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Dominic Kloos


Dominic Kloos

Alternativen zum Kapitalismus

Im Check: Gemeinwohlökonomie

„(W)ie sollte es möglich sein, mit Hilfe von Unterwerfung Freiheit zu gewähren? Indem man einen Käfig öffnete und ihn gleichzeitig in einen größeren Käfig hineinstellte?"

Amitav Gosh, Der Glaspalast, S. 220.

1. Einleitung

Die Kritik des Kapitalismus provoziert die Frage nach Alternativen. Das ist auch im Ökumenischen Netz nicht anders. So verständlich wie berechtigt die Frage nach Alternativen ist – schließlich geht es um die Überwindung eines Systems, das Menschen in den Tod und den Globus in den Ruin treibt – , die meisten Antworten greifen zu kurz und können nicht das halten, was sie versprechen. Ohne das ‚Purgatorium einer radikalen Kritik’ (H. Böttcher) an den Kategorien der kapitalistischen Gesellschaftsform (Wert, Kapital, Arbeit, Abspaltung, Subjekt, Staat, Ideologien, psychische Matrix, Symbolik) sind emanzipatorische Alternativen nicht zu haben. Entsprechend müssen Ansätze, die beanspruchen eine Alternative sein zu wollen, die Frage beantworten, inwiefern sie die den Kapitalismus bestimmenden Kategorien kritisieren und negieren. Ansonsten bleibt es bei illusionären Reformen im Rahmen der kapitalistischen Vergesellschaftung, die immer tiefer in eine barbarische Krise gerät. Grundlage der Beurteilung von Alternativen ist die Wert-Abspaltungskritik, mit der wir uns im Netz intensiv auseinandergesetzt haben. Sie erscheint uns im Netz-Vorstand als die plausibelste und weitestgehende Kritik der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Anhand der von der Wert-Abspaltungskritik analysierten Realkategorien – d.h. real bestimmenden und wirkenden, aber nicht unmittelbar-positivistisch fassbaren Grundaussagen – sollen daher die Alternativansätze bewertet werden, um ihre möglichen Potenziale und/oder Verkürzungen herauszufiltern.1

Zunächst2 geht es hier um die Gemeinwohlökonomie, einem der bekanntesten Ansätze, der in den letzten 10 Jahren im deutschsprachigen Raum entwickelt worden ist. Warum ausgerechnet Christian Felbers Gemeinwohlökonomie? Im „ABC der Alternativen" (vgl. Brand et al. 2012/2007)‚ sozusagen dem Lexikon der Alternativansätze, wird die Gemeinwohlökonomie auch nicht vorgestellt, da die HerausgeberInnen sie wohl nicht als Alternative wahrnehmen, sondern als Reform innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Da Christian Felbers Schriften und das ‚Konzept’ der Gemeinwohlökonomie aber zumindest den Anspruch einer Überwindung des Kapitalismus erheben („eine Alternative zu kapitalistischer Markt- und zentraler Planwirtschaft“, Felber 2016: 2) und eine große Ausbreitung im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus gefunden haben3, können sie nicht übergangen werden.

Gerade die starke Verbreitung der Gemeinwohlökonomie scheint eine Folge der realen kapitalistischen Krisenerscheinungen zu sein: Immer mehr Menschen suchen nach Alternativen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, da sie die Phänomene einer immer größer werdenden Kluft zwischen arm und reich, den zunehmenden (Rechts-)Populismus und damit die einfache Suche nach Sündenböcken, soziale und ökologische Externalisierung sowie kriegerische Handlungen weltweit wahrnehmen. Felber trifft ein diffuses Bedürfnis, das berechtigterweise das, was ist, nicht zu wollen scheint. Diffus bleibt dieses Bedürfnis aber deshalb, weil es weniger darin besteht, analytisch den Kapitalismus, der allen Menschen geradezu durch Mark und Bein geht, zu durchdringen, um seine ‚Knackpunkte’ zu begreifen und ihn erst damit emanzipatorisch überwinden zu können, sondern vor allem darin, eine schnell umsetzbare Lösung für die zahlreichen Probleme zu erhalten (vgl. Böttcher 2018; Text in dieser Publikation). Felbers Anspruch einer „unmittelbar umsetzbare(n) Alternative" (Felber 2010: 9) stößt also auf den fruchtbaren Boden einer – gerade in sozialen Bewegungen – weit verbreiteten „Angst vor lähmender politischer Ohnmacht" (Böttcher 2018: 358), in der die Grenzen der kapitalistischen Gesellschaftsform nicht reflektiert werden (wollen), sondern unmittelbare Handlungsmacht eingefordert und lebenswichtige Notmaßnahmen als antikapitalistische Überwindungsbewegungen überhöht werden. Die Reflexion der immer zahlreicher werdenden katastrophalen Phänomene in der Welt geschieht nicht im Zusammenhang mit dem Kapitalismus und seiner ‚inneren Schranke’ als ‚konkrete Totalität’ (vgl. Text von Roswitha Scholz in dieser Publikation). Vielmehr soll in einem Handeln das Heil gesucht werden, das zwischen Projekten, ‚Fürbitten’ an wirtschaftliche und politische Akteure und ethisch-moralischen Predigten zwischen ‚konkret’ und ‚allgemein’ hin und her springt" (Böttcher 2018: 358). Dieses Handeln bleibt aber hinsichtlich der zu überwindenden Form unbestimmt und muss es auch, um weiter vermeintlich handlungsfähig zu bleiben. Warum Felber hier einen Nerv getroffen und damit einen Zug bereitstellt, auf den immer mehr Menschen aufzuspringen scheinen, soll in der Analyse deutlich werden.

Die Gemeinwohlökonomie mit ihren diversen Facetten soll zunächst in ihren Grundzügen dargestellt werden, was vor allem in Form von Zitaten geschieht. Dann schließt sich mit Hilfe und in Vermittlung mit der radikalen Gesellschaftskritik von Wert und Abspaltung eine Analyse und Bewertung an, die zunächst klären soll, ob die Gemeinwohlökonomie nach Felber4 den Kapitalismus adäquat begreifen und möglicherweise einen Ansatz zu seiner Überwindung darstellen kann: Dabei werden die unterschiedlichen und gleichzeitig miteinander verbundenen Ebenen der gesellschaftlichen ‚konkreten Totalität’ – Ökonomie, Politik, Subjekt, Ideologie – erläutert und auf Felbers Ansatz bezogen. Der Schluss beinhaltet neben einem Fazit zur Gemeinwohlökonomie Überlegungen, in welche Richtung die Überwindung des Kapitalismus als ein Programm von Abschaffungen gedacht werden könnte.

