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Roswitha Scholz


erschienen in: Krisis 21/22

Roswitha Scholz

Die Verwilderung des Patriarchats in der Postmoderne (*)


1.

In der zweiten Hälfte der 80er waren die Prognosen für den Abbau von Hierarchien und Benachteiligungen von Frauen günstig. Man ging davon aus, daß auch Frauen im Zuge von Individualisierungstendenzen einen Zuwachs von Handlungsmöglichkeiten indirekt proportional zum Zerfall der Kleinfamilie gewonnen hätten. Manche Deutungen gingen dabei sogar so weit, daß jetzt die Individuen wählen könnten, ob sie Männlein oder Weiblein sein wollen. Ein paar Hausmänner machten als Novum auf sich aufmerksam und verbreiteten die Hoffnung, daß sich hier vielleicht bald ein Großtrend in diesem Sinne zeigen könnte. In den 80ern galten gleichzeitig Tendenzen der »neuen Weiblichkeit« als Ausdruck der konservativ-liberalen Wende. Allerdings gab es nicht wenige, die mutmaßten, daß es sich hierbei nur mehr um die Simulation der modernen Weiblichkeit handeln würde.

Demgegenüber war in den 90ern zunächst vom »Backlash« die Rede. Der allgemeine Rechtsruck und die sich zuspitzende ökonomische Lage hatten eines der Großthemen der 80er, das asymmetrische Geschlechterverhältnis, so gut wie hinweggefegt. Nichtsdestoweniger existieren in den 90ern durchaus immer noch feministische Einschätzungen, die »im Prinzip« das Ende des Patriarchats gekommen sehen ( so etwa Libreria delle donne di Milano, 1996).

Derartigen Positionen möchte ich nun die These entgegenstellen, daß wir es am Ende der Postmoderne eher mit einer Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats zu tun haben als mit seiner Auflösung, was nicht ausschließt, daß Frauen von den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auch profitiert haben. Zweifellos hat in den letzten 30 Jahren eine Modifizierung des Geschlechterverhältnisses stattgefunden; dies hat jedoch kein absolutes Verschwinden der (sozialen) Zweigeschlechtlichkeit nach sich gezogen. Vielmehr ist nun im Zuge von Globalisierungstendenzen die Ausbildung von Flexi-Zwangsidentitäten zu beobachten, die sich unter Aufrechterhaltung der Geschlechter-Hierarchisierung für Männer und Frauen jeweils anders darstellen.

In diesem Zusammenhang möchte ich im folgenden auch nachweisen, daß im Feminismus vielverhandelte Analysen, Theorien und Handlungskonzeptionen diese Verwilderungstendenzen und diese geschlechtsspezifischen Flexi-Zwangsidentitäten ebenso stützen, wie das mittlerweile desolat gewordene kapitalistisch-patriarchale System insgesamt, dessen ökologische, soziale und ökonomische Grenzen längst über die Gebühr deutlich geworden sind. Dies gilt z.B. für dekonstruktivistische Theorien genauso wie für nationalstaatlich orientierte Handlungsmodelle und zivilgesellschaftlich-internationalistische Optionen sowie für verschiedene Subsistenz-/Eigenarbeitvisionen im Feminismus. Damit sollen freilich erst recht rot-grünen Illusionen, die asymmetrischen Geschlechterverhältnisse ließen sich systemimmant substanziell verbessern, die nur allzu locker sitzende Maske heruntergerissen werden. Derartige Hoffnungen dürften nach dem rot-grünen Sieg in der BRD auch im Feminismus verstärkt Konjunktur haben.

Um diese Zusammenhänge nach und nach aufrollen zu können, möchte ich jedoch zunächst einmal zumindest einige Aspekte der von mir vertretenen Wert-Abspaltungsthese darstellen, da diese These den Theorierahmen bildet, in den ich die hier vorerst bloß ganz kurz skizzierten Tendenzen und Entwicklungen im weiteren stelle.


2.

In der Fassung eines kritischen Verständnisses der Marxschen Theorie, auf das ich mich hier beziehe, stehen der »Wert« und die »abstrakte Arbeit« im Mittelpunkt der theoretisch-kritischen Bemühung. Danach entsteht »Arbeit« im heute gängigen Verständnis überhaupt erst im Kapitalismus, d.h. »Arbeit« ist nicht menschliche Tätigkeit schlechthin wie bei den meisten Marxismen, sondern die spezifisch-historische Form gesellschaftlicher Tätigkeit im Kapitalismus. Wurde in vormodernen Gesellschaften primär für den Gebrauch produziert, so zeichnet sich das warenproduzierende System durch die Selbstbewegung des Geldes aus, der Gewinnung von (Mehr-)Wert durch die Verwandlung lebendiger Arbeit in Quanta toter und abstrakter Arbeit. (vgl. Kurz, 1991, S. 15 ff). Damit ist auch kurz umrissen, was »Wert« meint.

Daß im Kapitalismus auch Reproduktionstätigkeiten im Haushalt verrichtet und Kinder erzogen werden müssen, daß Pflegeaufgaben anfallen, die nicht, bzw. nicht allein marktmäßig erledigt werden können und die vor allem Frauen zufallen, bleibt in dieser Perspektive außen vor. Ebenso bleibt unberücksichtigt, daß damit verbunden auch Gefühle und Eigenschaften in der modernen Entwicklung an »die Frau« delegiert bzw. ihr zugeschrieben werden, Schwäche, mindere Verstandeskraft, Sinnlichkeit, Passivität usw. Der »Mann« hingegen steht für Durchsetzungskraft, Intellekt, Charakterstärke u.ä. Mann-Sein wurde mit Kultur, Frau-Sein projektiv mit Natur gleichgesetzt.

Meines Erachtens ist das hierarchische Geschlechterverhältnis im warenproduzierenden Patriarchat wesentlich durch diese geschlechtspezifische Abspaltung von Tätigkeiten, Eigenschaften und Zuordnungen bestimmt, wobei die empirische Tatsache, daß Frauen auch aggressiv, aktiv, intellektuell usw. sein können bzw. sind und noch nie ausschließlich Hausfrau waren, diese theoretische Kernbestimmung nicht im mindesten anficht. Somit kann diese geschlechtsspezifische Abspaltung als Abspaltung eben nicht aus der Wertform abgeleitet werden, sie ist vielmehr gewissermaßen der Schatten, den der Wert wirft. Damit ist sie einerseits Bestandteil der Wertvergesellschaftung, andererseits befindet sie sich aber auch außerhalb derselben. Und deshalb kann sie auch nicht unter den Begriff »Arbeit« subsummiert werden, worauf viele Feministinnen pochen. M.E. wäre so ein neues Verständnis von Vergesellschaftung zu gewinnen, das »die Abspaltung« mit dem Wert dialektisch vermittelt, also sie nicht äußerlich hinzuaddiert (vgl. Kurz, 1992; Scholz, 1992).

Allerdings reicht das herkömmliche marxistische Kategoriensystem bei einer Einbeziehung der abgespaltenen Momente für die theoretische Erfassung des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses nicht aus: ebenso müssen die (sozial-)psychologische und die kulturell-symbolische Ebene, berücksichtigt werden. So läßt sich z.B. über die Analyse religiöser, philosophischer, wissenschaftlicher usw. Diskurse zeigen, wie sich kollektive Vorstellungen herausbilden, was Männer und Frauen in der männlich dominierten Moderne sind und in welchen Zuschreibungen sich die »Abspaltung« äußert (vgl. etwa Honegger 1991). Mit einem psychoanalytischen Instrumentarium läßt sich etwa erschließen, welche Konsequenzen es hat, daß die Kindererziehung in der modernen Entwicklung vor allem in Frauenhand liegt, nämlich, daß im Gegensatz zum Mädchen beim männlichen Kind eine Desidentifikation mit der Mutter stattfinden muß, um eine eigene Identität gewinnen zu können, was mit einer Abspaltung und Abwertung des Weiblichen einhergeht (so z.B. Chodorow, 1985).

Ich gehe hier also, ähnlich wie die Frankfurter Schule, von der Notwendigkeit eines interdisziplinären Vorgehens unter Bezugnahme auf das gesellschaftliche Ganze aus. In diesem Zusammenhang hat Regina Becker-Schmidt einmal (wenngleich fälschlicherweise im Kontext der universalistischen Überziehung und noch in alten Kategorien von Basis und Überbau denkend) sehr treffend gschrieben: »Androzentrismus (ist) nicht nur wie die Ideologie ein Überbauphänomen, sondern sozialpsychologischer Ausdruck eines gesellschaftlichen Unbewußten; man könnte sagen, er ist ebenso ein psychogenetisches Unterbauphänomen« (Becker-Schmidt, 1989, S. 216). Für die Wert-Abspaltungsthese möchte ich - mich von Becker-Schmidt entfernend - diese Feststellung beschränkt für das warenproduzierende Patriarchat - so ausdeuten, daß die Verdrängung/Abspaltung des sogenannten Weiblichen, die Inferiorsetzung der realen Frauen und die Existenz männlicher Dominanz tief in der Psyche der patriarchal-kapitalistischen Individuen verankert ist; ja, daß die »Abspaltung« hier als gesellschaftlich-kulturelles Grundmuster und soziopsychischer Mechanismus in Vermittlung mit der geschlechtlichen Arbeitsteilung die Gesellschaft als Ganze wesentlich bestimmt. Noch im Verfall des warenproduzierenden Patriarchats, wenn die Kleinfamilie sich auflöst und die Individuen aus ihren traditionellen Rollen freigesetzt werden, ist so eine Minderstellung von Frauen und eine andere Situiertheit als bei Männern ausmachbar.

Im Sinne der theoretischen Bestimmung der Wert-Abspaltung müssen Frauen in der Privatsphäre verortet werden. Das heißt freilich nicht, daß das Patriarchat als Verhältnis dabei in den aufgepaltenen Sphären Privatheit und Öffentlichkeit »sitzt«. Vielmehr handelt es sich beim modernen Androzentrismus um die geballte Kraft eines materiell-ideell-sozialychologischen Gesamtzusammenhangs, der gleichsam den »Äther der Gesellschaft« darstellt, um hier einer Formulierung Hegels eine andere Bedeutung zu geben. Das Wirken des Geschlechterverhältnisses geht so durch alle Ebenen und Bereiche, somit auch die verschiedenen Bereiche der Öffentlichkeit. Frauen waren schon immer auch in öffentlichen Sphären anzutreffen. Dennoch zeigt sich die Abspaltung auch hier, indem sie im Erwerbsleben z.B. eine untergeordnete Stellung einnehmen, schlechter bezahlt werden usw. Somit ist die Wert-Abspaltung als gesellschaftliche Grundform zu betrachten und nicht allein der Wert.

Dies gilt prinzipiell, auch wenn global gesehen nicht davon ausgegangen werden kann, daß die patriarchal-warenförmige Entwicklung in den verschiedenen Weltregionen gleichförmig stattgefunden hat, etwa angesichts von geschlechtssymmetrisch verfaßten Gesellschaftsformationen, die selbst heute noch die modernen Geschlechtervorstellungen nicht bzw. nicht völlig übernommen haben. Dabei muß allerdings gesagt werden, daß solche Gesellschaften heute eindeutig in der Minderheit sind. Sichtbar wird an ihnen allerdings, daß die Geschlechterhierarchie keineswegs ein kulturanthropologisches Muß ist (vgl. etwa Lenz/Luig, 1995).

