erschienen
in: Krisis 21/22
Roswitha Scholz
Die Verwilderung
des Patriarchats in der Postmoderne
(*)
1.
In der zweiten Hälfte
der 80er waren die Prognosen für den Abbau von Hierarchien und Benachteiligungen
von Frauen günstig. Man ging davon aus, daß auch Frauen im Zuge von
Individualisierungstendenzen einen Zuwachs von Handlungsmöglichkeiten indirekt
proportional zum Zerfall der Kleinfamilie gewonnen hätten. Manche Deutungen
gingen dabei sogar so weit, daß jetzt die Individuen wählen könnten,
ob sie Männlein oder Weiblein sein wollen. Ein paar Hausmänner machten
als Novum auf sich aufmerksam und verbreiteten die Hoffnung, daß sich
hier vielleicht bald ein Großtrend in diesem Sinne zeigen könnte.
In den 80ern galten gleichzeitig Tendenzen der »neuen Weiblichkeit« als Ausdruck
der konservativ-liberalen Wende. Allerdings gab es nicht wenige, die mutmaßten,
daß es sich hierbei nur mehr um die Simulation der modernen Weiblichkeit
handeln würde.
Demgegenüber war
in den 90ern zunächst vom »Backlash« die Rede. Der allgemeine Rechtsruck
und die sich zuspitzende ökonomische Lage hatten eines der Großthemen
der 80er, das asymmetrische Geschlechterverhältnis, so gut wie hinweggefegt.
Nichtsdestoweniger existieren in den 90ern durchaus immer noch feministische
Einschätzungen, die »im Prinzip« das Ende des Patriarchats gekommen sehen
( so etwa Libreria delle donne di Milano, 1996).
Derartigen Positionen
möchte ich nun die These entgegenstellen, daß wir es am Ende der
Postmoderne eher mit einer Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats
zu tun haben als mit seiner Auflösung, was nicht ausschließt, daß
Frauen von den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auch profitiert haben. Zweifellos
hat in den letzten 30 Jahren eine Modifizierung des Geschlechterverhältnisses
stattgefunden; dies hat jedoch kein absolutes Verschwinden der (sozialen) Zweigeschlechtlichkeit
nach sich gezogen. Vielmehr ist nun im Zuge von Globalisierungstendenzen die
Ausbildung von Flexi-Zwangsidentitäten zu beobachten, die sich unter Aufrechterhaltung
der Geschlechter-Hierarchisierung für Männer und Frauen jeweils anders
darstellen.
In diesem Zusammenhang
möchte ich im folgenden auch nachweisen, daß im Feminismus vielverhandelte
Analysen, Theorien und Handlungskonzeptionen diese Verwilderungstendenzen und
diese geschlechtsspezifischen Flexi-Zwangsidentitäten ebenso stützen,
wie das mittlerweile desolat gewordene kapitalistisch-patriarchale System insgesamt,
dessen ökologische, soziale und ökonomische Grenzen längst über
die Gebühr deutlich geworden sind. Dies gilt z.B. für dekonstruktivistische
Theorien genauso wie für nationalstaatlich orientierte Handlungsmodelle
und zivilgesellschaftlich-internationalistische Optionen sowie für verschiedene
Subsistenz-/Eigenarbeitvisionen im Feminismus. Damit sollen freilich erst recht
rot-grünen Illusionen, die asymmetrischen Geschlechterverhältnisse
ließen sich systemimmant substanziell verbessern, die nur allzu locker
sitzende Maske heruntergerissen werden. Derartige Hoffnungen dürften nach
dem rot-grünen Sieg in der BRD auch im Feminismus verstärkt Konjunktur
haben.
Um diese Zusammenhänge
nach und nach aufrollen zu können, möchte ich jedoch zunächst
einmal zumindest einige Aspekte der von mir vertretenen Wert-Abspaltungsthese
darstellen, da diese These den Theorierahmen bildet, in den ich die hier vorerst
bloß ganz kurz skizzierten Tendenzen und Entwicklungen im weiteren stelle.
2.
In der Fassung eines
kritischen Verständnisses der Marxschen Theorie, auf das ich mich hier
beziehe, stehen der »Wert« und die »abstrakte Arbeit« im Mittelpunkt der theoretisch-kritischen
Bemühung. Danach entsteht »Arbeit« im heute gängigen Verständnis
überhaupt erst im Kapitalismus, d.h. »Arbeit« ist nicht menschliche Tätigkeit
schlechthin wie bei den meisten Marxismen, sondern die spezifisch-historische
Form gesellschaftlicher Tätigkeit im Kapitalismus. Wurde in vormodernen
Gesellschaften primär für den Gebrauch produziert, so zeichnet sich
das warenproduzierende System durch die Selbstbewegung des Geldes aus, der Gewinnung
von (Mehr-)Wert durch die Verwandlung lebendiger Arbeit in Quanta toter und
abstrakter Arbeit. (vgl. Kurz, 1991, S. 15 ff). Damit ist auch kurz umrissen,
was »Wert« meint.
Daß im Kapitalismus
auch Reproduktionstätigkeiten im Haushalt verrichtet und Kinder erzogen
werden müssen, daß Pflegeaufgaben anfallen, die nicht, bzw. nicht
allein marktmäßig erledigt werden können und die vor allem Frauen
zufallen, bleibt in dieser Perspektive außen vor. Ebenso bleibt unberücksichtigt,
daß damit verbunden auch Gefühle und Eigenschaften in der modernen
Entwicklung an »die Frau« delegiert bzw. ihr zugeschrieben werden, Schwäche,
mindere Verstandeskraft, Sinnlichkeit, Passivität usw. Der »Mann« hingegen
steht für Durchsetzungskraft, Intellekt, Charakterstärke u.ä.
Mann-Sein wurde mit Kultur, Frau-Sein projektiv mit Natur gleichgesetzt.
Meines Erachtens ist
das hierarchische Geschlechterverhältnis im warenproduzierenden Patriarchat
wesentlich durch diese geschlechtspezifische Abspaltung von Tätigkeiten,
Eigenschaften und Zuordnungen bestimmt, wobei die empirische Tatsache, daß
Frauen auch aggressiv, aktiv, intellektuell usw. sein können bzw. sind
und noch nie ausschließlich Hausfrau waren, diese theoretische Kernbestimmung
nicht im mindesten anficht. Somit kann diese geschlechtsspezifische Abspaltung
als Abspaltung eben nicht aus der Wertform abgeleitet werden, sie ist vielmehr
gewissermaßen der Schatten, den der Wert wirft. Damit ist sie einerseits
Bestandteil der Wertvergesellschaftung, andererseits befindet sie sich aber
auch außerhalb derselben. Und deshalb kann sie auch nicht unter den Begriff
»Arbeit« subsummiert werden, worauf viele Feministinnen pochen. M.E. wäre
so ein neues Verständnis von Vergesellschaftung zu gewinnen, das »die Abspaltung«
mit dem Wert dialektisch vermittelt, also sie nicht äußerlich hinzuaddiert
(vgl. Kurz, 1992; Scholz, 1992).
Allerdings reicht das
herkömmliche marxistische Kategoriensystem bei einer Einbeziehung der abgespaltenen
Momente für die theoretische Erfassung des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses
nicht aus: ebenso müssen die (sozial-)psychologische und die kulturell-symbolische
Ebene, berücksichtigt werden. So läßt sich z.B. über die
Analyse religiöser, philosophischer, wissenschaftlicher usw. Diskurse zeigen,
wie sich kollektive Vorstellungen herausbilden, was Männer und Frauen in
der männlich dominierten Moderne sind und in welchen Zuschreibungen sich
die »Abspaltung« äußert (vgl. etwa Honegger 1991). Mit einem psychoanalytischen
Instrumentarium läßt sich etwa erschließen, welche Konsequenzen
es hat, daß die Kindererziehung in der modernen Entwicklung vor allem
in Frauenhand liegt, nämlich, daß im Gegensatz zum Mädchen beim
männlichen Kind eine Desidentifikation mit der Mutter stattfinden muß,
um eine eigene Identität gewinnen zu können, was mit einer Abspaltung
und Abwertung des Weiblichen einhergeht (so z.B. Chodorow, 1985).
Ich gehe hier also,
ähnlich wie die Frankfurter Schule, von der Notwendigkeit eines interdisziplinären
Vorgehens unter Bezugnahme auf das gesellschaftliche Ganze aus. In diesem Zusammenhang
hat Regina Becker-Schmidt einmal (wenngleich fälschlicherweise im Kontext
der universalistischen Überziehung und noch in alten Kategorien von Basis
und Überbau denkend) sehr treffend gschrieben: »Androzentrismus (ist) nicht
nur wie die Ideologie ein Überbauphänomen, sondern sozialpsychologischer
Ausdruck eines gesellschaftlichen Unbewußten; man könnte sagen, er
ist ebenso ein psychogenetisches Unterbauphänomen« (Becker-Schmidt, 1989,
S. 216). Für die Wert-Abspaltungsthese möchte ich - mich von Becker-Schmidt
entfernend - diese Feststellung beschränkt für das warenproduzierende
Patriarchat - so ausdeuten, daß die Verdrängung/Abspaltung des sogenannten
Weiblichen, die Inferiorsetzung der realen Frauen und die Existenz männlicher
Dominanz tief in der Psyche der patriarchal-kapitalistischen Individuen verankert
ist; ja, daß die »Abspaltung« hier als gesellschaftlich-kulturelles Grundmuster
und soziopsychischer Mechanismus in Vermittlung mit der geschlechtlichen Arbeitsteilung
die Gesellschaft als Ganze wesentlich bestimmt. Noch im Verfall des warenproduzierenden
Patriarchats, wenn die Kleinfamilie sich auflöst und die Individuen aus
ihren traditionellen Rollen freigesetzt werden, ist so eine Minderstellung von
Frauen und eine andere Situiertheit als bei Männern ausmachbar.
Im Sinne der theoretischen
Bestimmung der Wert-Abspaltung müssen Frauen in der Privatsphäre verortet
werden. Das heißt freilich nicht, daß das Patriarchat als Verhältnis
dabei in den aufgepaltenen Sphären Privatheit und Öffentlichkeit »sitzt«.
Vielmehr handelt es sich beim modernen Androzentrismus um die geballte Kraft
eines materiell-ideell-sozialychologischen Gesamtzusammenhangs, der gleichsam
den »Äther der Gesellschaft« darstellt, um hier einer Formulierung Hegels
eine andere Bedeutung zu geben. Das Wirken des Geschlechterverhältnisses
geht so durch alle Ebenen und Bereiche, somit auch die verschiedenen Bereiche
der Öffentlichkeit. Frauen waren schon immer auch in öffentlichen
Sphären anzutreffen. Dennoch zeigt sich die Abspaltung auch hier, indem
sie im Erwerbsleben z.B. eine untergeordnete Stellung einnehmen, schlechter
bezahlt werden usw. Somit ist die Wert-Abspaltung als gesellschaftliche Grundform
zu betrachten und nicht allein der Wert.
Dies gilt prinzipiell,
auch wenn global gesehen nicht davon ausgegangen werden kann, daß die
patriarchal-warenförmige Entwicklung in den verschiedenen Weltregionen
gleichförmig stattgefunden hat, etwa angesichts von geschlechtssymmetrisch
verfaßten Gesellschaftsformationen, die selbst heute noch die modernen
Geschlechtervorstellungen nicht bzw. nicht völlig übernommen haben.
Dabei muß allerdings gesagt werden, daß solche Gesellschaften heute
eindeutig in der Minderheit sind. Sichtbar wird an ihnen allerdings, daß
die Geschlechterhierarchie keineswegs ein kulturanthropologisches Muß
ist (vgl. etwa Lenz/Luig, 1995).
