Wert-Abspaltung, Geschlecht und Krise des KapitalismusInterview von Clara Navarro Ruiz mit Roswitha ScholzAuf Spanisch erschienen in Constelaciones. Revista de Teoría Crítica, Nr. 8-9 (2017) 1. Wir möchten zunächst einige Momente Ihres Werdegangs den iberoamerikanischen Lesern vermitteln. Welche Erfahrungen während Ihrer Studiumszeit waren für Sie bestimmend? Wie ist Ihre Politisierung verlaufen? In welchem sozialen Kontext? Welche theoretischen Referenzautoren bzw. Inhalten waren in diesem Verlauf wichtig? Gab es Brüche? Wie sind sie zur Krisis-Gruppe zugestoßen bzw. wie waren Sie an ihrer Gründung beteiligt? Welche Bedeutung hatte für Sie die Spaltung dieser Gruppe und die Gründung von EXIT!, wo Sie ihren theoretischen Ansatz der Wert-Abspaltungs-Kritik weiter entfaltet haben? Ich habe als junger Mensch seit der Pubertät viel gelesen. In den 1970er Jahren war der Zeitgeist ja links, und davon habe ich mich anstecken lassen. In meiner Jugend habe ich viele existenzialistische Texte gelesen. Vor allem Romane und Theaterstücke von Sartre, aber auch Camus. Auch das „andere Geschlecht“ von de Beauvoir habe ich gelesen. Andere Autoren z.B. waren Erich Fromm, Bertrand Russell sowie psychoanalytische Literatur zu Freud, Adler, Jung und von Wilhelm Reich. Ob ich das damals alles verstanden habe, sei dahin gestellt. Weiterhin habe ich auch feministische Literatur von Alice Schwarzer, Carla Lonzi, Shulamith Firestone, Klaus Theweleit u. ä, gelesen, aber auch Texte zur Anti-Psychiatrie (Basaglia, Szasz, Laing u.v.m.). Ich habe zwar auch eine Einführung in den Marxismus von irgendeinem polnischen Jesuitenpater, dessen Name mir nicht mehr einfällt, gelesen. Grundsätzlich identifizierte ich Marx aber vor allem mit dem Ostblock-Marxismus und mit K-Gruppen, all dies war mir zutiefst suspekt. Ich gehörte meiner Einstellung nach auf jeden Fall zur antiautoritären Linken. Ich war schon mit 17 Jahren im Frauenzentrum, allerdings war ich da eine absolute Randfigur und habe mich nicht viel zu sagen getraut. Dann habe ich den zweiten Bildungsweg gemacht und mich ein paar Jahre darauf konzentriert. Zuvor hatte ich eine Ausbildung zur Apothekenhelferin absolviert und ein paar Jahre in einem pharmazeutischen Großhandel gearbeitet. Ich komme aus der Unterschicht. In meinem Studium der Sozialpädagogik an der Fachhochschule habe ich Seminare zur Frankfurter Schule besucht. Das war etwas ganz anderes als der Marxismus des „realexistierenden Sozialismus“ und der K-Gruppen! Bald wurde mir klar, dass ich mehr von Marx wissen musste, um diese Texte verstehen zu können und so kam ich zur „Initiative Marxistische Kritik“, die einen Marx-Kurs anbot, und da war Robert Kurz eine zentrale Figur. Mittlerweile war mir eine Sponti-Linke auch fragwürdig geworden, sie konnte ihre eigenen Ansprüche nicht einlösen, z.B. alles sollte antihierarchisch und prosozial ablaufen; de facto gab es jedoch jede Menge autoritärer informeller Strukturen; es wurde freie Liebe und Sex propagiert, in Wirklichkeit behandelte man andere als Waren auf dem Liebesmarkt, sozusagen. Das Versprechen auf Emanzipation im Hier und Jetzt war eine Lüge. Wer habituell nicht in diese Szene passte (Sprache, Klamotten usw.), war faktisch ausgeschlossen. Es herrschte eine Doppelmoral. Nicht nur derartige Erfahrungen ließen mich von einer „falschen Unmittelbarkeit“ Abstand nehmen, es waren auch linke LehrerInnen an der Schule im Zuge des zweiten Bildungswegs, die mir beibrachten, dass linke Theorie notwendig und nicht nur unnützes Geschwätz ist, das zur Praxis nicht taugt. Die Beschäftigung mit Marx und der kritischen Theorie machte mir dann übrigens auch klar, wie fragwürdig der Existenzialismus ist, z. B. war für mich die Rede vom „abstrakten Individuum“ in der „Deutschen Ideologie“ – und wie es überhaupt zustande kommt – sehr erhellend. Dieses Individuum wird im Existenzialismus begründungslos vorausgesetzt. Später, als ich dann an die Universität kam (ich studierte vor allem Soziologie, Pädagogik und Philosophie, besuchte aber auch noch Seminare in anderen Fächern der Philosophischen Fakultät), habe ich dann geschaut, welche interessanten nichtmarxistischen Theorien für den Feminismus fruchtbar gemacht werden könnten. Feminismus war ein Thema, das mich schon seit der Pubertät umtrieb. Die damalige Wertkritik war dem Feminismus gegenüber, gelinde gesagt, nicht gerade aufgeschlossen. An der Uni habe ich auch etliche Seminare zum symbolischen Interaktionismus und zur Phänomenologie besucht. Letztendlich bin ich dann aber doch zu dem Schluss gekommen, dass die „Dialektik der Aufklärung“ mit ihrem Einbezug der Psychoanalyse ein Schlüsselwerk ist, an das feministische Theorie kritisch anknüpfen muss. An der Gründung der Krisis-Gruppe war ich so ob der Konflikte um den Feminismus, aber auch was Fragen des Subjekts und von Ideologie betrifft, sozusagen als Außenseiterin beteiligt. Ich ging zwar mit in die Kneipe, war aber im Gegensatz zu den Vorjahren nicht mehr in einem Arbeitszusammenhang innerhalb der Krisis-Gruppe eingebunden. Mit anderen hatte ich eine Außenseitergruppe gebildet, die jedoch nicht zur Wert-Abspaltungs-Kritik vorstieß, sondern sich im dualistischen Kosmos: Patriarchat-Kapitalismuskritik bewegte. In dieser Gruppe haben wir uns mit der Geschichte der Frauenbewegung und mit Texten zur feministischen Theorie beschäftigt. In den ersten Jahren unseres Zusammenseins gab es mit Robert Kurz immer wieder heftige Zusammenstöße, was den Feminismus betrifft. Zu meiner Verblüffung hat ihm es dann völlig eingeleuchtet, als ich ihm die These „der Wert ist der Mann“ unterbreitete. Fortan versuchte er diese These sodann in der Krisis-Gruppe, die ja aus Männern bestand, als deren Mastermind einzubringen, was ihm zu seiner Überraschung jedoch im Gegensatz zu anderen Innovationen nur schwerlich gelang. Es gab heftige Auseinandersetzungen und Widerstände. Die Wert-Abspaltungs-Kritik sollte nur als ein Aspekt der Wertkritik gelten, nicht aber als dialektisch gefasster Basiszusammenhang, wobei weder der Wert noch die Abspaltung als Ursprung auseinander abgeleitet werden sollten, also die Abspaltung dem Wert kategorial nachgeordnet ist. Dies blieb bis zur Krisis-Spaltung so. Mitte der 1990er Jahre habe ich dann intensiver mit der Ausarbeitung der Wert-Abspaltungs-Theorie begonnen. Damit war ich so gut wie allein beschäftigt. Auf der einen Seite die androzentrischen Marxisten und Wertkritiker (Robert Kurz war damals mit einer Vielzahl seiner eigenen Publikation beschäftigt, zudem hatte er von theoretischen Ansätzen, die aus feministischer Sicht für die Entwicklung der Wert-Abspaltungs-Kritik relevant waren, wenig Ahnung). Auf der anderen Seite gab es zu dieser Zeit aber kaum mehr marxistische Ansätze, feministische Theorie orientierte sich vor allem am Dekonstruktivismus einer Judith Butler; objektive Strukturen waren in dieser Diskussion kaum mehr Thema. In unserer außerwerttheoretischen Arbeitsgruppe war ich massivem Druck ausgesetzt, queertheoretische Ansätze zu berücksichtigen. Und so war ich auf die Arbeit im stillen Kämmerlein verwiesen. Gerade als Frau braucht man schon eine gewisse Standfestigkeit, „sein Ding“ durchzuziehen, wenn es große Widerstände von außen gibt. Ein bisschen, glaube ich, habe ich da auch eine Haltung verinnerlicht, die noch aus der Zeit meiner Beschäftigung mit dem Existenzialismus kam. Was die Spaltung der Krisis-Gruppe angeht, habe ich ja schon gesagt, dass es hier ein Spannungsverhältnis zwischen Wert-Abspaltungs-Kritik und der Wertkritik der Krisis-Gruppe gab. Differenzen waren dabei jedoch nicht nur inhaltlich begründet, sondern sexistische Verhaltensweisen prägten auch – wie in vielen linken Gruppen – in der Krisis-Gruppe die Gesamtatmosphäre. Dies ging so weit, dass mir ein Krisis-Mann nach einer Meinungsverschiedenheit eine Ohrfeige gab. Ich war völlig verblüfft; dass so etwas möglich ist, hätte ich nicht gedacht. Dennoch habe ich dies als Ausrutscher abgetan. Dass ich mich damals nicht stärker gewehrt habe, liegt daran, dass ich Angst hatte, die ganze Gruppe zerbricht, und wo hätte ich dann publizieren sollen? Anfang der 2000er Jahre sollte dann eine Frau aus der Redaktion ausgeschlossen werden (die neben mir als einzige noch im inneren Kern der Krisis-Gruppe vertreten war, weniger als Theorielieferantin wie ich, sondern eben als Mitglied der Redaktion), weil sie einen Krisis-Mann, der mit ihr anzubandeln versuchte, zurückwies. Nachdem sie ihm einen Korb gegeben hatte, konnte sie dieser in der Gruppe selbstredend nicht mehr ertragen, weil er sich nicht anerkannt fühlte. Dies war ein aktueller Anlass für die Spaltung der Gruppe. Teile der Gruppe machten dabei mit, andere nicht. Hinzu kam aber noch, dass Robert Kurz eine Vielzahl von Büchern und Texten seit Anfang der 1990er Jahre geschrieben hatte. War er bisher Zugpferd der Krisis-Gruppe und wurde es von ihm geradezu gefordert, gewissermaßen der „Maximo Leader“ zu sein, wurde ihm genau dies nun zum Vorwurf gemacht. Kurzum es ging, ganz wie das Klischee es will, um den Vatermord im Männerbund. Dabei wurde mir – ebenso klischeehaft – vorgeworfen, dass ich die Krisis-Gruppe kaputt gemacht hätte. Und in der Tat hatte ich in vielerlei Hinsicht aufbegehrt und so den Frieden des Männerbundes gestört. Seit der Gründung von EXIT! wird die Wert-Abspaltungs-Kritik ernster genommen und ging auch in die Selbstdarstellung ein, jedoch ist eine Neigung, insbesondere wenn Neue dazukommen – und das sind meistens Männer –, zu beobachten, die Abspaltungs-Kritik als Nebenwiderspruch zu behandeln. Im Laufe der Zeit sind wir allerdings diesbezüglich wählerisch geworden. Wenn jemand die Wert-Abspaltung nicht von vornherein als Basiszusammenhang anerkennt, wird er/sie z.B. nicht in die Redaktion aufgenommen. Deswegen nehmen wir aber trotzdem Artikel in die EXIT!