In diesem Zusammenhang muß ebenso berücksichtigt werden, daß sich das Geschlechterverhältnis selbst innerhalb der christlich-abendländischen Entwicklung nicht immer gleich darstellt. Erst im 18. Jahrhundert bildeten sich das moderne »System der Zweigeschlechtlichkeit« (Carol Hagemann-White) heraus und kam es zu einer »Polarisierung der Geschlechtscharaktere« (Karin Hausen); vorher wurden Frauen dagegen eher als - gewissermaßen - bloß andere Variante des Mann-Seins betrachtet. Deshalb wird in den Sozial- und Geschichtswissenschaften neuerdings auch von der Insitution eines Ein-Geschlecht-Modell in vorbürgerlichen Zeiten ausgegangen. So sah man etwa in der Vagina einen nach innen gestülpten Penis (Laquer, 1996). Obwohl Frauen auch damals als minderwertig galten, hatten sie über informelle Wege noch viele Möglichkeiten Einfluß zu gewinnen, solange sich eine Öffentlichkeit im großen Maßstab noch nicht herausgebildet hatte. Der Mann hatte in der vormodernen Gesellschaft eher eine symbolische Vorrangstellung wie Heintz/Honegger (1981) schreiben. Frauen wurden noch nicht ausschließlich als Hausfrau und Mutter definiert wie dies ab dem 18. Jhrd. komplementär zu den Zuschreibungen für Männer der Fall war, die nun für die Öffentlichkeit (Erwerbssphäre, Politik, Wissenschaft usw.) zuständig sein sollten. Ihr Beitrag zur materiellen Reproduktion wurde in agrarischen Gesellschaften ähnlich wichtig erachtet wie der des Mannes (Heintz/Honegger, 1981, S. 15 ff.).

War das moderne Geschlechterverhältnis mit den entsprechenden polaren Geschlechterzuweisungen zunächst auf das Bügertum beschränkt, so breitete es sich mit der Verallgemeinerung der Kleinfamilie allmählich auf alle Schichten aus, mit einem letzten Schub in den fordistischen 50ern. Die »Wert-Abspaltung« ist somit keine starre Struktur, wie sie etwa bei manchen soziologistischen Strukturmodellen anzutreffen ist, sondern ein Prozeß. Sie ist also nicht als statisch und als immer dieselbe zu begreifen. In der Postmoderne zeigt sie wiederum ein neues Gesicht. Damit wären wir beim eigentlichen Thema.


3.

Kornelia Hauser konstatiert mit Arlie Hochschild für die heutige Gesellschaft bei Frauen »einen zunehmend gleichgeschlechtlichen Gefühlscode, der auf dem alten Code der Männer (basiert)«. Dabei stellt sie fest: »Ähnlich wie vor dem Zwei-Geschlechter-Modell gehen wir auf ein - allerdings ziemlich modifiziertes - Ein-Geschlecht-Modell zu: Frauen sind Männer, nur anders« (Hauser, 1996, S.21).

Nicht wenige neuere Untersuchungen weisen in eine ähnliche Richtung. Im folgenden greife ich dabei vor allem auf die Überlegungen von Irmgard Schultz im letzten Kapitel des 1994 erschienenen Buchs »Der erregende Mythos vom Geld: die neue Verbindung von Zeit, Geld und Geschlecht im Ökologiezeitalter« zurück. Obwohl ich mit Schultz in vielen Dingen schon im Grundsatz nicht übereinstimme, so z.B. daß sie die Geschichte des Geldes primär als »einen Mythos des modernen Denkens« angeht, sie auch die Bedeutung der Lohnarbeit nicht explizit hinterfragt und sie prinzipiell davon ausgeht, daß die geschlechtlichen Kulturmuster den psychischen Binnenraum der Individuen nicht berühren, halte ich ihre Analyse, für die Weiterentwicklung der Wert-Abspaltungstheorie für nützlich, auch wenn die Autorin damit vielleicht nicht einverstanden wäre.

Schultz geht es um den Zusammenhang von Geschlechterverhältnis und Globalisierung. Soweit ich sehe, ist sie die erste, die dieses Thema in den 90ern in Aufarbeitung der 80er-Jahre-Diskussion behandelt. Mittlerweile schießen mannigfach Publikationen zu diesem Gegenstand aus dem Boden. Da sie die Ausführungen von Schultz jedoch im wesentlichen bestätigen, ergänze ich diese bloß um neuere Befunde aus der zweiten Hälfte der 90er Jahre.

Schultz analysiert vor dem Hintergrund von Globalisierungsprozessen, einem damit zusammenhängenden veränderten Zeitverständnis und -Umgang in der Postmoderne, sowie der Entwicklung des schnellen Geldes durch Spekulationstätigkeit in den 80ern Jahren neuartige Individualisierungstendenzen und Modifikationen im Geschlechterverhältnis. Dabei bezieht sie neue Normen und Leitbilder, also die symbolische Ebene, zentral mit ein. Problematisch ist hierbei allerdings wiederum, daß sie dies im Einklang mit Regulationsmodellen versucht (auf die sie sich generell stark bezieht), d.h. die Funktion von Leitbildern von ihr auf der Ebene politischer Regulierung gesehen wird (vgl. Schultz, 1994, S. 33 f). Aus dem Blickwinkel gerät dabei allerdings, daß gerade aufgrund der von ihr beschriebenen Globalisierungstendenzen der Politik, was ihre traditionellen Funktionen betrifft, in vielerlei Hinsicht das Heft aus der Hand genommen wird. Gesellschaft, Politik und Ökonomie geraten nun in Widersprüche auf einem qualitativ neuen Niveau (vgl. dazu Kurz, 1994). Darauf werde ich später noch einmal zurückkommen.

Eine der Hauptthesen von Schultz lautet nun: Die durch Anwendung von Computertechnologien möglich gewordene Globalisierung und damit einhergehende Individualisierungstendenzen führen, wie sie mit Christa Wichterich sagt, zu einer »Feminisierung der Verantwortung« im sozialen und ökologischen Bereich (Schultz, 1994, S. 201). Dies zeigt Schultz vor allem anhand von Jamaica auf, dem im Zuge der »Schuldenkrise« von IWF und Weltbank die sogenannte »Strukturanpassungspolitik« aufgezwungen wurde. Im Kern bedeutet dies, eine starke Beschränkung des inländischen Massenkonsums zugunsten weltmarktorientierter Investitionen und eine generelle Ausrichtung der ökonomischen und sozialen Strukturen auf den Export.

Die Konsequenz der »Strukturanpassung« für Frauen in Jamaica war, daß sie massenhaft Einkommen und gemischte Existenzformen verloren haben, z.B. durch Schließung unretabler Kleinbetriebe, in denen hauptsächlich Frauen arbeiteten oder durch den Wegfall der Förderung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Z. T. arbeiteten Frauen jetzt in der nun eingerichteten Freihandelszone am Hafen von Kingston unter schlechten Arbeits- und Lohnbedingungen. In Jamaica verfügen 70% aller Frauen unter 25 Jahren über kein regelmäßiges Einkommen; davon hatten 80% noch nie die Möglichkeit, regelmäßig zu arbeiten, sie verfügen auch über keine Ausbildung. Insgesamt sind jedoch 2/3 aller Frauen erwerbstätig. Für Schultz drückt sich hierin eine allgemeine Tendenz aus: Frauen werden zunehmend in den (Welt-)Markt integriert, ohne jedoch eine eigene Chance zur Existenzsicherung zu bekommen. Sie spricht deshalb auch von einer »Jamaicanisierung« der sozialen Verhältnisse.

Durch die »Strukturanpassung« verschärften sich die Existenzbedingungen in Jamaica, z.B. stiegen die Lebenshaltungskosten und die Mieten horrend bei gleichzeitiger Lohnsenkung; die medizinische Versorgung wurde schlechter und teuerer, soziale Einschnitte in das Bildungssystem verminderten vor allem die Chancen von Mädchen und Frauen sich zu qualifizieren. Überhaupt betrifft die Veränderung der sozialen Lage Frauen anders als Männer. Denn sie müssen nun versuchen, so Schultz, »den staatlichen Sozialabbau wie die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen auszugleichen«. Deshalb spricht Schultz analog zu dem Begriff der »Jamaicanisierung« auch von einer »Ökologisierung von Frauenarbeit«. Selbsthilfeinitiativen in der Dritten Welt werden vor allem von Frauen getragen, Männer halten sich dagegen zurück (Schultz, 1994, S. 201 ff.).

Auch in der »Ersten Welt« kann nach Schultz eine »Ökologisierung von Frauenarbeit« festgestellt werden. So spricht sie auch von einem »Frauen & Müll-Syndrom«, was das Duale System in Deutschland betrifft; denn dadurch werden vor allem Frauen beschäftigt; ihnen wird die Verantwortung aufgebürdet, obwohl Sinn und Erfolg des Ganzen äußerst fraglich sind und dabei auch noch eine »obrigkeitsstaatliche Ausrichtung von Mentalitäten« entsteht. Auf diese Weise findet ein weiteres mal eine »Moralisierung von Hausarbeit« statt (Schultz, 1994, S. 206).

Freilich kann man sich fragen, ob Schultz den ökologischen Aspekt in ihrer Argumentation nicht generell überbewertet und dieses Vorgehen nicht schon durch ihre Themenstellung, »die neue Verbindung von Zeit, Geld und Geschlechter im Ökologiezeitalter«, wie es im Untertitel ihrer Buches heißt, determiniert ist. In den ökonomisch-sozial krisengeschüttelten 90ern ist die Wahrnehmung ökologischer Probleme selbst in den den hochindustrialisierten Ländern wieder dabei in den Hintergrund zu treten, was sich nicht zuletzt in einer ausgesprochenen »Kompromißbereitschaft« seitens der Grünen ausdrückt. Letztlich finde ich die Frage nach der Bedeutung der Ökologie bei Schultz jedoch nicht entscheidend, da sie zwar - durchaus zentral - auf den ökologischen Gesichtspunkt abhebt, dabei allerdings auch die ökonomische, soziale und kulturelle Ebene ebenso miteinbezieht.

Dementsprechend geht die soziale und ökologische Krise mit einer sozialkulturellen Krise bei ihr Hand in Hand. In der »Dritten Welt« lösen sich großfamiliäre Zusammenhänge immer mehr auf. Die Männer gehen nun auf Arbeitssuche, die Frauen gehen als Heiratsmigrantinnen in die Städte oder ins Ausland oder aber sie versuchen, wie Wichterich schreibt, nicht selten unter unwürdigen Bedingungen, z.B. als Haushaltshilfen, in reichen Ländern für sich und auch ihre Familien ein Auskommen zu finden. In diesem Zusammenhang muß auch betont werden, daß durch den Globalisierungsschub seit 1989 Prostitution und der internationale Frauenhandel eine neue Qualität erreicht haben (vgl. Wichterich, 1998, S. 94 ff.). Das Resultat derartiger Entwicklungen ist, daß die bleibenden Frauen immer mehr gezwungen werden, eine Verantwortung zu übernehmen, die traditionell männlich konnotiert war. »Das halte ich«, so Schultz, »für eine entscheidende soziokulturelle Ursache für die >Feminisierung der Verantwortung<. Soziologisch gesprochen sind die Tendenzen der Globalisierung und Flexibilisierung der Ökonomie von Tendenzen der globalen Durchmischung und Flexibilisierung der Lebensformen begleitet« (Schultz, 1994, S. 207).

In Jamaica leben über 1/3 aller Frauen in nichtehelichen Gemeinschaften, die Kinder werden - unterstützt durch Nachbarinnen oder weibliche Verwandte - von den Frauen allein aufgezogen. Die Männer haben nur den Status von Besuchern. Sie werden vor die Tür gesetzt, wenn es den Frauen nicht mehr paßt. Promiskuität ist gang und gäbe, uneheliche Kinder von verschiedenen Vätern sind ein häufig anzutreffendes Phänomen. Dabei hängt die Geschichte derartiger Sozialformen in Jamaica auch traditionell eng mit der Kolonialisierung zusammen. Darauf gehe ich hier jedoch nicht weiter ein (siehe Schultz, 1994, S. 207 f.).

