist eine Fata Morgana für die Gutgläubigen. Denn erstens wären für die Erneuerung des Maschinenparks und der Infrastruktur im Sinne der "Konkurrenzfähigkeit" gewaltige Summen nötig, die kein einziges Ostblockland besitzt; im Gegenteil bahnt sich hier schon aus den Altlasten bisheriger Aussenverschuldung eine zweite Schuldenkrise an, die im Falle Polens längst gerichtsnotorisch geworden ist und wie in Afrika und Lateinamerika bereits vom Schuldenpolizisten IWF notverwaltet wird. Zweitens würde es sich dabei um zunächst für sich genommen unproduktive Investitionen bzw. um Vorauskosten handeln, die erst nach einer längeren Inkubationszeit, wenn überhaupt, zur erwünschten Konkurrenzfähigkeit führen könnten. In der Zwischenzeit, und zwar sicherlich über Jahre hinweg, müssten grosse Teile der "zunächst" einmal arbeitslos gewordenen Bevölkerung auf einem neue (berechtigte) Unzufriedenheit erzeugenden Armutslevel erst recht weitersubventioniert werden, was die gewaltigen Kosten der infrastrukturellen und maschinellen Erneuerungs-Aufrüstung des Reproduktionsapparats noch einmal gut und gerne verdoppeln dürfte. Es sei denn, eine Millionenmasse von Menschen Osteuropas könnte fünf oder zehn Jahre von der Luft und von der Liebe ihrer westlichen Beifallspender leben. Da aber soeben der "geplante Markt" an eben diesen Subventionskosten erstickt ist, bleibt einigermassen unersichtlich, woher denn die Gelder für dieses Durchhalten kommen sollten. Aus einer Eigenerwirtschaftung in den zusammengebrochenen Binnenökonomien Osteuropas jedenfalls nicht. Drittens schliesslich wäre selbst bei einem Durchpeitschen dieser logisch wie praktisch unmöglichen Wahnsinnsanstrengung, die fast schon eine Vernichtung "unnützer" Bevölkerungsteile einkalkulieren müsste, wie sie sich gegenwärtig in den Elendsgürteln der 3. Welt als grausame Realität vollstreckt, ein späterer Erfolg mitnichten garantiert. Ein Durchhungern zum auch nur bescheidenen marktwirtschaftlichen Wohlstand ist heute nirgendwo auf der Welt mehr binnenökonomisch im Rahmen einer nationalen Volkswirtschaft möglich; auch daran sind ja nicht zuletzt die "geplanten Märkte" mit ihren vorsintflutlichen Autarkietendenzen gescheitert. Die internationale Integration ist in der EG viel weiter fortgeschritten als im RGW, der kaum mehr als einen losen Verbund von stagnierenden Nationalökonomien darstellt und allein dadurch schon seinen reaktionären Charakter enthüllt. Der Prozess "negativer Vergesellschaftung" des warenproduzierenden Systems hat längst den Weltmarkt aus einer Meta-Sphäre nationalökonomischer Reproduktion in den unmittelbaren Funktionsraum vieler oder sogar der meisten betriebswirtschaftlichen Einheiten verwandelt; da dies nur die andere Seite der Produktivitätsschübe des Vernutzungsprozesses von Arbeitskraft ist, musste der "geplante Markt" auch in dieser Hinsicht sein Waterloo erleben. Die Internationalisierung der Märkte und der Arbeitsteilungs-Strukturen lässt hochwertige Industrieproduktionen nur noch zu, wenn sie auch Exportmärkte erfassen können. Ansonsten ist Deindustrialisierung die Konsequenz und damit die Belieferung des jeweiligen Binnenmarktes mit hochwertigen Produkten von aussen, die sich dann allerdings nur noch eine kleine Oberschicht leisten kann. Gerade dies muss als die wahrscheinlichste Perspektive für Osteuropa erscheinen, weil die asiatischen Newcomer sich ihren Vorsprung nicht mehr abnehmen lassen werden und der Weltmarkt eben nicht mehr beliebig aufnahmefähig ist. Jeder Vergleich des osteuropäischen "Neuanfangs" mit der westlichen (und speziell westdeutschen) fordistischen "Gründerzeit" nach dem 2. Weltkrieg lügt sich über die völlig veränderten Bedingungen des warenproduzierenden Weltsystems hinweg; stand damals im Weltmassstab der Boom fordistischer Arbeitskraft-Vernutzung in den neuen Massenindustrien noch bevor, so ist er heute bereits ausgelaufen und von der Produktivitätslogik der Konkurrenzökonomie überholt. Derselbe Grund, der zum Zusammenbruch des "geplanten Marktes" geführt hat, verunmöglicht auch gleichzeitig einen produktiven konkurrenzwirtschaftlichen "Gründerboom" des Ostens auf dem Weltmarkt. Einerseits "gilt" individuelle wie gesellschaftliche Reproduktion nur als Resultat der Vernutzung von abstrakter Arbeitskraft, andererseits "gilt" wiederum diese Vernutzung nicht, wenn sie nicht konkurrenzökonomisch "erfolgreich" auf dem Produktivitätsniveau des Weltmarkts "realisiert" werden kann; und je höher dieses Niveau geschraubt wird, desto unerreichbarer wird es für immer mehr Regionen und Firmen. Mit anderen Worten: eine immer grössere Masse von Menschen ist in der Logik des warenproduzierenden Systems schlicht "ungültig" und kann sich im Prinzip aufhängen, wofür sie sich bedanken wird. Wenn also binnenökonomische "Wirtschaftswunder" grundsätzlich unmöglich sind, die Weltmärkte aber besetzt bleiben oder "Opfer" im Massstab tiefer Verelendungsprozesse von Bevölkerungsmehrheiten über eine sehr viel längere (und eigentlich unabsehbare) Zeit abverlangen müssen, als es sich die jeweiligen "Experten" des Fetisch-Systems der Warenproduktion zu sagen getrauen: dann ist mit dem Ostblock keineswegs bloss ein durch und durch verlogener und verfaulter politischer Herrschaftsapparat kriegswirtschaftlicher Provenienz zusammengebrochen, sondern ein weiteres ökonomisches Segment des einen warenproduzierenden Weltsystems - und diesmal nicht "weit weg" auf der südlichen Halbkugel, sondern direkt vor der Haustür. Sobald die Massen des Ostens, die in den Subventionsstrukturen eines äusserlich-militärisch vom Weltmarkteinbruch abgeschirmten Industriesystems keineswegs an das Elend des Südens gewöhnt waren, bemerken werden, dass der Zusammenbruch der verhassten Regimes "dummer alter Männer" ihnen nichts weiter einbringt als den "Ungültigkeits"-Stempel des Weltmarkts auf Dauer, wird ihre eigentliche Rebellion erst beginnen: wie immer diese dann auch aussehen mag, ob als (unwahrscheinliches) zielgerichtetes Abschütteln der Warenproduktion oder als ziellose Aufstände, Pogrome, Massenfluchtbewegungen und Massenkriminalität. Medellin lässt grüssen. Der Stolz osteuropäischer Protagonisten auf ihre vermeintlichen "demokratischen Revolutionen" muss vor diesem Hintergrund als geradezu dumm und naiv erscheinen, denn mit Ausnahme Rumäniens (dort war wohl die putschende Armee der entscheidende Faktor) ist die alte politische Klasse der marxistisch-leninistischen Dracula-Regimes nirgendwo wirklich von revoltierenden Massen hinweggefegt worden. Dies wäre allerdings auch die erste Händchenhalter- und Kerzchen-Revolution der Weltgeschichte gewesen. Die eher ohnmächtige Friedfertigkeit der nur auf den ersten Blick "guten Menschen" in allen Ehren, die sich übrigens schon auf den zweiten Blick als gierig-ellbogenstossende und geifernd-gesichtslose Masse ohne eigene Subjektivität entpuppten: aber noch keine herrschende Partei oder Klasse ist jemals auf bloss passive und noch dazu hündisch nur nach anderen Herren schielende Missfallenskundgebungen ihres "Menschenmaterials" hin mit allen Anzeichen einer derartigen Selbstaufgabe abgetreten, wie sie die politisch abgelebte poststalinistische Nomenklatura Osteuropas in wenigen Wochen vorgeführt