-Hefte auf, wenn sie nicht strikt inhaltlich den Kriterien der „Wert-Abspaltungs“-Auflage entsprechen, aber Themen und Gedanken beinhalten, die für diese, trotz Verkürzung, interessant sind. Insgesamt gilt für uns jedoch die Wert-Abspaltungs-Kritik als absoluter Rahmen. Eine Klärung ist auch längst erfolgt, was die die Vermittlung im sogenannten Theorie-Praxis-Zusammenhang angeht. Auch dies war ein wichtiger Punkt bei der Krisis-Spaltung: Die Wertkritik sollte nun praktischer werden und die Leute in ihrem Alltag dort abgeholt werden, wo sie stehen. Bei EXIT! ist klar: Wir sind eine Theoriegruppe und sehen Theorie als eigenes Feld der gesellschaftlichen Praxis, die nicht platt und unmittelbar auf die Polit-Ebene heruntergebrochen werden kann. Wir sind keineswegs gegen ein praktisches gesellschaftskritisches Engagement – im Gegenteil – z. B. gegen neofaschistische Tendenzen, aber ein derartiges Engagement kann nicht gegen eine notwendige Theoriebildung auf einer anderen Ebene ausgespielt werden. 2. Theoretisch starke Gruppen wie EXIT! sind im spanischen Kontext außerhalb vom akademischen Rahmen schwer zu finden. Wie würden Sie den sozial-theoretischen Kontext der Gruppe EXIT! definieren, die ohne feste Bindung an sogenannte soziale Bewegungen, an parteipolitische Stiftungen oder an die Universität auskommt? Das hat nicht nur mit dem sozialen Ort der Theorie, sondern auch mit der Einfluss- und Veränderungsfähigkeit gegenüber dem Bestehenden zu tun. Es ist in der Tat so, dass es nur wenige Theoriegruppen gibt, die nicht in irgendeiner Weise einen institutionellen Background haben – heutzutage besonders. Als ich in den 1980er Jahren studiert habe, war das noch nicht ganz so. Da war noch viel vom 68er-Geist zu spüren. Marxistische Theorie auch an den Unis begann sich in den 1970er Jahren zu etablieren und hatte noch lange einen APO-Geruch. Etabliert zu sein war in der ersten Hälfte der 80er Jahre – anders als heute – eher noch verpönt. Es kann nicht sein, dass kritische Gesellschaftstheorie einem verdinglichten Universitätsbetrieb mit seinen Inhalts- und Methodenzwängen vorbehalten ist, verbunden mit karrieristischen Intentionen unter prekären Lebensbedingungen, die eine konformistische Einstellung gedeihen lassen. Es ist nicht leicht, sich als eigenes linkes Theorieprojekt zu halten, das ist nicht nur mit finanziellen Problemen verbunden (wir finanzieren uns durch private Spenden) – es wird zudem auch immer wieder von Leuten auf den Praxisbezug der Wert-Abspaltungs-Kritik gepocht. Dies ist ein strukturelles Problem, wenn man nicht an eine Universität als Theoriegruppe gekoppelt ist, was sozusagen einen legitimen Theoriebezug schon automatisch mitenthalten würde. Die meisten Theorieinteressierten in der linken Szene haben in irgendeiner Weise einen Uni-Bezug bzw. wollen in die Uni hinein – damit sind wir heute einerseits konfrontiert, andererseits mit der Forderung, praktisch werden zu sollen. Da braucht man/frau wieder einmal starke Nerven und ist eine gewisse Standfestigkeit gefordert, um den außeruniversitären Theorieanspruch durchzuhalten. Es war schon immer auch der Standpunkt der alten Kritischen Theorie, dass man auch notfalls den Mut haben muss, vor die Stadtmauern zu gehen, wenn es nicht anders geht. In diesem Sinne halte ich eine außerinstitutionelle Theoriebildung für sehr wichtig. Gerade weil es heute allzu evident zu sein scheint, dass nach Alternativen zum Kapitalismus gesucht werden muss, ist eine theoretische Distanz und eine kategoriale Einordnung der eigenen Position und Situation unerlässlich, um nicht auf Pseudokonzepte hereinzufallen, die den gesellschaftlichen Transformationsprozess nicht wirklich voranbringen, sondern ihn eher hemmen. Insbesondere nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ist die marxistische und feministische Theoriebildung handzahm geworden. Ich hoffe sehr, dass es auch in der Linken künftig zu Bewegungen von Intellektuellen kommt, die sich gegen ein universitäres oder sonst wie institutionelles Prokrustesbett wehren, in das sie eingepasst werden sollen, wenn sie eine Stelle bekommen wollen, und die es wagen, gegen den Strom zu schwimmen. Wirkliche Einfluss- und Veränderungsmöglichkeiten hat man/frau an der Uni in der Regel nicht, man/frau wird da eher passförmig gemacht und mutiert zum „Lurch“ (Horkheimer/Adorno) um der Selbsterhaltung willen. Das heißt nicht, dass man nicht auch Fremdgelder annehmen kann oder an Veranstaltungen des linken Establishments teilnehmen kann und soll, aber eben halt nicht um jeden Preis. Es mag auch Nischen im akademischen Betrieb geben, in denen auch anderes möglich ist; die Regel ist das aber nicht. Von diesen Nischen aus wäre dann Entsprechendes in die Uni zu tragen und Unruhe zu stiften. 3. Können Sie uns etwas über Ihre Zusammenarbeit mit Robert Kurz sagen? In welcher Form haben Sie sich gegenseitig in ihrer Arbeit beeinflusst und bereichert? Gab es Differenzen? Wurden sie geschlichtet? Was die Zusammenarbeit mit Robert Kurz angeht, ist es ganz einfach. Wir haben uns da nie stundenplanmäßig zusammengesetzt und strukturiert-diszipliniert diskutiert; wir haben das halt einfach gemacht. Bei uns gab es keine Zweiteilung: Hier das Leben, da unsere Theorieprojekte und die damit verbundene Zusammenarbeit. Die gegenseitige Korrektur der Texte war manchmal durchaus konfliktreich, wir sind aber humorvoll damit umgegangen und haben das dann „Keifen am Computer“ genannt. Was aber nicht stimmt, ist, dass Robert Kurz und ich mehrere Bücher gemeinsam geschrieben hätten, wie es im Wikipedia-Eintrag zu mir steht. Wir haben unsere Texte separat verfasst und dann stand eben das „Keifen am Computer“ an. Abends haben wir dann entspannt bei einem Glas Wein über alles Mögliche diskutiert und uns auf diese Weise – auch in der Kontroverse – beeinflusst. Wir hatten ja unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte. Grob gesagt war der Themenschwerpunkt von Robert Kurz Ökonomie und Politik und der meine Feminismus, „Rasse“, Klasse, Geschlecht und „Subjekt“. Atmosphärisch wichtig waren dabei unsere Katzen – aber das führe ich hier nicht weiter aus. Unser Leben wurde dabei nicht selten – auch im Krisis-Zusammenhang – kritisch beäugt. Wir hatten keine Kinder – das ist doch irgendwie unnatürlich und der arme Robert Kurz musste immerzu mit seiner Frau diskutieren, nicht einmal in einer separierten Privatsphäre war es ihm vergönnt, sich zu erholen! Dass Theoriebildung nicht einfach nur Mühe und Plage ist, sondern wie auch bei Marx, trotz vieler Kinder, Leidenschaft sein kann, können manche Leute einfach nicht verstehen, ganz besonderes, wenn Frauen diese Einstellung haben. Inhaltliche Differenzen zwischen Robert Kurz und mir gab es freilich. Am Anfang unserer Beziehung betraf dies vor allem die Themen Feminismus, Subjekt und Ideologie (s.o.). Ein kontroverses Thema Anfang der 1990er Jahre war die Einschätzung des nun Wellen schlagenden Rassismus und Antisemitismus. Es gab Tendenzen bei Robert Kurz zu sagen, diese seien heute im Verfallsprozess des Kapitalismus zu verstehen; für mich hingegen war es ebenso wichtig, derartige Tendenzen in einem länderspezifischen Kontext zusehen, also was Deutschland betrifft: Die Nazi-Herrschaft und der Holocaust sind zu berücksichtigen. Ich habe dazu dann einen Krisis-Artikel: „Die Metamorphosen des teutonischen Yuppie“ geschrieben und darin auch Krisis-Positionen kritisiert. Während Kurz diesen Artikel akzeptiert und goutiert hat und später etwa im „Schwarzbuch“ die Spezifität Deutschlands im Prozess der Modernisierung hinsichtlich des Holocausts einordnete, gab es im übrigen Krisis-Zusammenhang heftige Abwehrreaktionen gegen diesen Text, wobei zu sagen ist, dass heute, nach der Spaltung, die Krisis-Homepage voll mit Texten ist, die genau einen strukturellen Antisemitismus aufs Korn nehmen, was ehedem in der Diskussion des damaligen Textes heftig bestritten wurde. Schriftliche Belege dieser Auseinandersetzung gibt es freilich nicht. Aber die damalige Auseinandersetzung mit mir wird mit keinem Wort erwähnt, man(n) scheint diese These höchstselbst schon immer vertreten zu haben. Ein Konfliktfeld in der Beziehung zwischen Kurz und mir war in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzung mit