Individualisierungstendenzen werden seit den 80ern auch hierzulande festgestellt. Der verbindliche Rahmen der Ehe bei der Kindererziehung hat sich aufgelöst und es wurden immer mehr Frauen unabhängig vom Familienstatus in den Arbeitsmarkt integriert. In diesem Zusammenhang flexibilisierten sich auch die Biographien. Schultz führt dabei gegen den wohl bekanntesten Individualisierungstheoretiker Ulrich Beck, etliche Einwände ins Feld. Vor allem kritisiert sie, daß Beck auf der politischen Ebene die Geschlechterdifferenz vernachlässigt; denn Beck geht davon aus, daß die Ökologieproblematik alle Menschen gleichermaßen betrifft. Tschernobyl habe jedoch gezeigt, daß die Folgen im Alltag vor allem Frauen zu tragen hatten (Becquerelsorgen bei Lebensmitteln, insbesondere was Kleinkinder betrifft usw.). Überdies konnten sich nur gutsituierte Mittel- und Nordeuropäer in nicht-verstrahlte Zonen absetzen (Schultz, 1994, S. 210).

Ein anderer m.E. wichtiger Einwand von Schultz gegenüber Beck, aber auch Xaver Kaufmann, der in etwas anderer Weise als Beck neue Entwicklungen zu fassen sucht, besteht darin, daß diese die Geschlechtsspezifität von »Entscheidungsnotwendigkeiten« nicht sehen. »Es ist das Prinzip männlicher Selbststeuerung von Zeitbesitzern, die nicht lebenslang auf eine unveräußerliche Lebenserhaltungs-Zeit verpflichtet sind. Xaver Kaufmann sieht wie Ulrich Beck nicht die Differenz von männlicher und weiblicher Lebenszeit in ihrer Koppelung mit gesellschaftlichen Verantwortungen« (Schultz, 1994, S.212). Dabei grenzt sich Schultz aus feministischer Sicht - m.E. sehr zurecht - gegen eine Familiennostalgie ab. Mit Verweis auf verschiedene Untersuchungen zeigt sie auch die Vorzüge von Wahlverwandtschaften gegenüber der Blutsverwandtschaft auf (vgl. Schultz, 1994, S. 213 f).

Falsch wäre es allerdings pauschal anzunehmen, daß die Erosion traditioneller Lebensformen (für Frauen) bloß emanzipatorischen Charakter hat, wie Wichterich zeigt. »Soziale Sicherheiten gehen ebenso zu Bruch wie materielle. In den Slums von Nairobi ist >Verschwinden< zu einer ganz alltäglichen Angelegenheit geworden. Der Ehemann oder der Lover geht am Morgen wortlos aus der Hütte und kehrt nicht mehr zurück. Er versucht sein Glück irgendwo anders mit einer anderen Freundin und einem anderen Gelegenheitsjob. Kinder >verschwinden< in eine Welt voller Drogen, Prostitution und Kriminalität, leben in Straßengangs und tauchen vielleicht nach ein paar Monaten wieder in der Hütte der Mutter auf. Vielleicht auch nicht. Die Verrohung der Beziehungen, die Verwahrlosung des Sozialen und die Verelendung von Emotionen und Psyche sind statistisch nirgends erfaßte soziale Kosten der Abwärtsspirale, in der sich mehr als ein Drittel der Bevölkerung befindet. Fürsorgeorganisationen und Kirchen beklagen in den Slums von Nairobi die Zunahme häuslicher Gewalt, in die sich der angestaute Lebensfrust kanalisiert, und eine wachsende Zahl alleinerziehender Mütter. Je mehr die Männer sich durch Migration und ihre Vielfreundinnenwirtschaft aus der familialen Verantwortung verabschieden, desto bedeutender sind für die soziale Sicherung die Bindungen zwischen den weiblichen Verwandten, aber auch die Allianzen von Frauen in der Nachbarschaft (...) Männer haben auch Freunde. Aber für sie ist das entscheidende Bindemittel der Alkohol« (Wichterich, 1998, S. 175 f.)

Schultz vermutet mit den »Bielefelderinen« Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof, daß sich die ökonomischen Strukturen (Schattenarbeit u.ä) und die damit verbundenen Lebensformen in Ländern der Dritten Welt zunehmend auch in westlichen Ländern entwickeln. Dabei rekurriert Schultz insbesondere auf den Begriff der »Hausfrauisierung« bei den »Bielefelderinnen«. Waren z.B. die Frauen in Mexiko zunächst die Vorreiterinnen im Kampf um brachliegendes Land, so gingen männliche Landbesitzer und männliche Staatsbeamte schließlich einen Kompromiß gegen die Frauen ein (Schultz, 1994, S. 216).

Die Einbeziehung von Frauen in den Weltmarkt kann nun so geschehen, daß z.B. die »hausfrauisierten« Frauen in Mexiko Hausfrauenkredite durch die Weltbank erhalten. Auf diese Weise kommt zu ihrer nicht entlohnten Subsistenzarbeit auf dem Land für die Ernährung noch die entlohnte Vertragsarbeit hinzu. So wurden den Mexikanerinnen Kredite angeboten, mit denen sie für den Verkauf auf dem Markt eine bestimmte Hühnerrasse züchten sollten. Aus verschiedenen Gründen lohnte sich der Verkauf der Hühner jedoch nicht, so daß die Frauen zuletzt auch noch Schulden hatten. Dabei stellt es sich aus der Warte der Weltbank insgesamt so dar, daß die »Subsistenzarbeit der Frauen auf ihren Eigenanbau-Feldern als >Leerzeiten< und >Stockungen< im Fließprozeß der globalen Fließzeiten (erscheint)« (Schultz, 1994, S. 219).

Mit den »Bielefelderinnen« geht Schultz von einer massenhaften Zunahme von Warenproduzenten aus, die lohnlos und nicht abgesichert ihre Existenz fristen müssen. In diesem Kontext werden folgende Zusammenhänge überhaupt als zentrale Charakteristika der Globalisierung in den 90ern betrachtet: Nicht zuletzt bedingt durch die neuen Technologien brechen die Unternehmen aus der nationalstaatlichen Enge aus und lassen sich dort nieder wo die Bedingungen am günstigsten für sie sind. Global Players entstehen. Die Nationalstaaten konkurrieren nun untereinander in vorher nicht gekannter Weise. Um Kapital anzulocken, werden Deregulierungsmaßnahmen durchgeführt, Steuern für die Unternehmen gesenkt, sozialstaatliche Maßnahmen und Regelungen zurechtgestutzt, Arbeitsschutzgesetze verändert, Löhne gesenkt usw. Es kommt zu einer Informalisierung der Arbeit, ungesichterte Arbeitsplätze nehmen zu: Zeitarbeit, Outsourcing, Subunternehmertum, Heim-und Hinterhofarbeit, ein allgemeines Zulieferertum, niedrig entlohnt, unorganisiert, mit ungeheurem Arbeitsdruck breiten sich aus. Derartige Produktionsverhältnisse sind kennzeichnend für die 90er Jahre. Dagegen sind Freie Produktionszonen mit großen Fabrikanlagen und schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen, wie sie in den 80ern noch in Südostasien oder Lateinamerika zu finden waren, in denen vor allem junge Frauen arbeiteten, ein Auslaufmodell.

So entstehen nun z.B. informations- und wissentechnologisch qualifizierte Kernbelegschaften, priviligiert, meist weiß und männlich, und eine Unternehmensperipherie, die sich aus niedrig entlohnten, gering ausgebildeten, mangelhaft abgesicherten Arbeitskräften zusammensetzt. Dabei muß sich der privilegierte High-Tech-Bereich jedoch nicht unbedingt in den sogenannten hochentwickelten Ländern befinden. Siemens z.B. läßt seine Computerprogramme momentan in Indien entwickeln. Dergestalt entstehen Dritte Welten in der Ersten und Erste Welten in der Dritten Welt.

Allerdings muß gesagt werden, daß schon von vornherein Arbeitsplätze durch Rationalisierung entfallen, die nirgendwo auf der Welt mehr entstehen, also weder in Billiglohnländern der Dritten Welt noch in den Billiglohnsektoren der Ersten Welt. Diese Rationalisierungstendenz betrifft zukünfig vermutlich nicht nur den mittlerweile schon randständig gewordenen Produktionsbereich, sondern ebenso den Dienstleistungsbereich, dessen Expansion oft als große Chance für Frauen gesehen wird. In diesem Zusammenhang betreiben hochdotierte Computerspezialisten gewissermaßen schon immer ihre eigene Rationalisierung. Überproduktionskrisen sind die unausweichliche Konsequenz dieser Entwicklung (vgl. Wichterich, 1998).

Trotz derartiger Marginalisierungstendenzen und obwohl das Modell des Mannes als Familienernährer längst obsolet ist, löst sich das hierarchische Geschlechterverhältnis jedoch keineswegs auf. »Alexis vom Denver-Clan wurde nicht nur in Kenia, Venezuela, Mexiko und Jamaica medienwirksam ausgestrahlt, sondern das Ideal der Kleinen Selbständigen, die trotz hierarchischer Geschlechterunterordnung, trotz steigenden Entzugs an autarken Reproduktionsmöglichkeiten ihre eigene Reproduktion wie die ihrer Kinder und manchmal auch noch die der dazugehörigen Männer irgendwie hinbekommt, geht >rund um die Welt< (...) Das Modell der Hausfrau ist heute nicht mehr wie im 19. Jahrhundert unbedingt durch Ehe- und Keuschheitsgebot für Frauen beschrieben. Es funktioniert nicht über die Ausmalung von Geschlechtscharakteren, sondern über die Festlegung von Funktionszuschreibungen, die - und das halte ich für den entscheidenden Ausdruck globaler Produktionsfließprozesse - doppelt gefaßt werden: einmal als funktionelle Festlegung auf potentielle Mutterschaft mit ihren ganzen oikos-Verantwortungen, und zum anderen zugleich als Festlegung auf geldentlohnte Existenzsicherung: Verantwortung für das Geld und für das (Über-)leben. Diese doppelte paradoxe Funktionzuschreibung wird im Modell Hausfrau als Kleine Selbständige ausgedrückt. Sie ist das paradoxe Leitbild globaler Flexibilisierung« (Schultz, 1994, S. 217 bzw. S. 218).

Da haben wir es wieder: das postmoderne Ein-Geschlecht-Modell von dem oben schon die Rede war, nun werden auch seine gewaltigen Schattenseiten und die damit verbundenen spezifischen Benachteiligungen und Unterdrückungen von Frauen sichtbar. Betont werden muß m.E. jedoch, daß der Übergang zu diesem Modell ohne Verinnerlichungen bei den männlichen und weiblichen Individuen (herübergekommen aus dem modernen warenförmig-patriarchalen System der Zweigeschlechtlichkeit) gar nicht möglich ware, wie sie sich gerade auch in der als selbstverständlich erachteten Zuständigkeit von Frauen für Haushalt und Kinder zeigt, die subjektiv und objektiv unangetastet bleibt. Ohne ein noch irgendwie verinnerlichtes Bild von der guten Mutter und Hausfrau, ist auch keine Transformation in die gute postmoderne Müll-Mutti möglich. Es ist zu vermuten, daß derartige nun fluid gewordenen subjektiven und die damit verbundenen objektiven Momente, so etwas wie eine Art Steigbügelhalterfunktion für die Ausbildung neuer postmoderner Formen des Patriarchats haben. Bei Hauser oben als auch bei Schultz klingt es hingegen so, als gäbe es eine psychische Inwendigkeit bei den postmodernen Frauen gar nicht. In diesem Zusammenhang muß auch davon ausgegangen werden, daß die zunehmende männliche Gewalt und auch eine männliche Alkoholfixierung heute, von der Wichterich oben spricht, in traditionellen Geschlechterrollen und -vorstellungen ihre Wurzeln haben.

Schultz weist darauf hin, daß das Bild der »Kleinen Selbständigen« sich freilich kulturspezifisch jeweils anders zeigt. So gibt es z.B. im katholisch geprägten Mexiko einen Macho-Kult, der in Jamaica durch die Geschichte der britischen Kolonialisierung so nicht vorkommt.