hat. Noch nicht einmal ein einziger Generalstreik war dafür notwendig. Die wirklichen Revolutionäre waren freilich ebensowenig Subjekte wie die politisch stummen und stumpfen, bar jeder Eigenständigkeit und marionettenhaft agierenden Demonstrantenmassen: nämlich Weltmarktlogik und Staatsbankrott. Die Nomenklatura ist aus demselben Grund durch den Hinterausgang verschwunden, aus dem die südamerikanischen Militärs keine besonders grosse Lust mehr zum Putschen haben. Und deswegen sind auch keine eigenständigen neuen Ideenträger aus diesen Pseudo-"Revolutionen" hervorgegangen, sondern bloss eine geklonte politische Klasse nach dem Muster der westlichen, die sich anschickt, den in vierzig Jahren angesammelten Phrasenschatz der letzteren in wenigen Monaten auswendig zu lernen und telegen nachzuplappern. Die Nachfolger der gerontokratischen Gespenster-Regimes wirken selber gespenstisch; ihre zutiefst mediokre Subalternität stempelt sie zu farblosen Sachzwang-Verwaltern und damit zu würdigen Repräsentanten einer desorientierten Masse, die ihre wirkliche Lage noch gar nicht realisiert hat. Diese vor devotem Übereifer über die eigenen Beine stolpernden politischen Butler des Westens agieren unter Bedingungen, deren Krisenpotenz noch lange nicht erschöpft ist. Dies könnte so manchen hoffnungsvollen Nachwuchskarrieren der runden Tische noch übel aufstossen, weil die erpichten mehr oder weniger Jungdynamischen nicht als Väter und Mütter eines neuen Wirtschaftswunders zu feiern sein werden, sondern nur allzubald die Austerity-Fratze demokratischer Notstandsregimes zeigen müssen. Polen war nur der Anfang. In die Freude der neuen Freiheit werden sich unaufhaltsam die Tränen der marktwirtschaftlichen Bettelarmut und neuer Massen von Erniedrigten und Beleidigten mischen, wie sie in geometrischer Progression die Slums der Weltmarkt-Gesellschaften füllen. Die demokratischen Polizeiknüppel schlagen genauso hart wie die stalinistischen, und sie stammen vielleicht sogar aus denselben Fabriken. Die westlichen Zentren konnten bisher den Prozess der Weltmarktkrise und ihrer arbeitsgesellschaftlichen Grundlagen schon nicht "draussen vor der Tür" halten, aber immerhin noch unterhalb der Schwelle offener politisch-ökonomischer Katastrophenprozesse. Die erhebliche Minderheit im Schatten sieht man nach wie vor nicht, trotz allen sozialen Geklingels. Aber mit dem Zusammenbruch der DDR ist eine völlig neue Situation geschaffen, die vielleicht aus späterer Sicht einmal als der entscheidende Dammbruch bezeichnet werden muss. Mit der Wiedervereinigung, in welcher institutionellen Form auch immer, wird die Destabilisierung in den Westen getragen. Denn die BRD erbt kein zusätzliches Pfund, mit dem sie auf den Weltmärkten zu wuchern vermag, sondern eine bereits niederkonkurrierte Konkursmasse, deren Last ihr die Luft abdrehen könnte. Das Hochrechnen von abstrakten Kennziffern vermeintlicher "Kräfteverhältnisse" (80 Millionen Einwohner, ein Sozialprodukt wie England und Frankreich zusammen) verkennt völlig die Produktivitätslogik des Weltmarkts an der Schwelle des 3. Jahrtausends. Wenn der Zugewinn von einigen hunderttausend Tonnen Schweinegülle, von "Schätzen" wie einem stinkenden Braunkohlenrevier jenseits aller profitablen Vernutzungsfähigkeit und von museumsreifem Industrieschrott die Völker Europas in Angst und Schrecken vor der "Macht" einer dann angeblich unwiderstehlichen BRD versetzt, müssen sie nicht ganz bei Trost sein. Und auch das zusätzliche "Gewicht" von 17 Millionen konsumhungrigen und erwartungsvollen, aber nicht mehr profitabel vernutzbaren Menschen fällt in eine ganz andere Waagschale als diejenige politischer oder selbst militärischer Potenz. Mikroelektronik und Tertiarisierung haben mit dem Obsoletwerden sowohl der industriellen wie der militärischen "infantristischen Basis" von blossem Menschenmaterial längst ganz andere Kriterien von "Macht" und "Erfolgspotenz" hervorgebracht als das sterbende Zeitalter der fordistischen Massenindustrien. Dass die "nationale Karte", die in ihrer "realsozialistischen" Version gerade vollkommen ausgereizt ist, nun ausgerechnet in der BRD-kapitalistischen Version einer auf viel höherer Stufenleiter in die internationalen Marktstrukturen integrierten Ökonomie plötzlich wieder stechen soll, diese fixe Idee kann nur eine Ausgeburt vergangenheits-geblendeter Hirne genannt werden, die jede neue Konstellation immer nur als Wiederholung der Geschichte begreifen können und daher stets blamabel danebendenken. Zu seinem Schaden wird "Deutschland" dies als Krise erfahren. 3. Kostenrechnungen in einer totalen Käufer- und Verkäufergesellschaft haben es gewöhnlich an sich, dass sie zu niedrig angesetzt werden. Dies dürfte auch gelten, wenn etwa die "Wirtschaftswoche" den Sanierungsbedarf der DDR mit über den Daumen gepeilten 1,3 Billionen DM beziffert. Dies wären wohlgemerkt nur die "Vorauskosten" in Sachanlagen, mit denen zunächst noch kein einziger Marktanteil erhalten bzw. gewonnen und kein einziger Mensch unmittelbar ernährt ist. Sekundäre (und begrenzte) Beschäftigungseffekte in der Bau- und Investitionsgüterindustrie schaffen das Problem dieser Vorauskosten nicht aus der Welt. Auch und erst recht für die DDR müssen sämtliche "Sanierungsgelder" in Wirklichkeit (mindestens) doppelt angesetzt werden, nämlich einmal als Kosten für Sachanlagen und zum andern als Sozialkosten aus den Sanierungsfolgen. Aber selbst diese bereits erschreckend genug ausfallende Rechnung ist noch abstrakt und eher beschönigend. Denn das Problem besteht ja vor allem auch darin, dass diese "Sanierung" eine fiktive Grösse ist und sich real ein Prozess des beschleunigten Unterpflügens der gesamten DDR-Struktur durch die Wiedervereinigung abspielt, auf den diese fiktive "Sanierung" dann treffen würde, also unter völlig veränderten, keineswegs "modellhaften" Ausgangsbedingungen. Dieser Prozess aber ist völlig blind und hat bereits begonnen, die naiven Vorstellungen der deutschnationalen "Macher" ad absurdum zu führen. Während noch die groteske Beschwörung der Ludwig-Erhard-Legende durch die Presse geistert, hat sich der vermeintliche marktwirtschaftliche "Aufbruch" bereits in einen Abschied der nun fast schon "ehemaligen" DDR-Regionen von der Struktur eines Industrielandes verwandelt. Bevor die DDR-Industrie "saniert" werden kann, wird sie grossenteils gar nicht mehr existieren. Das Gerede vom "Ausverkauf", mit dem nicht zuletzt eine desorientierte und völlig realitätsblinde Linke das andere Gerede vom neuen "Wirtschaftswunder" zu konterkarieren versucht, verkennt völlig die Tatsache, dass es in den meisten Industriezweigen der DDR gar nichts mehr aufzukaufen gibt, sondern höchstens Abriss- und Verschrottungskosten anfallen würden. "Es gibt kein Problem der DDR-Industrie", so der zynische Kommentar eines westdeutschen Firmenberaters nach einer Besichtigungs-Tournee durch die bisher dem Blick der Öffentlichkeit verschlossenen Produktions-Favelas der DDR, "das wir nicht mit dem Bulldozer lösen könnten". Nur von berufsmässigen Volksberuhigern und Schönmalern der hässlichen Realität werden solche Einschätzungen als "übertrieben" abgewehrt. In Wirklichkeit sind sie eher untertrieben. Denn