2. Was ist die Gemeinwohlökonomie?

2.1 Überwindung der krisenhaften „kapitalistischen Marktwirtschaft"

Ihrem Selbstverständnis nach ist die Gemeinwohlökonomie eine Alternative zum Kapitalismus. Laut Felber und einer Gruppe sog. attac-UnternehmerInnen um ihn herum, die die Gemeinwohlökonomie mit erdacht haben, beruht sie „auf der Korrektur der fundamentalen und katastrophalen kulturellen Fehlentwicklung, dass wir in der Wirtschaft die gegenteiligen Werte fördern, die unsere Beziehungen gelingen lassen" (Felber 2010: 24). Die Gemeinwohlökonomie sieht in der „kapitalistischen Marktwirtschaft (…) eine gefährliche Krisenlandschaft (…): Finanzblasen, Arbeitslosigkeit, Verteilungskrise, Klimakrise, Energiekrise, Hungerkrise, Konsumkrise, Sinnkrise, Demokratiekrise… All diese Krisen hängen miteinander zusammen, sie sind auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen: die fundamentale Anreizstruktur unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems: Gewinnstreben und Konkurrenz" (ebd.: 7). „Der Kern des Kapitalismus ist, dass sich die einen – KapitalbesitzerInnen, Mächtigeren – den Mehrwert der Arbeit von anderen – Ohnmächtigen, NichtbesitzerInnen von Kapital – legal aneignen" (ebd.: 38).

Gegen die Anreize von Gewinn und Konkurrenz geht es Felber darum, einen anderen „Anreizrahmen“, mit anderen „anthropologischen Annahmen” (ebd.: 7), einen „anderen Ordnungsrahmen für das Wirtschaften" und eine „Änderung der gegenwärtigen Machtverhältnisse" zu schaffen und dabei ein besonderes „Augenmerk auf die Eigentums- und die Demokratiefrage" (ebd.: 8) zu legen. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist seiner Ansicht nach eine „vollständige, alternative Wirtschaftsordnung" (Felber 2016: 2), die gleichzeitig „theoretische(s) Modell" und „praktische(r) Umsetzungsprozess" (ebd.: 2) in einem ist. Dabei ist sie „kein vollendetes Modell, vielmehr sollen die Details erst in demokratischen Prozessen festgelegt werden" (Felber 2010: 9) und die „Wirtschaftsordnung an die zeitlosen Werte und Verfassungsziele" (Felber 2016: 2) angepasst werden. Dabei soll die als minderwertig angesehene und „unsichtbare Beziehungsarbeit von Frauen (…), deren essenzielle, lebenserhaltende und Glück bringende Leistungen kaum gesehen, wertgeschätzt und belohnt werden" (Felber 2010: 82), aufgewertet werden.

2.2 Übertragung „menschliche(r) Werte" auf die Wirtschaft

„Menschliche Werte" wie „Vertrauensbildung, Ehrlichkeit, Zuhören, Empathie, Wertschätzung, Kooperation, gegenseitige Hilfe und Teilen" sollen die „Grundorientierung" nicht nur für „Freundschafts- und Alltagsbeziehungen" sein, sondern auch für einen anderen „Teilbereich des Lebens, (…) (die) Marktwirtschaft" (Felber 2010: 10). Denn „(b)is heute bildet die Annahme, dass die Egoismen der Einzelakteure durch Konkurrenz zum größtmöglichen Wohl aller gelenkt würden, den Legitimationskern der kapitalistischen Marktwirtschaft" (ebd.: 12). Die Würde ist laut Felber der höchste Wert, der bei dieser Übertragung von einer in die andere ‚Lebenswelt’ zu beachten ist. An Immanuel Kant angelehnt formuliert er: „Die Würde kann im alltäglichen Umgang zwischen den Menschen nur dann gewahrt werden, wenn wir uns stets als gleichwertige Personen betrachten und behandeln: Wir wollen unser menschliches Gegenüber und seine/ihre Bedürfnisse, Gefühle und Meinungen gleich ernst nehmen wie die eigenen – als Ausdruck des gleichen Wertes. Wir dürfen die andere Person nie instrumentalisieren und primär als Mittel für den eigenen Zweck verwenden" (ebd.: 13). Auch „Geld und Kapital werden als Mittel des Wirtschaftens betrachtet, als Ziel für das Gemeinwohl" (Felber 2016: 2), nicht aber als Zweck an sich. Entsprechend der Orientierung an der Würde des Menschen sollen Ziele der Gemeinwohlökonomie also weniger Effizienz und schon gar nicht Gewinnstreben sein, sondern vielmehr Vertrauen, Kooperation, die Aufhebung von Machtgefällen und somit ein „freier Markt, (…) (bei dem) alle TeilnehmerInnen dieses Treibens von jedem Tauschgeschäft völlig schadlos zurücktreten könnten" (Felber 2010: 14; vgl. ebd.:14-19). Nicht „Siegeslust" und „extrinsische Motivation“, sondern „intrinsische Motivation” zur Kooperation, die statt einer „Win-lose-Situation" (ebd.: 18-19), eben das Wohl aller anstrebt, sollen laut Felber ‚dem Menschen’ sehr viel mehr entsprechen und sein Verhalten sowie die ökonomischen und politischen Ordnungsrahmen, in denen er agiert, bestimmen.

2.3 Grundzüge der Gemeinwohlökonomie

Eine Veränderung der Anreize, neue, messbare Indikatoren für unternehmerischen Erfolg und eine (sich verändernde) Definition des Gemeinwohls durch Konvente (vgl. ebd.: 24-49) sollen zur Gemeinwohlökonomie führen, die in zwei Grundthesen zusammengefasst werden kann (und im Folgenden kurz erläutert wird):

  • Die Gemeinwohlökonomie ist eine Form der Marktwirtschaft, in der es kooperative Marktplanung, ‚allmende-gesteuerte’ öffentliche Daseinsvorsorge sowie staatliche Regulierungsmaßnahmen gibt und Gewinn zwar als Mittel zur Erlangung des durch Partizipation festzulegenden Gemeinwohls erzielt werden darf, es aber kein konkurrierendes Gewinnstreben als Ziel gibt.
  • Das ‚intrinsisch motivierte’ Subjekt findet im Aufklärungsdenken oder in der ‚Tiefenökologie’ Letztbegründungen für sein ethisches (individuelles und gesellschaftliches) Handeln.

Aufgrund der Orientierung an der Würde des Menschen und den damit verbundenen Werten soll „die Wirtschaft als Ganze für das Wohl aller sorgen" (ebd.: 25). Darauf muss das Unternehmensverhalten entsprechend ausgerichtet werden. Der Finanzgewinn – „heute gleichgesetzt mit ‚Erfolg’" (ebd.: 25) – darf dabei nicht im Vordergrund stehen. „Deshalb sollten wir das, was wir von Unternehmen erwarten, direkt messen anstatt über einen Umweg (Finanzgewinn), der viel zu aussageschwach ist für das eigentliche Ziel. (…) Was der genaue Inhalt von Gemeinwohl ist, steht nirgendwo geschrieben. Dieser kann nur Ergebnis einer demokratischen Diskussion und Übereinkunft sein. (…) Ein direkt gewählter Wirtschaftskonvent (…), zusammengesetzt aus allen betroffenen Gruppen der Gesellschaft, definiert innerhalb eines ausreichenden Zeitrahmens, vielleicht zwei Jahre, ‚Gemeinwohl’ so, wie es von allen Unternehmen verbindlich angestrebt werden soll" (ebd.: 25-26). Die „Leitwerte für das Wirtschaften, (die) (s)chon heute (…) (als) Grundwerte eines demokratischen Gemeinwesens in den meisten Verfassungen (…) verankert (sind)“, sollen in „Messkriterien für das neue allgemeine Ziel, die Ableitung ‚harter’ Erfolgskennzahlen aus den zugrunde liegenden Werten” umgewandelt werden: „Die Neudefinition von Erfolg wäre sinnlos, wenn wir diesen nicht messen könnten" (ebd.: 26-27).