Tendenzen der »Jamaicanisierung« machen sich jedoch auch noch in anderer Hinsicht als bisher aufgezeigt in Ländern bemerkbar, die keine IWF- und Weltbankauflagen zu erfüllen haben: BRD, USA, England usw. In diesem Zusammenhang sieht Schultz allerdings auch in den politischen Strategien des Reagonomics und des Thatcherismus eine Variante der Strukturanpassungspolitik. Die Dezimierung des Sozialstaats bedeutet für Frauen nun nicht nur, daß sie wieder verstärkt zur Pflege von Kranken, der Betreung von Kindern etc. herangezogen werden, gleichzeitig entfallen auch bezahlte Tätigkeiten im Sozialbereich, die vor allem von Frauen verrichtet wurden, wie z.B Young (1998, S. 191 f.) festellt.

Schon seit den 70ern machen auch in Europa und den USA Schlagworte von der »Feminisierung der Armut« die Runde. Dabei zeigt sich auch, daß mit »dem Abbau von sozialstaatlichen Leistungen (...) eine neue Logik der negativen Definition von Frauenlebenszeiten zu finanzpolitisch wertlosen >Leerzeiten< sichtbar (wird). Sie funktioniert als Selektion zwischen wertvollen und unwerten Frauenlebenszeiten und zeigt sich in einem flexibilisierten Muster der Geschlechterhierarchien« (Schultz, 1994, S. 223). Dies bedeutet, daß es neben »wertvollen« Formen der »Kleinen Selbständigen« auch unerwünschte Frauen gibt. So zeigt sich in den USA, daß Frauen längst nicht mehr nur über die Zugehörigkeit zu einem Ehemann sozial verortet werden, sondern dies nach Kriterien der »ethnischen« Zugehörigkeit geschieht und der Zugehörigkeit zu einem finanzkräftigen Nationalstaat. Darin drückt sich die Globalisierung aus. Asylbewerberinnen, schwarze Frauen, Frauen aus sog. ethnischen Minderheiten und Rentnerinnen bilden in den USA die unterste Bevölkerungsschicht; sie leben im Ghetto, machen schlecht entlohnte »Drecksarbeiten« und gehören zur Masse der Obdachlosen. Frauen aus der »Zweiten und Dritten Welt«, werden wegen ihrer Gebärfähigkeit als soziale und ökologische Bedrohung gesehen (vgl. Schultz, 1994, S. 223 f).

Durch diese Situation entstehen nun »neue Formen von Identitätsanforderungen« wie Schultz schreibt. Da die Existenz weder durch soziale noch finazielle Leistungen der öffentlichen Instanzen noch durch Möglichkeiten zur Subsistenzproduktion gesichert werden kann, bilden sich »private« Sozialformen heraus, »die als Vermittlungsinstanzen im Prozeß individualisierender Vergesellschaftung fungieren«. Hierbei handelt es sich um informelle Zusammenhänge, in denen soziale Zugehörigkeit als »rigide Identitätsanforderung« gestellt wird. Ein Beispiel hierfür wären communities, die sich um den gemeinsamen Bezugspunkt »Ethnie« gruppieren. Ist der Existenzdruck der Grund sich mit der ausgegrenzten Gruppe zu identifizieren, hat dies für Frauen oft fatale Folgen. Trotz häufiger Gewalterfahrungen sind sie durch den Identitätsdruck dazu gezwungen, das hierarchische Verhältnis zwischen Männern und Frauen zu akzeptieren (Schultz, 1994, S. 224 f).

Diese Identitätsmuster werden dann gewählt, wenn keine Möglichkeit besteht eine »formale Berufs- und Währungsidentität« zu erwerben, wobei Schultz betont, daß es sich hierbei um ein Leitbild und nicht um die »psychische Innenausstattung der meisten Menschen« handelt (Schultz, 1994, S.226). Diese Berufs- und Währungsidentität ist heute wesentlich durch drei Kriterien gekennzeichnet, entlang derer Ausgrenzung im Zeit=Geld-Zusammenhang funktioniert: »- einer formalen Leistungsfähigkeit ohne >Leerzeiten<; - einer formalen >Kompetenz< die explizit nicht Reproduktionsverantwortung einbezieht; - einer formalen >Professionalität<, die ohne Bezug auf die in >Privatzusammenhängen< und als Geschlechtsperson gemachten Erfahrungen ist« (Schultz, 1994, S. 225).


4.

Trotz aller Kritik und Ergänzungsbedürftigkeit scheinen mir das Bild der »Kleinen Selbständigen« und die festgestellte Tendenz zu einer Jamaikanisierung/Ökologisierung bei Schultz geeignet zu sein, die neue Qualität der postmodern-modifizierten Geschlechterverhältnisse im Zuge globaler und neoliberaler Entwicklungen zu charakterisieren. Dabei lassen sich die Schlacken der modernen »Wert-Abspaltung« in dieser neuen Qualität heute noch deutlich erkennen, was ich im folgenden nochmals kurz herausstellen möchte.

- Die Kindererziehung liegt generell, auch in den westlichen Ländern, trotz Auflösung von Ehe und Familie fest in weiblicher Hand; dementsprechend ergeben sich für Frauen - gerade in der »beliebigkeitsverliebten« Postmoderne - andere Entscheidungsmaßstäbe als für Männer; ihr Zeitbezug ist insofern ein anderer, als sie nicht bloß der »Zeitsparlogik« (Frigga Haug) verpflichtet sein können.

- Frauen obliegt hauptsächlich die oikos-Verantwortung, die (vom traditionellen Geschlechterverhältnis herübergekommen) nun aufgrund des Sichtbarwerdens sozialer Auflösungsprozesse und globaler Zerstörungen noch eine besondere Qualität annimmt, indem hier noch eine übergreifende Dimension ins Spiel kommt. In diesem Zusammenhang wird auch plastisch, was Frigga Haug einmal feststellt, nämlich, daß die zeitraubenden Reproduktionstätigkeiten zunehmend weniger erledigt werden können, nicht zuletzt durch das Ringen der Frauen um die materielle (Erwerbsarbeits-)Existenz, wie aus den Ausführungen von Schultz geschlossen werden kann, und sie dennoch den Frauen als »Abfall« zugewiesen wird (vgl. Haug, 1996, S. 117 f).

- In metamorphorisierter Gestalt zeigt sich die Wert-Abspaltung weiterhin auch im Konstrukt der Frau als Natur, vermittelt über ihre Gebärfähigkeit, die nun paradoxerweise als ökologisch bedrohlich erscheint. In dieser ohnehin verqueren (auch mathusianischen) Argumentation wird (implizit) offensichtlich noch einmal auf absurde Weise davon ausgegangen, daß Frauen Kinder parthenogenetisch »produzieren«. Als bräuchte man dazu nicht auch Männer, die genauso wenig und genauso viel »Natur« wie Frauen sind.

Das Gesamtresultat dieser im Gestaltwandel und in Auflösung begriffenen Abspaltung ist wiederum eine spezifische Zurücksetzung von Frauen im Gegensatz zu Männern gerade in der epochalen Krise. Die männlich-konnotierte Leistungs- und Arbeitsexistenz ist dagegen so gefragt wie vielleicht noch nie zuvor. Dies gilt nicht nur dann, wenn karrierebewußt z.B. ein hochdotierter Job in der High-Tech-Branche anvisiert wird, sondern generell; obwohl bzw. gerade weil auch Männer zunehmend ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen ausgesetzt sind. Überhaupt kulminiert im globalisierten Kapitalismus der schon in der Moderne existierende »Zeitsparzwang« in einer »just in-time«-Orientierung. Dabei sind Frauen heute für das Geld und das Überleben gleichermaßen zuständig. Daß Frauen nun Funktionen übernehmen, die traditionell »Männersache« waren, trifft nicht bloß auf Drittweltländer, etwa infolge von Migrationsbewegungen zu, sondern ebenso für die hochindustrialisierten Länder. So müssen z.B. alleinerziehender Mütter auch hierzulande nicht selten im Alltag Mutter und Vater zugleich sein.

Offenbar gehen wir also tatsächlich auf ein Ein-Geschlecht-Modell mit hierarchischen Geschlechterverhältnissen zu, allerdings einem, das durch den »klassisch-modernen« Wert-Abspaltungsprozeß hindurchgegangen ist. Dabei treibt selbst dann, wenn der »Kollaps der Modernisierung« (Kurz, 1991) und damit auch die Erosion des warenproduzierenden Patriarchats sichtbar wird, der Androzentrismus als »psychogenetisches Unterbauphänomen« im Sinne der Wert-Abspaltung immer noch sein Unwesen, auch in modifizierten Leitbildern, emotionalen Befindlichkeiten und Codes, wie sie mit einer veränderten ökonomischen Lage einhergehen.

Aufs Ganze gesehen machen die bisherigen Ausführungen also überdeutlich, daß mit den übergreifenden postmodernen Individualisierungstendenzen alles andere als das goldene Zeitalter für Frauen angebrochen ist, wie bis Anfang der 90er manche dachten; weitgehend aus dem Blick gerät solchen Positionen auch, daß die postmodernen Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen per se schon immer kapitalistisch-patriarchal beschränkte sind, mit entsprechenden Konsequenzen: z.B. bewirkt das Locker-Werden von Beziehungen bei Männern auch, daß die Zahlungsmoral für nicht-eheliche Kinder und Kinder aus geschiedenen Ehen sinkt, wie Pressemeldungen der letzten Zeit zu entnehmen war. Deutlich wird so ebenfalls, daß die Einschätzung so mancher Linker und Feministinnen, mit der Auflösung der Familie nehme auch die Frauenunterdrückung- und benachteiligung ein Ende, ein mechanischer, formallogischer Trugschluß war. Stattdessen kommt es zu einer Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats. Diese Konsequenz zieht Schultz nicht, obwohl ihre Analyse dies doch dringend nahelegt.


5.

Obwohl Schultz die postmoderne Frauenexistenz im ganzen gesehen keineswegs rosig beschreibt, kommt es ihr nicht in den Sinn, diese Existenz radikal in Frage zu stellen. Vielmehr fordert sie »vor allem auch geschlechterdifferenzierende politische Strategien und politische Institutionen zur Unterstützung der alltäglichen Lebensführung« (Schultz, 1994, S. 212). Damit steht Schultz mit ihrer positivierenden, das postmoderne Geschlechterverhältnis festschreibenden Position keineswegs allein im Feminismus der 90er da, wie ich noch anhand zweier anderer Konzeptionen zeigen werde.

Seit Anfang der 80er erregte die These der »doppelten Vergesellschaftung«, die Regina Becker-Schmidt mit ihren Mitarbeiterinnen anhand der Untersuchung von Industriearbeiterinnen in der alten BRD aufstellte, in den Sozialwissenschaften sukzessive immer mehr Aufmerksamkeit. Becker-Schmidt geht dabei von einer grundsätzlichen Ambivalenz bei Frauen aus, die aus strukturellen Widersprüchen ihrer gesellschaftlichen Situation resultiert. »Frauen haben ein komplexes Arbeitsvermögen erworben, das sie für zwei >Arbeitsplätze< qualifiziert: den häuslichen und den außerhäuslichen. Wollen sie Erfahrungen in beiden Praxisfeldern machen, drohen ihnen die qualitativen Probleme der Doppelbelastung. (...) Beide Formen der Herrschaft verschärfen die Problemlagen: das Fortleben patriarchaler Strukturen in der Familie (...) erschwert die Partizipation der Frauen an der außerhäuslichen Arbeitswelt und an anderen Formen der Öffentlichkeit. Und die Wertehierarchie des Berufssystems, das Menschen nach ökonomischen Kategoriengesichtspunkten und nicht nach Lebensbedürfnissen kalkuliert, nimmt von der Existenz eines familialen Arbeitsplatzes (...) keine Notiz« (Becker-Schmidt, 1987, S. 23 f).