wahrscheinlich sind es mehr als die bisher genannten 400 DDR-Betriebe, die allein schon aus Umweltgesichtspunkten wegen Gemeingefährlichkeit sofort stillgelegt werden müssen. Eine weitere Anzahl wird nach einer Übergangszeit aus demselben Grund folgen, wenn die EG-Umweltrichtlinien in Kraft treten und die DDR-Regionen dieses Problem nicht mehr so ohne weiteres nach dem Muster von 3.Welt-Ländern ignorieren können, da sie dann ja Bestandteil der wunderbaren BRD sein werden (was sie nicht hindern wird, zum Giftmüllplatz der Nation zu avancieren, denn das ist juristisch erlaubt). Aber diese Deindustrialisierung im Gefolge des überdurchschnittlich fortgeschrittenen ökologischen Bankrotts ist erst ein kleiner Anfang; sie wird sich rasant fortsetzen in der Gestalt ökonomischer Bankrottserien. Denn das eigentliche Massensterben der DDR-Industrie beginnt in dem Masse, wie über den Firmen und Betrieben der DDR die Weltmarkt-Konkurrenz zusammenschlägt. Schon in Polen hat die bloss binnenökonomische "Einführung" der Konkurrenzwirtschaft alle Anzeichen eines verschärften Zusammenbruchsprozesses hervorgebracht; die Massenarbeitslosigkeit ist dort bei einem erwarteten Wegbrechen ganzer Segmente der gesellschaftlichen Reproduktion bereits im Rollen. Aber Polen hat sich immerhin keineswegs als Volkswirtschaft bedingungslos dem Weltmarkt geöffnet, der Konkurrenzmechanismus bleibt insofern in vieler Hinsicht relativ beschränkt. Ablesbar übrigens nicht zuletzt daran, dass Cleverles von Neu-Unternehmern sich bitter über zu hohe Zollschranken für hochwertige westliche Güter beklagen, mit denen die polnische Industrie noch geschützt wird. Für die DDR sieht es dagegen bei einer Wiedervereinigung, und teilweise auch jetzt schon in deren Vorfeld, nicht etwa besser aus, weil sie am Herzen des grossen reichen Bruders geborgen wäre, sondern genau umgekehrt: selbst der relative Schutz, den Polen sich wie andere 3. Welt-Länder als wenigstens formell selbständige Volkswirtschaft noch leisten kann, muss wegfallen. Gnadenlos sind nicht erst vom Tage x an sämtliche DDR-Betriebe der übermächtigen Konkurrenz aus den EG-Ländern preisgegeben, vor der sie weder Mauer noch Zollschranken mehr schützen können. Vor allem aber: der grosse reiche Bruder ist selber der Mörder der DDR-Industrie. Denn gerade die westdeutsche Industrie selbst richtet im faktisch bereits inländischen ehemaligen DDR-Gebiet Verheerungen an, indem sie mit ihren Waren den Markt überschwemmt. Es gibt gar keinen ökonomischen Grund, warum sie ausser für einige High-tech-"Pralinen" und für einige verlängerte Billiglohn-Werkbänke auf dem Boden des jetzigen DDR-Gebiets produktive Investitionen im von tumben national-besoffenen Politikastern geforderten Riesenmassstab tätigen sollte, wenn sie doch diese Regionen vom Westen aus beliefern und bei Engpässen die Preise hochschrauben kann. Faktisch sind von den BRD-Konzernen bis jetzt in der DDR weniger produktive Investitionen geplant als in Brasilien. Noch nicht einmal die (marginale) Billiglohn-Option greift. Der Präsident des Wirtschaftsverbandes Gesamttextil, Wolf Dieter Kruse, erklärte ohne Wimpernzucken, dass die BRD-Textilindustrie aus Kostengründen "auch künftig mehr in Portugal ... als in der DDR" produzieren werde (Nürnberger Nachrichten v. 25.4.90). Keineswegs zufällig sind die meisten hochgelobten und scheinheilig hinausposaunten Kooperationsverträge von BRD- und DDR-Firmen von höchst einseitiger Natur: es handelt sich in erster Linie um Vertriebs- und Service-Verträge, während sich schon jetzt die DDR-Vertreter bitter und teilweise mit eisigem Entsetzen über das unverhohlene westliche Desinteresse an produktiven Investitionen beklagen. Dasselbe Bild bietet die "Gründer"-Welle von vermeintlichen DDR-Cleverles, die eine von westlichen Produktionen abhängige Dienstleistungsklitsche nach der anderen hochziehen, aber von "Grundigs" und "Nixdorfs" natürlich keine Spur. Gegen die durchweg qualitativ besseren und gleichzeitig billigeren westlichen Produkte hat die nur mit (bestenfalls) 50 Prozent der westlichen Produktivität arbeitende DDR-Industrie nicht einmal den Hauch einer Chance. Von Tomaten bis zu Radiorecordern, von Autoreifen bis zu Rasierapparaten wird ein Produktionssegment nach dem anderen ausradiert werden, vermutlich am Ende mehr als 60 Prozent der bisherigen DDR-Industrie. Dieser Prozess hat bereits begonnen. Die ersten Fabriken (Süsswaren) mussten schliessen, weitere werden folgen. Allein im März 1990 lieferte die BRD bereits nach Angaben des Wiesbadener Statistischen Bundesamts 44 Prozent mehr Waren in die DDR, während sich umgekehrt die Bezüge um 1 Prozent verringerten. Immer weniger DDR-Produkte werden den Händlern abgenommen, immer mehr DDR-Betriebe produzieren auf Halde; ihre Schliessung ist nur eine Frage der Zeit, die wesentlich kürzer sein könnte als selbst von Pessimisten erwartet: "Die Angst der Händler überträgt sich auf die Produzenten. Wer kauft ihre altmodischen und unattraktiven Produkte? >Der Inlandsmarkt<, urteilt der DDR-Unternehmenspräsident Rudolf Stadermann, >ist völlig zusammengebrochen<. Die Rundfunk- und Fernsehtechnik, die Bekleidungsindustrie und weite Teile der chemischen Industrie hätten keine Perspektive mehr, sagt Stadermann. Wahrscheinlich müssten 40 Prozent aller Betriebe in den nächsten Wochen aufgeben" (Spiegel v. 30.4.90). Bei einer Deindustrialisierung ganzer Regionen aber könnten die wenigen weltmarktfähigen "Insel"-Produktionen aus High-tech-Fabriken wie Robotron ebensowenig einen Ausgleich schaffen wie in Brasilien oder Mexiko. Es ist also völlig unerfindlich, woher denn die nach einer bloss tapfer durchzuhaltenden "Durststrecke" von nationalen Euphorikern prognostizierten zweistelligen Wachstumsraten der Zukunft für das jetzige DDR-Gebiet jemals kommen sollen. Im Gegenteil wird hier ein rapides Minus-Wachstum stattfinden, ein gigantischer Rückgang der industriellen und auch landwirtschaftlichen Produktion mit einer Halbierung oder sogar Viertelung des Sozialprodukts. Dass sogar die landwirtschaftliche und Nahrungsmittel-Produktion unter dem Ansturm westlicher Güter zusammenzubrechen beginnt, zeigt schon Monate vor dem Vollzug der offiziellen "Wirtschaftsunion" die Dramatik des irreversiblen Produktionseinbruchs: "Und subventionsgierig wie ihre westdeutschen Kollegen drohten Ost-Bauern, an den Grenzübergängen mit Traktoren den Import westlicher Schweine und Rinder zu blockieren. Schnell vergeht der Freudenrausch über die offenen Grenzen ... Schon jetzt wachsen Schweineberge und Eierhügel in der DDR, weil lieber schmackhafte West-Wurst und -Kuchen aus der Bundesrepublik gekauft werden" (Wirtschaftswoche v. 4.5.90). Weder industriell noch landwirtschaftlich hat ein konkurrenzwirtschaftliches Überleben der DDR-Reproduktionsbasis auch nur die geringste Chance; selbst wenn das erforderliche gewaltige Investitionskapital bereitstünde, was nicht der Fall ist, würde allein der zeitliche Vorlauf der stofflich-technischen Reorganisation schon einen solchen time-lag erzeugen, dass die produktive DDR-Basis trotzdem vom Markt gefegt würde. Faktisch läuft die Wiedervereinigung auf das beispiellose und krisenträchtige Grossexperiment der Verschmelzung einer Gewinner- und einer Verliererregion des Weltmarkts hinaus. Das Urteil der blinden Logik des warenproduzierenden Weltsystems kann dadurch nicht revidiert werden. Es ist, als müssten die USA die lateinamerikanischen Bankrottländer allesamt als Bundesstaaten aufnehmen und ihre eigene Binnen-Reproduktion damit belasten. 