In diesem Zusammenhang
muß ebenso berücksichtigt werden, daß sich das Geschlechterverhältnis
selbst innerhalb der christlich-abendländischen Entwicklung nicht immer
gleich darstellt. Erst im 18. Jahrhundert bildeten sich das moderne »System
der Zweigeschlechtlichkeit« (Carol Hagemann-White) heraus und kam es zu einer
»Polarisierung der Geschlechtscharaktere« (Karin Hausen); vorher wurden Frauen
dagegen eher als - gewissermaßen - bloß andere Variante des Mann-Seins
betrachtet. Deshalb wird in den Sozial- und Geschichtswissenschaften neuerdings
auch von der Insitution eines Ein-Geschlecht-Modell in vorbürgerlichen
Zeiten ausgegangen. So sah man etwa in der Vagina einen nach innen gestülpten
Penis (Laquer, 1996). Obwohl Frauen auch damals als minderwertig galten, hatten
sie über informelle Wege noch viele Möglichkeiten Einfluß zu
gewinnen, solange sich eine Öffentlichkeit im großen Maßstab
noch nicht herausgebildet hatte. Der Mann hatte in der vormodernen Gesellschaft
eher eine symbolische Vorrangstellung wie Heintz/Honegger (1981) schreiben.
Frauen wurden noch nicht ausschließlich als Hausfrau und Mutter definiert
wie dies ab dem 18. Jhrd. komplementär zu den Zuschreibungen für Männer
der Fall war, die nun für die Öffentlichkeit (Erwerbssphäre,
Politik, Wissenschaft usw.) zuständig sein sollten. Ihr Beitrag zur materiellen
Reproduktion wurde in agrarischen Gesellschaften ähnlich wichtig erachtet
wie der des Mannes (Heintz/Honegger, 1981, S. 15 ff.).
War das moderne Geschlechterverhältnis
mit den entsprechenden polaren Geschlechterzuweisungen zunächst auf das
Bügertum beschränkt, so breitete es sich mit der Verallgemeinerung
der Kleinfamilie allmählich auf alle Schichten aus, mit einem letzten Schub
in den fordistischen 50ern. Die »Wert-Abspaltung« ist somit keine starre Struktur,
wie sie etwa bei manchen soziologistischen Strukturmodellen anzutreffen ist,
sondern ein Prozeß. Sie ist also nicht als statisch und als immer dieselbe
zu begreifen. In der Postmoderne zeigt sie wiederum ein neues Gesicht. Damit
wären wir beim eigentlichen Thema.
3.
Kornelia Hauser konstatiert
mit Arlie Hochschild für die heutige Gesellschaft bei Frauen »einen zunehmend
gleichgeschlechtlichen Gefühlscode, der auf dem alten Code der Männer
(basiert)«. Dabei stellt sie fest: »Ähnlich wie vor dem Zwei-Geschlechter-Modell
gehen wir auf ein - allerdings ziemlich modifiziertes - Ein-Geschlecht-Modell
zu: Frauen sind Männer, nur anders« (Hauser, 1996, S.21).
Nicht wenige neuere
Untersuchungen weisen in eine ähnliche Richtung. Im folgenden greife ich
dabei vor allem auf die Überlegungen von Irmgard Schultz im letzten Kapitel
des 1994 erschienenen Buchs »Der erregende Mythos vom Geld: die neue Verbindung
von Zeit, Geld und Geschlecht im Ökologiezeitalter« zurück. Obwohl
ich mit Schultz in vielen Dingen schon im Grundsatz nicht übereinstimme,
so z.B. daß sie die Geschichte des Geldes primär als »einen Mythos
des modernen Denkens« angeht, sie auch die Bedeutung der Lohnarbeit nicht explizit
hinterfragt und sie prinzipiell davon ausgeht, daß die geschlechtlichen
Kulturmuster den psychischen Binnenraum der Individuen nicht berühren,
halte ich ihre Analyse, für die Weiterentwicklung der Wert-Abspaltungstheorie
für nützlich, auch wenn die Autorin damit vielleicht nicht einverstanden
wäre.
Schultz geht es um
den Zusammenhang von Geschlechterverhältnis und Globalisierung. Soweit
ich sehe, ist sie die erste, die dieses Thema in den 90ern in Aufarbeitung der
80er-Jahre-Diskussion behandelt. Mittlerweile schießen mannigfach Publikationen
zu diesem Gegenstand aus dem Boden. Da sie die Ausführungen von Schultz
jedoch im wesentlichen bestätigen, ergänze ich diese bloß um
neuere Befunde aus der zweiten Hälfte der 90er Jahre.
Schultz analysiert
vor dem Hintergrund von Globalisierungsprozessen, einem damit zusammenhängenden
veränderten Zeitverständnis und -Umgang in der Postmoderne, sowie
der Entwicklung des schnellen Geldes durch Spekulationstätigkeit in den
80ern Jahren neuartige Individualisierungstendenzen und Modifikationen im Geschlechterverhältnis.
Dabei bezieht sie neue Normen und Leitbilder, also die symbolische Ebene, zentral
mit ein. Problematisch ist hierbei allerdings wiederum, daß sie dies im
Einklang mit Regulationsmodellen versucht (auf die sie sich generell stark bezieht),
d.h. die Funktion von Leitbildern von ihr auf der Ebene politischer Regulierung
gesehen wird (vgl. Schultz, 1994, S. 33 f). Aus dem Blickwinkel gerät dabei
allerdings, daß gerade aufgrund der von ihr beschriebenen Globalisierungstendenzen
der Politik, was ihre traditionellen Funktionen betrifft, in vielerlei Hinsicht
das Heft aus der Hand genommen wird. Gesellschaft, Politik und Ökonomie
geraten nun in Widersprüche auf einem qualitativ neuen Niveau (vgl. dazu
Kurz, 1994). Darauf werde ich später noch einmal zurückkommen.
Eine der Hauptthesen
von Schultz lautet nun: Die durch Anwendung von Computertechnologien möglich
gewordene Globalisierung und damit einhergehende Individualisierungstendenzen
führen, wie sie mit Christa Wichterich sagt, zu einer »Feminisierung der
Verantwortung« im sozialen und ökologischen Bereich (Schultz, 1994, S.
201). Dies zeigt Schultz vor allem anhand von Jamaica auf, dem im Zuge der »Schuldenkrise«
von IWF und Weltbank die sogenannte »Strukturanpassungspolitik« aufgezwungen
wurde. Im Kern bedeutet dies, eine starke Beschränkung des inländischen
Massenkonsums zugunsten weltmarktorientierter Investitionen und eine generelle
Ausrichtung der ökonomischen und sozialen Strukturen auf den Export.
Die Konsequenz der
»Strukturanpassung« für Frauen in Jamaica war, daß sie massenhaft
Einkommen und gemischte Existenzformen verloren haben, z.B. durch Schließung
unretabler Kleinbetriebe, in denen hauptsächlich Frauen arbeiteten oder
durch den Wegfall der Förderung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern.
Z. T. arbeiteten Frauen jetzt in der nun eingerichteten Freihandelszone am Hafen
von Kingston unter schlechten Arbeits- und Lohnbedingungen. In Jamaica verfügen
70% aller Frauen unter 25 Jahren über kein regelmäßiges Einkommen;
davon hatten 80% noch nie die Möglichkeit, regelmäßig zu arbeiten,
sie verfügen auch über keine Ausbildung. Insgesamt sind jedoch 2/3
aller Frauen erwerbstätig. Für Schultz drückt sich hierin eine
allgemeine Tendenz aus: Frauen werden zunehmend in den (Welt-)Markt integriert,
ohne jedoch eine eigene Chance zur Existenzsicherung zu bekommen. Sie spricht
deshalb auch von einer »Jamaicanisierung« der sozialen Verhältnisse.
Durch die »Strukturanpassung«
verschärften sich die Existenzbedingungen in Jamaica, z.B. stiegen die
Lebenshaltungskosten und die Mieten horrend bei gleichzeitiger Lohnsenkung;
die medizinische Versorgung wurde schlechter und teuerer, soziale Einschnitte
in das Bildungssystem verminderten vor allem die Chancen von Mädchen und
Frauen sich zu qualifizieren. Überhaupt betrifft die Veränderung der
sozialen Lage Frauen anders als Männer. Denn sie müssen nun versuchen,
so Schultz, »den staatlichen Sozialabbau wie die Zerstörung der natürlichen
Lebensgrundlagen auszugleichen«. Deshalb spricht Schultz analog zu dem Begriff
der »Jamaicanisierung« auch von einer »Ökologisierung von Frauenarbeit«.
Selbsthilfeinitiativen in der Dritten Welt werden vor allem von Frauen getragen,
Männer halten sich dagegen zurück (Schultz, 1994, S. 201 ff.).
Auch in der »Ersten
Welt« kann nach Schultz eine »Ökologisierung von Frauenarbeit« festgestellt
werden. So spricht sie auch von einem »Frauen & Müll-Syndrom«, was
das Duale System in Deutschland betrifft; denn dadurch werden vor allem Frauen
beschäftigt; ihnen wird die Verantwortung aufgebürdet, obwohl Sinn
und Erfolg des Ganzen äußerst fraglich sind und dabei auch noch eine
»obrigkeitsstaatliche Ausrichtung von Mentalitäten« entsteht. Auf diese
Weise findet ein weiteres mal eine »Moralisierung von Hausarbeit« statt (Schultz,
1994, S. 206).
Freilich kann man sich
fragen, ob Schultz den ökologischen Aspekt in ihrer Argumentation nicht
generell überbewertet und dieses Vorgehen nicht schon durch ihre Themenstellung,
»die
neue Verbindung
von Zeit, Geld und Geschlechter im Ökologiezeitalter«, wie es im Untertitel
ihrer Buches heißt, determiniert ist. In den ökonomisch-sozial krisengeschüttelten
90ern ist die Wahrnehmung ökologischer Probleme selbst in den den hochindustrialisierten
Ländern wieder dabei in den Hintergrund zu treten, was sich nicht zuletzt
in einer ausgesprochenen »Kompromißbereitschaft« seitens der Grünen
ausdrückt. Letztlich finde ich die Frage nach der Bedeutung der Ökologie
bei Schultz jedoch nicht entscheidend, da sie zwar - durchaus zentral - auf
den ökologischen Gesichtspunkt abhebt, dabei allerdings auch die ökonomische,
soziale und kulturelle Ebene ebenso miteinbezieht.
Dementsprechend geht
die soziale und ökologische Krise mit einer sozialkulturellen Krise bei
ihr Hand in Hand. In der »Dritten Welt« lösen sich großfamiliäre
Zusammenhänge immer mehr auf. Die Männer gehen nun auf Arbeitssuche,
die Frauen gehen als Heiratsmigrantinnen in die Städte oder ins Ausland
oder aber sie versuchen, wie Wichterich schreibt, nicht selten unter unwürdigen
Bedingungen, z.B. als Haushaltshilfen, in reichen Ländern für sich
und auch ihre Familien ein Auskommen zu finden. In diesem Zusammenhang muß
auch betont werden, daß durch den Globalisierungsschub seit 1989 Prostitution
und der internationale Frauenhandel eine neue Qualität erreicht haben (vgl.
Wichterich, 1998, S. 94 ff.). Das Resultat derartiger Entwicklungen ist, daß
die bleibenden Frauen immer mehr gezwungen werden, eine Verantwortung zu übernehmen,
die traditionell männlich konnotiert war. »Das halte ich«, so Schultz,
»für eine entscheidende soziokulturelle Ursache für die >Feminisierung
der Verantwortung<. Soziologisch gesprochen sind die Tendenzen der Globalisierung
und Flexibilisierung der Ökonomie von Tendenzen der globalen Durchmischung
und Flexibilisierung der Lebensformen begleitet« (Schultz, 1994, S. 207).
In Jamaica leben über
1/3 aller Frauen in nichtehelichen Gemeinschaften, die Kinder werden - unterstützt
durch Nachbarinnen oder weibliche Verwandte - von den Frauen allein aufgezogen.
Die Männer haben nur den Status von Besuchern. Sie werden vor die Tür
gesetzt, wenn es den Frauen nicht mehr paßt. Promiskuität ist gang
und gäbe, uneheliche Kinder von verschiedenen Vätern sind ein häufig
anzutreffendes Phänomen. Dabei hängt die Geschichte derartiger Sozialformen
in Jamaica auch traditionell eng mit der Kolonialisierung zusammen. Darauf gehe
ich hier jedoch nicht weiter ein (siehe Schultz, 1994, S. 207 f.).
Individualisierungstendenzen
werden seit den 80ern auch hierzulande festgestellt. Der verbindliche Rahmen
der Ehe bei der Kindererziehung hat sich aufgelöst und es wurden immer
mehr Frauen unabhängig vom Familienstatus in den Arbeitsmarkt integriert.