Klingt hier auch Kritik an, so wird die Besserbewertung von Frauen und ihrer postmodernen Lebenssituation gegenüber Männern endgültig in neueren psychoanalytischen Überlegungen von Becker-Schmidt deutlich, in denen sie gleichsam eine subjektive Dimension der »doppelten Vergesellschaftung« aufzeigt. »Durch identifikatorische Umpolungen und Umbesetzungen von mütterlichen und väterlichen Introjektionen halten Mädchen in ihrer Ich-Bildung eher an geschlechtsübergreifenden Suchbewegungen fest als Jungen. Auch wenn es ihnen in ihrem Lebenslauf nicht gelingt, alle Potentiale zu realisieren, weil sie z.B. aus bestimmten Männern vorbehaltenen Bereichen herausgehalten werden (...) Auch wenn Frauen sich den männlichen Vorstellungen von der weiblichen Rolle in der Familie fügen, so liegt in ihrer Nachgiebigkeit doch so etwas wie >Gehorsam unter Protest< (Ferenczi). Sie lassen sich nicht ans Haus binden (...) Das innovative Potential gesellschaftliche eigensinnige Optionen in einem Lebensentwurf zu realisieren und so sozial voneinander Getrenntes - Privates und Öffentliches - im Sinne einer Integrationsleistung zusammenzuführen, liegt auf Seiten der weiblichen Genusgruppe« (Becker-Schmidt, 1995, S. 240).

Treffen wir im warenförmig-modernen Patriarchat etwa in manchen lebensphilosophischen Entwürfen die Konstruktion der Frau als »volleres Individuum« im Gegensatz zum Mann an, weil sie (beruflich) als dem Erwerbsprozeß fernstehende Hausfrau und Mutter, und überhaupt angeblich von ihrer ganzen Wesenart her, nicht zu Vereinseitigungen neigt, bei ihr z.B. Verstand und Gefühl besser als beim bornierten Mann integriert seien, so haben wir bei Becker-Schmidt die seitenverkehrte postmoderne Version dieser altpatriarchalen Sichtweise vor uns. Die Frau erscheint nicht als Hausfrau und Mutter »voller«, weil sie dem Erwerbsleben entzogen ist, sondern gerade umgekehrt als »doppelt vergesellschaftete«.

Die Tatsache der Doppelbelastung wird im vorletzten Zitat zwar thematisiert, theoretisch paßt sie aber nicht wirklich in das Konzept von Becker-Schmidt; dementsprechend dominiert bei ihr generell die Figur der Frau »als Widerständige« und dies auch noch im Gehorsam, wie zu sehen war. Dabei geht Becker-Schmidt davon aus, daß bloß das pure Hausfrauendasein konservativ besetzt ist und als müßten sich Frauen besonders dagegen zur Wehr setzen.

Becker-Schmidt übersieht dabei einfach, daß die heute dominierende Form des Konservativismus nicht zur Norm der Ehefrau, Hausfrau und Mutter zurückwill, wie selbst Schäuble, Süßmuth und Nolte zeigen. Die »Frau, die alles will« ist überdies längst Bestandteil der Werbung. Daran sieht man auch, daß sich eben auch auf der symbolischen Ebene etwas geändert hat. Mit der Annahme einer Widerständigkeit und Innovationsfähigkeit von Frauen, resultierend aus der »doppelten Vergesellschaftung«, affirmiert Becker-Schmidt im Grunde die postmoderne Frau als »eierlegende Wollmilchsau« und zementiert so die postmodern-patriarchalen Gesellschaftsverhältnisse.

Auch wird die postmoderne Frau und ihre Situiertheit von Becker-Schmidt dabei nicht durch eine grundlegende Gesellschaftskritik in Frage gestellt wie etwa noch die Lohnzufriedenheit von Arbeitern bei Adorno (Becker-Schmidt kommt aus der Tradition der kritischen Theorie), sondern es findet ein positiv-populistischer Bezug auf die postmodern-warenförmige Existenz und die damit verbundenen immanent-ambivalenten Bedürfnisse von Frauen statt.

Mit meiner Kritik möchte ich nicht in Abrede stellen, daß es bis in die zweite Hälfte der 80er, ja im Prinzip bis Anfang der 90er in gewisser Weise tatsächlich den Anschein haben konnte, Frauen seien mit ihrem Protest gegen das »Patriarchat«, der lange Zeit nicht selten mit einer Kritik am Kapitalismus einherging, auf eine gesellschaftstranszendierende Weise innovativ. Und dieser Protest hing damals wohl u.a. tatsächlich auch mit den zunehmend auffallenden Konflikten zwischen Erwerbsbeteiligung und nach wie vor bestehender Zuständigkeit für den Privatbereich zusammen; zumal Frauen bekanntlich seit den 60ern, z.B. was die Qualifikationen anbelangt, immer mehr mit den Männern gleichzogen, zunehmend auch Mütter einer Berufstätigkeit nachgingen und überhaupt ein gesellschaftskritisches Klima bestand. Aber in der nun mehr denn je »eindimensionalen« Gesellschaft (Herbert Marcuse) der 90er darin noch immer in irgendeiner Weise ein innovatives, widerständiges Potential erkennen zu wollen, halte ich allerdings für mehr als verfehlt (s.u.).

Heute fällt demgegenüber auf, daß Frauen ausgerechnet zu einem historischen Zeitpunkt »doppelt vergesellschaftet« wurden (und zwar so, daß es ihnen auch zu Bewußtsein kommt, auch wenn dieser Status nicht notwendigerweise seine Kritik gleichzeitig nach sich zieht), in dem sich der Zerfall der lange Zeit konstatierten negativen Vergesellschaftung in extremem Maße bemerkbar zu machen beginnt und das warenproduzierende Patriarchat und das ihm entsprechende Zivilisationsmodell auch hierzulande aus dem Ruder zu laufen drohen. In den 90ern verfestigt sich diese bei Becker-Schmidt vermeintlich schon aus sich selbst allein immerzu Widerstand hervorrufende Struktur der »doppelten« Vergesellschaftung« paradoxerweise in und durch die chaotisierten Verhältnisse selbst.

In diesem Zusammenhang muß prinzipiell festgehalten werden, daß Becker-Schmidt nicht zu einer radikalen Infragestellung von Hausarbeit und Erwerbsarbeit kommt, wie sie für eine emanzipatorische Perspektive m.E. heute auf der Tagesordnung stünde. Dies gilt schon auf einer theoretischen Grundsatzebene. Sie geht fraglos von arbeitsontologischen Annahmen aus, die sie in ihren Texten im großen und ganzen gesehen auch auf die weiblichen Reproduktionstätigkeiten überträgt. Und auf dieser Folie wird dann die »doppelte Vergesellschaftung« von Frauen konstatiert und ihre Idealisierung betrieben.

Vor dem Hintergrund der Ausführungen von Schultz wirkt das Konzept der »doppelten Vergesellschaftung« von Becker-Schmidt wie ein Hohn. Dabei muß freilich berücksichtigt werden, daß es Edelvarianten und Vereledungsvarianten der »doppelten Vergesellschaftung« und der Individualisierung von Frauen gibt. Diese Edelvarianten zeigen sich z.B. in Form gutsituierter Berufs-Frauen, die es geschafft haben etwa in der High-Tech-Sektor oder in der Finanzbranche Karriere zu machen - auch wenn der männliche »>Tigertyp<, immer auf dem Sprung, leistungsstark, flexibel, ungebunden«, hier freilich nach wie vor die besten Chancen hat (Wichterich, 1998, S. 71) - und/oder auch darin, daß (karrierebewußte) privilegierte Frauen für die Reproduktionstätigkeiten z.B. schlecht bezahlte Migrantinnen anstellen.

Dabei ist wohl davon auszugehen, daß Edelvarianten der weiblichen Individualisierung heute wohl immer noch mehr in der Ersten Welt, die Vereledungsvariante hingegen vor allem in der Dritten Welt anzutreffen sind. In diesem Zusammenhang stellt sich, was die immer noch relativ privilegierten »doppelt vergesellschafteten« Frauen der hiesigen »Dominanzkultur« (Birgit Rommelspachen) anbelangt, folgendes Problem, das bei einer weiteren Verschärfung der ökonomischen Lage noch stärker zutage treten könnte: »Die Unterordnung der Frau ist nationalstaatlich reguliert, sie vollzieht sich in und durch die vom Nationalstaat umrissenen Räume der Familie, des Privaten und des öffentlichen, des Produktions- und Reproduktionsbereichs (...) Maßnahmen zur >Vereinbarkeit von Familie und Beruf<, zur sozialen Absicherung der sogenannten Einelternfamilien, staatlichen Diskriminierungsschutz sind nur einige Beispiele in denen sich die neuen Grenzverläufe andeuten (...) Obgleich es keine Anzeichen dafür gibt, daß das sich hier herausbildende neue Arrangement der Geschlechter von einer Abschwächung oder gar Auflösung der sexistischen Arbeitsteilung begleitet sein wird, kristallisiert sich bereits ein neuer Konsens heraus: die Gleichwertigkeit der Frau als Staatsdoktrin, der Nationalstaat als Garant des bisher Erreichten und als Mentor einer fortschreitenden Veröffentlichung der bisher dem privaten vorbehaltenen >weiblichen Tugenden<. Wird auf diese Weise das eigene Emanzipationsprojekt im Nationalstaat wiedererkannt, scheint der Weg vorgezeichnet, wie noch im Namen von Fraueninteressen nationalstaatliche Machtpolitik legitimiert werden kann«. (Eichhorn 1994a, S. 88).

Daß dabei ein »zunehmend gleichgeschlechtlicher Gefühlscode«, der »auf dem alten Code der Männer« basiert, und eine weibliche »oikos-Normativität- und Mentalität in modifizierter Gestalt sich im Profil der postmodernen neuen Frau treffen, sei hier noch einmal betont. Eichhorn unterstreicht stattdessen trotz aller Benennung struktureller Novitäten in ihrer Darstellung die »weiblichen Tugenden« als würde es sich dabei noch um die alten handeln. Dennoch zeigt sich hier: Die einstige Widerständigkeit der »doppelt vergesellschafteten« Frau, kann heute somit ganz und gar nicht »innovativ« ins Postmodern-Reaktionäre umschlagen.


6.

Dominiert das Konzept der »doppelten Vergesellschaftung« von Frauen derzeit die Sozialwissenschaften, so steht Judith Butlers dekonstruktivistischer Ansatz in den 90ern im Zentrum der feministischen Philosophie. In welchem Zusammenhang steht nun Butlers Denken zum hier dargestellten, qualitativ neuen Geschlechterverhältnis?

Bevor ich auf diesen Zusammenhang eingehe, möchte ich zunächst einmal ganz knapp Butlers Position darlegen. In »Das Unbehagen der Geschlechter« kritisiert sie die lange im Feminismus vorgenommene Trennung zwischen »sex« und »gender«. Im Anschluß an verschiedene TheoretikerInnen, vor allem aber an Foucault, entwickelt sie eine Perspektive, die »sex« schließlich völlig in »gender« aufgehen läßt, da auch das biologische Geschlecht, ja der Körper überhaupt ein Diskursprodukt seien. Da für Butler Geschlecht eine performative und keine expressive Kategorie ist, d.h. es rituell immer wieder dargestellt werden muß, sieht sie in der internen Subversion des Geschlechterdualismus, wie sie in schwulen und lesbischen Subkulturen durch wiederholende parodistische Praktiken ihrer Meinung nach anzutreffen ist, einen Weg, die Geschlechtsidentität radikal unglaubwürdig zu machen (vgl. Butler, 1991).