Die ausgearbeitete Gemeinwohlmatrix (vgl. https://www.ecogood.org/de/gemeinwohl-bilanz/gemeinwohl-matrix/), in der die allgemeinen Werte auf konkrete Handlungen von Unternehmen herunter gebrochen werden (sollen), sog. Schnittstellen ausgemacht und messbar gemacht werden, sollen „als Wegweiser" (ebd.: 29) für ein anderes Wirtschaften dienen. Die vorgeschlagene Matrix soll aber nicht von Felber und den attac-UnternehmerInnen ausgearbeitet werden, „sondern von (…) (einem) Gemeinwohlkonvent. Wir sehen unsere Aufgabe nur darin, zu zeigen, dass und wie (einfach) dies möglich ist" (ebd.: 30). Anstelle der Gesamtmatrix belasse ich es hier bei wenigen Beispielen:

  • „An der Schnittstelle von Vertrauensbildung mit Zulieferer haben wir offene Kalkulation als Kriterium gewählt;
  • an der Schnittstelle von Vertrauensbildung mit Öffentlichkeit die Teilnahme an einem einheitlichen Produktinformationssystem (anstelle von Werbung in Medien)" (ebd.: 29-30);
  • Gerechtigkeit für MitarbeiterInnen: Das Verhältnis von höchstem zu niedrigstem Einkommen im Unternehmen soll möglichst nicht über 20:1 liegen.

Hinzu kommen Negativkriterien, die für die einzelnen Maßnahmen an den verschiedenen ‚Schnittstellen’ vergeben werden. So wird etwa die Umgehung der Steuerpflicht mit einem Abzug von Gemeinwohlpunkten bestraft.

Ein gutes Abschneiden bei den Gemeinwohlpunkten bringt dem Unternehmen verschiedene (rechtliche) Vorteile ein, wie z.B. ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz und/oder Zolltarif, günstigere Kredite, Vorrang bei öffentlicher Auftragsvergabe oder direkten öffentlichen Subventionen. „Diese Belohnungen helfen den Gemeinwohlorientierten, ihre Kosten zu decken" (ebd.: 34), da ein größeres Umweltbewusstsein und soziale Verantwortung höhere Kosten nach sich ziehen. „Sollte die Belohnung so großzügig ausfallen, dass ein Unternehmen dadurch Gewinne erzielt, dürfen diese nur noch in bestimmte Verwendungen fließen – sonst würden sie weggesteuert: Es brächte nichts, sich aus reinem Gewinnstreben sozial und ökologisch zu verhalten. Sehr wohl bringt es hingegen etwas, Gemeinwohlpunkte zu ‚maximieren’" – sowohl für die Unternehmen als auch für die KonsumentInnen, die „eine klare und vor allem systematische Entscheidungsgrundlage zur Hand" hätten (ebd.: 34).

(Und) Felber formuliert weiter: „Viele Menschen, die zum ersten Mal hören, dass Unternehmen nicht mehr gewinnorientiert wirtschaften sollen, schütteln zunächst einmal den Kopf, denn in diesem ist fest verhaftet, dass ein Unternehmen nur dazu da ist, Gewinne zu machen. Genau diese Zielorientierung habe ich jedoch als Kern des Problems identifiziert und deshalb ein neues Ziel vorgeschlagen, das allen Unternehmen vorgegeben und in der neuen Hauptbilanz gemessen werden soll. Die Finanzbilanz bleibt weiterhin bestehen, weil es in der Gemeinwohl-Ökonomie nach wie vor Geld und Produktpreise gibt, sie wird aber zur Nebenbilanz. Der Gewinn wird vom Zweck zum Mittel. Was heißt das genau? An diesem springenden Punkt haben mehrere Dutzend UnternehmerInnen schon gemeinsam gefeilt. Das vorläufige Ergebnis ist: Da Gewinne sowohl nützlich als auch schädlich sein können, werden sie differenziert auf bestimmte Verwendungen begrenzt, um das ‚Überschießen’ in den Kapitalismus – die Akkumulation um der Akkumulation willen – in eine sinnvollere Richtung umzulenken. Verwendungen von Überschüssen, die zu Fressübernahmen, Machtdemonstrationen, Ungleichheit, Umweltzerstörung und Krisen führen, müssen sogar unterbunden werden, während Überschüsse, die zur Schaffung von sozialem und ökologischem Mehrwert, für sinnvolle Investitionen und Kooperationen – kurz: zur Steigerung des Gemeinwohls – verwendet werden, weiterhin wünschenswert sind" (ebd.: 35).

Die erlaubten und unerlaubten Verwendungen von Überschüssen (vgl. ebd.: 36-44) sollen zum Erlöschen der „kapitalistische(n) Systemdynamik" führen, sodass „(a)lle (…) vom systemischen Wachstums- und wechselseitigen Fresszwang erlöst (sind)" (ebd.: 44). Die aktive Kooperation zwischen Unternehmen und eine kooperative Marktplanung (vgl. ebd.: 44-48) soll verstärkt werden, damit gemeinsam für das Gemeinwohl gewirtschaftet wird und nicht gegeneinander die einzelnen Unternehmens-Vorteile maximiert werden. Unternehmen wären allerdings nicht dazu gezwungen, sich den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie unterzuordnen, auch wenn sie dadurch größere Gefahr laufen, Konkurs zu gehen. „Die Möglichkeit des Konkurses ist – neben Geld und privatem (Produktiv-)Eigentum – ein (…) Kriterium dafür, dass es sich bei der Gemeinwohl-Ökonomie um eine Form der Marktwirtschaft handelt" (ebd.: 45).