In diesem Zusammenhang flexibilisierten sich auch die Biographien. Schultz führt
dabei gegen den wohl bekanntesten Individualisierungstheoretiker Ulrich Beck,
etliche Einwände ins Feld. Vor allem kritisiert sie, daß Beck auf
der politischen Ebene die Geschlechterdifferenz vernachlässigt; denn Beck
geht davon aus, daß die Ökologieproblematik alle Menschen gleichermaßen
betrifft. Tschernobyl habe jedoch gezeigt, daß die Folgen im Alltag vor
allem Frauen zu tragen hatten (Becquerelsorgen bei Lebensmitteln, insbesondere
was Kleinkinder betrifft usw.). Überdies konnten sich nur gutsituierte
Mittel- und Nordeuropäer in nicht-verstrahlte Zonen absetzen (Schultz,
1994, S. 210).
Ein anderer m.E. wichtiger
Einwand von Schultz gegenüber Beck, aber auch Xaver Kaufmann, der in etwas
anderer Weise als Beck neue Entwicklungen zu fassen sucht, besteht darin, daß
diese die Geschlechtsspezifität von »Entscheidungsnotwendigkeiten« nicht
sehen. »Es ist das Prinzip männlicher Selbststeuerung von Zeitbesitzern,
die nicht lebenslang auf eine unveräußerliche Lebenserhaltungs-Zeit
verpflichtet sind. Xaver Kaufmann sieht wie Ulrich Beck nicht die Differenz
von männlicher und weiblicher Lebenszeit in ihrer Koppelung mit gesellschaftlichen
Verantwortungen« (Schultz, 1994, S.212). Dabei grenzt sich Schultz aus feministischer
Sicht - m.E. sehr zurecht - gegen eine Familiennostalgie ab. Mit Verweis auf
verschiedene Untersuchungen zeigt sie auch die Vorzüge von Wahlverwandtschaften
gegenüber der Blutsverwandtschaft auf (vgl. Schultz, 1994, S. 213 f).
Falsch wäre es
allerdings pauschal anzunehmen, daß die Erosion traditioneller Lebensformen
(für Frauen) bloß emanzipatorischen Charakter hat, wie Wichterich
zeigt. »Soziale Sicherheiten gehen ebenso zu Bruch wie materielle. In den Slums
von Nairobi ist >Verschwinden< zu einer ganz alltäglichen Angelegenheit
geworden. Der Ehemann oder der Lover geht am Morgen wortlos aus der Hütte
und kehrt nicht mehr zurück. Er versucht sein Glück irgendwo anders
mit einer anderen Freundin und einem anderen Gelegenheitsjob. Kinder >verschwinden<
in eine Welt voller Drogen, Prostitution und Kriminalität, leben in Straßengangs
und tauchen vielleicht nach ein paar Monaten wieder in der Hütte der Mutter
auf. Vielleicht auch nicht. Die Verrohung der Beziehungen, die Verwahrlosung
des Sozialen und die Verelendung von Emotionen und Psyche sind statistisch nirgends
erfaßte soziale Kosten der Abwärtsspirale, in der sich mehr als ein
Drittel der Bevölkerung befindet. Fürsorgeorganisationen und Kirchen
beklagen in den Slums von Nairobi die Zunahme häuslicher Gewalt, in die
sich der angestaute Lebensfrust kanalisiert, und eine wachsende Zahl alleinerziehender
Mütter. Je mehr die Männer sich durch Migration und ihre Vielfreundinnenwirtschaft
aus der familialen Verantwortung verabschieden, desto bedeutender sind für
die soziale Sicherung die Bindungen zwischen den weiblichen Verwandten, aber
auch die Allianzen von Frauen in der Nachbarschaft (...) Männer haben auch
Freunde. Aber für sie ist das entscheidende Bindemittel der Alkohol« (Wichterich,
1998, S. 175 f.)
Schultz vermutet mit
den »Bielefelderinen« Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von
Werlhof, daß sich die ökonomischen Strukturen (Schattenarbeit u.ä)
und die damit verbundenen Lebensformen in Ländern der Dritten Welt zunehmend
auch in westlichen Ländern entwickeln. Dabei rekurriert Schultz insbesondere
auf den Begriff der »Hausfrauisierung« bei den »Bielefelderinnen«. Waren z.B.
die Frauen in Mexiko zunächst die Vorreiterinnen im Kampf um brachliegendes
Land, so gingen männliche Landbesitzer und männliche Staatsbeamte
schließlich einen Kompromiß gegen die Frauen ein (Schultz, 1994,
S. 216).
Die Einbeziehung von
Frauen in den Weltmarkt kann nun so geschehen, daß z.B. die »hausfrauisierten«
Frauen in Mexiko Hausfrauenkredite durch die Weltbank erhalten. Auf diese Weise
kommt zu ihrer nicht entlohnten Subsistenzarbeit auf dem Land für die Ernährung
noch die entlohnte Vertragsarbeit hinzu. So wurden den Mexikanerinnen Kredite
angeboten, mit denen sie für den Verkauf auf dem Markt eine bestimmte Hühnerrasse
züchten sollten. Aus verschiedenen Gründen lohnte sich der Verkauf
der Hühner jedoch nicht, so daß die Frauen zuletzt auch noch Schulden
hatten. Dabei stellt es sich aus der Warte der Weltbank insgesamt so dar, daß
die »Subsistenzarbeit der Frauen auf ihren Eigenanbau-Feldern als >Leerzeiten<
und >Stockungen< im Fließprozeß der globalen Fließzeiten
(erscheint)« (Schultz, 1994, S. 219).
Mit den »Bielefelderinnen«
geht Schultz von einer massenhaften Zunahme von Warenproduzenten aus, die lohnlos
und nicht abgesichert ihre Existenz fristen müssen. In diesem Kontext werden
folgende Zusammenhänge überhaupt als zentrale Charakteristika der
Globalisierung in den 90ern betrachtet: Nicht zuletzt bedingt durch die neuen
Technologien brechen die Unternehmen aus der nationalstaatlichen Enge aus und
lassen sich dort nieder wo die Bedingungen am günstigsten für sie
sind. Global Players entstehen. Die Nationalstaaten konkurrieren nun untereinander
in vorher nicht gekannter Weise. Um Kapital anzulocken, werden Deregulierungsmaßnahmen
durchgeführt, Steuern für die Unternehmen gesenkt, sozialstaatliche
Maßnahmen und Regelungen zurechtgestutzt, Arbeitsschutzgesetze verändert,
Löhne gesenkt usw. Es kommt zu einer Informalisierung der Arbeit, ungesichterte
Arbeitsplätze nehmen zu: Zeitarbeit, Outsourcing, Subunternehmertum, Heim-und
Hinterhofarbeit, ein allgemeines Zulieferertum, niedrig entlohnt, unorganisiert,
mit ungeheurem Arbeitsdruck breiten sich aus. Derartige Produktionsverhältnisse
sind kennzeichnend für die 90er Jahre. Dagegen sind Freie Produktionszonen
mit großen Fabrikanlagen und schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen,
wie sie in den 80ern noch in Südostasien oder Lateinamerika zu finden waren,
in denen vor allem junge Frauen arbeiteten, ein Auslaufmodell.
So entstehen nun z.B.
informations- und wissentechnologisch qualifizierte Kernbelegschaften, priviligiert,
meist weiß und männlich, und eine Unternehmensperipherie, die sich
aus niedrig entlohnten, gering ausgebildeten, mangelhaft abgesicherten Arbeitskräften
zusammensetzt. Dabei muß sich der privilegierte High-Tech-Bereich jedoch
nicht unbedingt in den sogenannten hochentwickelten Ländern befinden. Siemens
z.B. läßt seine Computerprogramme momentan in Indien entwickeln.
Dergestalt entstehen Dritte Welten in der Ersten und Erste Welten in der Dritten
Welt.
Allerdings muß
gesagt werden, daß schon von vornherein Arbeitsplätze durch Rationalisierung
entfallen, die nirgendwo auf der Welt mehr entstehen, also weder in Billiglohnländern
der Dritten Welt noch in den Billiglohnsektoren der Ersten Welt. Diese Rationalisierungstendenz
betrifft zukünfig vermutlich nicht nur den mittlerweile schon randständig
gewordenen Produktionsbereich, sondern ebenso den Dienstleistungsbereich, dessen
Expansion oft als große Chance für Frauen gesehen wird. In diesem
Zusammenhang betreiben hochdotierte Computerspezialisten gewissermaßen
schon immer ihre eigene Rationalisierung. Überproduktionskrisen sind die
unausweichliche Konsequenz dieser Entwicklung (vgl. Wichterich, 1998).
Trotz derartiger Marginalisierungstendenzen
und obwohl das Modell des Mannes als Familienernährer längst obsolet
ist, löst sich das hierarchische Geschlechterverhältnis jedoch keineswegs
auf. »Alexis vom Denver-Clan wurde nicht nur in Kenia, Venezuela, Mexiko und
Jamaica medienwirksam ausgestrahlt, sondern das Ideal der Kleinen Selbständigen,
die trotz hierarchischer Geschlechterunterordnung, trotz steigenden Entzugs
an autarken Reproduktionsmöglichkeiten ihre eigene Reproduktion wie die
ihrer Kinder und manchmal auch noch die der dazugehörigen Männer irgendwie
hinbekommt, geht >rund um die Welt< (...) Das Modell der Hausfrau ist
heute nicht mehr wie im 19. Jahrhundert unbedingt durch Ehe- und Keuschheitsgebot
für Frauen beschrieben. Es funktioniert nicht über die Ausmalung von
Geschlechtscharakteren, sondern über die Festlegung von Funktionszuschreibungen,
die - und das halte ich für den entscheidenden Ausdruck globaler Produktionsfließprozesse
- doppelt gefaßt werden: einmal als funktionelle Festlegung auf potentielle
Mutterschaft mit ihren ganzen oikos-Verantwortungen, und zum anderen zugleich
als Festlegung auf geldentlohnte Existenzsicherung: Verantwortung für das
Geld und für das (Über-)leben. Diese doppelte paradoxe Funktionzuschreibung
wird im Modell Hausfrau als Kleine Selbständige ausgedrückt. Sie ist
das paradoxe Leitbild globaler Flexibilisierung« (Schultz, 1994, S. 217 bzw.
S. 218).
Da haben wir es wieder:
das postmoderne Ein-Geschlecht-Modell von dem oben schon die Rede war, nun werden
auch seine gewaltigen Schattenseiten und die damit verbundenen spezifischen
Benachteiligungen und Unterdrückungen von Frauen sichtbar. Betont werden
muß m.E. jedoch, daß der Übergang zu diesem Modell ohne Verinnerlichungen
bei den männlichen und weiblichen Individuen (herübergekommen aus
dem modernen warenförmig-patriarchalen System der Zweigeschlechtlichkeit)
gar nicht möglich ware, wie sie sich gerade auch in der als selbstverständlich
erachteten Zuständigkeit von Frauen für Haushalt und Kinder zeigt,
die subjektiv und objektiv unangetastet bleibt. Ohne ein noch irgendwie verinnerlichtes
Bild von der guten Mutter und Hausfrau, ist auch keine Transformation in die
gute postmoderne Müll-Mutti möglich. Es ist zu vermuten, daß
derartige nun fluid gewordenen subjektiven und die damit verbundenen objektiven
Momente, so etwas wie eine Art Steigbügelhalterfunktion für die Ausbildung
neuer postmoderner Formen des Patriarchats haben. Bei Hauser oben als auch bei
Schultz klingt es hingegen so, als gäbe es eine psychische Inwendigkeit
bei den postmodernen Frauen gar nicht. In diesem Zusammenhang muß auch
davon ausgegangen werden, daß die zunehmende männliche Gewalt und
auch eine männliche Alkoholfixierung heute, von der Wichterich oben spricht,
in traditionellen Geschlechterrollen und -vorstellungen ihre Wurzeln haben.
Schultz weist darauf
hin, daß das Bild der »Kleinen Selbständigen« sich freilich kulturspezifisch
jeweils anders zeigt. So gibt es z.B. im katholisch geprägten Mexiko einen
Macho-Kult, der in Jamaica durch die Geschichte der britischen Kolonialisierung
so nicht vorkommt.