Das Problem bei Butler ist es m.E. nun, daß sie karikierend etwas unglaubwürdig machen möchte, nämlich die moderne Geschlechtsidentität und das moderne »System der Zweigeschlechtlichkeit«, was längst obsolet geworden ist, ohne daß die Geschlechterhierarchie deswegen verschwunden wäre. Es haben längst »Realdekonstruktionen« stattgefunden, ablesbar eben an der »doppelten Vergesellschaftung« von Frauen, aber auch an der Kleidung von Männern und Frauen u.ä. Deshalb trifft hier wiederum ein Einwand Cornelia Eichhorns, die im übrigen - anders als ich - ebenfalls einen konstruktivistischen Ansatz vertritt, gegenüber Butler zu, nämlich, »daß die Anforderung an Frauen vielfältig und flexibel, Mutter und Vater, Kumpel und Freundin, Geliebte und Kampfgefährte, Karriere- und Putzfrau in einer Person zu sein, früher als Teil der sexistischen Arbeitsteilung begriffen und zurückgewiesen (wurde). Heute hingegen könnte man mit Butler glauben, hinter dieser Anforderung das Licht der Freiheit aufblitzen zu sehen« (Eichorn, 1994b, S. 43). Es liegt auf der Hand, inwiefern Butler so das postmodern-neoliberale Ideal der »Kleinen Selbständigen« von Schultz affirmiert, bei dem Alexis vom Denver Clan und die oikos-Hausfrau und -Mutter, jetzt noch mit ökologischer Verantwortung und für Geld und Überleben gleichzeitig zuständig, im Zuge von Globalisierung, Neoliberalismus und dem Einsatz neuer Technologien, ein qualitativ neues Amalgam eingehen.

Butlers Konzept geht so nicht einfach bloß ins Leere, weil es von der alten Geschlechterpolarität ausgeht, sondern es hat geradezu etwas verschleiernd-ideologisches. Dieses rein kulturalistische Konzept gibt keine Antwort auf aktuelle Fragen, vielmehr wird bei ihm das eigentliche Problem des hierarchischen Geschlechterverhältnisses in der Postmoderne und hierbei insbesondere die (pseudo-)zwittrige Frau mit progressiver Attitüde geradezu als Lösung kredenzt. Auf wieder andere Weise geschieht dies auch bei Becker-Schmidt wie zu sehen war. Beide Positionen stützen somit die heute geforderten geschlechtsspezifischen Flexi-Zwangsidentitäten im erodierenden warenproduierenden Patriarchat; mit einer Aufhebung von (sozialer) Männlichkeit und Weiblichkeit überhaupt und dazu auch noch im Sinne einer Kritik der Wert-Abspaltung über die Postmoderne hinaus, haben sie absolut nichts im Sinn.

Im Gegensatz zu derartigen identitätskritischen Einschätzungen scheint es mir daher eher so zu sein, daß die modernen Geschlechteridentitäten in ihrer Hierarchisierung als unaufgehobene, nur in patriarchaler Auflösung befindliche, sich heute in der Verwilderung des warenförmigen Patriarchats bloß noch einmal bestätigen (wobei insbesondere Butler zumindest in dem hier behandelten Buch »Das Unbehagen der Geschlechter« die Geschlechtsidentitäten immer schon als bloß fiktive begreift). Insofern bin ich der Meinung, daß immer noch entschieden zuviel geschlechtsspezifische »Identität« vorhanden ist, auch wenn das dualistische Geschlechtermodell praktisch der Vergangenheit angehört.


7.

Im Vergleich dazu scheinen neuere feministische Handlungskonzepte sowohl im nationalstaatlichen als auch im internationalen Rahmen im Globalisierungsdiskurs auf den ersten Blick weniger den Status quo im Sinne der bislang beschriebenen postmodernen Geschlechterverältnisse zu zementieren. Denn sie intendieren z.B. ganz prinzipiell eine Umverteilung von Reproduktionstätigkeiten und Produktionsarbeiten und nicht bloß eine Unterstützung der doppelt belasteten Frauen im Alltag wie Schultz und sie idealisieren zumeist nicht die doppelt vergesellschafteten Frauen wie Becker-Schmidt. Darüber hinaus widmen sie sich vor allem im Gegensatz zu Butler auch großen Problemstellungen (ökologischen, sozialen, ökonomischen), weshalb ich im weiteren etwas ausführlicher auf sie eingehen will. Herausstellen wird sich allerdings, daß dabei bloß pseudoradikale, systemimmanente Lösungen im Gespräch sind, deren Grenzen in der Frauenbewegungspraxis längst zu einem Gutteil deutlich geworden sind. Das kapitalistisch-patriarchale System soll auch in diesen Entwürfen nicht in seinen Grundfesten erschüttert werden. Damit aber perpetuieren sie letztlich die postmodernen (Geschlechter-)Verhältnisse; denn sie vermögen es nicht, ihnen wirklich etwas entgegenzusetzen.

Manche dieser Konzeptionen reflektieren explizit die »doppelte Vergesellschaftung« von Frauen in Verbindung mit einer Gender-Perspektive, wenngleich auch ohne Rekurs auf den Butlerschen Dekonstruktivismus (vgl. Young, 1998). Aber selbst, wo dies nicht geschieht, wird in diesen Debatten auf jeden Fall kaum mehr von der modernen Hausfrauenehe ausgegangen. Innerhalb dieses Diskurses lassen sich nun - soweit ich sehe - folgende Haupttendenzen herauspräparieren.

Da wird zunächst einmal ein neuer Geschlechtervertrag/kompromiß im nationalstaatlichen Kontext anvisiert, der einen anderen Arbeitsbegriff zum Inhalt hat und in dem Produktions- und Reproduktionstätigkeiten neu verteilt werden sollen vor dem Hintergrund der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung (vgl. u.a. Beck, 1997, Haug 1997, Sauer, 1998). Sauer, auf deren Vorstellungen ich mich im weiteren beziehe, bezieht dabei auch die europäische Dimension mit ein; sie will soziale und kulturelle Privilegienstrukturen aufbrechen und ebenso die Ökologieproblematik berücksichtigen. Aushandlungsprozessen mit dem Sozialstaat wird in derartigen Entwürfen großes Gewicht beigemessen und die Forderung nach Repolitisierung der momentan stattfindenden Deregulierungstendenz entgegengesetzt. Bündnisse mit anderen Organisationen, z.B. Gewerkschaften und mit anderen benachteiligten Gruppen, etwa Migrantinnen werden dabei als notwendig erachtet (siehe Sauer, 1998, S. 40 ff.).

Problematisch an solchen Ansätzen, die das Paradox einer sozialstaatlichen Globalisierungspolitik versuchen, ist es m.E. nun, daß sie die vom Globalisierungsprozeß ausgehenden strukturellen Zwänge nicht als solche ernst nehmen und es bei ihnen oft so klingt, als handle es sich dabei eher um eine »Ideologie« des Kapitals und der politischen Klasse. Im Grunde wird versucht, das patriarchal-keynesianische Wohlfahrtsstaatmodell der fordistischen Phase in die postmoderne Globalisierungsära hineinzuverlängern. Ausgeblendet bleiben dabei weithin Machtasymmetrien, die in den Aushandlungsprozessen im globalisierten Kapitalismus gegeben sind. Unter dem Druck der Weltmärkte verkleinert sich der sozialpolitische Spielraum aber real. Aus diesem Grund ist es m.E. auch naiv den Staat als Bündnispartner gegen die ökonomische Globalisierung nutzen zu wollen (vgl. Sauer, 1998, S. 41). Seine Macht verfällt. Hervorzuheben ist dabei, daß dies nicht an der Bösartigkeit »des Kapitals« liegt; vielmehr sind die Unternehmen im globalisierten Kapitalismus zur Verwertung ihres Kapitals »bei Strafe des Untergangs« (Marx) dazu gezwungen, sich dort niederzulassen, wo die Bedingungen für sie am Besten sind.

Vor diesem Hintergrund ist es eine Illusion, eine Umverteilung von Produktionsarbeiten und Reproduktionstätigkeiten via Arbeitszeitverkürzung erreichen zu wollen, dürfte das dabei vorausgesetzte Grundeinkommen, bei weithin leeren Staatskassen, doch wohl kaum zu allimentieren sein. In diesem Zusammenhang ist zudem die Ausweitung des Arbeitsbegriffes auf weibliche Reproduktionstätigkeiten fragwürdig (was in der feministischen Debatte allerdings gängig ist). Denn diese Tätigkeiten folgen nicht umsonst einer anderen Zeitlogik als die Arbeiten im Produktionsbereich und haben deswegen auch einen anderen Charakter; sie können also nicht ohne weiteres als Arbeit bezeichnet werden. Überhaupt werden Hausarbeit und Erwerbsarbeit bei Sauer keiner grundlegenden Kritik unterzogen; es geht eben bloß um ihre Umverteilung.

Ebenso finde ich es blauäugig, Bündnisse mit solchen Organisationen im Staat zu fordern, »die einem neoliberalen oder neokorporatistischen Umbau des Sozialstaates ebenfalls skeptisch gegenüberstehen« (Sauer, 1998, S.40). Dies gilt besonders für die Gewerkschaften. Abstrahiert wird hier davon, daß es den Gewerkschaften im »Bündnis für Arbeit« selbst bloß um einen etwas gedämpften neoliberalen Umbau des Staates und der Gesellschaft geht. Die bornierte Standortlogik ist hier schon immer Ausgangspunkt der Verhandlung.

Als Basis für ihre Überlegungen sieht Sauer neue Arbeitsfelder, die den ökologischen Grenzen der Globalisierung Rechnung tragen. Wie diese vor dem Hintergrund der komplizierten Globalisierungsdynamik, die unerbittlich dem verallgemeinerten betriebswirtschaftlichen Renatabilitätsprinzip folgt, installiert werden sollen, bleibt ihr Geheimnis. Obwohl Sauer Überlegungen auch auf lokaler Ebene anstellt (was z.B. die Aushandlung von Arbeitszeitmodellen mit lokalen Industrien angeht) und auch die europäische Dimension reflektiert (Rechtsprechung, Gleichheitsregelungen) ist für sie der Nationalstaat primärer Ausgangspunkt ihres politizistischen Handlungsentwurfes, den sie vor dem Hintergrund einer feministischen Analyse des Wohlfahrtsstaats gewinnt.

Nun gibt es auch andere feministische Handlungskonzeptionen, die von einer internationalistischen Perspektive ausgehen. So gilt z.B. die Einschreibung von Frauenrechten als Menschenrechten in Uno-Resolutionen als Erfolg der Einflußnahme feministischer NGOs nicht nur im Feminismus. In diesem Zusammenhang existieren Strategieentwürfe, denen im feministischen Globalisierungsdiskurs viel Aufmerksamkeit zuteil wird. »Indem Frauenrechte auf allen Ebenen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens politisiert werden, verbinden sich damit Forderungen nach der Erfüllung sogenannter praktischer (Alltags-)Bedürfnisse von Frauen mit den Forderungen nach Erfüllung ihrer sogenannten strategischen (Gleichheits-)bedürfnisse. Um die Menschenrechte von Frauen weltweit zu gewährleisten, bedarf es gleichzeitig kurzfristig konkreter Verbesserungen der Lebensverhältnisse von Frauen, wie z.B. bei (Aus-)Bildungsmöglichkeiten und der Gesundheitsversorgung, mittelfristiger Verbesserungen ihrer Rechtssituation, wie z.B. im Eherecht, aber auch im Erbrecht oder im Landrecht, und längerfristiger Verbesserungen ihrer Einflußchancen und Machtpositionen im sozial-kulturellen, ökonomischen und politischen Leben. Dies entspricht ungefähr der von Sara Longwe (...) im entwicklungspolitischen Kontext entworfenen Stufenleiter des >empowerment<, mit deren oberster Sprosse die Selbstbestimmung der eigenen Situation erreicht ist. Daß eine solche Verwirklichung von empowerment von der ersten Stufe an die Politik der kleinen Schritte mit der strukturellen Transformation von gleichzeitiger Mikro-, Meso- und Makroebene verknüpfen muß, haben im übrigen Frauen aus den südlichen Kontinenten bereits Mitte der 80er Jahre in aller Deutlichkeit herausgearbeitet« (Ruppert, 1998, S. 100).