4. Gerade das linke Durchschnittsbewusstsein ist es, das die objektive Krisenpotenz der Wiedervereinigung völlig verkennt. Wie die extrem kurzsichtigen Konjunktur-Auguren und Geldanlage-Strategen der Banken vor allem auf die zunächst kurzfristig möglichen Wachstumsschübe für die BRD-Industrie (insbesondere im Konsumgüterbereich) starren, so liefert die Linke bloss das Negativbild dieser absurden Hoffnungen: ist es nicht wunderbar für "das Kapital", dass es seinen Zugriffsbereich in eine bislang "verbotene Zone" ausweiten kann, dass es sich "neue Märkte" erschliesst, dass es sich eine willfährige Billiglohn-Bevölkerung heranzüchten kann, dass damit ein Druck auf das westdeutsche Lohnniveau und ein weiteres sozialstaatliches roll back möglich wird? Keine dieser Überlegungen ist für sich genommen "falsch", aber trotzdem liefert die Einseitigkeit der Betrachtung ein völlig verzerrtes Gesamtbild. Eine zutreffende Einschätzung aber ist nur möglich vom Standpunkt einer Analyse der kapitalistischen Gesamt-Reproduktion, also des totalen ökonomischen Kreislaufs unter Einschluss der monetären Aggregate und deren Eigendynamik sowie des Staates. Eine blosse Verlängerung, Verallgemeinerung und Aufsummierung einzelkapitalistischer Profitstrategien bzw. der einzelkapitalistischen "Logik" aber ist theoretisch unzulässig und irreführend. Über diese Sichtweise jedoch kommt das platte linke Räsonnement offenbar nicht hinaus; theoretisch hat diese Beschränktheit in der Rezeptionsgeschichte des Marxschen "Kapital" übrigens ihre Wurzeln in einer Verwechslung von struktureller Basislogik des "Kapitals im allgemeinen" mit dem Standpunkt des Einzelkapitals. Was aber für die einzelne betriebswirtschaftliche Einheit "Erfolg" bedeutet, kann für die Bewegung des Gesamtkapitals zur Katastrophe werden; was kurzfristig als Boom erscheint, kann gerade mittel- und langfristig die Depression einleiten; was die Produktion ankurbelt, kann zum monetären Kollaps führen etc. Zweifellos werden einige Firmen und Konzerne sich "Rosinen" aus dem ansonsten verschimmelten Kuchen der DDR-Industrie herauspicken, d.h. eben die wenigen weltmarktfähigen Segmente aufkaufen und sich einverleiben (Robotron, Druckindustrie etc.). Ebenso zweifellos werden einige westliche Produktionsstrategien die Billiglohn-Option zu nutzen versuchen. Und zumindest die westdeutsche und westeuropäische Konsumgüterindustrie erlebt tatsächlich teilweise jetzt schon einen boomähnlichen Nachfragesog, der sich mit dem Vollzug der Währungsunion noch verstärken könnte. Aber derselbe Prozess ist es ja, der andererseits die produktive Basis der DDR-Regionen zerstört bzw. das Weltmarkt-Urteil über ihre Unterproduktivität praktisch vollstreckt. Die entscheidende Frage ist natürlich diejenige der "Finanzierung". Hier schieben sich BRD-Privatkapital und BRD-Staat gegenseitig den schwarzen Peter zu. Der Staat und seine Galionsfiguren der politischen Klasse pochen mit ideologisch treuherzigem Augenaufschlag darauf, dass die wesentliche "Sanierungsleistung" durch die Investitionen des Privatkapitals bezahlt werden und sich daraus ein Produktivitäts- und Wachstums-"Wunder" entwickeln soll, mit anschliessender "kapitalistischer Normalität" und spriessenden Staats- bzw. Sozialversicherungs-Einnahmen. Der BRD-Staat schreibt sich so bloss die Rolle eines "ersten Nothelfers" zu, wobei der Terminus der "Anschubfinanzierung" suggeriert, dass nach diesem ersten Hilfsschub der konkurrenzökonomische Wirtschaftszug im östlichen Teil Gesamtdeutschlands munter in Fahrt kommen wird. Aber das Gegenteil ist ja der Fall; die nostalgische Dampflok der in ihrer stofflichen, wissenschaftlich-technologischen Basis museumsreifen Ostwirtschaft wird gerade endgültig stehen bleiben, sobald die Schnellbahnen der Westkonkurrenz ungehindert das ehemalige Reservat des "geplanten Marktes" durchqueren können. Die Kohl, Waigel u.Co. merken gar nicht, wie ihre eigene Legitimationsideologie hier zum Bumerang wird; denn sie implizieren praktisch die Zumutung, dass das Privatkapital aus "patriotischen Gründen" gerade jener Logik zuwider handeln soll, die andererseits als historisches Erfolgsrezept und Sieger-System verkauft wird. Aber eben diese nur im negativen Sinne "erfolgreiche" Logik der Marktwirtschaft muss dazu führen, dass das Privatkapital dem Staat diesen "patriotischen" Gefallen nicht tun will noch kann, weil es, den "Zwangsgesetzen der Konkurrenz" folgend, sich nach realen Rendite-Optionen richten muss und es sich gar nicht leisten kann, derart gewaltige Investitionen in den Sand zu setzen. In den Sand gesetzt aber wären sie, weil eben der DDR-Markt vom Westen aus beliefert werden kann und zusätzliche Exportmärkte für DDR-Investitionen gar nicht existieren; auch die anderen Ostblock-Ökonomien sind ja teils zusammengebrochen, teils nach innen und aussen hochverschuldet, sodass sie selber nach dem Muster der 3.Welt-Schuldnerländer gewaltsam Importe beschränken und die Exportquote hochschrauben müssen. Alle wollen verkaufen und keiner kann kaufen. Hier schimmert wieder die Krise des warenproduzierenden Weltsystems durch, das sich selber ad absurdum geführt hat und auf allen Ebenen die nicht mehr vorhandene "produktive Kaufkraft" kreditär durch "fiktives Kapital" simulieren muss. Was aber schon die tiefste Ursache der Krisenerscheinungen selber ist, kann nicht jetzt plötzlich unter umgekehrtem Vorzeichen zum neuen säkularen Aufschwung führen. Der schwarze "Finanzierungs"-Peter wird also beim BRD-Staat hängenbleiben. Die Krise der "produktiven Kaufkraft" einer Verlierer-Region schlägt durch die Wiedervereinigung voll auf die BRD zurück in deren Gesamt-Reproduktionsprozess. Schon im Vorfeld der Währungsunion zeichnet sich in der Frage des Umtauschkurses ein unlösbarer Zielkonflikt ab: eine auch nur halbwegs tragbare Lohn- und Sozialpolitik verlangt einen 1:1-Umtausch, um neue Übersiedlerströme und einen sofortigen Totalkollaps der DDR-Regionen zu verhindern; andererseits aber wird dieser Kollaps durch denselben Umtauschkurs nur auf anderem Wege programmiert, da ein auch nur teilweises Überleben der DDR-Produktion mindestens einen 3:1-Umtausch (oder einen noch schlechteren) erfordern würde. Was nur heisst, dass dieses Teil-Überleben dann auf Löhnen unterhalb der äussersten Reproduktionsgrenze beruhen müsste. Entweder die DDR-Löhne sinken bei auf BRD-Niveau steigenden Preisen unter das Sozialhilfeniveau der BRD, oder das "Dichtmachen" der DDR-Produktion vollzieht sich in kürzestem Zeitraum. Ganz klar ist, dass dieses Dilemma allein schon auf eine tiefgehende soziale und politische Erschütterung und Destabilisierung der BRD zusteuert. Denn wie immer der BRD-Staat diesen Notstand verwalten wird, er muss (gleichgültig in Gestalt welcher Parteienkoalition) schwerste Restriktionen des Sozialgefüges riskieren und die Masseneinkommen einem unerträglichen Druck aussetzen. Rechte