Tendenzen der »Jamaicanisierung«
machen sich jedoch auch noch in anderer Hinsicht als bisher aufgezeigt in Ländern
bemerkbar, die keine IWF- und Weltbankauflagen zu erfüllen haben: BRD,
USA, England usw. In diesem Zusammenhang sieht Schultz allerdings auch in den
politischen Strategien des Reagonomics und des Thatcherismus eine Variante der
Strukturanpassungspolitik. Die Dezimierung des Sozialstaats bedeutet für
Frauen nun nicht nur, daß sie wieder verstärkt zur Pflege von Kranken,
der Betreung von Kindern etc. herangezogen werden, gleichzeitig entfallen auch
bezahlte Tätigkeiten im Sozialbereich, die vor allem von Frauen verrichtet
wurden, wie z.B Young (1998, S. 191 f.) festellt.
Schon seit den 70ern
machen auch in Europa und den USA Schlagworte von der »Feminisierung der Armut«
die Runde. Dabei zeigt sich auch, daß mit »dem Abbau von sozialstaatlichen
Leistungen (...) eine neue Logik der negativen Definition von Frauenlebenszeiten
zu finanzpolitisch wertlosen >Leerzeiten< sichtbar (wird). Sie funktioniert
als Selektion zwischen wertvollen und unwerten Frauenlebenszeiten und zeigt
sich in einem flexibilisierten Muster der Geschlechterhierarchien« (Schultz,
1994, S. 223). Dies bedeutet, daß es neben »wertvollen« Formen der »Kleinen
Selbständigen« auch unerwünschte Frauen gibt. So zeigt sich in den
USA, daß Frauen längst nicht mehr nur über die Zugehörigkeit
zu einem Ehemann sozial verortet werden, sondern dies nach Kriterien der »ethnischen«
Zugehörigkeit geschieht und der Zugehörigkeit zu einem finanzkräftigen
Nationalstaat. Darin drückt sich die Globalisierung aus. Asylbewerberinnen,
schwarze Frauen, Frauen aus sog. ethnischen Minderheiten und Rentnerinnen bilden
in den USA die unterste Bevölkerungsschicht; sie leben im Ghetto, machen
schlecht entlohnte »Drecksarbeiten« und gehören zur Masse der Obdachlosen.
Frauen aus der »Zweiten und Dritten Welt«, werden wegen ihrer Gebärfähigkeit
als soziale und ökologische Bedrohung gesehen (vgl. Schultz, 1994, S. 223
f).
Durch diese Situation
entstehen nun »neue Formen von Identitätsanforderungen« wie Schultz schreibt.
Da die Existenz weder durch soziale noch finazielle Leistungen der öffentlichen
Instanzen noch durch Möglichkeiten zur Subsistenzproduktion gesichert werden
kann, bilden sich »private« Sozialformen heraus, »die als Vermittlungsinstanzen
im Prozeß individualisierender Vergesellschaftung fungieren«. Hierbei
handelt es sich um informelle Zusammenhänge, in denen soziale Zugehörigkeit
als »rigide Identitätsanforderung« gestellt wird. Ein Beispiel hierfür
wären communities, die sich um den gemeinsamen Bezugspunkt »Ethnie« gruppieren.
Ist der Existenzdruck der Grund sich mit der ausgegrenzten Gruppe zu identifizieren,
hat dies für Frauen oft fatale Folgen. Trotz häufiger Gewalterfahrungen
sind sie durch den Identitätsdruck dazu gezwungen, das hierarchische Verhältnis
zwischen Männern und Frauen zu akzeptieren (Schultz, 1994, S. 224 f).
Diese Identitätsmuster
werden dann gewählt, wenn keine Möglichkeit besteht eine »formale
Berufs- und Währungsidentität« zu erwerben, wobei Schultz betont,
daß es sich hierbei um ein Leitbild und nicht um die »psychische Innenausstattung
der meisten Menschen« handelt (Schultz, 1994, S.226). Diese Berufs- und Währungsidentität
ist heute wesentlich durch drei Kriterien gekennzeichnet, entlang derer Ausgrenzung
im Zeit=Geld-Zusammenhang funktioniert: »-
einer formalen Leistungsfähigkeit ohne >Leerzeiten<; -
einer formalen >Kompetenz< die explizit nicht Reproduktionsverantwortung
einbezieht; - einer
formalen >Professionalität<, die ohne Bezug auf die in >Privatzusammenhängen<
und als Geschlechtsperson gemachten Erfahrungen
ist« (Schultz, 1994, S. 225).
4.
Trotz aller Kritik
und Ergänzungsbedürftigkeit scheinen mir das Bild der »Kleinen Selbständigen«
und die festgestellte Tendenz zu einer Jamaikanisierung/Ökologisierung
bei Schultz geeignet zu sein, die neue Qualität der postmodern-modifizierten
Geschlechterverhältnisse im Zuge globaler und neoliberaler Entwicklungen
zu charakterisieren. Dabei lassen sich die Schlacken der modernen »Wert-Abspaltung«
in dieser neuen Qualität heute noch deutlich erkennen, was ich im folgenden
nochmals kurz herausstellen möchte.
- Die Kindererziehung
liegt generell, auch in den westlichen Ländern, trotz Auflösung von
Ehe und Familie fest in weiblicher Hand; dementsprechend ergeben sich für
Frauen - gerade in der »beliebigkeitsverliebten« Postmoderne - andere Entscheidungsmaßstäbe
als für Männer; ihr Zeitbezug ist insofern ein anderer, als sie nicht
bloß der »Zeitsparlogik« (Frigga Haug) verpflichtet sein können.
- Frauen obliegt hauptsächlich
die oikos-Verantwortung, die (vom traditionellen Geschlechterverhältnis
herübergekommen) nun aufgrund des Sichtbarwerdens sozialer Auflösungsprozesse
und globaler Zerstörungen noch eine besondere Qualität annimmt, indem
hier noch eine übergreifende Dimension ins Spiel kommt. In diesem Zusammenhang
wird auch plastisch, was Frigga Haug einmal feststellt, nämlich, daß
die zeitraubenden Reproduktionstätigkeiten zunehmend weniger erledigt werden
können, nicht zuletzt durch das Ringen der Frauen um die materielle (Erwerbsarbeits-)Existenz,
wie aus den Ausführungen von Schultz geschlossen werden kann, und sie dennoch
den Frauen als »Abfall« zugewiesen wird (vgl. Haug, 1996, S. 117 f).
- In metamorphorisierter
Gestalt zeigt sich die Wert-Abspaltung weiterhin auch im Konstrukt der Frau
als Natur, vermittelt über ihre Gebärfähigkeit, die nun paradoxerweise
als ökologisch bedrohlich erscheint. In dieser ohnehin verqueren (auch
mathusianischen) Argumentation wird (implizit) offensichtlich noch einmal auf
absurde Weise davon ausgegangen, daß Frauen Kinder parthenogenetisch »produzieren«.
Als bräuchte man dazu nicht auch Männer, die genauso wenig und genauso
viel »Natur« wie Frauen sind.
Das Gesamtresultat
dieser im Gestaltwandel und in Auflösung begriffenen Abspaltung ist wiederum
eine spezifische Zurücksetzung von Frauen im Gegensatz zu Männern
gerade in der epochalen Krise. Die männlich-konnotierte Leistungs- und
Arbeitsexistenz ist dagegen so gefragt wie vielleicht noch nie zuvor. Dies gilt
nicht nur dann, wenn karrierebewußt z.B. ein hochdotierter Job in der
High-Tech-Branche anvisiert wird, sondern generell; obwohl bzw. gerade weil
auch Männer zunehmend ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen
ausgesetzt sind. Überhaupt kulminiert im globalisierten Kapitalismus der
schon in der Moderne existierende »Zeitsparzwang« in einer »just in-time«-Orientierung.
Dabei sind Frauen heute für das Geld und das Überleben gleichermaßen
zuständig. Daß Frauen nun Funktionen übernehmen, die traditionell
»Männersache« waren, trifft nicht bloß auf Drittweltländer,
etwa infolge von Migrationsbewegungen zu, sondern ebenso für die hochindustrialisierten
Länder. So müssen z.B. alleinerziehender Mütter auch hierzulande
nicht selten im Alltag Mutter und Vater zugleich sein.
Offenbar gehen wir
also tatsächlich auf ein Ein-Geschlecht-Modell mit hierarchischen Geschlechterverhältnissen
zu, allerdings einem, das durch den »klassisch-modernen« Wert-Abspaltungsprozeß
hindurchgegangen ist. Dabei treibt selbst dann, wenn der »Kollaps der Modernisierung«
(Kurz, 1991) und damit auch die Erosion des warenproduzierenden Patriarchats
sichtbar wird, der Androzentrismus als »psychogenetisches Unterbauphänomen«
im Sinne der Wert-Abspaltung immer noch sein Unwesen, auch in modifizierten
Leitbildern, emotionalen Befindlichkeiten und Codes, wie sie mit einer veränderten
ökonomischen Lage einhergehen.
Aufs Ganze gesehen
machen die bisherigen Ausführungen also überdeutlich, daß mit
den übergreifenden postmodernen Individualisierungstendenzen alles andere
als das goldene Zeitalter für Frauen angebrochen ist, wie bis Anfang der
90er manche dachten; weitgehend aus dem Blick gerät solchen Positionen
auch, daß die postmodernen Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen per
se schon immer kapitalistisch-patriarchal beschränkte sind, mit entsprechenden
Konsequenzen: z.B. bewirkt das Locker-Werden von Beziehungen bei Männern
auch, daß die Zahlungsmoral für nicht-eheliche Kinder und Kinder
aus geschiedenen Ehen sinkt, wie Pressemeldungen der letzten Zeit zu entnehmen
war. Deutlich wird so ebenfalls, daß die Einschätzung so mancher
Linker und Feministinnen, mit der Auflösung der Familie nehme auch die
Frauenunterdrückung- und benachteiligung ein Ende, ein mechanischer, formallogischer
Trugschluß war. Stattdessen kommt es zu einer Verwilderung des warenproduzierenden
Patriarchats. Diese Konsequenz zieht Schultz nicht, obwohl ihre Analyse dies
doch dringend nahelegt.
5.
Obwohl Schultz die
postmoderne Frauenexistenz im ganzen gesehen keineswegs rosig beschreibt, kommt
es ihr nicht in den Sinn, diese Existenz radikal in Frage zu stellen. Vielmehr
fordert sie »vor allem auch geschlechterdifferenzierende politische Strategien
und politische Institutionen zur Unterstützung der alltäglichen Lebensführung«
(Schultz, 1994, S. 212). Damit steht Schultz mit ihrer positivierenden, das
postmoderne Geschlechterverhältnis festschreibenden Position keineswegs
allein im Feminismus der 90er da, wie ich noch anhand zweier anderer Konzeptionen
zeigen werde.
Seit Anfang der 80er
erregte die These der »doppelten Vergesellschaftung«, die Regina Becker-Schmidt
mit ihren Mitarbeiterinnen anhand der Untersuchung von Industriearbeiterinnen
in der alten BRD aufstellte, in den Sozialwissenschaften sukzessive immer mehr
Aufmerksamkeit. Becker-Schmidt geht dabei von einer grundsätzlichen Ambivalenz
bei Frauen aus, die aus strukturellen Widersprüchen ihrer gesellschaftlichen
Situation resultiert. »Frauen haben ein komplexes Arbeitsvermögen erworben,
das sie für zwei >Arbeitsplätze< qualifiziert: den häuslichen
und den außerhäuslichen. Wollen sie Erfahrungen in beiden Praxisfeldern
machen, drohen ihnen die qualitativen Probleme der Doppelbelastung. (...) Beide
Formen der Herrschaft verschärfen die Problemlagen: das Fortleben patriarchaler
Strukturen in der Familie (...) erschwert die Partizipation der Frauen an der
außerhäuslichen Arbeitswelt und an anderen Formen der Öffentlichkeit.
Und die Wertehierarchie des Berufssystems, das Menschen nach ökonomischen
Kategoriengesichtspunkten und nicht nach Lebensbedürfnissen kalkuliert,
nimmt von der Existenz eines familialen Arbeitsplatzes (...) keine Notiz« (Becker-Schmidt,
1987, S. 23 f).