In diesem Zusammenhang hat auch das Konzept von DAWN (Development Alternatives with Women for a New Era), einer internationalen Frauenorganisation, mit den Zielen »Restructuring the market«, »Reforming the state« und »Empowering civil society« im feministischen Globalisierungsdiskurs Prominenz erlangt. Dabei werden freilich alle drei Ebenen als miteinander verschränkt angesehen. Angepeilt wird ein neues Ethos globlaler Entwicklung: Arbeit soll neu verteilt und bewertet werden (u.a. auch zwischen den Geschlechtern); es soll ökologisch- und sozialverträglich produziert werden. Soziale Ungleichheiten (klassenmäßige, ethnische und geschlechtsspezifische) sollen abgebaut und alternative Formen des Produzierens gefördert werden; man/frau fordert eine Rechenschaftspflicht von Finanzinstitutionen (WTO, IWF, regionaler Wirtschaftsblöcke usw.) und die Durchführung alternativer »weicher« Strukturanpassungsprogramme u.ä.; ebenso soll eine weitere Demokratisierung von politischen Institutionen stattfinden. Transparenz, Solidarität, Verantwortlichkeit als politische Maxime werden postuliert und in diesem Zusammenhang auch eine ausreichende Gesundheitsversorgung, bessere Bildungsmöglichkeiten usw. verlangt. Dabei wird die Notwendigkeit sowohl von nationalstaatlichen als auch globalen Strategien auf verschiedenen Ebenen betont.

Auch in derartigen Überlegungen wird allgemeinen Deregulierungstendenzen eine Repolitisierung des Staates entgegengesetzt und zwar im Rahmen einer globalen Neubestimmung des Politischen im Sinne von civil society: »Läßt sich Zivilgesellschaft im Verhältnis zur institutionellen Politik allgemein als >Feld des Streites über gesellschaftliche Prioritäten, Entwicklungsziele< (...) bezeichnen, so streitet die internationale Frauenbewegung in diesem Feld von der lokalen bis zur globalen Ebene für das Ziel einer frauengerechten Entwicklung, einer >Women's Development Agenda< (...) als Ergebnis der Transformation globaler Macht- und Herrschaftsverhältnisse« (Ruppert, 1998, S. 103). Auch in diesem Handlungsmodell wird der Vernetzung mit anderen potentiellen Bündnispartnern große Bedeutung beigemessen.

Ruppert stellt solche Vorstellungen in das Konzept von Global governance ein, von dem im allgemeinen Globalisierungsdikurs um Zivilgesellschaft u.ä. überhaupt viel die Rede ist. Ursprünglich handelt es sich bei Global governance» um ein »liberales Konzept der Regulierung von einigen der gesellschaftlichen Krisenlagen, die sich im Zuge der Globalisierung drastisch verschärfen«, also Umweltproblemen, Migrationsbewegungen usw. Demgegenüber wird Global governance »in der Perspektive kritischer NGOs und insbesondere kritischer Frauenorganisationen somit auf seine Möglichkeiten zu einer radikalen Neubestimmung der Inhalte und Formen globaler Politik ausgeleuchtet« (Ruppert, 1998, S. 95).

Bei derartigen Vorstellungen geht es zwar auch um die Alltagsunterstützung von Frauen, wie Schultz sie fordert, allerdings eben verbunden mit weitergehenden grundsätzlichen Forderungen nach (welt-)gesellschaftlichen Veränderungen. Im Grunde handelt es sich um eine ähnliche Konzeption, wie bei der von Sauer, bloß wird hier die übergreifende Ebene zum Ausgangspunkt genommen. Beide Konzepte ergänzen sich eigentlich. Demgemäß gelten zentrale Einwände, die gegenüber dem Sauerschen Entwurf gemacht wurden, auch hier. In diesem Zusammenhang liegt es auf der Hand, worin das Kerndilemma solch internationalistischer Entwürfe besteht. Ebenso wie das Sauersche Wohlfahrtsstaat-Konzept, abstrahieren auch die von Ruppert dargelegten Handlungsmodelle von den knallharten ökonomischen Strukturen im globalisierten warenproduzierenden Patriarchat und den entsprechenden Machtverhältnissen. Nach schlechter Gutmenschenart werden in abstrakto, vom grünen Tisch aus wohlklingende Programme formuliert. Die Aushandlungsmöglichkeiten, die in einem mittlerweile anchronistisch gewordenen keynesianischen Wohlfahrtsstaat gegeben waren, sollen nicht bloß wie bei z.B. Sauer auf den nun »nationalen Wettbewerbsstaat« (Joachim Hirsch) übertragen werden, sondern sie werden sogar noch auf die globale Ebene projiziert. Dabei gibt es auf dieser Ebene noch nicht einmal übergreifende Kontrollinstanzen wie im nationalstaatlichen Kontext. In diesem Zusammenhang liegt das Problem nicht nur darin, daß sich z.B der IWF nicht so recht von NGOs in die Karten schauen läßt, wie im NGO-Diskurs häufig beklagt wird, sondern daß derartige Insitutionen selbst global-ökonomischen Dynamiken unterliegen (man denke etwa an die prekäre monetäre Lage des IWF im Zuge von immer mehr kollabierenden Volkswirtschaften im Süden wie im Osten). Selbst wenn Frauen-NGOs also zur Kontrolle von Wirtschafts- und Finanzinstitutionen zugelassen würden - aufs Ganze gesehen können sie wohl nicht umhin, auch auf dieser Ebene bloß Teil der Krisenverwaltung zu werden.

Nun ist es, was den Menschenrechtsdiskurs angeht, Frauen-NGOs gelungen, Einfluß auf Abschlußdokumente der großen UNO-Konferenzen in den letzten Jahren zu nehmen. Ganz im Sinne der Mitverwaltung der schlechten Realität, wird aber schon bei der Mitsprache bei »weichen« Themen, wenn es sogar bloß um unverbindliche moralische Forderungen geht, im internationalen Politikkontext folgende Tendenz deutlich »Inhaltlich hat der Konferenzparcours eine stärkere Ausrichtung der Frauenbewegung auf das politisch Machbare bewirkt. Sie sind der >großen Politik< nicht nur näher gekommen, sondern auch gezwungen, sich an deren Vorgaben abzuarbeiten. Im Dilemma zwischen Anpassungsleistung und Gegenstrategien nötigt Lobbyarbeit zur Kompatibilität mit Realpolitik. Auf der Handlungspalette zwischen mainstreaming, der Integration von Frauenbelangen in jede Verhandlung und in jedes Kapitel der Abschlußdokumente, und der Vision eines radikalen globalen Strukturwandels (...) tendierte die Politik im Konferenzkontext zwangsläufig immer stärker zu den kleinen Schritten des mainstreaming. Große alternative Entwürfe dienen bestenfalls noch als sehr entfernte Leitsterne politischen Handelns« (Wichterich, 1998, 235).

Dennoch scheint die zivilgesellschaftliche Hoffnung, der Kapitalismus ließe sich bis zu seiner Unkenntlichkeit zivilisieren (siehe z.B. auch Dubiel u.a. 1989) durch keinerlei erfahrbare Realität enttäuscht werden zu können. Auch wenn die Debatten um die »Zivilgesellschaft« im gesamtgesellschaftlichen Großdiskurs schon längst ihren Höhepunkt überschritten haben: Euphorische Konzeptionen zur Ausgestaltung der »Zivilgesellschaft«, die den abstrakten politischen Willen hypostasieren, gehören zum Festbestand des feministischen Diskurses in der zweiten Hälfte der 90er. Dies gilt auch für Christa Wichterich, die trotz des obigen Statements, unter der Überschrift »Wider die Ohnmacht«, ein paar Seiten weiter in ihrem feministischen Globalisierungsbuch u. a. den oben erwähnten Entwurf von DAWN zu »restructuring the market«, »reforming the state« und »empowering civil society« positiv anführt (Wichterich, 1998, S. 237 ff).

Ausgerechnet in einer Zeit, in der deutlich wird, daß die (sozial-)politischen Handlungsspielräume innerhalb des kapitalistisch-patriarchalen Systems immer enger werden, sich Probleme auftun, die systemimmanent nicht bewältigt werden können, Bürgerkriege den Erdball erschüttern und der Krisenherde immer mehr werden usw., macht sich ein »zivilgesellschaftlicher Totalitarismus« (Hirsch, 1995, S. 156 f.) breit, für den eine grundsätzliche Infragstellung des warenproduzierenden Patriarchats Tabu ist. Anstatt sich in emanzipatorischer Perspektive die Frage zu stellen, wie eine qualitativ andere Gesellschaft ausehen könnte, was sich bei der Betrachtung des Gesamt-Krisenszenarios geradezu aufdrängt, gibt man sich nicht nur im feministischen NGO-,Zivilgesellschafts-Globalisierungsdiskurs einer Haltung des »Immerhin« hin, selbst dort, wo erkannt wird, daß NGOs »vernetzt und verstrickt« sind (Altvater u.a., 1997): Immerhin werden Menschenrechtsverletztungen überhaupt skandaliert, immerhin wird die Ökologieproblematik eingebracht usw. (dies gilt selbst noch für J. Hirsch, der zwar gegen den Zivilgesellschaftsdiskurs treffliche Argumente vorbringt, auf internationalistischer Ebene aber dann doch - nach dem Aufzählen problematischer Punkte, NGOs in diesem Immerhin-Sinne als weitertreibende Momente im Welt-Vergesellschaftsprozeß anpreist - vgl. Hirsch, 1995, S. 190 ff.).

Die Illusion durch politische Eingriffe im nationalen wie im internationalen Rahmen etwas verändern zu können erhält allerdings derzeit durch Veränderungen der gesellschaftspolitischen Stimmungslage neue Nahrung, nicht zuletzt durch den rot-grünen Sieg bei der Bundestagswahl. Realistisch dürfte demgegenüber die Einschätzungen von H.M. Enzensberger und C. Stefan sein, von Reinhard Mohr im Spiegel (Nr. 42/1998) paraphrasiert: »>Symbolisch-stilistische Akzentverschiebungen<, einen >Schuß Blair-Imitation< und elegante Medien-Inszenierungen erwartet Enzensberger von der >Berliner Republik<, die ja die Fortsetzung der Bonner sei, aber keine Dynamik intellektuell-politischer Debatten«, ganz zu schweigen von real-substanziellen Veränderungen wäre hinzuzufügen. In diesem Zusammenhang werde »die rot- grüne Regierung, so Cora Stephan (...) den Wählern schließlich jene sozialen >Grausamkeiten< nach amerikanisch-englisch-holländischen Vorbild zumuten müssen, vor denen die bisherige konservative Mehrheit zurückgeschreckt sei. Sie (also Stephan; R.S.) wartet förmlich auf die >Blut-, Schweiß- und Tränenrede< eines Kanzlers Schröder - sicher nicht ohne Konsens- und Gerechtigkeitsbeigaben, die Kohl noch vermieden habe. Womöglich werde der unabdingbare Umbau des Sozialstaats mit einem >linken Revival der Vaterlandsliebe< unter dem Emblem >Bündnis für Arbeit< einhergehen. Motto: Wir sind bereit. Gemeinsam packen wir`s«.

Aber auch durch die desolate Entwicklung auf den Finanzmärkten dürfte ebenso im internationalen Kontext so manche Reformillusion Morgenluft wittern. Tritt nicht sogar Clinton nun für sozialverträgliche Strukturanpassungsprogramme ein und will nicht auch Blair und selbstverständlich auch Schröder die unberechenbar gewordenen Finanzmärkte wieder stärkeren Kontrollen unterwerfen? Als ob der Geist noch einmal in die Flasche zurückgekorkt werden könnte.