wie Linke haben jahrzehntelang die Stabilität und Attraktivität des Kapitalismus auf den relativen "sozialen Konsens" in den Zentren und bei den Weltmarkt-Gewinnern zurückgeführt; und jetzt auf einmal soll das aufscheinende Zerbrechen dieses "sozialen Konsens" über alle bisherigen Restriktionen der fordistischen Akkumulationskrise hinaus ein "Gewinn" für "das Kapital" sein? Die zu erwartenden brutalen Einschränkungen werden aber, abgesehen von der katastrophalen Bedeutung eines Destabilisierungsprozesses für die kapitalistischen Rahmenbedingungen, gar nicht der Kapitalakkumulation als solcher zugute kommen, sondern müssen als staatliche Abschöpfung erscheinen, um zusätzliche unproduktive Kaufkraft im grossen Massstab finanzieren zu können. Wenn die DDR deshalb zusammengebrochen ist, weil ihre Reproduktion vom Weltmarkt faktisch als "ungültig" erklärt wurde, dann ist von diesem Standpunkt aus, der sich seit der "Öffnung" unwiderruflich durchsetzt, auch das in der DDR "verdiente" Geld (sowohl Löhne als auch Gewinne, Renten, Sozialkosten usw.) ebenso "ungültig" und also "wertlos". Währungsunion heisst folglich nichts anderes, als dass das ungültige und wertlose DDR-Geld mit dem unschuldigen Porträt von Karl Marx auf einen Schlag in "zusätzliches" (von der deutschen Bundesbank in Form von Buchgeld und zusätzlich gedruckten Banknoten bereitzustellendes) DM-Geld verwandelt werden muss. Das bedeutet logischerweise, dass grundsätzlich die DM sowohl in ihrem Binnen- wie in ihrem Aussenwert früher oder später im entsprechenden Massstab "entwertet" wird, wobei diese Entwertung nur quantitativ je nach Umtauschkurs differieren würde, als solche aber unvermeidlich wäre. Schon die blosse "Anschubfinanzierung" wäre in ihren Dimensionen ein gewaltiges Entwertungspotential. Trotzdem könnte dieses verdaut werden, wenn es sich wirklich um einen einmaligen Akt handelte. Aber die Reproduktionskosten in ihrer monetären Gestalt müssen Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr unerbittlich bezahlt werden. Der die DM entwertende Umtausch muss vollzogen werden, weil die DDR in der Vergangenheit unterhalb des vom Weltmarkt gesetzten Produktivitäts- und Gültigkeits-Niveaus produziert hat. Diese Situation aber ist natürlich mit dem blossen Währungsumtausch nicht aufgehoben, sondern setzt sich nunmehr unter dem monetären Mantel der DM weiter fort. Noch einmal: selbst bei zur Verfügung stehendem Investitionskapital und selbst bei "zukünftig" gelingender Konkurrenzfähigkeit würde der unvermeidliche time-lag die vermeintliche "Anschubfinanzierung" auf Jahre hinaus fortsetzen. Wie die Dinge aber wirklich liegen, setzt sich dieser Prozess sogar auf unabsehbare Zeit fort. Es liegt also auf der Hand, dass die BRD-Notenbank ständig Geld im Massstab einer vom Standpunkt der Weltmarkt-Konkurrenz nicht mehr lebensfähigen und ausgestossenen Region mit 17 Millionen Menschen "schöpfen" muss, ohne dass dieser gewaltigen zusätzlichen Geldschöpfung eine auch nur annähernd adäquate produktive Basis entspricht. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob die DDR-Industrie nun durch künstliche Beatmung am Scheinleben erhalten wird oder gleich dichtmacht (vermutlich wird parallel in verschiedenen Sektoren beides geschehen). Im ersten Fall muss dann der BRD-Staat die undankbare Rolle des verflossenen Honecker-Regimes übernehmen und die Betriebe durch die Notenpresse und/oder im Westen zwangsweise abgeschöpftes Geld subventionieren; im zweiten Fall muss er aber eben dasselbe tun in anderer Gestalt, nämlich als Subventionierung der dann anfallenden Sozialkosten einer Massenarbeitslosigkeit, die im Unterschied zum Westen nicht einmal zu einem Bruchteil aus einem in der Vergangenheit von realer produktiver Kaufkraft abgeschöpften Sozialversicherungs-Fonds bestritten werden können, sondern bis zum letzten Pfennig vom Staat simulativ aus dem Nichts gezaubert oder wiederum der westlichen Reproduktion aus den Rippen geschnitten werden müssten. Damit aber noch bei weitem nicht genug. Reproduktionskosten fallen ja nicht nur in Form von Löhnen, Renten, Arbeitslosengeldern einerseits und Ersatzbeschaffung für den eigentlichen Produktionsapparat andererseits an (soweit er künstlich am Laufen gehalten wird), sondern auch für den Unterhalt der gesamten gesellschaftlichen Infrastruktur: von der Kanalisation bis zum Strassenbau, vom Schul- und Hochschulwesen bis zur Energieversorgung, Post, Telefonnetz, Bahn, Gesundheitswesen usw. Auch diese Kosten werden vom BRD-Staat zu tragen sein, ohne dass aus den (schrumpfenden) produktiven Sektoren der ehemaligen DDR auch nur ein annähernd ausreichender Zufluss von "reellen" Steuern aus Löhnen und real erwirtschafteten Gewinnen fliessen kann (Steuern aus vom Staat selber subventionierten Löhnen und Gewinnen sind natürlich Selbstbetrug und reiner Schein). Diese infrastrukturellen Reproduktionskosten nach der Wiedervereinigung sind gleich dreifach prekär: erstens, weil sie wie gezeigt grösstenteils ohne produktive steuerliche Abschöpfungsmöglichkeiten als reine Subventionskosten erscheinen; zweitens, weil es auch hier nicht bloss um Erhaltungs-, sondern um gewaltige Sanierungs-Kosten geht, da die gesamte Infrastruktur der DDR sich als im höchsten Grade verrottet herausgestellt hat bis hin zu extremen ökologischen Dringlichkeitsfällen; drittens schliesslich, weil die BRD auf diesem Gebiet eigentlich selber einen hohen, nur mühsam aus dem produktiven Reservefonds abzuschöpfenden Investitionsbedarf hat (allein die seit Jahren hinausgeschobene Erneuerung des grossenteils noch aus der Jahrhundertwende stammenden Kanalisations-Netzes würde einen dreistelligen Milliardenbetrag erfordern, den die Gemeinden trotz der Gewinner-Position der BRD insgesamt nicht aufbringen können). Schliesslich muss die Bundesbank zu allem Überfluss auch noch direkt oder indirekt die Schulden der bisherigen DDR in DM umsetzen; dies gilt, in welcher Relation auch immer, sowohl für die innere Verschuldung des alten DDR-Staates und der DDR-Betriebe als auch für die DDR-Aussenverschuldung (hinzu kommen auch noch politisch abzutragende Lieferverpflichtungen der DDR in die RGW-Länder und vor allem in die Sowjetunion, die mit Monopoly-Spielgeld wie z.B. "Transferrubeln" statt mit wirklichen Devisen abgegolten werden, deren Produktionskosten aber plötzlich ebenfalls in DM erscheinen). Alle Schulden stellen aber gleichzeitig anderswo Guthaben dar, und so muss die BRD auch noch den erst bevorstehenden eigentlichen Bankrott-Vollzug der DDR bezahlen, der ironischerweise gleichfalls als zusätzliche DM-Geldmenge in Umlauf kommt. Das ist wirklich der komfortabelste Bankrott der Weltgeschichte, in dem es sich nicht nur lohnt, Schuldner, sondern sogar Gläubiger zu sein. Alles in allem baut also die nach der "Anschubfinanzierung" notwendigerweise unbegrenzt weiterlaufende unproduktive monetäre Subventionierung der ehemaligen DDR ein Entwertungspotential der DM auf, das eine Inflation von Dimensionen programmiert, wie sie bisher nur in 3.Welt-Ländern oder etwa in Polen und Jugoslawien bekannt sind. Diese Inflationierung könnte sogar ziemlich rasch manifest werden, da sich ja die riesige zusätzliche DM-Geldmenge nicht in