Klingt hier auch Kritik
an, so wird die Besserbewertung von Frauen und ihrer postmodernen Lebenssituation
gegenüber Männern endgültig in neueren psychoanalytischen Überlegungen
von Becker-Schmidt deutlich, in denen sie gleichsam eine subjektive Dimension
der »doppelten Vergesellschaftung« aufzeigt. »Durch identifikatorische Umpolungen
und Umbesetzungen von mütterlichen und väterlichen Introjektionen
halten Mädchen in ihrer Ich-Bildung eher an geschlechtsübergreifenden
Suchbewegungen fest als Jungen. Auch wenn es ihnen in ihrem Lebenslauf nicht
gelingt, alle Potentiale zu realisieren, weil sie z.B. aus bestimmten Männern
vorbehaltenen Bereichen herausgehalten werden (...) Auch wenn Frauen sich den
männlichen Vorstellungen von der weiblichen Rolle in der Familie fügen,
so liegt in ihrer Nachgiebigkeit doch so etwas wie >Gehorsam unter Protest<
(Ferenczi). Sie lassen sich nicht ans Haus binden (...) Das innovative Potential
gesellschaftliche eigensinnige Optionen in einem Lebensentwurf zu realisieren
und so sozial voneinander Getrenntes - Privates und Öffentliches - im Sinne
einer Integrationsleistung zusammenzuführen, liegt auf Seiten der weiblichen
Genusgruppe« (Becker-Schmidt, 1995, S. 240).
Treffen wir im warenförmig-modernen
Patriarchat etwa in manchen lebensphilosophischen Entwürfen die Konstruktion
der Frau als »volleres Individuum« im Gegensatz zum Mann an, weil sie (beruflich)
als dem Erwerbsprozeß fernstehende Hausfrau und Mutter, und überhaupt
angeblich von ihrer ganzen Wesenart her, nicht zu Vereinseitigungen neigt, bei
ihr z.B. Verstand und Gefühl besser als beim bornierten Mann integriert
seien, so haben wir bei Becker-Schmidt die seitenverkehrte postmoderne Version
dieser altpatriarchalen Sichtweise vor uns. Die Frau erscheint nicht als Hausfrau
und Mutter »voller«, weil sie dem Erwerbsleben entzogen ist, sondern gerade
umgekehrt als »doppelt vergesellschaftete«.
Die Tatsache der Doppelbelastung
wird im vorletzten Zitat zwar thematisiert, theoretisch paßt sie aber
nicht wirklich in das Konzept von Becker-Schmidt; dementsprechend dominiert
bei ihr generell die Figur der Frau »als Widerständige« und dies auch noch
im Gehorsam, wie zu sehen war. Dabei geht Becker-Schmidt davon aus, daß
bloß das pure Hausfrauendasein konservativ besetzt ist und als müßten
sich Frauen besonders dagegen zur Wehr setzen.
Becker-Schmidt übersieht
dabei einfach, daß die heute dominierende Form des Konservativismus nicht
zur Norm der Ehefrau, Hausfrau und Mutter zurückwill, wie selbst Schäuble,
Süßmuth und Nolte zeigen. Die »Frau, die alles will« ist überdies
längst Bestandteil der Werbung. Daran sieht man auch, daß sich eben
auch auf der symbolischen Ebene etwas geändert hat. Mit der Annahme einer
Widerständigkeit und Innovationsfähigkeit von Frauen, resultierend
aus der »doppelten Vergesellschaftung«, affirmiert Becker-Schmidt im Grunde
die postmoderne Frau als »eierlegende Wollmilchsau« und zementiert so die postmodern-patriarchalen
Gesellschaftsverhältnisse.
Auch wird die postmoderne
Frau und ihre Situiertheit von Becker-Schmidt dabei nicht durch eine grundlegende
Gesellschaftskritik in Frage gestellt wie etwa noch die Lohnzufriedenheit von
Arbeitern bei Adorno (Becker-Schmidt kommt aus der Tradition der kritischen
Theorie), sondern es findet ein positiv-populistischer Bezug auf die postmodern-warenförmige
Existenz und die damit verbundenen immanent-ambivalenten Bedürfnisse von
Frauen statt.
Mit meiner Kritik
möchte ich nicht in Abrede stellen, daß es bis in die zweite Hälfte
der 80er, ja im Prinzip bis Anfang der 90er in gewisser Weise tatsächlich
den Anschein haben konnte, Frauen seien mit ihrem Protest gegen das »Patriarchat«,
der lange Zeit nicht selten mit einer Kritik am Kapitalismus einherging, auf
eine gesellschaftstranszendierende Weise innovativ. Und dieser Protest hing
damals wohl u.a. tatsächlich auch mit den zunehmend auffallenden Konflikten
zwischen Erwerbsbeteiligung und nach wie vor bestehender Zuständigkeit
für den Privatbereich zusammen; zumal Frauen bekanntlich seit den 60ern,
z.B. was die Qualifikationen anbelangt, immer mehr mit den Männern gleichzogen,
zunehmend auch Mütter einer Berufstätigkeit nachgingen und überhaupt
ein gesellschaftskritisches Klima bestand. Aber in der nun mehr denn je »eindimensionalen«
Gesellschaft (Herbert Marcuse) der 90er darin noch immer in irgendeiner Weise
ein innovatives, widerständiges Potential erkennen zu wollen, halte ich
allerdings für mehr als verfehlt (s.u.).
Heute fällt demgegenüber
auf, daß Frauen ausgerechnet zu einem historischen Zeitpunkt »doppelt
vergesellschaftet« wurden (und zwar so, daß es ihnen auch zu Bewußtsein
kommt, auch wenn dieser Status nicht notwendigerweise seine Kritik gleichzeitig
nach sich zieht), in dem sich der Zerfall der lange Zeit konstatierten negativen
Vergesellschaftung in extremem Maße bemerkbar zu machen beginnt und das
warenproduzierende Patriarchat und das ihm entsprechende Zivilisationsmodell
auch hierzulande aus dem Ruder zu laufen drohen. In den 90ern verfestigt sich
diese bei Becker-Schmidt vermeintlich schon aus sich selbst allein immerzu Widerstand
hervorrufende Struktur der »doppelten« Vergesellschaftung« paradoxerweise in
und durch die chaotisierten Verhältnisse selbst.
In diesem Zusammenhang
muß prinzipiell festgehalten werden, daß Becker-Schmidt nicht zu
einer radikalen Infragestellung von Hausarbeit und Erwerbsarbeit kommt, wie
sie für eine emanzipatorische Perspektive m.E. heute auf der Tagesordnung
stünde. Dies gilt schon auf einer theoretischen Grundsatzebene. Sie geht
fraglos von arbeitsontologischen Annahmen aus, die sie in ihren Texten im großen
und ganzen gesehen auch auf die weiblichen Reproduktionstätigkeiten überträgt.
Und auf dieser Folie wird dann die »doppelte Vergesellschaftung« von Frauen
konstatiert und ihre Idealisierung betrieben.
Vor dem Hintergrund
der Ausführungen von Schultz wirkt das Konzept der »doppelten Vergesellschaftung«
von Becker-Schmidt wie ein Hohn. Dabei muß freilich berücksichtigt
werden, daß es Edelvarianten und Vereledungsvarianten der »doppelten Vergesellschaftung«
und der Individualisierung von Frauen gibt. Diese Edelvarianten zeigen sich
z.B. in Form gutsituierter Berufs-Frauen, die es geschafft haben etwa in der
High-Tech-Sektor oder in der Finanzbranche Karriere zu machen - auch wenn der
männliche »>Tigertyp<, immer auf dem Sprung, leistungsstark, flexibel,
ungebunden«, hier freilich nach wie vor die besten Chancen hat (Wichterich,
1998, S. 71) - und/oder auch darin, daß (karrierebewußte) privilegierte
Frauen für die Reproduktionstätigkeiten z.B. schlecht bezahlte Migrantinnen
anstellen.
Dabei ist wohl davon
auszugehen, daß Edelvarianten der weiblichen Individualisierung heute
wohl immer noch mehr in der Ersten Welt, die Vereledungsvariante hingegen vor
allem in der Dritten Welt anzutreffen sind. In diesem Zusammenhang stellt sich,
was die immer noch relativ privilegierten »doppelt vergesellschafteten« Frauen
der hiesigen »Dominanzkultur« (Birgit Rommelspachen) anbelangt, folgendes Problem,
das bei einer weiteren Verschärfung der ökonomischen Lage noch stärker
zutage treten könnte: »Die Unterordnung der Frau ist nationalstaatlich
reguliert, sie vollzieht sich in und durch die vom Nationalstaat umrissenen
Räume der Familie, des Privaten und des öffentlichen, des Produktions-
und Reproduktionsbereichs (...) Maßnahmen zur >Vereinbarkeit von Familie
und Beruf<, zur sozialen Absicherung der sogenannten Einelternfamilien, staatlichen
Diskriminierungsschutz sind nur einige Beispiele in denen sich die neuen Grenzverläufe
andeuten (...) Obgleich es keine Anzeichen dafür gibt, daß das sich
hier herausbildende neue Arrangement der Geschlechter von einer Abschwächung
oder gar Auflösung der sexistischen Arbeitsteilung begleitet sein wird,
kristallisiert sich bereits ein neuer Konsens heraus: die Gleichwertigkeit der
Frau als Staatsdoktrin, der Nationalstaat als Garant des bisher Erreichten und
als Mentor einer fortschreitenden Veröffentlichung der bisher dem privaten
vorbehaltenen >weiblichen Tugenden<. Wird auf diese Weise das eigene Emanzipationsprojekt
im Nationalstaat wiedererkannt, scheint der Weg vorgezeichnet, wie noch im Namen
von Fraueninteressen nationalstaatliche Machtpolitik legitimiert werden kann«.
(Eichhorn 1994a, S. 88).
Daß dabei ein
»zunehmend gleichgeschlechtlicher Gefühlscode«, der »auf dem alten Code
der Männer« basiert, und eine weibliche »oikos-Normativität- und Mentalität
in modifizierter Gestalt sich im Profil der postmodernen neuen Frau treffen,
sei hier noch einmal betont. Eichhorn unterstreicht stattdessen trotz aller
Benennung struktureller Novitäten in ihrer Darstellung die »weiblichen
Tugenden« als würde es sich dabei noch um die alten handeln. Dennoch zeigt
sich hier: Die einstige Widerständigkeit der »doppelt vergesellschafteten«
Frau, kann heute somit ganz und gar nicht »innovativ« ins Postmodern-Reaktionäre
umschlagen.
6.
Dominiert das Konzept
der »doppelten Vergesellschaftung« von Frauen derzeit die Sozialwissenschaften,
so steht Judith Butlers dekonstruktivistischer Ansatz in den 90ern im Zentrum
der feministischen Philosophie. In welchem Zusammenhang steht nun Butlers Denken
zum hier dargestellten, qualitativ neuen Geschlechterverhältnis?
Bevor ich auf diesen
Zusammenhang eingehe, möchte ich zunächst einmal ganz knapp Butlers
Position darlegen. In »Das Unbehagen der Geschlechter« kritisiert sie die lange
im Feminismus vorgenommene Trennung zwischen »sex« und »gender«. Im Anschluß
an verschiedene TheoretikerInnen, vor allem aber an Foucault, entwickelt sie
eine Perspektive, die »sex« schließlich völlig in »gender« aufgehen
läßt, da auch das biologische Geschlecht, ja der Körper überhaupt
ein Diskursprodukt seien. Da für Butler Geschlecht eine performative und
keine expressive Kategorie ist, d.h. es rituell immer wieder dargestellt werden
muß, sieht sie in der internen Subversion des Geschlechterdualismus, wie
sie in schwulen und lesbischen Subkulturen durch wiederholende parodistische
Praktiken ihrer Meinung nach anzutreffen ist, einen Weg, die Geschlechtsidentität
radikal unglaubwürdig zu machen (vgl. Butler, 1991).
Das Problem bei Butler
ist es m.E. nun, daß sie karikierend etwas unglaubwürdig machen möchte,
nämlich die moderne Geschlechtsidentität und das moderne »System der
Zweigeschlechtlichkeit«, was längst obsolet geworden ist, ohne daß
die Geschlechterhierarchie deswegen verschwunden wäre. Es haben längst
»Realdekonstruktionen« stattgefunden, ablesbar eben an der »doppelten Vergesellschaftung«
von Frauen, aber auch an der Kleidung von Männern und Frauen u.ä.