den sogenannten Antideutschen in der ersten Hälfte der 2000er Jahre. Kurz war sehr wütend über deren bellizistische Haltung und hat dann mit allen möglichen Zeitschriften gebrochen, in denen er bis dahin regelmäßig publiziert hatte. Zu den Antideutschen hat er dann ein ganzes Buch geschrieben; das wäre m.E. nicht nötig gewesen – zwei, drei grundsätzliche Artikel hierzu hätten m.E. genügt. Heute verstehe ich seine Erregung von damals etwas besser, der Irakkrieg hat ja nicht einmal sozusagen systemimmanent etwas gebracht. Viele Menschen sind dabei umgekommen, wobei er auf falschen Fakten basierte, was die Waffenarsenale betrifft, wie selbst Colin Powell im Nachhinein zugab. Außerdem bereiteten derartige Eingriffe erst recht den Boden für den islamischen Staat, wie breit durch die Presse ging. Dennoch denke ich, eine derart intensive Beschäftigung von Robert Kurz mit den „Antideutschen“ wäre nicht nötig gewesen. Um mit ihnen nicht verwechselt zu werden – auch sie haben ein wertkritisches Fundament, wenngleich auch ein anderes als die Wert-Abspaltungs-Kritik (dem kann hier nicht nachgegangen werden) – hätten auch einige wenige Texte genügt. Eine andere Differenz zwischen mir und Kurz betraf die Frage, ob auch vormoderne Gesellschaften Fetischgesellschaften sind oder ob der Fetischismus sich auf moderne Gesellschaften bezieht. Kurz vertrat ersteren Standpunkt, ich den letzteren. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Feuerwaffen im Konstitutionsprozess des kapitalistischen Patriarchats die zentrale Rolle einnehmen, die Robert Kurz ihnen zuschreibt. Es gab noch weitere Differenzen, die ich hier nicht alle im Einzelnen beschreiben kann. In unserem gemeinsamen Zusammenleben waren diese halt einfach da. Das war dann halt einfach so. Damit konnten wir umgehen, sie waren nicht so dramatisch, dass sie eine Zentrifugalkraft entwickelt hätten. Einmal hat Robert Kurz zu mir gesagt, er könne nicht mit einer bayerischen Monarchistin zusammen sein; da haben wir freilich beide herzlich gelacht. Im Großen und Ganzen haben wir aber an einem Strang gezogen. Kurz war neben der Kritischen Theorie Adornos das zweite wesentliche Standbein der Wert-Abspaltungs-Kritik. Die Wert-Abspaltungs-Kritik hätte es auch nicht gegeben, wenn Kurz als Leader of the Krisis-Gang sie nicht – gegen allen Widerstand in diesem Zusammenhang – massiv unterstützt hätte. Sie war so letztlich auch ein wesentlicher Grund der Krisis-Spaltung, auch in der unmittelbaren Praxis des wertkritischen Männerbundes als Widerstand gegen ihren Inhalt. Außerdem muss man/frau sehen, dass Kurz die heutige desolate Krisenlage in der Welt richtig prognostiziert hat. Heute wird vielfach vom Ende des Kapitalismus gesprochen, dafür ist Kurz vor noch nicht allzu langer Zeit häufig für verrückt und als nicht-ernst-zu-nehmend erklärt worden. 4. Der Ansatz der Wert-Abspaltungs-Kritik ging von der Unvollständigkeit der Wertkritik aus. Um es schlicht und einfach zu sagen (und ohne einzelne kritische Äußerungen der EXIT!-Gruppe in Betracht zu ziehen), stellt diese in Mittelpunkt ihrer Kritik allein die Kategorie der Arbeit als eines sozialen Verhältnisses und eines zentralen Begriffs der warenprodukzierenden Gesellschaft. Der Kapitalismus ist als gesamtzivilisatorisches Ganzes und zugleich partikulares und historisches Gebilde zu verstehen. Dies bedeutet schon eine entscheidende Korrektur gegenüber dem um den Mehrwert und seine Verteilung/Aneignung zentrierten, traditionellen Marxismus. Ihrerseits haben Sie die These entwickelt, dass die Durchsetzung der Wertdynamik notwendig von einer "Spaltung" der Reproduktionsarbeiten und des traditionell mit diesen Arbeiten assozierten "Weiblichen" begleitet wird. Können Sie die zentralen Elemente dieser These und ihrer Entfaltung erläutern? Ich gehe dabei davon aus, dass nicht bloß der Wert als automatisches Subjekt totalitätskonstituierend ist, sondern es muss gleichermaßen dem „Umstand“ Rechnung getragen werden, dass im Kapitalismus auch Reproduktionstätigkeiten anfallen, die vor allem von Frauen erledigt werden. Dabei meint „Wert-Abspaltung“, dass im Kern weiblich bestimmte Reproduktionstätigkeiten, aber auch damit verbundene Gefühle, Eigenschaften und Haltungen (Sinnlichkeit, Emotionalität, Fürsorglichkeit u. ä.) eben vom Wert/Mehrwert abgespalten sind. Die weiblichen Reproduktionstätigkeiten im Kapitalismus haben so einen anderen Charakter als die abstrakte Arbeit, deshalb können sie auch nicht umstandslos unter diesen Begriff subsumiert werden; es handelt sich um eine Seite der kapitalistischen Gesellschaft, die durch das marxsche Begriffssystem nicht erfasst werden kann. Diese Seite ist mit dem Wert/Mehrwert zusammen gesetzt, gehört notwendig zu ihm, andererseits befindet sie sich jedoch außerhalb davon und ist deswegen seine Voraussetzung. (Mehr-)Wert und Abspaltung stehen so in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Das eine kann nicht aus dem Anderen abgeleitet werden, sondern beide gehen auseinander hervor. Insofern kann die Wert-Abspaltung auch als Metalogik begriffen werden, die die ökonomischen Binnenkategorien übergreift. Die Kategorien der politischen Ökonomie reichen jedoch auch noch in anderer Hinsicht nicht aus; die Wert-Abspaltung muss auch als ein spezifisches soziopsychisches Verhältnis gefasst werden. Bestimmte minderbewertete Eigenschaften (Sinnlichkeit, Emotionalität, Charakterschwäche u. ä.) werden eben vom männlichen Subjekt abgespalten und in die Frau projiziert. Derartige geschlechtsspezifische Zuschreibungen charakterisieren wesentlich die symbolische Ordnung des kapitalistischen Patriarchats. Es gilt somit beim kapitalistischen Geschlechterverhältnis über das Moment der materiellen Reproduktion hinaus sowohl die sozialpsychologische als auch die kulturell-symbolische Dimension zu berücksichtigen. Gerade auch auf diesen Ebenen erweist sich das kapitalistische Patriarchat als gesellschaftliche Totalität. Bei der Wert-Abspaltung, begriffen als gesellschaftlichem Basiszusammenhang, ist jedoch entscheidend, dass es sich nicht um eine starre Struktur handelt, wie in manchen soziologischen Strukturmodellen, sondern um einen Prozess. Dabei ist davon auszugehen, dass ein Widerspruch von Stoff (Produkte) und Form (Wert) krisentheoretisch gewissermaßen das Gesetz ist, das letztendlich zu Reproduktionskrisen und zum Zerfall /Zusammenbruch des Kapitalismus führt. Schematisch ausgedrückt wird die Wertmasse pro einzelnem Produkt immer kleiner. Die Folge ist ein Produktenreichtum, wobei die Wertmasse gesamtgesellschaftlich schmilzt. Entscheidend ist hierbei die Produktivkraftentwicklung, die wiederum mit der Ausbildung und Anwendung der (Natur-)Wissenschaft zusammenhängt. Mit der mikroelektronischen Revolution (die heute in der „Industrie 4.0“ kulminiert) wird, im Gegensatz zum Zeitalter des Fordismus, in dem die relative Mehrwertproduktion durch den zusätzlichen Bedarf an Arbeitskräften zur Mehrwertgewinnung kompensiert wurde, nun die abstrakte Arbeit obsolet. Es kommt zu einer Entwertung des Werts und einem Zusammenbruch des (Mehr-)Wert-Verhältnisses, wobei Robert Kurz schon 1986 geschrieben hat, dass man sich diesen Zusammenbruch nicht als einzelnen Akt vorstellen darf, auch wenn plötzliche Einbrüche, z.B. Bankenkrachs, Massenpleiten durchaus dessen Bestandteil sein werden, sondern als einen historischen Prozess, eine ganze Epoche von vielleicht mehreren Jahrzehnten, in denen die kapitalistische Weltökonomie aus dem Strudel von Krise und Entwertungsprozessen, anschwellender Massenarbeitslosigkeit usw. nicht mehr herauskommt. Heute ist längst deutlich geworden, dass nicht nur die eben durch diesen Prozess vermittelte Verunmöglichung der Erzielung von Rendite durch Mehrwertgewinnung zu einem Ausweichen auf die Spekulationsebene, sondern die damit verbundene Dynamik zum Verfall des Kapitalismus geführt hat. Diese Struktur und Dynamik muss nun jedoch gemäß der Wert-Abspaltungs-Kritik modifiziert werden. Die Abspaltung ist keine statische Größe, während die Wertlogik das dynamische Moment darstellt, sondern sie ist selbst in dialektischer Weise dieser zugleich vorgelagert und ermöglicht den prozessierenden Widerspruch erst, weshalb auch von einer prozessierenden Wert-Abspaltungslogik ausgegangen werden muss. Die Abspaltung ist so an der Eliminierung lebendiger Arbeit zutiefst beteiligt. Dabei veränderte sie sich in diesem Prozess auch selbst. Gerade in den Naturwissenschaften, deren Anwendung im Produktionsprozess die Produktivkraftentwicklung im Kapitalismus erst ausmacht, aber auch der Herausbildung der Arbeitswissenschaft, bei der es um die optimale Steigerung der Effizienz und rationellen Organisation des Produktionsprozesses geht (Stichwort Taylorismus), waren eine Abspaltung des Weiblichen und entsprechende Frauenbilder geradezu die stumme soziopsychische Voraussetzung ihrer Existenz, die auch auf der symbolisch-kulturellen Ebene ihren Ausdruck finden (Frauen sind weniger rational, schlechter in Mathematik und den Naturwissenschaften als Männer u. ä.). Aber