den Spekulations-Überbau zurückziehen und dort "parken" kann (wie es sich gegenwärtig noch teilweise mit der ohnehin schon weit über die produktive Basis hinaus aufgeblähten Geldmenge der westlichen Industrieländer verhält), sondern unmittelbar in Nachfrage verwandelt werden muss. Unproduktiver staatlicher Finanzierungsbedarf und als Kehrseite eine heisslaufende zusätzliche Scheinkonjunktur vor allem der Konsumgüterindustrie konstituieren eine Inflationsspirale mit allen Konsequenzen. Natürlich begeistert es die Manager der Industrien, die zusätzliche Nachfrage auf sich ziehen können, wenn die monetäre Simulation des Staates solche Absatzmöglichkeiten schafft, selbst wenn dieselben Leute als volkswirtschaftlich "Gebildete" bedenklich die Köpfe schütteln. Diese Schizophrenie ist ja ohnehin konstitutiv für das bürgerliche Bewusstsein. Zunächst werden tatsächlich Wachstum und Gewinne durch die Inflationskonjunktur angeheizt, wenn sich zusätzliche Güter produzieren und verkaufen lassen, vom Fernseher bis zur Kanalisationsröhre. Das dicke Ende aber kommt nach, wenn sich herausstellt, dass diese zusätzliche Nachfrage nicht auf "produktiver Kaufkraft" beruht hat, d.h. nicht auf einem im Sinne des warenproduzierenden Systems "reell" verdienten Geld. Dieselben Gründe, die zur zusätzlichen Anheizung der Konjunktur geführt haben, besorgen dann deren "Overkill". Der Staat weiss natürlich um das Prekäre seiner nichtigen Geldschöpfung durch die Notenpresse und muss diese zu begrenzen suchen. Schon eine Teilfinanzierung durch zusätzliches Abschöpfen aus dem scheinbar "reell" erwirtschafteten Lohn- und Gewinn-Fonds des exportweltmeisterlichen Westens aber bringt nicht nur die soziale und politische Destabilisierung, sondern muss gleichzeitig zur Konjunkturbremse werden durch Verminderung der westlichen Binnenkaufkraft. Erst recht gilt dies für die notwendig einsetzenden Versuche des Staates, einen weiteren Teil seines Finanzierungsbedarfs für die Subventionierung der einverleibten DDR durch Abschöpfen aus dem "parkenden" Geldkapital privater Spargelder, Firmenvermögen und betrieblicher Kassenhaltung mittels Anleihen zu decken. Schon jetzt ist diese Karte durch die Altlasten der Staatsverschuldung eigentlich ausgereizt, weltweit sind hier die Grenzen erreicht. Die BRD aber muss durch die Wiedervereinigung ihre diesbezügliche Position im hinteren Mittelfeld verlassen und sich in die Spitzengruppe der Staatsverschuldung katapultieren. Die logische Folge sind explosionsartige Zinssteigerungen, die dann wiederum den längst überfälligen "Overkill" der Konjunktur besorgen würden. Denn die rasch fortschreitende Zinssteigerung für staatliche Bonds muss das Zinsniveau insgesamt nach oben hieven, sodass sich die Kosten auch für produktive Sachanlagen und ebenso für Konsumkredite galoppierend verteuern, weil eben nicht beliebig viel Geldkapital gesamtgesellschaftlich zur Verfügung steht und die Sparquote ohnehin weltweit wie auch in der BRD gesunken ist. Während die Wohnungsnot weiter wächst, nicht zuletzt durch die Migrationsbewegungen von Ost nach West, schnellen die Kreditkosten für Baugeld schon jetzt in die Höhe und müssen die mühsam aufgepäppelte Baukonjunktur trotz staatlicher Förderungsprogramme (die ihrerseits wieder unproduktive Kosten darstellen) zum Erliegen bringen. Und während die Industrie immer noch im Brustton eines moralischen patriotischen Optimismus zur produktiven Investition im Osten aufgefordert wird, rechnen sich bei unaufhaltsam steigenden Zinsen aufgrund des wuchernden staatlichen Finanzierungsbedarfs schon bald mit zusätzlicher Potenz die unproduktiven Portfolio-Investitionen auf dem Finanzmarkt weit besser als die Erweiterung produktiver Anlagen selbst im Westen, was der Konjunktur den Rest geben dürfte. Indem der Staat, monetär in die Enge getrieben durch die Einverleibung der bankrotten DDR, so einerseits notgedrungen die Inflation hervorruft durch das Anwerfen der Notenpresse und sie andererseits verzweifelt zu bremsen sucht durch Steuererhöhung, Sozialstaats-Drosselung, verstärkte Anleihen und damit Zinserhöhung, könnte die darin liegende Gefahr einer neuen Stagflation bald umschlagen in die Realität einer Gleichzeitigkeit von Depression und Hyperinflation, wie sie gegen alle Lehrbuchweisheit Argentinien oder Jugoslawien bereits vorexerziert haben. Schon jetzt hat die blosse Aussicht auf zukünftig rapide steigenden Finanzierungsbedarf des Staates die Umlaufrendite in die Höhe getrieben und die Kurse der festverzinslichen Wertpapiere in den Keller fallen lassen, bis hin zur akuten Schieflage einiger Banken, wie hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde. Erst recht werden die Zinsen der Staatspapiere explodieren, wenn sich dieser Finanzbedarf schubweise realisiert. Damit aber schnappt dann die Wiedervereinigungsfalle endgültig zu, Gesamtdeutschland wird zur prominenten Krisenregion und der patriotische Schein zukünftiger Superprosperität löst sich auf in Heulen und Zähneklappern. 5. Die Wiedervereinigung als ökonomischer, sozialer und politischer Katastrophenprozess wäre freilich kein isoliertes deutsches Binnenphänomen, sondern würde nur wie in einem Brennglas den globalen Widerspruch des warenproduzierenden Weltsystems bündeln. Der rasche Vollzug der Krisenpotenz im unlösbaren Gegensatz von Produktivitätsniveau und Marktlogik, in der unproduktiven Simulation von Kaufkraft auch für den Westen bis jetzt durch immer neue Kreditketten von "fiktivem Kapital" bloss hinausgeschoben, würde im deutschen Binnenraum nur den Verlauf für die westlichen Länder insgesamt vorexerzieren. Wenn nämlich die Weltmarktkrise durch den Panthersatz der Wiedervereinigung endgültig über den Zaun der OECD gesprungen ist, können die Auswirkungen nicht auf Deutschland beschränkt bleiben. Wie das deutsche Reich schon von jeher seit der forcierten Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts eine Exportnation war, so hat auch die BRD ihren Aufschwung nach der Weltkriegsepoche in erster Linie einem fulminanten Exporterfolg zu verdanken. Die Öffnung der Weltmärkte durch die neue Hegemonialmacht USA hatte eine beispiellose Expansion und internationale Verflechtung von Weltproduktion und Welthandel zur Folge. Aber mit dem krisenhaften Ende des fordistischen Paradigmas der Arbeitsgesellschaft spaltete sich diese globale Prosperität zunehmend in Überschussproduzenten einerseits und Defizitimporteure andererseits auf, um durch den kreditfinanzierten ungesunden Aufschwung der 80er Jahre in eine wahre Defizitorgie im Weltmassstab zu münden. Schon die Schuldenkrise der 3. Welt hatte als erster Akt des Weltmarkt-Dramas ein Ausbluten vieler Länder des Südens durch den Zwang zu permanenten Exportüberschüssen für die Schuldenbedienung zur Folge. Seither hat jedoch der Weltmarktprozess der 80er Jahre diese erste und nach wie vor gänzlich ungelöste Schuldenkrise in den Hintergrund treten lassen, weil sich inzwischen innerhalb der OECD selber zwei wesentlich gefährlichere Defizit-Kreisläufe gebildet haben, und zwar ein pazifischer und ein europäischer. Hier hat sich das Verschuldungsproblem auf brisante Weise im Vergleich zur 3. Welt umgekehrt, weil die Überschussländer selber die