Deshalb trifft hier wiederum ein Einwand Cornelia Eichhorns, die im übrigen
- anders als ich - ebenfalls einen konstruktivistischen Ansatz vertritt, gegenüber
Butler zu, nämlich, »daß die Anforderung an Frauen vielfältig
und flexibel, Mutter und Vater, Kumpel und Freundin, Geliebte und Kampfgefährte,
Karriere- und Putzfrau in einer Person zu sein, früher als Teil der sexistischen
Arbeitsteilung begriffen und zurückgewiesen (wurde). Heute hingegen könnte
man mit Butler glauben, hinter dieser Anforderung das Licht der Freiheit aufblitzen
zu sehen« (Eichorn, 1994b, S. 43). Es liegt auf der Hand, inwiefern Butler so
das postmodern-neoliberale Ideal der »Kleinen Selbständigen« von Schultz
affirmiert, bei dem Alexis vom Denver Clan und die oikos-Hausfrau und -Mutter,
jetzt noch mit ökologischer Verantwortung und für Geld und Überleben
gleichzeitig zuständig, im Zuge von Globalisierung, Neoliberalismus und
dem Einsatz neuer Technologien, ein qualitativ neues Amalgam eingehen.
Butlers Konzept geht
so nicht einfach bloß ins Leere, weil es von der alten Geschlechterpolarität
ausgeht, sondern es hat geradezu etwas verschleiernd-ideologisches. Dieses rein
kulturalistische Konzept gibt keine Antwort auf aktuelle Fragen, vielmehr wird
bei ihm das eigentliche Problem des hierarchischen Geschlechterverhältnisses
in der Postmoderne und hierbei insbesondere die (pseudo-)zwittrige Frau mit
progressiver Attitüde geradezu als Lösung kredenzt. Auf wieder andere
Weise geschieht dies auch bei Becker-Schmidt wie zu sehen war. Beide Positionen
stützen somit die heute geforderten geschlechtsspezifischen Flexi-Zwangsidentitäten
im erodierenden warenproduierenden Patriarchat; mit einer Aufhebung von (sozialer)
Männlichkeit und Weiblichkeit überhaupt und dazu auch noch im Sinne
einer Kritik der Wert-Abspaltung über die Postmoderne hinaus, haben sie
absolut nichts im Sinn.
Im Gegensatz zu derartigen
identitätskritischen Einschätzungen scheint es mir daher eher so zu
sein, daß die modernen Geschlechteridentitäten in ihrer Hierarchisierung
als unaufgehobene, nur in patriarchaler Auflösung befindliche, sich heute
in der Verwilderung des warenförmigen Patriarchats bloß noch einmal
bestätigen (wobei insbesondere Butler zumindest in dem hier behandelten
Buch »Das Unbehagen der Geschlechter« die Geschlechtsidentitäten immer
schon als bloß fiktive begreift). Insofern bin ich der Meinung, daß
immer noch entschieden zuviel geschlechtsspezifische »Identität« vorhanden
ist, auch wenn das dualistische Geschlechtermodell praktisch der Vergangenheit
angehört.
7.
Im Vergleich dazu scheinen
neuere feministische Handlungskonzepte sowohl im nationalstaatlichen als auch
im internationalen Rahmen im Globalisierungsdiskurs auf den ersten Blick weniger
den Status quo im Sinne der bislang beschriebenen postmodernen Geschlechterverältnisse
zu zementieren. Denn sie intendieren z.B. ganz prinzipiell eine Umverteilung
von Reproduktionstätigkeiten und Produktionsarbeiten und nicht bloß
eine Unterstützung der doppelt belasteten Frauen im Alltag wie Schultz
und sie idealisieren zumeist nicht die doppelt vergesellschafteten Frauen wie
Becker-Schmidt. Darüber hinaus widmen sie sich vor allem im Gegensatz zu
Butler auch großen Problemstellungen (ökologischen, sozialen, ökonomischen),
weshalb ich im weiteren etwas ausführlicher auf sie eingehen will. Herausstellen
wird sich allerdings, daß dabei bloß pseudoradikale, systemimmanente
Lösungen im Gespräch sind, deren Grenzen in der Frauenbewegungspraxis
längst zu einem Gutteil deutlich geworden sind. Das kapitalistisch-patriarchale
System soll auch in diesen Entwürfen nicht in seinen Grundfesten erschüttert
werden. Damit aber perpetuieren sie letztlich die postmodernen (Geschlechter-)Verhältnisse;
denn sie vermögen es nicht, ihnen wirklich etwas entgegenzusetzen.
Manche dieser Konzeptionen
reflektieren explizit die »doppelte Vergesellschaftung« von Frauen in Verbindung
mit einer Gender-Perspektive, wenngleich auch ohne Rekurs auf den Butlerschen
Dekonstruktivismus (vgl. Young, 1998). Aber selbst, wo dies nicht geschieht,
wird in diesen Debatten auf jeden Fall kaum mehr von der modernen Hausfrauenehe
ausgegangen. Innerhalb dieses Diskurses lassen sich nun - soweit ich sehe -
folgende Haupttendenzen herauspräparieren.
Da wird zunächst
einmal ein neuer Geschlechtervertrag/kompromiß im nationalstaatlichen
Kontext anvisiert, der einen anderen Arbeitsbegriff zum Inhalt hat und in dem
Produktions- und Reproduktionstätigkeiten neu verteilt werden sollen vor
dem Hintergrund der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung (vgl. u.a. Beck,
1997, Haug 1997, Sauer, 1998). Sauer, auf deren Vorstellungen ich mich im weiteren
beziehe, bezieht dabei auch die europäische Dimension mit ein; sie will
soziale und kulturelle Privilegienstrukturen aufbrechen und ebenso die Ökologieproblematik
berücksichtigen. Aushandlungsprozessen mit dem Sozialstaat wird in derartigen
Entwürfen großes Gewicht beigemessen und die Forderung nach Repolitisierung
der momentan stattfindenden Deregulierungstendenz entgegengesetzt. Bündnisse
mit anderen Organisationen, z.B. Gewerkschaften und mit anderen benachteiligten
Gruppen, etwa Migrantinnen werden dabei als notwendig erachtet (siehe Sauer,
1998, S. 40 ff.).
Problematisch an solchen
Ansätzen, die das Paradox einer sozialstaatlichen Globalisierungspolitik
versuchen, ist es m.E. nun, daß sie die vom Globalisierungsprozeß
ausgehenden strukturellen Zwänge nicht als solche ernst nehmen und es bei
ihnen oft so klingt, als handle es sich dabei eher um eine »Ideologie« des Kapitals
und der politischen Klasse. Im Grunde wird versucht, das patriarchal-keynesianische
Wohlfahrtsstaatmodell der fordistischen Phase in die postmoderne Globalisierungsära
hineinzuverlängern. Ausgeblendet bleiben dabei weithin Machtasymmetrien,
die in den Aushandlungsprozessen im globalisierten Kapitalismus gegeben sind.
Unter dem Druck der Weltmärkte verkleinert sich der sozialpolitische Spielraum
aber real. Aus diesem Grund ist es m.E. auch naiv den Staat als Bündnispartner
gegen die ökonomische Globalisierung nutzen zu wollen (vgl. Sauer, 1998,
S. 41). Seine Macht verfällt. Hervorzuheben ist dabei, daß dies nicht
an der Bösartigkeit »des Kapitals« liegt; vielmehr sind die Unternehmen
im globalisierten Kapitalismus zur Verwertung ihres Kapitals »bei Strafe des
Untergangs« (Marx) dazu gezwungen, sich dort niederzulassen, wo die Bedingungen
für sie am Besten sind.
Vor diesem Hintergrund
ist es eine Illusion, eine Umverteilung von Produktionsarbeiten und Reproduktionstätigkeiten
via Arbeitszeitverkürzung erreichen zu wollen, dürfte das dabei vorausgesetzte
Grundeinkommen, bei weithin leeren Staatskassen, doch wohl kaum zu allimentieren
sein. In diesem Zusammenhang ist zudem die Ausweitung des Arbeitsbegriffes auf
weibliche Reproduktionstätigkeiten fragwürdig (was in der feministischen
Debatte allerdings gängig ist). Denn diese Tätigkeiten folgen nicht
umsonst einer anderen Zeitlogik als die Arbeiten im Produktionsbereich und haben
deswegen auch einen anderen Charakter; sie können also nicht ohne weiteres
als Arbeit bezeichnet werden. Überhaupt werden Hausarbeit und Erwerbsarbeit
bei Sauer keiner grundlegenden Kritik unterzogen; es geht eben bloß um
ihre Umverteilung.
Ebenso finde ich es
blauäugig, Bündnisse mit solchen Organisationen im Staat zu fordern,
»die einem neoliberalen oder neokorporatistischen Umbau des Sozialstaates ebenfalls
skeptisch gegenüberstehen« (Sauer, 1998, S.40). Dies gilt besonders für
die Gewerkschaften. Abstrahiert wird hier davon, daß es den Gewerkschaften
im »Bündnis für Arbeit« selbst bloß um einen etwas gedämpften
neoliberalen Umbau des Staates und der Gesellschaft geht. Die bornierte Standortlogik
ist hier schon immer Ausgangspunkt der Verhandlung.
Als Basis für
ihre Überlegungen sieht Sauer neue Arbeitsfelder, die den ökologischen
Grenzen der Globalisierung Rechnung tragen. Wie diese vor dem Hintergrund der
komplizierten Globalisierungsdynamik, die unerbittlich dem verallgemeinerten
betriebswirtschaftlichen Renatabilitätsprinzip folgt, installiert werden
sollen, bleibt ihr Geheimnis. Obwohl Sauer Überlegungen auch auf lokaler
Ebene anstellt (was z.B. die Aushandlung von Arbeitszeitmodellen mit lokalen
Industrien angeht) und auch die europäische Dimension reflektiert (Rechtsprechung,
Gleichheitsregelungen) ist für sie der Nationalstaat primärer Ausgangspunkt
ihres politizistischen Handlungsentwurfes, den sie vor dem Hintergrund einer
feministischen Analyse des Wohlfahrtsstaats gewinnt.
Nun gibt es auch andere
feministische Handlungskonzeptionen, die von einer internationalistischen Perspektive
ausgehen. So gilt z.B. die Einschreibung von Frauenrechten als Menschenrechten
in Uno-Resolutionen als Erfolg der Einflußnahme feministischer NGOs nicht
nur im Feminismus. In diesem Zusammenhang existieren Strategieentwürfe,
denen im feministischen Globalisierungsdiskurs viel Aufmerksamkeit zuteil wird.
»Indem Frauenrechte auf allen Ebenen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen
Lebens politisiert werden, verbinden sich damit Forderungen nach der Erfüllung
sogenannter praktischer (Alltags-)Bedürfnisse von Frauen mit den Forderungen
nach Erfüllung ihrer sogenannten strategischen (Gleichheits-)bedürfnisse.
Um die Menschenrechte von Frauen weltweit zu gewährleisten, bedarf es gleichzeitig
kurzfristig konkreter Verbesserungen der Lebensverhältnisse von Frauen,
wie z.B. bei (Aus-)Bildungsmöglichkeiten und der Gesundheitsversorgung,
mittelfristiger Verbesserungen ihrer Rechtssituation, wie z.B. im Eherecht,
aber auch im Erbrecht oder im Landrecht, und längerfristiger Verbesserungen
ihrer Einflußchancen und Machtpositionen im sozial-kulturellen, ökonomischen
und politischen Leben. Dies entspricht ungefähr der von Sara Longwe (...)
im entwicklungspolitischen Kontext entworfenen Stufenleiter des >empowerment<,
mit deren oberster Sprosse die Selbstbestimmung der eigenen Situation erreicht
ist. Daß eine solche Verwirklichung von empowerment von der ersten Stufe
an die Politik der kleinen Schritte mit der strukturellen Transformation von
gleichzeitiger Mikro-, Meso- und Makroebene verknüpfen muß, haben
im übrigen Frauen aus den südlichen Kontinenten bereits Mitte der
80er Jahre in aller Deutlichkeit herausgearbeitet« (Ruppert, 1998, S. 100).