2.4 Demokratisches Geld

Felber will „die ‚Herrschaft des Geldes’ beenden" (Felber 2014: 11) und gleichzeitig am Geld5 festhalten. Dies soll mittels einer „demokratischen Geldordnung" (ebd.: 13) möglich werden. Denn eines der Hauptprobleme in der gegenwärtigen Geldordnung „ist, dass die demokratisch gewählten Vertretungen so sehr von den mächtigsten Interessen, die sich innerhalb des neofeudal-kapitalistischen Geldsystems herausgebildet haben, eingenommen sind, dass sie an den gegenwärtigen Spielregeln des Geldsystems nichts Entscheidendes zu ändern gewillt sind" (ebd.: 12). Die einzige Veränderungschance dieser Situation sieht Felber in einem „Systemwechsel oder besser: (in) eine(r) demokratische(n) Weiterentwicklung der Geldordnung" (ebd.: 13). Dafür sollen die „Spielregeln für das Geldsystem in partizipativen, dezentralen Prozessen" diskutiert werden, „in delegierten oder direkt gewählten nationalen Konventen" finalisiert „und durch bindende Volksabstimmungen in den Verfassungen" verankert werden. So „hätten die Parlamente eine klare Grundlage für die Geld-Gesetzgebung. Die Geldverfassung ist bindend für den Gesetzgeber, aber nicht für alle Zeiten in Stein gemeißelt. Sie kann geändert werden, bloß nur wieder vom Souverän selbst, von derselben Instanz, die sie in Kraft gesetzt hat." Diese „demokratische Geldordnung (ist das Ziel), welche die Freiheit aller erhöht durch a) die gleiche Möglichkeit zur Mitgestaltung der Spielregeln, b) die egalitäre Wirkung dieser Spielregeln und c) ihre Tendenz zu Systemstabilität, Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Je demokratischer sie zustande kommt, desto eher wird sie mit den Grundwerten der Gesellschaft – Menschenwürde, Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit – übereinstimmen. Die Vision (…) ist: (…) Geld soll von einer Waffe zum Werkzeug werden. Geld soll dem Leben dienen, dem Gemeinwohl" (ebd.: 13-14).

Felber erläutert des Weiteren kurz und eklektizistisch die Entstehung des Geldes „über die Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende" (ebd.: 15) hinweg, bis es sich zum heutigen dysfunktionalen und monströsen System entwickelt hat. Aber „(s)elbstverständlich ist bei weitem nicht alles schlecht am gegenwärtigen Geldsystem: Mit Geld wird sehr viel Gutes gestiftet und es erleichtert uns den Alltag; (…) (die) Vorteile gilt es zu orten, zu destillieren, sinnvoll auszugestalten und demokratisch zu beschließen" (ebd.: 15). Das Gute am Geld liegt nur vergraben, da sich die „Evolution des Geldsystems" (ebd.: 16) hin zu einem „globalisierten Finanzcasino" (ebd.: 17) vollzogen hat, in dem undemokratische Institutionen ihr Unwesen treiben: Diesen „hochexklusiven Club" (ebd.: 24) von EU, internationalen Organisationen bis zum Expertenwesen und welche Aufgaben er übernimmt (oder unterlässt) stellt Felber kurz dar und kommt zu dem Schluss, dass „(s)o gut wie jede/r (…) eine eigene Problemanalyse (hat). (…) Je nach dem, wer an der Lösung beteiligt wird, würden die Lösungen sehr unterschiedlich aussehen" (ebd.: 35). Was vor allem auch damit zusammenhängt, dass „(e)s (…) bei weitem keinen Konsens darüber (gibt), was Geld alles ist und welche Funktionen es hat" (ebd.: 18).

Einer „‘bewusstlosen’ und ‘lichtlosen’ Geldordnung (…) (mit ihrer) multiplen Dysfunktionalität" (ebd.: 19) wird eine demokratische Geldordnung entgegen gestellt, die mit Hilfe des „systemischen Konsensierens" (ebd.: 41) in einem „Geldkonvent" (ebd.: 36) entstehen soll. Diese Geldordnung mit verschiedenen Reformansätzen, in der Geld als öffentliches Gut (vgl. ebd.: 47-53) fungiert, wird ausführlich vorgestellt (ebd.: 54-256). Über die Frage nach der Geldschöpfung durch demokratische Zentralbanken, die Lösung des Staatsschuldenproblems bis zu Regeln für Kreditvergabe, sichere Renten, eine globale Steuerkooperation u.v.m. reicht das geldpolitische Programm Felbers. Kurz zusammengefasst handelt es sich um eine ausgefeilte Regulierung und partielle Abschaffung von Akteuren und Aktivitäten im Finanzsektor durch den Staat, was positive Konsequenzen für den Staatshaushalt und die damit verbundenen sozialen Aufgaben haben soll.

2.5 Ethischer Welthandel

Ähnlich wie das Geld soll auch der Welthandel ethisch reguliert werden. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich daraus, dass der Handel im Rahmen der bestehenden Freihandelsideologie zum „Selbstzweck" geworden ist. „Und das ist bereits der Grundfehler. Denn das bedeutet, dass ein Mittel zum Zweck wird und die eigentlichen Ziele und Werte darunter leiden. Die Selbstzweckwerdung des Handels spiegelt im Kleinen die Selbstzweckwerdung des Kapitals im Großen wider: Im Kapitalismus ist das Kapital vom Mittel zum Zweck geworden. Alle anderen Ziele und Werte leiden darunter, am Ende das Gemeinwohl (Felber 2017: 9).

Statt dessen setzt Felber auf „eine andere Handelspolitik, alternative Spielregeln, jenseits der Extreme und Ideologien" (ebd.: 8). Er beschreibt zunächst die Phänomene des Welthandels, in dem sich fälschlicherweise basierend auf dem Theorem von David Ricardos komparativen Kostenvorteilen (basierend) ein ökologisch und sozial desaströses Unterfangen entwickelte – geleitet von den internationalen Organisationen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation. Zur Sprache kommen die Ungleichheit zwischen dem globalen Norden und Süden und die „Doppelmoral" (ebd.: 66) der sog. Industrieländer im Bezug auf Freihandel (der gepredigt wird) und Protektionismus (der solange wie möglich umgesetzt wird), ebenso wie die Ungleichheit innerhalb der jeweiligen Weltregionen. Die zunehmend unausgeglichenen Handelsbilanzen sieht er als eines der Kernprobleme des Welthandels: „Funktionieren kann ein Handelssystem (…) auf Dauer nur, wenn alle Beteiligten ausgeglichene Handelsbilanzen aufweisen. Das wiederum kann nur erreicht werden, wenn die globale Verteilung der Produktion so gestaltet wird, dass alle Länder Güter und Dienstleistungen in vergleichbarem Wert exportieren. (…) Damit das globale Handelssystem zum ‚Wohl aller’ wirken kann, bräuchte es deshalb einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass die Handelsbilanzen im Gleichgewicht bleiben, zumindest annähernd und über längere Zeiträume" (ebd.: 39-40). Hier bringt Felber – wie schon in seinem Geld-Buch – John Maynard Keynes ins Spiel, der einen solchen ‚Ausgleichsmechanismus’ entwickelt hatte, der aber in Bretton Woods abgelehnt wurde. Ein Bretton Woods II mit einem solchen Mechanismus und diversen internationalen Organisationen zur Regulierung – nicht nur des Welthandels, sondern vor allem auch der (Welt-)Geldes – würde laut Felber Abhilfe schaffen, um die kapitalistischen Krisen zu beheben. Damit könnte auch der Standortwettbewerb reguliert oder gar aufgehoben werden, der nach Felber ein „politischer (ist): Nicht Unternehmen konkurrieren um die beste Qualität und den niedrigsten Preis, sondern Gemeinwesen (Staaten, Demokratien) um die günstigsten Bedingungen für Investoren. Im Standortwettbewerb passen die Staaten fast alle Politikfelder den Bedürfnissen der Konzerne an" (ebd.: 54).