Gläubiger sind. Wie Japan die USA aus den Gewinnen der Exportüberschüsse jeweils vergangener Reproduktionsperioden kreditär künstlich ernährt, so die BRD grosse Teile Westeuropas. Zugespitzt könnte man sagen, dass die beiden protzigen und dem Rest der Welt weit davongeeilten Exportwalzen mittlerweile ihre eigenen immer neuen "Erfolge" finanzieren, was logischerweise nicht allzu lange gutgehen kann. Im Grunde genommen heisst dies nämlich nichts anderes, als dass sich, wie schon eingangs kurz erwähnt, in einer Meta-Dimension des globalen warenproduzierenden Systems längst ein ganz ähnlicher Prozess der Simulation produktiver Kaufkraft vollzogen hat, wie er schon den Süden und Osten ruiniert hat und jetzt im deutschen Binnenraum sich anbahnt. Auf dieser Meta-Ebene des internationalen Systems ist die vermeintlich produktiv erwirtschaftete Kaufkraft der Weltmarktgewinner plötzlich ebenso unproduktiv simuliert, mit einer Meta-Krisenpotenz, die logisch auf denselben Gründen beruht wie diejenige der bisherigen Verlierer und des kommenden deutschen Binnen-Szenarios. Gelegentlich wird hier von "merkantilistischen Dauerüberschüssen" gesprochen. Das stimmt einerseits, aber im wirklichen historischen Merkantilismus des 18. Jahrhunderts hatten Exportüberschüsse noch den Zufluss von Gold (und somit von realer Wertsubstanz) aus den Defizitländern zur Folge, was diesem Spielchen relativ enge Grenzen setzte. Nirgendwo ist aber heute eine "Umkehr" der Güterströme in Sicht, die jemals wieder einen relativen Ausgleich bewirken könnte, während das noch nicht einmal mehr papierene Kredit-Gebirge sich im Geflüster der elektronischen Buchungsimpulse unaufhaltsam weiter auftürmt. Die gegenwärtige vermeintliche Dauerkonjunktur des Westens, die diesem und speziell der BRD den rotbackigen Schein der Prosperität und Überlegenheit verleiht, damit aber auch die hanebüchenen Widersprüche der Wiedervereinigung übertüncht, könnte so eher eine krebsartig wuchernde Scheinkonjunktur genannt werden, weil Arbeitskraft und Material eben mittels international "simulierter Kaufkraft" vernutzt werden, die in Wirklichkeit gar keine produktive Basis mehr in vergangenen Reproduktionszyklen besitzt. Der einzige Unterschied zu den diversen nationalen Simulationsprozessen von Binnenkaufkraft besteht eigentlich in der grösseren Reichweite und Verdecktheit dieser über das internationale Finanzsystem vermittelten Simulation. Die Situation des Weltmarkts, in dessen Funktionsräume eingeschlossen sich die deutsche Wiedervereinigung vollzieht, ist also weitaus prekärer als zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts, und eine neue Rezession hätte ganz andere Folgen als damals. Hinsichtlich der BRD selbst ist dies ziemlich klar empirisch zu belegen. Bewegte sich der durchschnittliche jährliche Handelsbilanzüberschuss stark fluktuierend zwischen 1972 und 1982 bei 33 Milliarden DM (gerade Anfang der 80er Jahre waren es bloss magere 9 Milliarden DM in der damaligen beginnenden Rezession), so betrug er im Schnitt von 1983 bis 1989 schon phantastische 100 Milliarden DM, und zwar mit ununterbrochen steigender Tendenz bis einschliesslich des ersten Quartals 1990. Das eigentliche Argument aber lässt sich aus der Kapitalbilanz in diesem Zeitraum ablesen. War diese unter grossen Schwankungen im Schnitt von 1970 bis 1982 mit 1,7 Milliarden DM noch positiv, hatte die BRD also insgesamt mehr Zu- als Abfluss von Geldkapital zu verzeichnen, so ist sie seitdem mit drastischen Steigerungsraten negativ, und zwar schon zwischen 1983 und 1987 mit einem Schnitt von etwa 50 Milliarden DM; mittlerweile ist das Minus bei gut 100 Milliarden DM angelangt. Nahezu exakt die gleiche Menge an Geldkapital fliesst also jährlich in Form von Auslandskrediten aus der BRD ab, die umgekehrt als Gewinn aus Exportüberschüssen verdient wird, und hilft so direkt oder indirekt, diese letzteren zu finanzieren. Nun handelt es sich jedoch bei dieser Grössenordnung von 100 Milliarden DM wiederum exakt um jenen Betrag, wie er jährlich mindestens nach verschiedenen und voneinander unabhängigen Berechnungen vom Tage x der Wiedervereinigung an in die DDR fliessen müsste; nach allem bisher Gesagten dürfte selbst diese Summe noch zu niedrig gegriffen sein. Kein Wunder, dass die staatlichen Hüter der BRD-Ökonomie in ihrer sich schon abzeichnenden Wiedervereinigungs-Not nach diesem alljährlich abfliessenden Kapital begehrlich zu schielen beginnen. Scheint doch dessen "Umlenkung" in die DDR die BRD-Reproduktion nicht unmittelbar zu beeinträchtigen und einen Grossteil der Last abnehmen zu können. Die mehrfach wiederholte Argumentation des Altkeynesianers Schiller und von Bundesbankpräsident Pöhl, die mit diesen ominösen 100 Milliarden DM wie mit einer frei verfügbaren Summe operieren, könnte sich aber als gewaltiger Bumerang erweisen. Denn sehr wohl würde die "Umlenkung" dieses Geldkapitals krisenhaft über die internationalen Vermittlungen auf die "Exportweltmeisterei" der BRD zurückschlagen. Nicht bloss der miserable Zustand der DDR-Industrie und binnenökonomische Gründe bzw. Rendite-Optionen, sondern noch weitaus mehr prekäre aussenwirtschaftliche Abhängigkeits- und Verflechtungsverhältnisse sprechen gegen die Möglichkeit einer "Umlenkung" des privaten Kapitaltransfers der geforderten Dimension in die ehemalige DDR. Natürlich sind es nicht makroökonomische bzw. auf den Gesamt-Reproduktionsprozess des Kapitals bezogene Erwägungen, die "private Anleger" an einem solchen Umdirigieren des Kapitaltransfers hindern. Auch auf der internationalen Ebene handelt es sich immer um knallharte Rendite-Gesichtspunkte. Ein Teil jener 100 Milliarden DM fliesst in Form von Direktinvestitionen dorthin, wo sich die grossen Absatzmärkte befinden, also nicht zufällig weder in die 3. Welt noch gen Osten, sondern in die USA und nach Westeuropa. Diese Direktinvestitionen, grossenteils von BRD-Exporteuren aus strategischen Gründen vorgenommen, um auf ihren wichtigsten Auslandsmärkten auch binnenökonomisch präsent zu sein, könnten nicht abgezogen werden, ohne eben diese strategischen Positionen an die japanische Konkurrenz usw. zu verlieren. Ein solcher "Patriotismus" müsste als ein herostratischer erscheinen. Ein anderer Teil, und mittlerweile vielleicht der grössere, fliesst in den internationalen Spekulationsüberbau und wird dort von den grossen westlichen Defizitländern angesaugt (vor allem von den USA und Grossbritannien, aber auch einem Grossteil der anderen EG-Länder) und über verschiedene Kanäle wieder als simulierte Kaufkraft teilweise in die dadurch weiterlaufende internationale Scheinkonjunktur eingespeist, teilweise in den Spekulationssektoren "geparkt". Ein Abziehen dieser Gelder hätte durch Verminderung des Kreditvolumens ähnliche krisenhafte Wirkungen, was aber im Unterschied zur Rolle der Direktinvestitionen nicht so unmittelbar ersichtlich ist; dieses private Kapital aber könnte ebensowenig durch patriotische Appelle umgelenkt werden, sondern nur durch höhere Rendite-Verlockungen (mit dann freilich denselben objektiven Krisenfolgen für den internationalen Kreditüberbau). Das Geldkapital ist eben nicht patriotisch, sondern längst internationalisiert; und dies durch die