In diesem Zusammenhang
hat auch das Konzept von DAWN (Development Alternatives with Women for a New
Era), einer internationalen Frauenorganisation, mit den Zielen »Restructuring
the market«, »Reforming the state« und »Empowering civil society« im feministischen
Globalisierungsdiskurs Prominenz erlangt. Dabei werden freilich alle drei Ebenen
als miteinander verschränkt angesehen. Angepeilt wird ein neues Ethos globlaler
Entwicklung: Arbeit soll neu verteilt und bewertet werden (u.a. auch zwischen
den Geschlechtern); es soll ökologisch- und sozialverträglich produziert
werden. Soziale Ungleichheiten (klassenmäßige, ethnische und geschlechtsspezifische)
sollen abgebaut und alternative Formen des Produzierens gefördert werden;
man/frau fordert eine Rechenschaftspflicht von Finanzinstitutionen (WTO, IWF,
regionaler Wirtschaftsblöcke usw.) und die Durchführung alternativer
»weicher« Strukturanpassungsprogramme u.ä.; ebenso soll eine weitere Demokratisierung
von politischen Institutionen stattfinden. Transparenz, Solidarität, Verantwortlichkeit
als politische Maxime werden postuliert und in diesem Zusammenhang auch eine
ausreichende Gesundheitsversorgung, bessere Bildungsmöglichkeiten usw.
verlangt. Dabei wird die Notwendigkeit sowohl von nationalstaatlichen als auch
globalen Strategien auf verschiedenen Ebenen betont.
Auch in derartigen
Überlegungen wird allgemeinen Deregulierungstendenzen eine Repolitisierung
des Staates entgegengesetzt und zwar im Rahmen einer globalen Neubestimmung
des Politischen im Sinne von civil society: »Läßt sich Zivilgesellschaft
im Verhältnis zur institutionellen Politik allgemein als >Feld des Streites
über gesellschaftliche Prioritäten, Entwicklungsziele< (...) bezeichnen,
so streitet die internationale Frauenbewegung in diesem Feld von der lokalen
bis zur globalen Ebene für das Ziel einer frauengerechten Entwicklung,
einer >Women's Development Agenda< (...) als Ergebnis der Transformation
globaler Macht- und Herrschaftsverhältnisse« (Ruppert, 1998, S. 103). Auch
in diesem Handlungsmodell wird der Vernetzung mit anderen potentiellen Bündnispartnern
große Bedeutung beigemessen.
Ruppert stellt solche
Vorstellungen in das Konzept von Global governance ein, von dem im allgemeinen
Globalisierungsdikurs um Zivilgesellschaft u.ä. überhaupt viel die
Rede ist. Ursprünglich handelt es sich bei Global governance» um ein »liberales
Konzept der Regulierung von einigen der gesellschaftlichen Krisenlagen, die
sich im Zuge der Globalisierung drastisch verschärfen«, also Umweltproblemen,
Migrationsbewegungen usw. Demgegenüber wird Global governance »in der Perspektive
kritischer NGOs und insbesondere kritischer Frauenorganisationen somit auf seine
Möglichkeiten zu einer radikalen Neubestimmung der Inhalte und Formen globaler
Politik ausgeleuchtet« (Ruppert, 1998, S. 95).
Bei derartigen Vorstellungen
geht es zwar auch um die Alltagsunterstützung von Frauen, wie Schultz sie
fordert, allerdings eben verbunden mit weitergehenden grundsätzlichen Forderungen
nach (welt-)gesellschaftlichen Veränderungen. Im Grunde handelt es sich
um eine ähnliche Konzeption, wie bei der von Sauer, bloß wird hier
die übergreifende Ebene zum Ausgangspunkt genommen. Beide Konzepte ergänzen
sich eigentlich. Demgemäß gelten zentrale Einwände, die gegenüber
dem Sauerschen Entwurf gemacht wurden, auch hier. In diesem Zusammenhang liegt
es auf der Hand, worin das Kerndilemma solch internationalistischer Entwürfe
besteht. Ebenso wie das Sauersche Wohlfahrtsstaat-Konzept, abstrahieren auch
die von Ruppert dargelegten Handlungsmodelle von den knallharten ökonomischen
Strukturen im globalisierten warenproduzierenden Patriarchat und den entsprechenden
Machtverhältnissen. Nach schlechter Gutmenschenart werden in abstrakto,
vom grünen Tisch aus wohlklingende Programme formuliert. Die Aushandlungsmöglichkeiten,
die in einem mittlerweile anchronistisch gewordenen keynesianischen Wohlfahrtsstaat
gegeben waren, sollen nicht bloß wie bei z.B. Sauer auf den nun »nationalen
Wettbewerbsstaat« (Joachim Hirsch) übertragen werden, sondern sie werden
sogar noch auf die globale Ebene projiziert. Dabei gibt es auf dieser Ebene
noch nicht einmal übergreifende Kontrollinstanzen wie im nationalstaatlichen
Kontext. In diesem Zusammenhang liegt das Problem nicht nur darin, daß
sich z.B der IWF nicht so recht von NGOs in die Karten schauen läßt,
wie im NGO-Diskurs häufig beklagt wird, sondern daß derartige Insitutionen
selbst global-ökonomischen Dynamiken unterliegen (man denke etwa an die
prekäre monetäre Lage des IWF im Zuge von immer mehr kollabierenden
Volkswirtschaften im Süden wie im Osten). Selbst wenn Frauen-NGOs also
zur Kontrolle von Wirtschafts- und Finanzinstitutionen zugelassen würden
- aufs Ganze gesehen können sie wohl nicht umhin, auch auf dieser Ebene
bloß Teil der Krisenverwaltung zu werden.
Nun ist es, was den
Menschenrechtsdiskurs angeht, Frauen-NGOs gelungen, Einfluß auf Abschlußdokumente
der großen UNO-Konferenzen in den letzten Jahren zu nehmen. Ganz im Sinne
der Mitverwaltung der schlechten Realität, wird aber schon bei der Mitsprache
bei »weichen« Themen, wenn es sogar bloß um unverbindliche moralische
Forderungen geht, im internationalen Politikkontext folgende Tendenz deutlich
»Inhaltlich hat der Konferenzparcours eine stärkere Ausrichtung der Frauenbewegung
auf das politisch Machbare bewirkt. Sie sind der >großen Politik<
nicht nur näher gekommen, sondern auch gezwungen, sich an deren Vorgaben
abzuarbeiten. Im Dilemma zwischen Anpassungsleistung und Gegenstrategien nötigt
Lobbyarbeit zur Kompatibilität mit Realpolitik. Auf der Handlungspalette
zwischen mainstreaming, der Integration von Frauenbelangen in jede Verhandlung
und in jedes Kapitel der Abschlußdokumente, und der Vision eines radikalen
globalen Strukturwandels (...) tendierte die Politik im Konferenzkontext zwangsläufig
immer stärker zu den kleinen Schritten des mainstreaming. Große alternative
Entwürfe dienen bestenfalls noch als sehr entfernte Leitsterne politischen
Handelns« (Wichterich, 1998, 235).
Dennoch scheint die
zivilgesellschaftliche Hoffnung, der Kapitalismus ließe sich bis zu seiner
Unkenntlichkeit zivilisieren (siehe z.B. auch Dubiel u.a. 1989) durch keinerlei
erfahrbare Realität enttäuscht werden zu können. Auch wenn die
Debatten um die »Zivilgesellschaft« im gesamtgesellschaftlichen Großdiskurs
schon längst ihren Höhepunkt überschritten haben: Euphorische
Konzeptionen zur Ausgestaltung der »Zivilgesellschaft«, die den abstrakten politischen
Willen hypostasieren, gehören zum Festbestand des feministischen Diskurses
in der zweiten Hälfte der 90er. Dies gilt auch für Christa Wichterich,
die trotz des obigen Statements, unter der Überschrift »Wider die Ohnmacht«,
ein paar Seiten weiter in ihrem feministischen Globalisierungsbuch u. a. den
oben erwähnten Entwurf von DAWN zu »restructuring the market«, »reforming
the state« und »empowering civil society« positiv anführt (Wichterich,
1998, S. 237 ff).
Ausgerechnet in einer
Zeit, in der deutlich wird, daß die (sozial-)politischen Handlungsspielräume
innerhalb des kapitalistisch-patriarchalen Systems immer enger werden, sich
Probleme auftun, die systemimmanent nicht bewältigt werden können,
Bürgerkriege den Erdball erschüttern und der Krisenherde immer mehr
werden usw., macht sich ein »zivilgesellschaftlicher Totalitarismus« (Hirsch,
1995, S. 156 f.) breit, für den eine grundsätzliche Infragstellung
des warenproduzierenden Patriarchats Tabu ist. Anstatt sich in emanzipatorischer
Perspektive die Frage zu stellen, wie eine qualitativ andere Gesellschaft ausehen
könnte, was sich bei der Betrachtung des Gesamt-Krisenszenarios geradezu
aufdrängt, gibt man sich nicht nur im feministischen NGO-,Zivilgesellschafts-Globalisierungsdiskurs
einer Haltung des »Immerhin« hin, selbst dort, wo erkannt wird, daß NGOs
»vernetzt und verstrickt« sind (Altvater u.a., 1997): Immerhin werden Menschenrechtsverletztungen
überhaupt skandaliert, immerhin wird die Ökologieproblematik eingebracht
usw. (dies gilt selbst noch für J. Hirsch, der zwar gegen den Zivilgesellschaftsdiskurs
treffliche Argumente vorbringt, auf internationalistischer Ebene aber dann doch
- nach dem Aufzählen problematischer Punkte, NGOs in diesem Immerhin-Sinne
als weitertreibende Momente im Welt-Vergesellschaftsprozeß anpreist -
vgl. Hirsch, 1995, S. 190 ff.).
Die Illusion durch
politische Eingriffe im nationalen wie im internationalen Rahmen etwas verändern
zu können erhält allerdings derzeit durch Veränderungen der gesellschaftspolitischen
Stimmungslage neue Nahrung, nicht zuletzt durch den rot-grünen Sieg bei
der Bundestagswahl. Realistisch dürfte demgegenüber die Einschätzungen
von H.M. Enzensberger und C. Stefan sein, von Reinhard Mohr im Spiegel (Nr.
42/1998) paraphrasiert: »>Symbolisch-stilistische Akzentverschiebungen<,
einen >Schuß Blair-Imitation< und elegante Medien-Inszenierungen
erwartet Enzensberger von der >Berliner Republik<, die ja die Fortsetzung
der Bonner sei, aber keine Dynamik intellektuell-politischer Debatten«, ganz
zu schweigen von real-substanziellen Veränderungen wäre hinzuzufügen.
In diesem Zusammenhang werde »die rot- grüne Regierung, so Cora Stephan
(...) den Wählern schließlich jene sozialen >Grausamkeiten<
nach amerikanisch-englisch-holländischen Vorbild zumuten müssen, vor
denen die bisherige konservative Mehrheit zurückgeschreckt sei. Sie (also
Stephan; R.S.) wartet förmlich auf die >Blut-, Schweiß- und Tränenrede<
eines Kanzlers Schröder - sicher nicht ohne Konsens- und Gerechtigkeitsbeigaben,
die Kohl noch vermieden habe. Womöglich werde der unabdingbare Umbau des
Sozialstaats mit einem >linken Revival der Vaterlandsliebe< unter dem
Emblem >Bündnis für Arbeit< einhergehen. Motto: Wir sind bereit.
Gemeinsam packen wir`s«.
Aber auch durch die
desolate Entwicklung auf den Finanzmärkten dürfte ebenso im internationalen
Kontext so manche Reformillusion Morgenluft wittern. Tritt nicht sogar Clinton
nun für sozialverträgliche Strukturanpassungsprogramme ein und will
nicht auch Blair und selbstverständlich auch Schröder die unberechenbar
gewordenen Finanzmärkte wieder stärkeren Kontrollen unterwerfen? Als
ob der Geist noch einmal in die Flasche zurückgekorkt werden könnte.
Es ist also ganz offensichtlich
daß sowohl eine nationalstaatliche Perspektive gespeist aus einer neokeynesianischen
Fiktion als auch eine internationalistische Ausrichtung des zivilgesellschaftlichen
»Empowerment« der Verwilderung des Patriarchats nichts emanzipatorisch Gehaltvolles
entgegenzusetzen haben. Vielmehr treiben sie diese Tendenz - wenngleich auch
sicher ungewollt - noch voran, indem sie fraglos systemimmanent suggerieren,
politische (Staats-)Eingriffe seien wie weiland noch geeignet, gesellschaftliche
Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Versucht wird dabei im Grunde genommen,
die Wert-Abspaltung innerhalb der Wert-Abspaltung aufzuheben. Besonders augenfällig
wird dies z.B. in der Forderung einer »gerechten Umverteilung« von Produktionsarbeiten
und Reproduktionstätigkeiten in einem neuen Geschlechtervertrag, die ganz
dem Motto folgt: Wasch mir das Fell, aber mach mir den Pelz nicht naß.