Diese staatliche Anpassung an den Freihandel – ein Ausdruck für „Machtkonzentration (bei transnationalen Unternehmen), Demokratie- und Freiheitsverlust" (ebd.: 57) – ist nach Felber der Hauptgrund für die „Selbstzweckwerdung des Handels. (…) (M)ehr Handel (bedeutet) schlicht mehr Geschäft für die Händler. Und die maßgeblichen ‚Händler’ sind heute transnationale Konzerne. (…) Die Macht der Konzerne und ihrer Lobbys ist inzwischen so groß, dass im Völkerrecht tendenziell das Handelsrecht (inklusive dem Schutz von Investitionen und Patenten) über die Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz, kulturelle Vielfalt oder Verteilungsziele gestellt wird und diese Rechte sogar außer Kraft zu setzen droht" (ebd.: 10-11).

Dem Handel als Selbstzweck stellt Felber als Alternative einen ethischen Welthandel gegenüber. Denn „Handel kann viel Gutes bewirken, er hilft, Arbeit sinnvoll zu teilen. (…) (Dabei müssen aber) (m)indestens (?) die Menschenwürde und die Menschenrechte (…) über der Handelsfreiheit (stehen), (da Handel) kein Ziel von Wirtschaftspolitik, sondern ein Mittel (ist), um legitime und akkordierte übergeordnete Politikziele zu erreichen" (ebd.: 73). „Die Gemeinwohlökonomie ist weder (…) (Kapitalismus) noch (…) (Kommunismus), sie transzendiert die Extreme, indem sie ihre validen Kerne – die Werte Freiheit und Gleichheit – integriert und darüber etwas Neues entwirft. (…) (D)as Universum ist ein Ort der unendlichen Möglichkeiten, es gibt nicht nur ein Drittes und Viertes, sondern unendlich viele Abstufungen zwischen allen Polen. Zwischen Mann und Frau, zwischen Tag und Nacht, zwischen Kommunismus und Kapitalismus, und zwischen Freihandel und Abschottung" (ebd.: 75).

Eine Gemeinwohlökonomie erarbeitet in partizipativer Weise die Inhalte ihrer selbst. „Diese partizipative Erarbeitung der konkreten Bedeutung von ‚Gemeinwohl’ entspricht dem ‚formalen’ Verständnis von Gemeinwohl, das von der ‚inhaltlichen’ Bedeutung unterschieden wird" (ebd.: 79). Es steht also nur die formale Bedeutung fest, die inhaltliche kann nicht von vornherein feststehen, da sie erst durch einen partizipativen Prozess entfaltet werden kann. Dies gilt auch für den Handel, aber Empfehlungen gibt Felber trotzdem, da es seiner Ansicht nach eine „gute Nachricht" (…) (gibt): Zahlreiche Anknüpfungspunkte für ein ethisches Handelssystem – völkerrechtliche Abkommen, Deklarationen, Programme und Ziele – liegen bereits vor. Sie sind nur gegenwärtig nicht in das Handelssystem integriert, weil dieses bewusst außerhalb des Systems der Vereinten Nationen geschaffen wurde, um keine Rücksicht auf die Ziele nehmen zu müssen. (…) Ist es nicht einleuchtend, dass die Regeln für den Welthandel grundsätzlich am Kristallisationskern des Völkerrechts gemacht werden sollen? Wenn eine internationale Organisation dafür geeignet ist, ‚dem Wohl des großen Ganzen’ (Ricardo) und dem ‚ewigen Frieden’ (Kant) zu dienen, dann ist das die UNO. Dort ist der vollständige Referenzrahmen für das ‚Mittel’ Handel vorhanden – von den Menschenrechtspakten über die Umweltschutzabkommen bis zu den ILO-Arbeitsstandards, und die Spielregeln für den Handel könnten darauf Bezug nehmen, damit er diesen Zielen und Werten dient" (ebd.: 82).

Die Vereinten Nationen und ihre diversen Unterorganisationen würden – ähnlich wie bereits im Bezug auf das Geld (globale Finanzaufsicht, Steuerkooperation, etc.) – diverse Regulierungsaufgaben übernehmen (vgl. ebd.: 93-143). Ein „neue(s) Dreieck" würde dabei entstehen:

  1. Wahrung nationalstaatlicher Autonomie und Demokratie bei

  2. progressiver globaler Kooperation in Bezug auf die Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz, sozialen Zusammenhalt und kulturelle Vielfalt (Sustainable Development Goals).

  3. Die Handelspolitik ist auf nationaler Ebene (‚Importsubstitution’, ‚Infant Industry Policy’, ‚Erziehungszölle’) wie auf internationaler (‚Ethisches Zollschutzsystem’, ‚Clearing Union’) ein Mittel, um diese (gemeinwohlorientierten, D.K.) Ziele zu erreichen (ebd.: 142).

In diesem ethischen System, in dem es verschiedene Eigentumsformen gäbe (vgl. ebd.: 146-147), würden Unternehmen nicht nur auf Effizienz der Kapitalverwertung achten, sondern diese „zugunsten von mehr Sinn, Nachhaltigkeit, Vielfalt, Autonomie, Resilienz und sozialem Zusammenhalt" (ebd.: 144) hintanstellen. Der aktuelle Wettbewerbsnachteil der bestehenden ‚ethischen Unternehmen’ würde mit den entsprechenden Regulierungen zu einem Wettbewerbsvorteil werden (vgl. ebd.: 157). Dadurch würde vermehrt lokal und klimaneutral im Sinne der ‚Postwachstumsökonomie’ (vgl. Paech 2012) produziert werden. „Überall soll die Option erhalten oder wiedergewonnen werden, Subsistenzstrukturen und lokale Wirtschaftskreisläufe zu stärken, Tausch- und Kooperationsnetze zu knüpfen, Geschenk-Ökonomie zu fördern, Commons zu erschaffen und die Care-Ökonomie auf eine stabile Basis zu stellen (…). Es darf (allerdings) nicht um nationale Abschottung und schon gar nicht um eine Renaissance der Nationalstaaten gehen, sondern um Nähe und Regionalförderung" (Felber 2017: 146). Damit würde gleichzeitig die Macht der transnationalen Unternehmen schwinden und die souveränen Grundrechte aller zunehmen, sodass Regierungen und Parlamente wieder willens sind, so zu agieren, wie es der Souverän möchte und nicht die transnationalen Unternehmen. Dieser systemverändernde Reformprozess, der wieder durch Konvente umgesetzt werden soll, und „formal auf Basis der aktuellen Verfassungen" (ebd.: 188) legitimiert werden kann und soll, müsste als erstes die Frage stellen: „Wollen wir im Kapitalismus (‚chrematistike’) oder in der Gemeinwohl-Ökonomie (‚oikonomia’) leben?" (ebd.: 178). Felber sieht hierin zwei fundamental unterschiedliche ‚Systeme’ und ist sich sicher, dass die Bevölkerungsmehrheiten überall diese Frage zugunsten der Gemeinwohl-Ökonomie beantworten würden. Dieser andere, mehrheitlich bestimmte, gemeinwohlorientierte politische Wille, der alles lenken kann, wenn er nur will, würde die Wirtschaft sowie den Handel, die „auf sich wandelnden Ideensystemen und politischen Entscheidungen" (ebd.: 190) basieren, fundamental hin zu einem ethischen Geld- und Handelssystem ändern.