Es ist also ganz offensichtlich daß sowohl eine nationalstaatliche Perspektive gespeist aus einer neokeynesianischen Fiktion als auch eine internationalistische Ausrichtung des zivilgesellschaftlichen »Empowerment« der Verwilderung des Patriarchats nichts emanzipatorisch Gehaltvolles entgegenzusetzen haben. Vielmehr treiben sie diese Tendenz - wenngleich auch sicher ungewollt - noch voran, indem sie fraglos systemimmanent suggerieren, politische (Staats-)Eingriffe seien wie weiland noch geeignet, gesellschaftliche Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Versucht wird dabei im Grunde genommen, die Wert-Abspaltung innerhalb der Wert-Abspaltung aufzuheben. Besonders augenfällig wird dies z.B. in der Forderung einer »gerechten Umverteilung« von Produktionsarbeiten und Reproduktionstätigkeiten in einem neuen Geschlechtervertrag, die ganz dem Motto folgt: Wasch mir das Fell, aber mach mir den Pelz nicht naß. Dem patriarchal-postmodernen Geschlechterverhältnis und seinen Flexi-Zwangsidentitäten wird so nicht ernsthaft zuleibe gerückt; am patriarchal-kapitalistischen Gesamtsystem, dessen ökologische, soziale und ökonomische Grenzen längst allzudeutlich sichtbar geworden sind, und das bereits in ein barbarisches Verfallsstadium eingetreten ist, soll nicht gerüttelt werden; vielmehr soll es mit hilflosen lau-zivilgesellschaftlichen Konzeptionen verbessert und saniert werden. Faktisch gibt man/frau sich mit einer bloßen Öko- und Sozialkosmetik zufrieden und affirmiert so die miesen postmodernen Lebensverhältnisse.


8.

Neben der nationalstaatlichen und internationalistischen Zivilgesellschaftsoption versuchen Selbstversorgungsentwürfe verschiedenster Art Antworten auf das Phänomen »Globalisierung« zu geben. Der bekannteste Ansatz innerhalb der feministischen Debatte hierzulande ist dabei wohl die »Subsistenzperspektive« der »Bielefelderinnen«, Maria Mies u.a. (vgl. dazu neuerdings: Bennholdt-Thomsen/Mies, 1997).

Vor allem in Konzentration auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft wird pauschal jegliche industrielle Produktion und (High-Tech-)Technologie abgelehnt. Denn darauf beruht nach Mies & Co. die Unterdrückung von Frauen, von Natur und von anderen »Völkern«. Die Konzeption der »Bielefelderinnen« wird weithin als radikalstes Ausstiegskonzept aus Markt und Staat gehandelt. M.E. zu Unrecht, denn sieht man von der hochproblematischen, undifferenzierten Technologiefeindlichkeit ab, geht es der »Subsistenzperspektive« nicht um den Ausstieg aus der Marktrationalität überhaupt, sondern um die Installierung bzw. Stärkung des lokalen Binnenmarktes. An der das warenproduzierende Patriarchat wesentlich charakterisierenden Wert- und Arbeitsperspektive soll somit nicht grundsätzlich gekratzt werden. Und damit freilich auch nicht an der Basisform der Wert-Abspaltung. Auch wird dabei die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nicht in Frage gestellt, vielmehr soll die »weibliche Susistenzarbeit« zum sozialen Zentrum werden. Dabei erfährt die »kleine Selbständige« von Schultz als lokal bornierte subsistenzwerkelnde Handels-Handwerks-Hausfrau noch in der vermeintlichen Opposition gegen Weltmarktzusammenhänge eine positive Besetzung (vgl. Bennholdt-Thomsen/Mies, 1997, S. 120 ff.).

Dagegen sind die in der feministischen Debatte mittlerweile ebenfalls oft erwähnten Vorschläge von Carola Möller, die für ein gemeinwesenorientiertes Wirtschaften plädiert, das nicht auf den heutigen Markt und seine Gesetzmäßigkeiten ausgerichtet sein soll, etwas anders gelagert. Auch diese Vorstellungen basieren, mit dem Ziel der Selbstversorgung, auf »Eigenarbeit« im lokalen Umfeld. Die Gesamtarbeit soll auf diese Weise neu gestaltet werden. Zwar wird in diesem Entwurf eine »Aufhebung« der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung intendiert, allerdings indem wiederum versucht wird, die Wert-Abspaltung innerhalb der Wert-Abspaltung »aufzuheben« - und zwar im lokal- bornierten Rahmen. Demnach sollen auch die bislang weiblich konnotierten Reproduktionstätigkeiten als »Arbeit« firmieren. Die ganze Gesellschaft soll zu einem großen Arbeitshaus werden. Deutlich zeigt sich das auch, wenn Möller ihre Selbstversorgungszusammenhänge paradoxerweise durch den »gerechten Tausch« möglichst ohne Geld charakterisiert sehen will: »Der Tausch >Leistung gegen Geld< wird minimiert, der Tausch >Leistung gegen Leistung< dagegen bevorzugt«, wobei »Maßstab für den Tausch die Zeit« sein soll. »Eine Stunde Arbeit wird gegen die Stunde einer anderen Person eingetauscht« (Möller, 1998, S. 483 bzw. 484).

Grundsätzlich problematisch finde ich in diesem Zusammenhang bei Mies, Möller & Co auch eine small-is-beautyful-Haltung: Übergreifende Ebenen und Zusammenhänge führen bei ihnen bloß ein Schattendasein bzw. sie erscheinen in erster Linie in der Negativ-Analyse von (Welt-)Gesellschaftlichkeit; tendenziell werden so auch zivilisatorische Errungenschaften in Frage gestellt, hinter die zurückzufallen - auch wenn sie auf einer patriarchalen Basis entstanden sind - von feministischer Seite aus m.E. falsch wäre (etwa die medizinische Versorgung oder die High-Tech-Nutzung in der Produktion um sich das Leben zu erleichtern u.ä.). Gleichzeitig wird bei solchen Utopien unter der Vorherrschaft des »lokalen Wirtschaftens« jedoch weiterhin von einer Existenz der bezahlten Arbeit und des (über)regionalen Markts ausgegangen. Auch insofern bleiben die patriarchal-kapitalistischen Grundprinzipien unangetastet. Dadurch eignen sich diese Entwürfe vorzüglich als legitimatorische Interims-Konzepte in einer Phase, die durch den Übergang von der negativen Vergesellschaftung zur Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats gekennzeichnet ist. Sie machen aus der Not eine Tugend. Es drängt sich der Gedanke auf, daß z.B. das Miessche Subsistenzprogramm eine Interventionsdiktion darstellen könnte, die eine kleinbürgerliche Variante des Neoliberalismus mit dem verbindet, was bereits heute in vielen Weltgegenden, die die Marktwirtschaft als verbrannte Erde zurückgelassen hat, nolens volens Wirklichkeit ist: die bloße Subsistenzperspektive eben, um überhaupt überleben zu können, und die nun - in Miesscher Manier - noch zum Emanzipationsprojekt umgebogen wird.

Damit nicht genug, indem in derartigen Vorstellungen die kleinbürgerlich-produktive Subsistenz-Machenschaft positiv dem »Großkapital« - das heute vor allem auch mit dem »unproduktiven« Finanzkapital identifiziert wird - entgegensetzt wird, befördern sie alte Sichtweisen, die im Gegensatz zu früher freilich in einem postmodern-globalisierten Kontext auftauchen, aber nichtsdestoweniger noch immer strukturell antisemitisch sind. Der »Spekulant« ist in den 90ern (wieder) Buhmann Nummer Eins; die Ideologie der »ehrlichen Arbeit« feiert wieder fröhliche Urständ.

Diese Befürchtungen, wie auch der vorhergehende Einwand aus der Not eine Tugend zu machen, gelten übrigens auch für momentan grassierende Tauschideologien, welche die aus der Krise geborenen Tauschringe begleiten, und die im Zins die Wurzel allen Übels sehen (Silvio Gesell), als auch für andere Eigenarbeitsideologien, wie das prominent gewordene New-Work-Konzept von Fritjof Bergmann, das ein Nebeneinander von Erwerbsarbeit und informeller Arbeit propagiert. Dabei soll noch die kreativ-individuell gewählte Tätigkeit als »Arbeit« firmieren. Beide zuletzt genannten Konzepte werden auch im feministischen Diskurs gewürdigt.

Weil heute die »just in time« - Orientierung vorherrschend ist, alles bis zum Anschlag rational durchorganisiert wird und im Weltmaßstab Erwerbsarbeit, die das identitätsstiftende Non plus ultra in der modernen Entwicklung zunächst einmal vor allem für Männer war, zunehmend knapper wird, müssen nun alle möglichen Tätigkeiten (keineswegs bloß in Möchtegern-oppositionellen Kreisen), als »Arbeit« deklariert werden. Dies gilt auch noch für die weiblichen Reproduktionstätigkeiten, die einer anderen Logik als die Erwerbsarbeit folgen. Dazu hat die Frauenbewegung ihr Schärflein beigetragen. Das verinnerlichte Arbeitsethos will absolut nicht sterben und bedarf deshalb dringend weiterer Nahrung.


9.

Zusammengefaßt muß so festgestellt werden, daß die behandelten Theorien und Handlungskonzeptionen von Becker-Schmidt und Butler sowie die wohlfahrtsstaatlichen und internationalistischen Strategieentwürfe von Sauer und Ruppert, einschließlich der Eigenarbeits-/Subsistenzvisionen von Mies & co. und C. Möller, die sich allesamt als oppositionell imaginieren, die Verhältnisse des postmodern-warenproduzierenden Patriarchats in der Globalisierungsära mit seinen geschlechtsspezifischen Flexi-Zwangsidentitäten auf jeweils unterschiedliche Weise affimieren. Sie haben ihnen nichts Ernsthaftes entgegenzusetzen.

Trotz aller Differenzen ist ihnen gemeinsam, daß sie nicht den Mut haben, über die gegebene (Welt-)Gesellschaftsordnung und die damit verbundenen Normen und Tabus hinauszugehen, ja zunächst einmal bloß darüber hinauszudenken. Stattdessen käme es m.E. darauf an, endlich erwachsen zu werden und zwar in einem ganz anderen Sinne als es »realistisch« gewordene Alt-68er und Alt-Feministinnen insbesondere seit 1989 fordern. Es ist nüchtern zu konstatieren, daß das warenproduzierende Patriarchat bereits in sein Verfallsstadium eingetreten ist - und daß eine weitere Barbarisierung nicht durch ein Denken und durch politisch-praktische Bemühungen innerhalb seiner Strukturen verhindert werden kann. Demgegenüber müßte ernsthaft nach Perspektiven jenseits des Verhältnisses Ware-Geld-abstrakte Arbeit-Abspaltung theoretisch und praktisch gesucht werden.

Es kann nicht von einer Einzelnen oder auch nur einer Handvoll Personen erwartet werden, entsprechende Handlungskonzeptionen in Hinterzimmern auszutüfteln; vielmehr müßten die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen, Institutionen usw. interdisziplinär geradezu fieberhaft an diesem Projekt »arbeiten«. Dies nur zu der Frage, die vielleicht vielen beim Lesen meines Textes in den Sinn gekommen ist: welche konkreten Ansätze und Konzepte ich denn nun zu bieten habe, die aus der Sackgasse herausführen könnten.

Mir ging es zunächst vor allem darum, das vorhandene Tabu, über kapitalistisch-patriarchale Verhältnisse und Strukturen hinauszugehen, sichtbar zu machen und aufzuzeigen, welche fatalen Konsequenzen derartige Selbstbeschränkungen haben können; es ist dies die Voraussetzung, den Gedanken an eine systemtranszendente Möglichkeit, ja an ein systemtranszendentes Muß, erst einmal (wieder) überhaupt zuzulassen.

M. E. müßte der Tatendrang, der z.B. hinter hilflosen Zivilgesellschafts- und Global governance-Konzepten, aber auch potentiell reaktionären Eingenarbeitsinitiativen steckt, auf dieses freilich ungleich schwierigere Vorhaben gelenkt werden; schwieriger weil es hier zunächst keine unmittelbar greifbaren Lösungen und Rezepte gibt und damit auch keine psychologische Entlastung. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß sich auch Feministinnen erneut der »Mittäterschaft« schuldig machen.


Literatur

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(*) Dieser Text ist eine Auskopplung aus dem Buch »Das Geschlecht des Kapitalismus«, erschienen im Horlemann Verlag. Er ist in einer kürzeren Fassung bereits in der Zeitschrift »Psychologie & Gesellschaftskritik« Nr 83/84 (1997) erschienen. [zurück]




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