nicht nur in naturwissenschaftlichen, philosophischen, theologischen usw. Diskursen seit der Neuzeit zeigt sich eine Abspaltung des Weiblichen, vielmehr realisierte und materialisierte sich diese Zuordnung in der fordistischen Phase selbst, durch die Abspaltung des Weiblichen bedingt, indem nun der Mann zum Familienernährer und die Frau zur Hausfrau in der durchgesetzten Kleinfamilie, zumindest dem Ideal nach, wurden. Je mehr sich die gesellschaftlichen Verhältnisse versachlichten, desto mehr griff eine hierarchische Geschlechterdichotomie real. Voraussetzung der Produktivkraftentwicklung, die das kapitalistische Patriarchat mit seinem „prozessierenden Widerspruch“ erst begründet und als solches deren Entwicklung erst hervorbringt als entscheidende Bedingung für die Produktion von relativem Mehrwert, und dass die Schere zwischen stofflichem Reichtum und Wertform schließlich immer mehr aufgeht, ist eine solcherart bestimmte Abspaltung des Weiblichen. Versachlichung und die Herausbildung hierarchischer Geschlechterverhältnisse bedingen sich historisch-prozessual gesehen so und sind gerade kein Gegensatz. Eine solcherart bestimmte Abspaltung des Weiblichen als Voraussetzung der Produktivkraftentwicklung führte nun schlussendlich zur mikroelektronischen Revolution, die nicht nur die abstrakte Arbeit, sondern auch klassisch-moderne Geschlechtsmuster und die Hausfrau ad absurdum führte. Die Ausweitung ehedem privat erbrachter Reproduktions-, Fürsorge- und Caretätigkeiten, die nun in den professionellen Bereich überführt wurden, ist dabei ökonomisch gesehen ein Bestandteil der Krise, da die Mehrwertmasse umverteilt werden müsste, um diese zu finanzieren; es gibt diese Möglichkeiten vor dem Hintergrund des prozessierenden Widerspruchs und eines an die Grenzen gekommenen Kapitalismus aber gar nicht mehr. Es entsteht somit auch ein Reproduktionsdefizit, wenn Frauen derartige Tätigkeiten nicht mehr erledigen können, weil sie doppelt belastet, also für Familie und Beruf gleichermaßen zuständig sind. Professionell erbrachte Pflege- und Fürsorgetätigkeiten kommen dabei auch an qualitative Grenzen, da sie sich gegen Effizienzgesichtspunkte weitgehend sperren, auch wenn sie beruflich tatsächlich oft im Carebreich oder ähnlichen Dienstleistungen landen. Frauen sollen heute im Prinzip Arbeit aller Art annehmen, auch eine bislang männlich konnotierte, auch wenn sie dabei faktisch noch immer für den Carebereich auch in der Privatsphäre zuständig sind. Die Abspaltung ist somit keineswegs verschwunden, was sich z. B. auch in geringeren Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen zeigt. Dabei ist überhaupt zu betonen, dass die Wert-Abspaltung nicht in den aufgespaltenen Sphären Privatheit und Öffentlichkeit sitzt, wobei Frauen der Privatsphäre und Männer der öffentlichen Sphäre zugeordnet werden (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft usw.). Vielmehr geht die Wert-Abspaltung durch alle Ebenen und Bereiche hindurch, auch die der Öffentlichkeit; sie bestimmt als Basiszusammenhang die gesamte Gesellschaft. Dies zeigt sich u. a. eben daran, dass Frauen auch häufig weniger als Männer verdienen, selbst wenn sie dieselbe Arbeit verrichten und heute im Durchschnitt besser gebildet sind als Männer. Wenn die abstrakte Arbeit obsolet wird, kommt es andererseits jedoch auch zu Hausfrauisierungs-Tendenzen bei Männern. Es kommt zu einer Verwilderung des Patriarchats, wenn die Institutionen Familie und Erwerbsarbeit bei zunehmenden Krisen- und Verelendungstendenzen erodieren, ohne dass grundsätzlich patriarchale Strukturen und Hierarchien verschwunden wären. Heute sind Frauen zur Berufstätigkeit gezwungen, schon um des schieren Überlebens willen. Frauen sind es dabei auch in den Slums der sogenannten Dritten Welt, die Selbsthilfegruppen initiieren und zu Krisenverwalterinnen werden. Gleichzeitig sollen sie jedoch auch hierzulande in den Kommandohöhen von Wirtschaft und Politik Trümmerfrauenfunktionen übernehmen, wenn der Karren in der fundamentalen Krise im Dreck steckt. Die Wert-Abspaltung als historisch-dynamischer Basiszusammenhang verbunden mit der auf ihr basierenden Produktivkraftentwicklung untergräbt so ihr eigenes Fundament, die in der Privatsphäre erbrachten Fürsorgetätigkeiten. Zentral ist dabei, dass die Veränderungen – nicht nur im Geschlechterverhältnis, sondern der gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt – aus den Mechanismen und Strukturen der Wert-Abspaltung in ihrer historisch-prozessualen Dynamik selbst verstanden werden müssen und nicht allein aus dem „Wert“ verstanden können, wie schon gesagt wurde. Das hierarchische Geschlechterverhältnis ist somit in theoretischer Hinsicht beschränkt auf die Moderne und Postmoderne in den Blick zu nehmen. Dies heißt nicht, dass dieses Verhältnis keine vormoderne Geschichte hat; allerdings nahm es im Kapitalismus eine vollkommen neue Qualität an. Frauen sollten nun hauptsächlich für den minderbewerteten Privatbereich, Männer für die kapitalistische Produktionsphäre und Öffentlichkeit zuständig sein. Widersprochen wird so Auffassungen, die das kapitalistisch-patriarchale Geschlechterverhältnis als vorkapitalistischen Rest sehen. So taucht z. B. die Kleinfamilie wie wir sie kennen erst im 18. Jahrhundert auf und bildete sich überhaupt eine öffentliche und private Sphäre, wie wir sie kennen, in der Neuzeit heraus. Die Wert-Abspaltungs-Kritik geht dabei nicht einfach davon aus, dass eine Wertkritik unzureichend ist, sondern mit ihr wird diese Kritik auf ein gänzlich neues Qualitätsniveau gehoben. 5. Außerdem hat sich Ihre Theorie der Wert-Abspaltung mit den aus der feministischen Kritik herkommenden und in den 1980er und -90er Jahren weitverbreiteten Differenzdiskursen auseinandergesetzt. Diese Auseinandersetzung hatte wichtige Auswirkungen auf die qualitative Bestimmung ihrer eigenen Theorie, die sich dann als eine "realistische Dialektik" definiert und eine "fragmentierte Totalität" konfiguriert. Wie schätzt die Wert-Abspaltungs-Kritik diese Diskurse der Differenz ein? Wie kritisiert sie diese Diskurse und wie bereichert sie sich durch diese Kritik? Dazu muss ich etwas zur Geschichte des Feminismus/der feministischen Theorie in Deutschland seit 1968 vorausschicken. Zunächst einmal ging es in den 1970er Jahren um die Verbindung von Marxismus und Feminismus. Wie lässt sich die Unterdrückung der Frau theoretisch in einen Arbeiterbewegungsmarxismus integrieren? In den frühen 1980er Jahren ging es dann vor allem darum, einen Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Frauenunterdrückung, Naturzerstörung und Kolonialisierung/Dritte Welt herzustellen. In der 2. Hälfte der 1980er Jahre begann dann der Diskurs über Differenzen zwischen Frauen. Der weißen Frauenbewegung wurde von schwarzen Frauen, Latinas, Lesben usw. vorgeworfen, sie mit einem Klischee zu belegen und den Standort der weißen Frau als Hausfrau zum Maßstab auch der Theoriebildung zu machen. Dieser Diskurs überlappte sich mit einem, der von einer Pluralisierung der Lebensentwürfe, von Individualisierungstendenzen u. ä. in den westlichen Industrieländern vor dem Hintergrund sozialstaatlicher Sicherheiten ausging. Man/frau ging nun davon aus, dass es „die Frau“ (aber auch den Mann) nicht gibt, sondern dass derer jeweils „viele“ sind. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks war sodann Marx auch im Feminismus passe. Nun erhob ein kulturalistischer Dekonstruktivismus im Sinne Judith Butlers sein Haupt und wurde zur feministischen Mastertheorie. Materialistische Theorie war mega out, kulturalistische, poststrukturalistische Theorie mega in. Es ging z.B. nicht mehr um geschlechtliche Arbeitsteilung, sondern darum, wie Geschlecht diskursiv hergestellt wird. Geschlecht schien nun nichts mehr Reales, Festes zu sein, sondern diskursiv verhandelbar und in einem vulgärkonstruktivistischen Verständnis der linken Szene frei wählbar zu sein. Es zogen kulturrelativistische Theorien ein. Die Geschlechterverhältnisse sollten sich von Kultur zu Kultur grundsätzlich unterscheiden, ein Blick auf sie im universellen Maßstab war tabuisiert. Sprache, Diskurs und Kultur waren sozusagen ein Ersatz eines alten materialistischen Totalitätsverständnisses. Die Wertkritik versuchte stattdessen den Zusammenbruch des Ostblocks selbst marxistisch, jenseits eines alten Arbeiterbewegungsmarxismus, zu erklären, indem sie die Kategorie des Werts zum Zentrum ihres Räsonnements machte und von hier aus Marx interpretierte. Zu dieser Zeit war ich nun längst als Feministin bei der Wertkritik gelandet – mit all den Unzufriedenheiten, die ich schon erläutert habe –, als mir eben Ende der 1980er/Anfang der 90er Jahre in Beschäftigung mit feministischer Theorie, nicht zuletzt auch der Hexenverfolgung der Gedanke: „Der Wert ist der Mann“ kam und ich in diesem Zusammenhang ebenso einsah, dass ein Bezug auf die Dialektik der Aufklärung seitens feministischer Theorie unumgänglich war. Und so ergab es sich gewissermaßen organisch, dass die vorher gestellte Frage nach dem