2.6 Politische Spiritualität

In seiner Schrift „Die innere Stimme. Wie Spiritualität, Freiheit und Gemeinwohl zusammenhängen" (Felber 2015) stellt Felber die Motivation für sein „politisches Engagement" dar, das kein losgelöster Selbstzweck, sondern einem viel größeren Hintergrund entspringt" (ebd.: 9). Diesen umfassenderen spirituellen Hintergrund sieht er jedoch nicht als notwendige Voraussetzung von politisch-gesellschaftlichem Engagement an. Hierzu reiche seines Erachtens die humanistische Aufklärung völlig aus. „Die Ethik ist rational und emotional ausreichend, um politische Vorschläge, Maßnahmen und Gesetze letztzubegründen – und für die Postulierung von Werten ist die freie menschliche Vernunft als Letztbegründung ausreichend. (…) Der Mensch hat Würde, weil wir es so sehen – Punkt. Die Menschenwürde ist, was die Begründung betrifft, ein glücklicher Grenzfall: Sie ist sowohl in der Tradition der Aufklärung als auch in der christlichen Theologie und Ethik der höchste Wert" (ebd.: 22).

Was seine persönliche spirituelle Orientierung betrifft, stellt Felber zunächst seine besondere Verbundenheit mit der Natur dar, die aus seiner – keineswegs konfliktfreien – Herkunft am Mattsee im Bundesland Salzburg herrührt. An manchen Tagen in der Natur wurde er „ganz von (ihr) (…) eingenommen" (ebd.: 15), war quasi eins mit ihr: „Diese magische Verschmelzung löste süße, tief befriedende – heute würde ich sagen spirituelle – Gefühle aus. Was ich suchte, war, mit allem eins zu werden, alleins, aufzugehen in einer größeren mystischen Einheit (…). Aus dieser mystischen Erfahrung erwuchsen Werte, mir heilige Werte. Ein Ethos der Einheit und Verbundenheit. Wenn alles mit allem zusammen- und voneinander abhängt, dann ergeben Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Konkurrenz schlagartig keinen Sinn mehr; sie führen zu Verletzungen und schädigen das Ganze. Zu meinem Werte-Stern, anfangs nur erfühlt, nach und nach verbalisiert (am Anfang war das Fühlen, und diese Herzwahrnehmung ist Wort geworden), zählen: Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Präsenz, Authentizität, Empathie, Wertschätzung, Reziprozität, Kooperation, Großzügigkeit, Teilen und Verzeihen" (ebd.: 15-16).

Ein „genuines In-Beziehung-Sein" wurde zu dem, was ihm „Energie und die damit verbundenen Werte" (ebd.: 17) brachte. Diese Werte wurden zu seinen „‘Leitsternen’, (für die wir) unser Herz öffnen (müssen). (…) Das Öffnen des Herzens, der Intuition und des Geistes erfordert Mut – ‚Beherztheit’ –, die Bezwingung der Angst vor dem Ungewissen und das Herabdimmen des dauerschnarrenden Intellekts" (ebd.: 17).

Aus dieser Energie und diesen Werten, die für Felber eine Art „‘Gesetz des Universums’" darstellen und damit ein „Ur-Ethos" (ebd.: 17-18), entstand die Einsicht, dass die gierige, geizige, neidische, eitle, prahlerische und lügnerische Welt des Kapitalismus ein „Antipode" (ebd.: 18) zur Welt der ‚Werte der Liebe’ darstellt. „Die gesamte Weltwirtschaft ist vom Weg abgekommen und steuert in die falsche Richtung" (ebd.: 19). Statt den „Gottheiten" oder „Kraftfeldern" (ebd.: 20) der Werte zu folgen, folgen die Menschen in Wirtschaft und Politik dem Götzen des Kapitals.

Felber hatte sich von der christlichen Religion in Form der katholischen Kirche losgesagt. Seine Spiritualität/Religion wurde die „Allverbundenheit" (ebd.: 25) mit der Natur: „(D)ie Natur (ist) das Tor zur Spiritualität. (D)as Fühlen und Berühren (ist) konkret und materiell, ebenso die Pacha Mama, die Mutter Erde, in all ihren Formen und Erscheinungen. Sie rief mich. Und ich rief sie an, mir den Weg zu zeigen, mir Orientierung zu geben, mich zum großen Geheimnis zu führen. Ich wurde erhört. Die Natur wies mir den Weg" (ebd.: 26). Die Tiefenökologie, die er mit Gott, der das Ganze darstellt, gleichsetzt, ist seine spirituelle Heimat geworden, nach dem Ganzen hat er Heimweh: „Heimweh und Todessehnsucht können Synonyme für die Wiedervereinigung mit dem Ganzen sein" (ebd.: 28).

„Tiefenökologie (…) (ist) eine Wahrnehmungsqualität der Ausweitung des Selbst auf alles Leben, den ganzen Planeten und schließlich das Universum. Man könnte es die totale Entgrenzung der Wahrnehmung, wörtlich auch Transzendenz, nennen." Und aus dieser Verbundenheit, die eine „Erfahrung des Mitleidens" (ebd.: 33) an all den Zerstörungen mit sich bringt, entsteht das Engagement für Veränderungen, da der Schutz der Umwelt schon aus Selbstschutz (vgl. ebd.: 36) geschehen muss. Die fatale Trennung von den eigenen Bedürfnissen und damit dem Verbundensein mit der Natur ist für Felber „die große Tragödie der abendländischen Kultur" (ebd.: 38). „Die Aufhebung dieser fatalen Trennung, die Wiederanbindung, wörtlich Re-ligion (von lat. religio, zurückbinden, wiederanbinden), ist die Heilung, sie bringt den Frieden an all diesen Kriegsschauplätzen. Den Frieden der menschlichen Individuen mit sich selbst durch die Versöhnung mit den eigenen Bedürfnissen, Gefühlen, Intuitionen, Feinsinnen und Antennen. Den Frieden zwischen den Geschlechtern. Die Versöhnung von Unternehmen und Staaten in bewusster Kooperation. Und den Frieden mit der Natur. (…) Religion ist eine spirituelle Praxis. Dank Religion werden wir wieder zum Teil eines größeren Ganzen. Durch Religion werden wir eins mit Gott. Wenn die Religionen ihre Urfunktion vergessen, weil sie von ihrer spirituellen Quelle getrennt sind, kann Spiritualität ‚beyond religion’ zur Heilung führen" (ebd.: 40-41).