Finanzinstrumente der "Euromärkte", der Defizit-Kreisläufe und weltumspannenden Spekulationssektoren in einem Masse, dass alle früheren nationalen Beschränkungen spätestens in den 80er Jahren endgültig gesprengt worden sind. Der BRD-Staat kann also nicht mit scheinheiligem Patriotismus an die privaten Anleger jener 100 schönen, jährlich abfliessenden Milliarden DM gegen die Logik der internationalisierten Finanzmärkte appellieren, sondern muss selber als "ganz normaler" Nachfrager nach Geldkapital auf diesen Finanzmärkten in Konkurrenz zu den anderen Nachfragern treten. Nun hat Bundesbankpräsident Pöhl zwar auch in dieser etwas nüchterneren Hinsicht locker festgestellt, dass der BRD (als Exportweltmeister) ja gewiss "die Kapitalmärkte der ganzen Welt offenstehen" (Spiegel 9/1990). Aber dieses Argument wird erst recht zum Bumerang. Pöhl lässt hier den kleinen Unterschied ausser acht, dass es sich dann ja nicht mehr um eine für den Staat "belastungsfreie" blosse Umlenkung von (scheinbar) überschüssigem BRD-Geldkapital handelt, sondern um eine nunmehr internationale Verschuldung des BRD-Staates, die als Belastung auf die deutsche Binnen-Reproduktion zurückschlagen muss. Damit nicht genug: das Herausbrechen dieses Geldkapitals aus dem delikaten internationalen Kreditüberbau durch den sich international verschuldenden BRD-Staat hätte dieselben Krisen-Auswirkungen auf dieses Kreditgebirge wie die Umlenkung des privaten deutschen Überschusses an Geldkapital, ja sogar noch schlimmere. Denn der bisherige Grosskreditgeber BRD würde dann nicht bloss ausfallen, sondern nach den USA, Westeuropa etc. zu einem weiteren Kredit-Staubsauger werden, der das Geldkapital der ganzen Welt anzieht, und somit in schärfste Konkurrenz zu den USA und den übrigen Grossschuldnern der Welt treten müssen. Selbst bei Einsicht in die Krisenpotenz dieser Option würde diese aber trotzdem vollstreckt werden, weil dem deutschen Staat gar nichts anderes übrigbleibt. Er wird die monetäre Vernichtungskonkurrenz nach aussen ungeachtet der Folgen aufnehmen müssen, nach dem alten Motto, dass das Hemd näher ist als der Rock, und seine auf die Zerreissprobe zusteuernden Widersprüche zu exportieren suchen. Womit sich der innere Widerspruch nicht nur als äusserer darstellt, sondern gleichzeitig der innere Widerspruch auf der Meta-Ebene des Globalsystems mobilisiert wird. Der Erscheinung nach wäre das Resultat ganz zwangsläufig ein "crowding-out-Prozess" der internationalen Finanzmärkte, ein gnadenloser neuer Zinswettlauf der konkurrierenden Kredit-Nachfrager, der nicht nur der 3. Welt endgültig den Garaus machen und die jetzt noch boomende OECD-Scheinkonjunktur auslöschen, sondern auch der Reihe nach den Kollaps der westlichen Grossschuldner (USA, Grossbritannien, Italien, Spanien, Griechenland etc.) einleiten würde. In diesen Strudel würde dann natürlich auch Japan gerissen, das noch weitaus mehr als die BRD auf gewaltigen Auslandskrediten sitzt und dessen einseitige Exportabhängigkeit von den USA sich beim Einsturz des weltweiten Kredit- und Spekulationsüberbaus noch wesentlich katastrophaler auswirken muss (falls nicht die japanische Spekulationsblase, die grösste von allen, schon vorher von sich aus platzt und dann der Krisenprozess der Wiedervereinigung nicht mehr Auslöser, sondern bloss noch Folgeerscheinung und Verlaufsform der Weltmarktkrise wäre). Schon hat Frankreich nach den USA und Italien schwere Bedenken gegen die BRD hinsichtlich der Gefahr eines Zinswettlaufs geäussert; schon zeigen die iberischen Länder grösstes Unbehagen über eine drohende "Umlenkung der Kapitalströme". Die wiedervereinigungstolle BRD könnte sich in kürzester Zeit mit einer Kreditkrise auch ihrer westeuropäischen Schuldnerländer und Exportstützen konfrontiert sehen. So oder so: "Deutschland" ist nichts als ein trauriger Irrtum. Traurig, weil die Hoffnungen und Wünsche so vieler Millionen desorientierter Menschen des Ostens grausam enttäuscht und die schon aufscheinenden Barbarisierungspotentiale weiter entfaltet werden müssen. Nach vierzig Jahren eines grauen Kasernen-Sozialismus werden diese Massen nicht ins gelobte Land des in Wirklichkeit sterbenden Konsumkapitalismus, sondern in die hereinbrechende und vielleicht von ihnen selber bewusstlos ausgelöste Weltmarktkrise als doppelte und dreifache Verlierer entlassen. Ein Irrtum, weil die politische Klasse jeglicher Couleur tolpatschig in Kategorien weiterdenkt, die eigentlich schon mit dem Zweiten Weltkrieg ihre historische Schranke gefunden haben und nach der jahrzehntelangen Unterbrechungs-Starre des sich nunmehr auflösenden Ost-West-Konflikts nicht mehr aufblühen, sondern nur noch endgültig in der Geschichte verschwinden können. Der Weltmarktprozess hat längst Verhältnisse geschaffen, die Lichtjahre entfernt sind von nationalstaatlicher Binnengemütlichkeit. "Wiedervereinigung", das ist weder eigenständig erkämpftes Freiheitsglück noch die Wiedergeburt einer preussischen Gefahr, am allerwenigsten der wiedererwachende Ungeist eines Vierten Reiches, sondern viel eher ein entscheidender Schub in der subjektlosen Krise jener vom Marktprozess des warenproduzierenden Systems blind geschaffenen Einen Welt. Also vielleicht der Auslöser für das endgültige Obsoletwerden der arbeitsgesellschaftlichen Grundlagen einer "Moderne", die neben grossartigen Errungenschaften gleichzeitig Weltkriege, soziale und mittlerweile auch ökologische Katastrophen, und als Übergangserscheinung in ihrem Durchsetzungsprozess auch Nationalstaaten und eine nationale Ideologie hervorgebracht hat. Der Internationalismus des Geldes hat die antiquierten Nationen überholt, aber die Produktivitätslogik der blinden Konkurrenz hat die arbeitsgesellschaftliche Basis des Geldes überholt. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist so nur symbolischer Akt für die krisenhafte Wiedervereinigung der Welt. Sie wird keinen Prozess einer Metternichschen Restauration einleiten, sondern die Lösung von Grundfragen einer auf Weltebene vergesellschafteten Menschheit erzwingen, die mehrheitlich nicht mehr in die betriebswirtschaftliche Vernutzungsmaschine des warenproduzierenden Systems integriert werden kann. Oder sie wird den Untergang in der sekundären Barbarei beschleunigen, in dem dann freilich auch die kapitalistische Reproduktion zerschellt. In jedem Fall: die nationale Krähwinkeligkeit der "Politik" kann sich vor der Weltgesellschaftlichkeit des "Ökonomischen" nur noch blamieren. Angesichts dieser Krisen- und Destabilisierungs-Potentiale ist sogar noch nicht einmal der Vollzug der "politischen" Wiedervereinigung im staatlich-institutionellen Sinne nach den zu erwartenden Friktionen der Währungsunion wirklich sicher. Den dümmsten Part in dieser undurchschauten Tragikomödie spielt allerdings eine Linke, die das Ganze als Siegeszug der kalten Krieger missversteht und den Galionsfiguren der politischen Klasse, die sich tatsächlich als von der selbstläufigen Entwicklung Übertölpelte auf einen abenteuerlichen Parforceritt eingelassen haben, ausgerechnet eine lang geplante "Eroberungs"- und Eingriffsstrategie zutraut. Gründlicher hat noch kein politischer Sonntagsjäger und kein theoretischer Amateurastrologe vorbeigetroffen. |