Zusammenhang von Naturbeherrschung, Frauenunterdrückung, Antisemitismus und Rassismus für eine Wert-Abspaltungs-Kritik zu bewältigen ist. Was dabei Differenzen, nicht nur zwischen Frauen anbelangt, war die Kritik der Identitätslogik von Adorno für mich sehr erhellend. Im Gegensatz zu den Postmodernen und Poststrukturalisten ging es ihm dabei eben nicht um eine Hypostasierung von Differenz, sondern darum, den einzelnen, besonderen Gegenstand zu respektieren und in Augenschein zu nehmen. Dies galt es nun mit der Wert-Abspaltungs-Theorie zu vermitteln. Dabei war es übrigens keineswegs so, dass die Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre einfach blind gewesen wäre gegenüber anderen Ungleichheitsdimensionen wie etwa „Rasse“/ Ethnie und schon gar nicht gegenüber Klasse und sich nur um Frauenemanzipation gekümmert hätte wie in den 1990er Jahren oft behauptet, nur betrieb sie damals eben keine Differenzhypostasierung vor dem Hintergrund kulturalistischer und poststrukturalistischer Sichtweisen. Eine primär kulturrelativistische Sichtweise hat dabei nicht zuletzt auch zur Folge, dass vorhandene Gemeinsamkeiten in der Frauenunterdrückung nicht mehr in den Focus gelangen können. Insofern habe ich ein Denken der Differenzen nicht erst von einer poststrukturalistisch orientierten Frauenbewegung übernommen, sondern dieses war vorher schon da. Gleichwohl meine ich, dass die Bedeutung von Kultur und der symbolischen Ordnung lange Zeit auch in der marxistischen Theorie im Großen und Ganzen nicht genügend Beachtung geschenkt wurden. Es gilt, diese Ebene somit nicht abstrakt zu negieren, sondern im Sinne einer bestimmten Negation in die Wert-Abspaltungs-Kritik mit hereinzunehmen, als Getrenntes und zugleich Zugehöriges zu ihr, ähnlich wie die psychoanalytische Ebene. 6. Von den verschiedenen Autoren der EXIT!-Gruppe sind Sie ohne Zweifel diejenige, die die Verbindungen zwischen der Wert-Abspaltungs-Kritik und der Kritischen Theorie der sogenannten ersten Generation der Frankfurter Schule am stärksten betont haben. Th. W. Adorno scheint sehr wichtig für Ihr Denken zu sein, wie einige Texte (Die Bedeutung Adornos für den Feminismus heute, Die Theorie der geschlechtlichen Abspaltung und die Kritische Theorie Adornos, Gesellschaftliche Form und konkrete Totalität) zeigen. Sie fordern seine Bedeutsamkeit für den Feminismus im Allgemeinen und für die Wert-Abspaltungs-Kritik insbesondere ein. Können Sie uns sagen, in welchem Sinne man von einer Aktualität des Denkens Adornos sprechen kann? Adorno war nicht auf dem arbeiterbewegungsmarxistischen Dampfer und kein Ostblocksozialist. Der Kassenkampf war nicht sein zentraler Bezugspunkt, vielmehr ging es ihm um Entfremdung, Verdinglichung und Fetischismus bis ins Innerste der Gesellschaft hinein, wobei Ökonomie bei ihm nur eine marginale Rolle spielte. Seine Fetischismus-Kritik ist dabei heute auch wieder ökonomisch aufzunehmen, allerdings ohne seinen primitiven Rekurs auf den „Tausch“ als Grundform des Kapitalismus zu übernehmen. Vielmehr sind der prozessierende Widerspruch und die abstrakte Arbeit/Fürsorgetätigkeit im Sinne der (Mehr-)Wert-Abspaltungs-Theorie als Kern der kapitalistisch-patriarchalen Vergesellschaftung anzunehmen. Adorno hat schon in Umkehrung von Hegel gesehen, dass das Ganze das Unwahre ist und somit für eine fragmentierte Totalität plädiert, die die Hermetik sprengen soll. Eine fragmentierte Totalität haben wir heute in der Tat. Am Ausgang der Postmoderne zeigt es sich allerdings, dass dies nicht unbedingt in die Emanzipation münden muss, sondern in (Bürger)kriegs-Auseinandersetzungen. Wenn die Differenzen frei flottieren, wie dies ein Poststrukturalismus theoretisch vorweggenommen hatte, führt dies in Verbindung mit materiellen Verelendungsprozessen im „Kollaps der Modernisierung“ (Robert Kurz) in die Barbarei. Wie gesagt ging es Adorno jedoch nie abstrakt um Differenzen an und für sich, Nichtidentität wurde bei ihm immer vor dem Hintergrund eines totalen Kapitalismus und seines verdinglichenden Denkens eingeklagt. Das positivistische Denken der Differenz in der Postmoderne entspricht aber nur seitenverkehrt einem klassischen Denken der Moderne der Identifizierung und Klassifizierung. Insofern wäre auch weiterhin auf die Anerkennung des Nicht-Identischen als Voraussetzung für eine andere Gesellschaft zu pochen, ohne diese jedoch in der Abstraktion zu belassen und das heißt auch, nicht jedwede barbarische Differenz anzuerkennen, aber auch nicht das identisch-eigene zum Maßstab zu machen. Insofern ist ein weiterentwickelter Adorno heute hochaktuell. Ein neuer Rekurs auf Lenin und einen Arbeiterbewegungsmarxismus, wie er heute wieder zu beobachten ist, ist davon freilich weit entfernt und versucht in der Not, Altes zu aktivieren, das längst in Gräbern ruht. 7. Andererseits haben Sie vom Denken Adornos Abstand nehmen müssen, insbesondere von der Verwechslung zwischen dem Nicht-Identischen bei Adorno und Ihrem eigenen Begriff vom "Gespalteten". Können Sie diese Differenz erläutern? Adorno hat eine Kritik der Identitätslogik ja aus dem Tausch abgeleitet. Aber entscheidend ist nicht einfach, dass das gemeinsame Dritte – unter Absehung von Qualitäten – die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit, die abstrakte Arbeit ist, die gewissermaßen hinter der Äquivalenzform des Geldes steht, sondern dass diese es ihrerseits wiederum notwendig hat, das als Weiblich konnotierte, nämlich die „Hausarbeit“, das Sinnliche, Emotionale, Nicht-Eindeutige, mit wissenschaftlichen Mitteln nicht klar Erfassbare auszugrenzen und als minderwertig zu betrachten. Damit ist die Abspaltung des Weiblichen jedoch keineswegs deckungsgleich mit dem Nicht-Identischen bei Adorno. Denn gerade der „besondere“ Gegenstand des Geschlechterverhältnisses, das zudem auch noch ein grundlegendes Gesellschaftsverhältnis ist, bräuchte nun aber auf einer ganz grundsätzlichen theoretischen Ebene selber einen „Begriff“; denn bezeichnenderweise galt gerade dies Verhältnis und „das Weibliche“ als dunkler Bereich, der geradezu als dualistischer Gegensatz zum begrifflichen existierte. Es wäre einigermaßen absurd, die Hälfte der Menschheit als Nichtidentisches zu deklamieren, gleichwohl und gerade deswegen geht die Denkform des Nichtidentischen aus dieser Grund-Struktur hervor. Die Denkform der Identitätslogik ist also mit der Wert-Abspaltung als gesellschaftlich-konstituierendem Basiszusammenhang gesetzt und nicht erst mit dem Tausch oder dem Wert. Die Abspaltung ist also nicht das Nichtidentische. Sie ist aber die Voraussetzung, dass ein formales und positivistisches Denken in Wissenschaft, Politik dominierend wurde, die von der besonderen Qualität der konkreten Sache und entsprechenden Differenzen, Widersprüchen, Brüchen usw. abstrahiert. Entscheidend ist dabei jedoch, von einem modifizierten prozessierenden Widerspruch gemäß der Wert-Abspaltungs-Theorie auszugehen (siehe oben), der schließlich zum Obsoletwerden der abstrakten Arbeit führt, aber auch von Haushaltstätigkeiten im modernen Sinne. Von abstrakter Arbeit kann erst dann geredet werden, wenn das Kapital auf seinen eigenen Grundlagen zu prozessieren begonnen hat und einen Gang in sich eingeschlagen hat vor dem Hintergrund der Wert-Abspaltungslogik. Nichtidentität ist das, was im Begriff, der Struktur nicht aufgeht. Dabei kann das Nichtidentische nicht von vornherein konkret definiert werden, da es selbst immer an den konkreten Inhalt und die Sache an sich gebunden ist. Für die Kritik der Identitätslogik aus der Warte der Wert-Abspaltungs-Kritik bedeutet dies, dass die verschiedenen Ebenen und Bereiche und die „Sache“ selbst nicht bloß irreduzibel aufeinander bezogen werden müssen, sondern gleichermaßen auch in ihrer „inneren“ Verbundenheit auf der Ebene der Wert-Abspaltung als in sich gebrochener, negativ-dialektischer Basiszusammenhang der gesellschaftlichen Totalität zu betrachten sind. Dabei geht die Wert-Abspaltungs-Kritik jedoch so weit im Gegensatz zu einer fundamentalen Wert-Kritik, da sie schon immer um ihre Begrenztheit weiß, dass sie sich selbst als übergreifende Metaebene nicht absolut setzt, sondern eben auch die „Wahrheit“ anderer, partikularer Ebenen und Bereiche anzuerkennen weiß. So etwa die sozialpsychologische und psychoanalytische Dimension anerkennen muss, die sie aufgrund ihrer notwendigen Abstraktheit theoretisch nicht erfassen kann. Bei Adorno ist „die Frau“ dabei nicht das Nichtidentische, sondern dieses wird bloß über den Tausch begründet; die Abspaltung des Weiblichen fristet dabei bloß ein deskriptives Dasein, sie hat weder einen kategorialen Status noch ist sie das Nicht-Identische. Gemäß einer solcherart bestimmten Kritik der Identitätslogik darf übrigens auch keine lineare Betrachtung gewählt werden, wenn es um die Analyse der kapitalistisch-patriarchalen Entwicklung in den verschiedenen Weltregionen geht. Diese Entwicklung hat nicht in allen Gesellschaften in derselben Weise stattgefunden bis hin zu (vormals) geschlechtssymmetrischen Gesellschaften, die das moderne Geschlechterverhältnis bis heute nicht gänzlich übernommen haben; es muss jedoch ebenso anders gestrickten patriarchalen Verhältnissen Rechnung tragen, die im Zuge der Weltmarktentwicklung vom modern-westlichen, versachlichen Patriarchat überlagert worden sind, ohne gänzlich ihre Eigenart verloren zu haben. 