Der Zugang zu dieser heilenden Spiritualität erschließt sich vor allem darüber, dass wir auf unsere ‚innere Stimme’ hören sollen und diese nicht ausschließlich reflexiv vernehmbar ist: „Das Herz ist die Instanz, die ich befragen und anhören kann, wenn ich nicht genau weiß, wer ich bin. Das Herz hat immer eine Antwort, es weiß alles. Das Herz hat Zugang zur unendlichen Weisheit des Kosmos, es ist die Schnittstelle zum Universum. Das Herz ist die Botschaft Gottes" (ebd.: 48). Auf die innere Stimme hören heißt schließlich sich selbst gehorsam sein: „Gehorsam heißt nicht, einer fremden Autorität zu gehorchen, sondern auf das eigene Herz zu hören. Dieses ist sowohl der Urquell für das einzigartige, authentische Individuum, das ich bin, als auch für meine Beziehung zu Gott. Alles, was ich wissen muss, kommt von Herzen. Jede echte Wahrheit, die mir im Leben weiterhilft, spricht mein Herz" (ebd.: 49). Die Reflexion hingegen scheint laut Felber nicht hilfreich beim Hören auf die ‚innere Stimme’:

  • „Der kognitive Denkprozess sagt uns über unseren wahren Zustand, über unsere innere und innerste Befindlichkeit ungefähr so viel wie die Aktienkurse über das Gemeinwohl. (…) Die innere Stimme spricht nicht aus dem Großhirn" (ebd.: 50).
  • Der inneren Stimme komme ich nicht durch Denken auf die Spur, sondern wörtlich durch Spüren. ‚Alles fühlt’" (ebd.: 51).

Außengehorsam entspricht nicht dem „echten Ich“, sondern ist seine „Negation”: Wenn wir aufhören, auf Gott zu hören, leiten wir die Inhumanisierung des Menschen ein" (ebd.: 53). Gott kann laut Felber ‚authentisch’ nur aus dem Innern heraus gehört werden, nicht von außen. Wer (jedoch) den „Außengehorsam" ablegt und zum „Herzgehorsam" (ebd.: 55) vorstößt, wird den Sinn des (eigenen) Lebens entdecken.

Durch diese über die Gefühlsebene entdeckte Freiheit können dann alle „zu SchöpferInnen (…) (des) eigenen Lebens (…) werden" (ebd.: 70). Aus den eigenen spirituellen „Kraftquellen" (ebd.: 72), „dem Ort der Stille“, der „für das Nichts (steht), aus dem alles kommt” (ebd.: 76), kann politisches Engagement für eine Gemeinwohl-Ökonomie erwachsen: „Wer spirituell frei und couragiert ist, wird auf ganz natürliche Weise zum ‚zoon politikon’ (Platon), zum „Sauerstoff der Demokratie" (Günther Wallraff), zur politisch wachen, engagierten und mitverantwortlichen StaatsbürgerIn. Sie setzt sich aus innerer Motivation für demokratische Strukturen, universale Grundrechte und gerechte Gesetze ein. (…) Im Detail kann dies vieles Verschiedene bedeuten, Pluralität ist ein demokratischer Wert, der den beiden beschriebenen Dimensionen des Menschenseins Rechnung trägt" (ebd.: 79). „Spirituell erwachte Menschen – solche, die ihre doppelte Identität erkannt haben und daran arbeiten – erkennen zumindest zwei Dimensionen von Freiheit: zum einen, ganz sie selbst zu werden, einzigartig. Und zum anderen, das Gemeinwohl maximal zu befördern durch ihren Einsatz für gelingende Beziehungen und Gemeinschaften, durch achtsame Kommunikationsformen, demokratische Entscheidungsprozesse, gerechte Regeln und maximale Freiheitsoptionen für jedes Individuum, die nicht zulasten anderer gehen" (ebd.: 105).

3. Analyse und kategoriale Kritik

Als die drei Hauptprobleme des Kapitalismus macht Felber das Wachstumsstreben in einer Konkurrenzwirtschaft, die Spekulation mit Finanztiteln sowie den Machtmissbrauch ökonomischer und politischer Eliten aus. Mit diesen Problemen ist die kapitalistische Variante der Marktwirtschaft verbunden. Marktwirtschaft muss aber nach Felber nicht kapitalistische Marktwirtschaft sein. Sie kann demokratisiert und reguliert werden und so „nicht nur als vollethische, sondern auch als eine tatsächlich liberale Marktwirtschaft" (Felber 2016: 4) real werden. In ihrem Rahmen kann Konkurrenz zur Kooperation und Geld zu einem praktischen (Tausch- und Investitions-)Mittel geformt werden, sodass es nicht mehr Selbstzweck seiner ständigen Vermehrung sein muss.

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, zwischen der real existierenden kapitalistischen Marktwirtschaft und einer ‚eigentlichen’ idealen Marktwirtschaft zu unterscheiden. Und so vergleicht Felber die aktuelle Situation von staatlichen und privatwirtschaftlichen Handlungen mit dem, was in den gegebenen Kategorien von Marktwirtschaft, Geld, Staat, Subjekt etc. als Potenzial enthalten sein soll. An die bestehenden gesellschaftlichen Kategorien knüpft er also nicht kritisch-dialektisch-brechend, sondern positiv-idealisierend-weiterführend an. Er formuliert ein zwar veränderbares, aber doch detailliert dargelegtes ideales Modell innerhalb des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Denkrahmens, das durch den politischen und individuellen Willen umgesetzt werden und so den Großteil der weltweiten politischen und sozio-ökonomischen Probleme ‚eigentlich’ lösen könnte.

Die Frage aber, warum die immer wieder angerufenen abstrakten Ideale der Aufklärung, auf die sich Felber als „zeitlose Werte und Verfassungsziele" (Felber 2016: 2) beruft, bisher nie eingelöst wurden, sondern es im Gegenteil menschengemachte Katastrophen in nie gekanntem Ausmaß im aufgeklärten Zeitalter der letzten zwei Jahrhundertfünfzig gab, scheint ihn nicht weiter zu kümmern. In der positiven, unkritischen Anknüpfung an die gegebenen gesellschaftlichen Kategorien kann er die entscheidenden Fragen nach dem Wesen von Marktwirtschaft, Geld, (modernem) Staat sowie männlichem und weiblichem Subjekt nicht stellen. Dies soll hier aber geschehen: Felbers Idealmodell soll im Folgenden mit einer kritisch-dialektischen Analyse der historischen Entwicklungen, d.h. des Kapitalismus als Gesellschaftsformation der Moderne, konfrontiert werden.

3.1 Marktwirtschaft: (Mehr-)Wert, Arbeit, Geld, Konkurrenz

Markt, Geld, Arbeit, Konkurrenz können nicht einfach aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang herausgebrochen, als Einzelphänomene betrachtet und je nach politischem Willen gestaltet werden. Sie müssen vielmehr im Bezug auf das Ganze der kapitalistischen Gesellschaftsformation und ihre Rolle darin begriffen werden. Dann wird auch deutlich, dass sie nicht unabhängig davon idealistisch-abstrakt mit (vermeintlich) anderen Inhalten gefüllt werden können. Wenn ein vermeintlicher Kritiker des Kapitalismus nicht von Marktwirtschaft, (effizienten) Investitionen und damit einhergehend einem regulierten Finanzwesen lassen kann, kann es mit seinem Kritikerdasein nicht weit her sein. Der Verlauf der kapitalistischen Geschichte mit zahlreichen, verfehlten Versuchen, die Real-Kategorien der kapitalistischen Vergesellschaftung in verschiedenen sozial-liberalen und etatistischen Varianten zu bannen, sollte soweit irritiert haben, das Scheitern nicht einfach auf Fehlverhalten von Eliten zurückzuführen, sondern diese Kategorien selbst in Frage zu stellen.