Dem patriarchal-postmodernen Geschlechterverhältnis und seinen Flexi-Zwangsidentitäten
wird so nicht ernsthaft zuleibe gerückt; am patriarchal-kapitalistischen
Gesamtsystem, dessen ökologische, soziale und ökonomische Grenzen
längst allzudeutlich sichtbar geworden sind, und das bereits in ein barbarisches
Verfallsstadium eingetreten ist, soll nicht gerüttelt werden; vielmehr
soll es mit hilflosen lau-zivilgesellschaftlichen Konzeptionen verbessert und
saniert werden. Faktisch gibt man/frau sich mit einer bloßen Öko-
und Sozialkosmetik zufrieden und affirmiert so die miesen postmodernen Lebensverhältnisse.
8.
Neben der nationalstaatlichen
und internationalistischen Zivilgesellschaftsoption versuchen Selbstversorgungsentwürfe
verschiedenster Art Antworten auf das Phänomen »Globalisierung« zu geben.
Der bekannteste Ansatz innerhalb der feministischen Debatte hierzulande ist
dabei wohl die »Subsistenzperspektive« der »Bielefelderinnen«, Maria Mies u.a.
(vgl. dazu neuerdings: Bennholdt-Thomsen/Mies, 1997).
Vor allem in Konzentration
auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft wird pauschal jegliche industrielle
Produktion und (High-Tech-)Technologie abgelehnt. Denn darauf beruht nach Mies
& Co. die Unterdrückung von Frauen, von Natur und von anderen »Völkern«.
Die Konzeption der »Bielefelderinnen« wird weithin als radikalstes Ausstiegskonzept
aus Markt und Staat gehandelt. M.E. zu Unrecht, denn sieht man von der hochproblematischen,
undifferenzierten Technologiefeindlichkeit ab, geht es der »Subsistenzperspektive«
nicht um den Ausstieg aus der Marktrationalität überhaupt, sondern
um die Installierung bzw. Stärkung des lokalen Binnenmarktes. An der das
warenproduzierende Patriarchat wesentlich charakterisierenden Wert- und Arbeitsperspektive
soll somit nicht grundsätzlich gekratzt werden. Und damit freilich auch
nicht an der Basisform der Wert-Abspaltung. Auch wird dabei die geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung nicht in Frage gestellt, vielmehr soll die »weibliche Susistenzarbeit«
zum sozialen Zentrum werden. Dabei erfährt die »kleine Selbständige«
von Schultz als lokal bornierte subsistenzwerkelnde Handels-Handwerks-Hausfrau
noch in der vermeintlichen Opposition gegen Weltmarktzusammenhänge eine
positive Besetzung (vgl. Bennholdt-Thomsen/Mies, 1997, S. 120 ff.).
Dagegen sind die in
der feministischen Debatte mittlerweile ebenfalls oft erwähnten Vorschläge
von Carola Möller, die für ein gemeinwesenorientiertes Wirtschaften
plädiert, das nicht auf den heutigen Markt und seine Gesetzmäßigkeiten
ausgerichtet sein soll, etwas anders gelagert. Auch diese Vorstellungen basieren,
mit dem Ziel der Selbstversorgung, auf »Eigenarbeit« im lokalen Umfeld. Die
Gesamtarbeit soll auf diese Weise neu gestaltet werden. Zwar wird in diesem
Entwurf eine »Aufhebung« der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung intendiert,
allerdings indem wiederum versucht wird, die Wert-Abspaltung innerhalb der Wert-Abspaltung
»aufzuheben« - und zwar im lokal- bornierten Rahmen. Demnach sollen auch die
bislang weiblich konnotierten Reproduktionstätigkeiten als »Arbeit« firmieren.
Die ganze Gesellschaft soll zu einem großen Arbeitshaus werden. Deutlich
zeigt sich das auch, wenn Möller ihre Selbstversorgungszusammenhänge
paradoxerweise durch den »gerechten Tausch« möglichst ohne Geld charakterisiert
sehen will: »Der Tausch >Leistung gegen Geld< wird minimiert, der Tausch
>Leistung gegen Leistung< dagegen bevorzugt«, wobei »Maßstab für
den Tausch die Zeit« sein soll. »Eine Stunde Arbeit wird gegen die Stunde einer
anderen Person eingetauscht« (Möller, 1998, S. 483 bzw. 484).
Grundsätzlich
problematisch finde ich in diesem Zusammenhang bei Mies, Möller & Co
auch eine small-is-beautyful-Haltung: Übergreifende Ebenen und Zusammenhänge
führen bei ihnen bloß ein Schattendasein bzw. sie erscheinen in erster
Linie in der Negativ-Analyse von (Welt-)Gesellschaftlichkeit; tendenziell werden
so auch zivilisatorische Errungenschaften in Frage gestellt, hinter die zurückzufallen
- auch wenn sie auf einer patriarchalen Basis entstanden sind - von feministischer
Seite aus m.E. falsch wäre (etwa die medizinische Versorgung oder die High-Tech-Nutzung
in der Produktion um sich das Leben zu erleichtern u.ä.). Gleichzeitig
wird bei solchen Utopien unter der Vorherrschaft des »lokalen Wirtschaftens«
jedoch weiterhin von einer Existenz der bezahlten Arbeit und des (über)regionalen
Markts ausgegangen. Auch insofern bleiben die patriarchal-kapitalistischen Grundprinzipien
unangetastet. Dadurch eignen sich diese Entwürfe vorzüglich als legitimatorische
Interims-Konzepte in einer Phase, die durch den Übergang von der negativen
Vergesellschaftung zur Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats gekennzeichnet
ist. Sie machen aus der Not eine Tugend. Es drängt sich der Gedanke auf,
daß z.B. das Miessche Subsistenzprogramm eine Interventionsdiktion darstellen
könnte, die eine kleinbürgerliche Variante des Neoliberalismus mit
dem verbindet, was bereits heute in vielen Weltgegenden, die die Marktwirtschaft
als verbrannte Erde zurückgelassen hat, nolens volens Wirklichkeit ist:
die bloße Subsistenzperspektive eben, um überhaupt überleben
zu können, und die nun - in Miesscher Manier - noch zum Emanzipationsprojekt
umgebogen wird.
Damit nicht genug,
indem in derartigen Vorstellungen die kleinbürgerlich-produktive Subsistenz-Machenschaft
positiv dem »Großkapital« - das heute vor allem auch mit dem »unproduktiven«
Finanzkapital identifiziert wird - entgegensetzt wird, befördern sie alte
Sichtweisen, die im Gegensatz zu früher freilich in einem postmodern-globalisierten
Kontext auftauchen, aber nichtsdestoweniger noch immer strukturell antisemitisch
sind. Der »Spekulant« ist in den 90ern (wieder) Buhmann Nummer Eins; die Ideologie
der »ehrlichen Arbeit« feiert wieder fröhliche Urständ.
Diese Befürchtungen,
wie auch der vorhergehende Einwand aus der Not eine Tugend zu machen, gelten
übrigens auch für momentan grassierende Tauschideologien, welche die
aus der Krise geborenen Tauschringe begleiten, und die im Zins die Wurzel allen
Übels sehen (Silvio Gesell), als auch für andere Eigenarbeitsideologien,
wie das prominent gewordene New-Work-Konzept von Fritjof Bergmann, das ein Nebeneinander
von Erwerbsarbeit und informeller Arbeit propagiert. Dabei soll noch die kreativ-individuell
gewählte Tätigkeit als »Arbeit« firmieren. Beide zuletzt genannten
Konzepte werden auch im feministischen Diskurs gewürdigt.
Weil heute die »just
in time« - Orientierung vorherrschend ist, alles bis zum Anschlag rational durchorganisiert
wird und im Weltmaßstab Erwerbsarbeit, die das identitätsstiftende
Non plus ultra in der modernen Entwicklung zunächst einmal vor allem für
Männer war, zunehmend knapper wird, müssen nun alle möglichen
Tätigkeiten (keineswegs bloß in Möchtegern-oppositionellen Kreisen),
als »Arbeit« deklariert werden. Dies gilt auch noch für die weiblichen
Reproduktionstätigkeiten, die einer anderen Logik als die Erwerbsarbeit
folgen. Dazu hat die Frauenbewegung ihr Schärflein beigetragen. Das verinnerlichte
Arbeitsethos will absolut nicht sterben und bedarf deshalb dringend weiterer
Nahrung.
9.
Zusammengefaßt
muß so festgestellt werden, daß die behandelten Theorien und Handlungskonzeptionen
von Becker-Schmidt und Butler sowie die wohlfahrtsstaatlichen und internationalistischen
Strategieentwürfe von Sauer und Ruppert, einschließlich der Eigenarbeits-/Subsistenzvisionen
von Mies & co. und C. Möller, die sich allesamt als oppositionell imaginieren,
die Verhältnisse des postmodern-warenproduzierenden Patriarchats in der
Globalisierungsära mit seinen geschlechtsspezifischen Flexi-Zwangsidentitäten
auf jeweils unterschiedliche Weise affimieren. Sie haben ihnen nichts Ernsthaftes
entgegenzusetzen.
Trotz aller Differenzen
ist ihnen gemeinsam, daß sie nicht den Mut haben, über die gegebene
(Welt-)Gesellschaftsordnung und die damit verbundenen Normen und Tabus hinauszugehen,
ja zunächst einmal bloß darüber hinauszudenken. Stattdessen
käme es m.E. darauf an, endlich erwachsen zu werden und zwar in einem ganz
anderen Sinne als es »realistisch« gewordene Alt-68er und Alt-Feministinnen
insbesondere seit 1989 fordern. Es ist nüchtern zu konstatieren, daß
das warenproduzierende Patriarchat bereits in sein Verfallsstadium eingetreten
ist - und daß eine weitere Barbarisierung nicht durch ein Denken und durch
politisch-praktische Bemühungen innerhalb seiner Strukturen verhindert
werden kann. Demgegenüber müßte ernsthaft nach Perspektiven
jenseits des Verhältnisses Ware-Geld-abstrakte Arbeit-Abspaltung theoretisch
und praktisch gesucht werden.
Es kann nicht von einer
Einzelnen oder auch nur einer Handvoll Personen erwartet werden, entsprechende
Handlungskonzeptionen in Hinterzimmern auszutüfteln; vielmehr müßten
die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen, Institutionen
usw. interdisziplinär geradezu fieberhaft an diesem Projekt »arbeiten«.
Dies nur zu der Frage, die vielleicht vielen beim Lesen meines Textes in den
Sinn gekommen ist: welche konkreten Ansätze und Konzepte ich denn nun zu
bieten habe, die aus der Sackgasse herausführen könnten.
Mir ging es zunächst
vor allem darum, das vorhandene Tabu, über kapitalistisch-patriarchale
Verhältnisse und Strukturen hinauszugehen, sichtbar zu machen und aufzuzeigen,
welche fatalen Konsequenzen derartige Selbstbeschränkungen haben können;
es ist dies die Voraussetzung, den Gedanken an eine systemtranszendente Möglichkeit,
ja an ein systemtranszendentes Muß, erst einmal (wieder) überhaupt
zuzulassen.
M. E. müßte
der Tatendrang, der z.B. hinter hilflosen Zivilgesellschafts- und Global governance-Konzepten,
aber auch potentiell reaktionären Eingenarbeitsinitiativen steckt, auf
dieses freilich ungleich schwierigere Vorhaben gelenkt werden; schwieriger weil
es hier zunächst keine unmittelbar greifbaren Lösungen und Rezepte
gibt und damit auch keine psychologische Entlastung. Andernfalls bestünde
die Gefahr, daß sich auch Feministinnen erneut der »Mittäterschaft«
schuldig machen.
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(*)
Dieser Text ist eine Auskopplung aus dem Buch »Das
Geschlecht des Kapitalismus«, erschienen im Horlemann
Verlag. Er ist in einer kürzeren Fassung bereits in der Zeitschrift
»Psychologie & Gesellschaftskritik« Nr 83/84 (1997) erschienen. [zurück]