8. Eine andere Referenzfigur Ihres Denkens ist, ohne Zweifel, Karl Marx. Über diese Figur möchte ich ein paar Fragen stellen: Welche sind die wichtigsten theoretischen Herausforderungen, denen das von Marx inspirierte Denken gegenübersteht? In dieser Frage ist kein akademischer Marxismus, sondern ein als aktuelle radikale Kritik des Kapitalismus sich verstehender Marxismus gemeint. Marx ist natürlich der Klassiker der radikalen Kapitalismuskritik, der gezeigt hat, dass der Kapitalismus nicht aus moralischen Gründen, sondern aufgrund seiner objektiven Dynamik zusammenbrechen muss, ohne indes die subjektive Ebene zu verleugnen. Die Individuen erzeugen die fetischistische Dynamik immer wieder aufs Neue, die sich ihnen gegenüber verselbständigt und sie so letztendlich beherrscht. Dabei ist es freilich die grundsätzliche Wert-Abspaltungsdimension in ihrer widersprüchlichen Komplexität dasjenige, was die größte Herausforderung darstellt, die gerade nicht einfach ökonomistisch begriffen werden kann, wie gesagt. Marx war ein Kind seiner Zeit, man/frau kann nicht einfach sagen, das und das müssen wir an Marx noch ausarbeiten und dann ist seine Theorie perfekt und dann haben wir ihn – im Sinne dessen, was ihm fehlte –, richtig ausgearbeitet. Die Dynamik des prozessierenden Widerspruchs hat dazu geführt, dass in dessen historischer Wahrwerdung spätestens in der 4. Industriellen Revolution der Industrie 4.0 Dimensionen sichtbar werden, die Marx selbst noch gar nicht systematisch auf dem Radar hatte: Eben Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Naturzerstörung. Damit muss sich eine bloß androzentrische Theorie des prozessierenden Widerspruchs abgeben, eine Dynamik, die diese Verdrängungen selbst lange verborgen hervorgebracht hat, und die heute sichtbar werden. Selbstverständlich kann innerhalb des Marxschen Werkes allerhand gefunden werden, das noch der genaueren Ausarbeitung harrt: Etwa das Problem des Verhältnisses von produktiver und unproduktiver Arbeit, der Profitrate, das Preis-Transformationsproblem usw., das noch genauer zu untersuchen wäre als in „Geld ohne Wert“ bei Robert Kurz. Und um all dies muss man sich Gedanken machen. Jedoch glaube ich nicht, dass in der bloßen Konzentration auf derartige Probleme eine Lösung des Problems einer Wert-Abspaltungsvergesellschaftung als fragmentierte Totalität zu finden ist. An beidem zu arbeiten ist notwendig, wobei ich aber nicht glaube, dass es gewinnbringend ist, bis ultimo Marx zu büffeln und den Anspruch seiner Rekonstruktion noch bis ins hohe Alter, wenn man/frau schlohweißes Haar hat, zu haben. Es kann nicht nur um ein marxphilologisches Vorgehen gehen. Um seine Beschränkungen weiß man/frau heute längst, weshalb man/frau sich auch nicht von einer minutiösen Marxlektüre einen Zugang zur allerletzten Wahrheit versprechen kann. Das entscheidende und schwierige dabei ist, dass man/frau im Sinne der Wert-Abspaltungs-Kritik, (Mehr-)Wertkritik und Abspaltungs-Kritik weder zusammenwerfen noch sie getrennt voneinander behandeln kann. Sie sind somit sowohl getrennt, als auch negativ-dialektisch miteinander als verwoben zu betrachten, was aber auch heißt, sie können nicht als logische Zwangseinheit existieren. 9. In einigen Ihrer letzten Texte (Nach Postone, Fetisch Alaaf) und in Bezug auf Geld ohne Wert von R. Kurz haben Sie, im Gegensatz zum Warenfetischismus, von einem "Fetischismus des Kapitals" als zentralem kritischen Punkt zur triftigen Kapitalismuskritik zu sprechen begonnen. Können Sie den Unterschied zwischen Waren- und Kapitalfetischismus kurz erläutern? Das ist natürlich ein Unterschied, der sich noch vollkommen auf dem Gebiet einer androzentrischen Lektüre des „Kapital“ von Marx bewegt. Aber ich will ihnen den Unterschied vor dem Hintergrund dieses Gegensatzes zunächst erläutern. Das Warenfetischkapitel im Kapital folgt aus didaktisch-methodischen Gründen dem methodologischen Individualismus. Abstrakte Arbeit wird hier zwar erwähnt, ihr wird aber nicht systematisch Rechnung getragen. Die ersten 150 Seiten sind eine Hinführung zum Kapitalverständnis, um das es Marx eigentlich geht. Kapitalismus gibt es so im engeren Sinne erst dann, wenn das Kapital auf seinen eigenen Grundlagen zu prozessieren begonnen hat, also seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In Marxinterpretationen wird dabei häufig von einer einfachen Warenform ausgegangen, die die Zellform des heutigen Kapitalismus sein soll, wohingegen es diese einfache Warenform als Vergesellschaftungsprinzip, auch in Nischenform, nie gab. Dabei geht es nicht darum, das Warenfetischkapitel einfach zu vernachlässigen. Marx will dabei allerdings auf den Kapitalfetisch hinaus, der erst ab einer höheren Vergesellschaftungsdichte greift. Erst dann beginnt der prozessierenden Widerspruch zu „arbeiten“ und sich die Gesellschaft den Individuen gegenüber wirklich zu verselbständigen, was im Hinblick auf eine fiktive einfache Warenproduktion gar nicht möglich wäre, da hier noch eine personale, keine versachlichte Herrschaft bestanden hätte. Innerhalb dieser – und nur innerhalb dieser – Leseweise hat dann auch die Analyse der Warenform durchaus ihren Platz. In diesem Zusammenhang kritisiert Kurz nicht nur einen „methodologischen Individualismus“, was die Warenform („Zellform“) betrifft, sondern auch was den Kapitalbegriff, den Kapitalfetisch, angeht und ein Marxverständnis, das das Einzelkapital zum Ausgangspunkt macht. „Was die handelnden Subjekte übersteigt und die reale Verwertungsbewegung ausmacht, ist jedoch das Ganze des `automatischen Subjekts`, das konstitutive und transzendentale Apriori, das im Einzelkapital nur erscheint, aber dieses nicht kategorial ist. Allein das Gesamtkapital ist die Selbstbewegung des Werts gewissermaßen als `atmendes Monster`, das den Akteuren gegenübertritt, obwohl sie es selbst erzeugen … in den Worten von Marx der `sich selbst verwertende Wert, ein beseeltes Ungeheuer, das zu `arbeiten` beginnt, als hätt`es Lieb`im Leibe`“ (GoW, S. 178). Ein u.a. zentrales Moment ist dabei die Konkurrenz zwischen den Einzelkapitalien als Vermittlungsnotwendigkeit zum in sich vermittelten kapitalistischen Ganzen. Vom Einzelkapital kann nicht der Ausgang genommen und diese Ebene dann hochaggregiert werden. 10. Innerhalb der Werttheorie scheint eine gewisse Nähe zwischen Ihrem Denken und dem Moishe Postones zu bestehen, der vielleicht in dem iberoamerikanischen akademischen Raum einen höheren Grad an Bekanntheit besitzt. Auch er spricht von der Arbeit als einem spezifisch kapitalistischen "sozialen Verhältnis". Was verbindet und was unterscheidet Ihren Ansatz von dem des nordamerikanischen Autors? Das Denken Postones hat mit einer alten Wertkritik sehr viele Überschneidungspunkte, meine Kritik daran ist eben wie auch bei der alten Wertkritik, dass er die Wert-Abspaltung nicht als Basiszusammenhang annimmt, sondern reduktionistisch werttheoretisch argumentiert. Aber selbst innerhalb der Werttheorie ist es so, dass Postone keine Krisentheorie kennt. Für ihn läuft es nicht darauf hinaus, dass die abstrakte Arbeit obsolet wird, sondern er geht von einem Tretmühleneffekt aus; wenn Arbeitsplätze gekillt werden, entstehen andererseits wieder neue. Das ist eigentlich unlogisch, wenn man den „prozessierenden Widerspruch“ konsequent zu Ende denkt. Zudem ist die Arbeit im Kapitalismus nicht einfach ein „soziales Verhältnis“, sondern eine „abstrakt-materielle Substanz“, wie Robert Kurz es nennt. Und insofern ist die abstrakte Arbeit das innere Band der kapitalistischen Vergesellschaftung. Grundsätzlich ist dabei die Kapitalform der eigentliche Ausgangspunkt der Kapitalanalyse und eben nicht die Warenform wie bei Postone (s.o.). Bei Robert Kurz ist folgendermaßen formuliert: „Die Produktion ist unter der Bedingung dieses apriorischen Ganzen bereits Einheit von `konkreter` und `abstrakter` Arbeit, im Resultat Einheit von stofflichem Produkt und Wertgegenständlichkeit. Gesellschaftlich `gültig` ist dabei an der `konkreten` Arbeit nur ihr Aspekt `abstrakte` Arbeit, als Verausgabung von menschlicher Arbeits- oder Lebensenergie (Nerv, Muskel, Hirn). `Konkrete` und `abstrakte` Arbeit fallen also nicht in zwei getrennte Sphären auseinander, sondern sind Aspekte derselben Logik, die alle Sphären übergreift, dabei aber die konkrete Seite nur als Erscheinungsform der (real)abstrakten gelten lässt. Das Produkt wiederum ist deshalb seinerseits nur gesellschaftlich `gültig` als Repräsentationsgegenstand dieser realabstrakten Substanz, als Wertgegenständlichkeit“ (GoW, S. 204). Vor diesem Hintergrund ist „Arbeit“ überhaupt erst im Kapitalismus entstanden und kann und muss abgeschafft werden. Bei Postone hingegen ist der Arbeitsbegriff schillernd. Es gibt durchaus Stellen bei ihm, in denen er Arbeit ontologisiert. So wenig jedoch eine (konkrete) Arbeit ontologisiert werden kann, so sehr ist auf eine abstrakt-materielle Substanz der gesellschaftlichen Arbeit zu insistieren, die Postone – und hier ist er widersprüchlich – zwar als „Bildnerin von Wert“ sieht, sodann jedoch diesen Wert als gesellschaftliches Verhältnis bestimmt und nur insofern von einer Dialektik von `konkreter` und `abstrakter` Arbeit ausgeht. Dabei ist der Mehrwert bei Postone in erster Linie eine Emanation des Werts (wie auch teilweise in einer alten Wertkritik); in einer neuen Wert(-Abspaltungs)-Kritik ist er hingegen ein unabkömmliches dynamisches Moment in der Selbstverwertung des Werts, ohne den eine abstrakte Arbeit als tautologischer Selbstzweck keinen Sinn hätte und ein „prozessierender Widerspruch“ unmöglich wäre. Er existiert zwar bei Postone, ist aber ein sekundäres Moment. Und freilich finden Sorgetätigkeiten, die vorwiegend von Frauen erledigt werden, bei Postone keine systematische Betrachtung. Eine Care-Krise im Kontext einer allgemeinen fundamentalen Krise des kapitalistisch-patriarchalen Gesamtsystems ist bei Postone so nicht mehr fassbar, wobei, um es noch einmal zu sagen, das Geschlechterverhältnis und die Wert-Abspaltung als kapitalistisch-patriarchaler Basiszusammenhang nicht in der Care-Dimension aufgehen. 11. Wenn man die marxistischen und kritisch-theoretischen Wurzeln Ihres Denkens in Betracht zieht, besitzt die Wert-Abspaltungs-Theorie Ihrer Meinung nach die Möglichkeit, eine kritische Theorie der Gegenwart zu sein? Wie schätzen Sie diese Möglichkeit ein? Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Theorie und Politik? Lange wurde die Wert(-Abspaltungs)-Kritik ja mit ihrer These eines Endes des Kapitalismus, des kapitalistischen Patriarchats vom herrschenden linken Establishment als verrückt dargestellt, heute geht ein linker Mainstream vom Ende des Kapitalismus aus, auch wenn er dann häufig vor sich selber gerettet werden soll (so etwa bei Varoufakis). Die Politik wird dabei als Rettung angesehen, anstatt unverblendet wahrzunehmen, dass sie mit dem Kapitalismus selbst an ihr Ende gekommen ist. Sie ist eben bloß selbst die Fetischverwaltung in der Form eines Allgemeinwillens. Politisch-praktisch geht es darum, sich gegen den neuen Faschismus zu wenden, aber deswegen nicht von seinen androzentrisch-demokratischen Wurzeln abzusehen. 12. In dem Sinne der letzten Frage und in Anbetracht Ihrer Arbeiten über die postmoderne Individualisierung und ihren theoretischen Widerhall, denken Sie, dass beide durch die aktuelle tiefgreifende Krise an Bedeutung und Wirkung verloren haben? Welche Rolle haben die Individualisierungstheorien (Differenz vs. Ungleichkeit) in den letzten Jahrzehnte gehabt? Durch welche andere Formen von Subjektivierung und Theorie können sie ersetzt werden? Ich denke, dass in den letzten Jahren auch in den sogenannten entwickelten Ländern eine sozialstaatsgesponserte Wohlstandsindividualisierung in eine selbstverantwortliche Verelendungs-Individualisierung ohne Netz und doppelten Boden übergegangen ist. Die Perspektive der (akzeptierten) Differenz entsprach dabei noch lange dieser Wohlstandsindividualisierung – schließlich entsprach diese auch lang einer eigenen Lifestyle-Orientierung. Wenn indes ein Absturz der Mittelschichten droht, wird schnell die Ungleichheitsdimension aktiviert und eine obsolet werdende Arbeiterklasse und das Proletariat, beschworen, insbesondere, wenn sich um den abstürzenden, armen, bemitleidenswerten westlichen Mann handelt. Die wirklichen Unterschichten/“Proletariate“ bilden sich heute über „Rasse“ und Geschlecht, wobei der „Jude“ als angeblicher Strippenzieher in Verschwörungstheorien die Welt an den Abgrund bringt, wobei der „Zigeuner“ als fremdrassiger Asozialer die unterste Charge darstellt. Dazu kann ich bloß mit meiner in sich schon immer paradoxen Wert-Abspaltungs-Kritik antworten. Ich als theoretisches Individuum kann keine neuen Formen der Subjektivierung aushecken, diese müssen schon aus der Dynamik der Wert-Abspaltung entstehen, die als fetischistische schon immer um die Dialektik der Handlungs- und Strukturlogik weiß, wobei letztere das Übergewicht hat. Die Dritte-Welt-Dynamik und die Angst vor Asozialität schlagen nun auf die Mitglieder der ersten Welt und die Mittelschichten zurück. Soziale UND ökonomische Disparitäten müssen nun jenseits eines traditionellen Klassenkampfdenkens auf die Agenda gesetzt werden. „Klasse“ im marxschen Sinne ist keine Kategorie, die im heutigen verfallenden Patriarchat eine wesentliche Bedeutung hätte. Sie ist Geschichte. Die heutige Rede von Arbeitern und einem Proletariat, die Trump und den Rechten zur Macht verholfen hätten, ist bestenfalls ein politischer Kampfbegriff, der aber in Zeiten der Industrie 4.0 und einer globalisierten Weltgesellschaft nicht einmal zu einer soziologischen Bestimmung des sozialen Gefüges taugt. Sozialen und ökonomischen Ungleichheitslagen ist mit derartigen Begrifflichkeiten nicht mehr beizukommen. 13. Ich möchte nun auf Feminismus zurückkommen. Wie schätzen sie die aktuelle Lage innerhalb des akademischen Feminismus ein? Auch wenn Texte, die eine ökonomiekritische Perspektive vertreten, wieder Raum gewinnen, teilen sie diesen Raum mit einer Neubelebung der soziologischen, eine sogenannte "vierte Feminismuswelle" eröffnenden Diskurse. Außerdem genießen noch die Gender Studies große Aufmerksamkeit. Was haben Sie zu dieser Lage zu sagen? Die Crux besteht eben darin, dass die Wert-Abspaltungs-Kritik als Grundlogik nicht ernst genommen wird und negativ dialektisch von einer fragmentierten Totalität ausgegangen wird, sondern ein nur soziologistisches Vergesellschaftungsverständnis zur Basis genommen wird. In Deutschland wurde an der Universität schon der Versuch gemacht, meine Wert-Abspaltungs-Theorie explizit soziologisch und politologisch zu wenden. Andererseits gibt es aber auch vor allem außeruniversitäre Bemühungen, zentrale Momente der Wert-Abspaltungs-Kritik in außeruniversitäre feministische Theoriegruppen aufzunehmen. Dies kann ich hier nur erwähnen und nicht näher ausführen. Im Großen und Ganzen wird die Wert-Abspaltungs-Kritik, wie übrigens auch die einfache Wertkritik, in Deutschland an der Uni geschnitten. Ich hoffe natürlich, dass die Wert-Abspaltungs-Kritik sich verbreitert und zwar außerhalb eines Uni- und Szenenestablishments, das es längst gibt, und sich auch innerhalb der linken Unis und in linken Szene-Milieus Protest gegen eingeschliffene Organisationsstrukturen, Methoden und Inhalte regt, die sich in ausgelatschten Bahnen bewegen und nichts anderes zulassen wollen. 14. In dem Maße, in dem die Krise die Zahl der monetarisierten, aber keinen Zugang zum Geld habenden Subjekte vergrößert, verbreiten sich auch Formen von Feminismus, deren Schwerpunkt die Fürsorge ("care work") ist: Aufwertung der Mutterschaft, Wiederentdeckung des Weiblichen als "des Anderen" des Kapitalismus, Rückehr zu gemeinschaflichen Bindungen, zu einer gewissen Unmittelbarkeit usw. Wie sollen wir diese Ansätze im Rahmen der gesellschaftlichen Zersetzung verstehen, in der wir uns gegenwärtig befinden? (s.o.). Ich habe ja schon gesagt, dass der Wert und die Abspaltung dialektisch miteinander vermittelt sind, das eine aus dem anderen hervorgeht. Daraus folgt auch, dass die Abspaltung so als Anderes, als ein abstrakt getrenntes vom Wert nicht als Besseres, wie es auch in manchen linken und feministischen Ansätzen konzipiert ist, gedacht werden kann. In Zeiten der gesellschaftlichen Zersetzung wird so auch ein Bedürfnis nach einer imaginierten heilen Welt von früher wach. In einer hochkomplexen globalisierten und technologisch hochgerüsteten Welt möchte man/frau überschaubare Strukturen, gerade wenn die Lebensbedingungen prekär werden und auch die Mittelschichten vom Absturz bedroht werden. Dann wird der Ruf nach der Frau als Mutter, als sanfte Krisenverwalterin laut („Maria breit den Mantel aus, mach Schirm und Schutz für uns daraus“, wie es in einem alten katholischen Kirchenlied heißt). Wie gesagt, Frauen in den Slums der Dritten Welt sind dabei häufig im unmittelbaren Leben Krisenverwalterinnen und müssen Geld und (Über-)leben sichern. Völlig falsch ist es, wenn in linken und feministischen Zusammenhängen dies nun auch noch als Emanzipation gewertet wird; vielmehr können derartige Tendenzen von einer Krisenverwaltung noch im Sinne eines vermeintlich ordnungspolitischen Erhaltes des Status quo autoritär vereinnahmt werden. Eine falsche Unmittelbarkeit kann linken und feministischen Intentionen also teuer zu stehen kommen, die sich einen Wohlfühlraum herbeiphantasieren. Außer Acht gelassen wird dabei die Notwendigkeit einer Planungs-Perspektive, die nicht einfach von oben herab Vorgaben macht, wie im Ostblocksozialismus, sondern systemtheoretisch formuliert das Gesamtsystem und die Teilsysteme in ein angemessenes Verhältnis zueinander setzt. Außerdem kommen ein Rückgriff auf alte Geschlechterrollen und eine Gemeinschaftsorientierung auch in der Linken/im Feminismus neuen Normalitäts- und Konformitätsbedürfnissen entgegen, die sich in ihrer Biedermeierhaftigkeit noch oppositionell gebärden und somit auch ein gefundenes Fressen von Querfrontpolitiken sind. 15. Was kann man von den Frauen in den peripherischen Ländern des Kapitalismus lernen, wenn man den über uns mit dem Kollaps der Modernisierung einbrechenden Prozessen sozialer Zersetzung begegnen wollen? Was zeigen die möglichen Unterschiede über die Ungleichzeitigkeiten der Wert-Abspaltung und ihrer Entwicklungstendenz? Es wäre ein völliger Fehlschluss nach dem bisher Gesagten zu glauben, dass Frauen in der Dritten Welt, wenn sie in dem Slums für Geld und (Über-)Leben zuständig sind, tapfer und tough sind und man/frau sie sich zum Vorbild machen sollten. Dass Frauen im patriarchalen Kapitalismus eierlegende Wollmichsauen sein müssen, hat nichts, aber auch gar nichts mit Emanzipation zu tun. Dabei ist es nicht so, dass die Hausfrau und Mutter in den westlichen Ländern das Fortschrittsmodell auch für die Dritte Welt ist, wie man lange dachte, vielmehr ist im Zuge der Zersetzungstendenzen des kapitalistischen Patriarchats die Krisenexistenz der Frauen das Menetekel für die Frauen auch in den sog. hochentwickelten Ländern. Frau zu sein ist in einer derartigen Situation ein Unglück, nicht ein Glück. Zwar sind die sozialstaatlichen Auffangbecken z.B. in Deutschland noch etwas größer als in der sogenannten Dritten Welt; allerdings frisst sich die Krise über Südeuropa (Griechenland, Spanien, Italien u. ä.) immer weiter in die europäischen Zentren vor. Der weitere Absturz der Mittelschichten wird es mit sich bringen, dass Frauen sich nicht wie bislang eine Haushalts- und Pflegehilfe z.B. aus Osteuropa leisten können, sondern diese Tätigkeiten von ihnen selbst erledigt werden müssen, wobei sie noch viele zusätzliche Jobs gleichzeitig wahrnehmen müssen. Dabei haben die Männer nicht mehr die Rolle der Familienernährer inne und fühlen sich von daher auch für die Familien und die Nachkommenschaft nicht verantwortlich. Längst erodieren die Institutionen Familie und Erwerbsarbeit auch hierzulande; dies wird sich im Zuge einer Industrie 4.0 und einer zunehmenden Robotisierung und Abstraktifizierung noch verstärken. Frauen sollen dabei als Krisenverwalterinnen gewissermaßen die Sozialarbeit machen, Männer jedoch autoritär und im Carl-Schmittschen Sinne die Ordnungsmacher sein, könnte man/frau zugespitzt formulieren. Dass es auch einige wenige weibliche Führungsfiguren in der Rechten gibt, tut dabei nichts zur Sache; es zeigt nur, dass die Wert-Abspaltung ein Basiszusammenhang ist, indem die Einzelnen in den Kulturmustern nicht aufgehen und auch Frauen (Mit-)Täterinnen sein können bzw. sind. 16. Sie haben auch wichtige Beiträge zur Theorie des Antisemitismus und des Rassismus als falschen Lösungen kapitalistischer Krisen ausgearbeitet. Diese Phänomene gewinnen angesichts fremdenfeindlichen, nationalistischen Wiederauflebens in Europa (AfD, Front National, Wahlsieg von Donald Trump in den USA usw.) ohne Zweifel neue Aktualität. Wie kann man der Verstärkung der Fremdenfeindlichkeit und des Rassimus aus der Perspektive der Wert-Abspaltungs-Theorie begegnen? Eine breite antifaschistische Bewegung ist auf alle Fälle notwendig. Allerdings wäre es völlig falsch, dabei in einen Hurra-Demokratismus zu verfallen. Denn die Demokratie ist selbst der Schoß, aus dem Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und auch Sexismus und Homophobie kriechen. Das berühmte Volk, der Demos, hat z. B. Trump mehrheitlich gewählt. Deswegen kann man/frau sich nicht einfach auf eine idealisierte Demokratie berufen, die doch selbst wesentlich Ausschluss bedeutet. Postkolonialistische Arbeiten und Geschichtsbetrachtungen z.B. legen beredtes Zeugnis davon ab. Ich will Obama keineswegs absprechen, dass es wirklich seine Intention war, diese Ausschlussmechanismen zu überwinden. De facto hat er aber mehr Migranten abgeschoben als alle U.S.-Präsidenten vorher. Er hat dies aber mit einem humanen Demokratie-Speech bewerkstelligt. Trump gibt nun den Wolf, der nicht mehr Kreide gefressen hat; er spricht in aller Härte aus, was Sache ist. Staat und Demokratie sind Institutionen zur Moderation fetischistischer Verhältnisse, die heute zunehmend entgleisen; umso mehr werden hilflos „starke Mann“-Herrschaftsverhältnisse herbeigerufen. Nicht nur heutige Rechtsentwicklungen dürfen so nicht jenseits der Demokratie als Zivilisationsbruch verortet werden, sondern sie sind strukturell selbst Bestandteil hiervon, fester Bestandteil des „Zivilisationsprozesses“ selbst. Dieser Zivilisationsprozess bringt nun auch entsprechende Bewusstseinsformen mit sich; eine positivistische Sichtweise, auch in der Wissenschaft, der Blick auf angebliche Daten, Fakten und vermeintliche Alltagsgewissheiten werden hypostasiert. Der kritische Vorwurf der „Postfaktizität“ gegenüber Trump usw. bezieht sich dabei selbst bloß auf diesen Grundtatbestand. Oberflächlich gesehen sind es dann die Anderen, die in der „pathischen Projektion“ für das eigene Unglück verantwortlich sind. Diese (alltags-)positivistische Sichtweise ist übrigens keineswegs nur auf die Dominanzkultur beschränkt. Aus einer partikularen Betroffenheits-Perspektive bekämpfen sich heute z.B. Gleichheitsfeministinnen und Multikulti-Feministinnen, Schwule und Islamisten, es gibt rechte Schwule und konservative Feministinnen usw. Das Problem zwischen Türken und Kurden gibt es schon lang, verschiedene Richtungen des Islamismus bekämpfen sich gegenseitig ebenso usw. Dies zeigt heute die Allgegenwärtigkeit einer allgemeinen Konkurrenz, die sich aus der prozessierenden Wert-Abspaltung-Logik ergibt. Es gibt heute Tendenzen einer „multikulturellen Barbarei“, wie Robert Kurz einmal gesagt hat. Gruppenspezifische und individuelle Identitäten sollen in unterschiedlicher Weise festgezurrt werden, anstatt zu sehen, dass sie und auch die Kämpfe um sie selbst Resultat der kapitalistisch-patriarchalen Form sind. Entscheidend ist somit, dass klargemacht wird: Eine Sichtweise außerhalb dieser übergreifenden Ebene führt in die Barbarei. Dies heißt nicht, Partikularitäten, Besonderheiten, Individualität, die auch hybride Identitäten umfasst, außer Acht zu lassen, sofern man/frau derartige Dimensionen gleichzeitig auch immer als verflüssigte denkt. Dies alles muss jedoch zur Wert-Abspaltungs-Form als dominierendem Vergesellschaftungsverhältnis ins Benehmen gesetzt werden, auch wenn sie nicht darin aufgehen und etwas anderes darstellen. In DIESEM Sinne ginge es auch um die Erlangung eines neuen Universalismus, jenseits eines Universalismus der Aufklärung, dem schon per se Exklusion inhärent ist. Auch in breiten „antifaschistischen“ Bewegungen kann es zu massiven Schieflagen kommen, die das, was sie zu vereiteln trachten, selbst reproduzieren. Insofern ist aus der Warte der Wert-Abspaltungs-Kritik zu schauen, mit wem kann man/frau sich verbünden, mit wem nicht. Dafür gibt es kein Patenrezept. Entscheidend ist jedoch, stets eine reflexive Distanz zu wahren, die sich nicht billigen Antifa-Impulsen anschließt, die innerhalb ihr selbst barbarisch gespalten sind. In Deutschland galt dies seit dem Mauerfall etwa für Antiimperialisten/Antinationale auf der einen Seite und Antideutsche auf der anderen Seite, wobei selbst hier die Fronten gar nicht mehr so klar zu sein scheinen und es mitunter zu bizarren ideologischen Verwerfungen kommt. Darauf kann ich hier aber nicht ausführlicher eingehen. Eine solch übergreifende Sicht muss in einer bitter notwendigen Antifa-Bewegung geltend gemacht werden, die eben von einer wert-abspaltungs-kritischen Warte aus nicht initiiert werden kann, sondern aus sich heraus aktiv werden muss, andernfalls hätte auch eine äußerliche, voluntaristische Wert-Abspaltungs-Invektive keinen Sinn. Eine Faustregel ist dabei, sich niemals mit Querfrontbewegungen kompatibel zu machen und ihnen auch nur den kleinsten Finger zu geben. Syriza, Podemos oder auch „Die Linke“ in Deutschland etwa, die ohnehin nur systemimmanente, reformistische Ziele verfolgen, sind davor bekanntlich keineswegs gefeit. Eine emanzipatorische wert-abspaltungs-kritische Perspektive bewegt sich schon von vornerein jenseits davon. Keine falschen Kompromisse, auch wenn man/frau dann wieder auf sich selbst zurück geworfen ist. Insbesondere auch eine wertkritische Perspektive, die die kleinen Netze, eine solidarische Ökonomie, Dezentralität, teilweise gepaart mit open-source-Tendenzen, hightech-artig hochgebockt u. ä. hochhält und seit der Krisis-Spaltung zunehmend von sich reden macht, scheint mir dabei gefährlich zu sein, andererseits jedoch auch neu-alte Tendenzen, die in einer fortschrittsapologetischen Technik-Euphorie im Sinne eines Traditions-Marxismus die Lösung aller Probleme in der Zukunft erhoffen, wie etwa dem Akzelerationismus und ein spekulativer Realismus, der in außerirdischer Mission auf die Eroberung anderer Planeten hofft. Anmerkung: „GoW“ ist „Geld ohne Wert“, Horleman-Verlag Berlin, 2012. |