Im Folgenden ist deshalb der Versuch unternommen, Felbers Gemeinwohlökonomie vor dem Hintergrund einer radikalen Gesellschaftskritik von Wert und Abspaltung zu kritisieren, einer Kritik, die bis zu den Wurzeln der kapitalistischen Vergesellschaftung reicht und diese in ihrem Prozess und ihrer Krisenhaftigkeit zu begreifen sucht.

Was ist Kapitalismus?

Der Kapitalismus lässt sich nur verstehen, wenn die greifbaren Erscheinungen, in denen er uns begegnet, im Zusammenhang seines Wesens gesehen werden, d.h. im Zusammenhang dessen, was die kapitalistische Gesellschaftsform konstituiert. Hunger und Armut, Vernichtung von Lebensmitteln, Zerstörung der natürlichen Grundlagen, Ausbeutung der Arbeit und Überflüssig-Werden aller, deren Arbeitskraft nicht nachgefragt wird, sowie die Abwertung der reproduktiven i.d.R. von Frauen verrichteten Tätigkeiten sind in ihrem gesellschaftlichen Gefüge zu begreifen. Auf der höchsten Abstraktionsebene sind es Wert und Abspaltung, die den Kapitalismus bestimmen: Die Produktion von Waren ist auf den abstrakten Selbstzweck der Vermehrung des Geldes ausgerichtet. Die substanzielle Grundlage für diese Vermehrung ist Arbeit6. Ihre Verausgabung produziert den Wert und Mehrwert, der in den Waren dargestellt ist und sich im Verkauf der Waren realisiert. Von der mit Männlichkeit verbundenen Produktion ist die weiblich konnotierte Reproduktion abgespalten und ebenso wie die Produktion von Wert gleichursprünglich Basis der kapitalistischen Vergesellschaftung. Wert und Abspaltung sind zugleich so miteinander verbunden, dass Wert und Abspaltung sich gegenseitig durchdringen.

Im Blick auf den Wert hat Karl Marx das Gesetz der ‚Verwertung des Werts’ in die Kurzformel G-W-G’ gefasst: Geld (G) wird als Kapital zur Produktion von Waren (W) eingesetzt. Die Waren müssen ihren Wert auf der Ebene des Tausches oder der Zirkulation realisieren, sodass am Ende Mehr-Geld (G’) steht.

Für Felber spielt das Wertgesetz keine Rolle, wie dies im Allgemeinen in den Wirtschaftswissenschaften7 der Fall ist. Ihn interessiert der Preis (vgl. u.a. Felber 2017: 33). Der Preis ist aber nicht identisch mit dem Wert der in der Ware dargestellten Arbeit. Er bildet sich nach den ökonomischen Gesetzen von Angebot und Nachfrage auf dem Markt und damit im Konkurrenzverhältnis um die Realisierung des Werts auf der Zirkulationsebene. Der Fixierung auf Markt und Preis, also auf die Zirkulationsebene, bleibt verborgen, dass der Wert in der Verausgabung von menschlicher Arbeitskraft in der Produktion – und der auf dieser Ebene vorhandenen Konkurrenz um die höchste Produktivität – gebildet wird. Gemessen wird er in der Arbeitszeit, die im gesellschaftlichen Durchschnitt für die Herstellung der Ware benötigt wird. Die Arbeit ist die Substanz des Werts und sein Maß ist die für seine Produktion verausgabte Arbeitszeit. Dabei ist er nicht auf der Ebene der Einzelware zu konstatieren, sondern auf der Ebene des kapitalistischen, inzwischen global gewordenen Gesamtprozesses: Diese „Wesensebene des Werts (ist) zwar real, aber eben keine direkt zahlenmäßig fassbare (…), sondern empirisch (erscheint sie) nur in der Verkehrung durch die einzelkapitalistischen Reproduktions- und Konkurrenzverhältnisse bzw. deren unzuverlässige Hochrechnung (…). Aber die (…) Verwertungsbedingungen des ‚Gesamtprozesses’ lassen sich in Vermittlung mit den empirischen Erscheinungen durchaus theoretisch-kategorial erschließen" (Kurz 2012: 294).

Seinen abstraktesten Ausdruck findet der Wert im Geld, dessen Vermehrung als abstrakter Reichtum Sinn und Zweck der ganzen kapitalistischen Veranstaltung ist. Ihr geht es darum, aus Geld Mehr-Geld zu machen. Dieser Zweck ist ein abstrakter Selbstzweck. „Alles Konkrete, der Gebrauchswert ebenso wie die konkrete Arbeit, ist lediglich wichtig als stofflicher Träger von etwas Abstraktem, der Gebrauchswert als Träger des Tauschwerts, die konkrete Arbeit als Trägerin der abstrakten Arbeit. Es zählt nicht die Qualität (die stoffliche Inhaltlichkeit), sondern nur das, was sich abstrakt, also im Absehen von der konkreten Inhaltlichkeit, quantifizieren lässt. Dies wiederum ist kein Zufall, sondern hängt damit zusammen, dass Waren für den Tausch produziert werden. Beim Tausch müssen sie abstrakt, d.h. hinsichtlich ihres abstrakten Werts vergleichbar sein. (…) ‚Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von ihrer sinnlich verschiedenen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesellschaftliche Wertgegenständlichkeit’ (Karl Marx). Sie können getauscht werden, weil sie vergangene Arbeit als ihren Wert ‚repräsentieren’. In diesem Wert sind sie vergleichbar. Der Wert wiederum äußert sich in einem allgemeinen Äquivalent, dem Geld. Dieses Medium ist die allgemeine Form des Werts. In ihm kann der Wert aller Waren ausgedrückt werden. Insofern ist das Geld der abstrakteste Ausdruck des Wertes" (Böttcher 2016a: 2-3).

Weil die Vermehrung des Geldes der abstrakte und gleichzeitig reale Selbstzweck im Kapitalismus geworden ist, kann Geld nicht durch einen Akt politischen Willens und demokratischer Vereinbarung aus dem Formzusammenhang herausgebrochen und idealistisch vom Zweck zum Mittel werden – so als ob es einen ontologischen guten Kern des Geldes gäbe, der durch den Kapitalismus zum Schlechten mutierte und nun wieder zum praktischen Tauschmittel und sozial-ökologischen Investitionsmittel werden kann, wenn dieser Veränderung nur die richtigen Werte und darauf basierende demokratische Entscheidungen zugrunde liegen. Die reale Funktion des Geldes und der Zwang, es im Kapitalismus zu vermehren und nicht ohne es leben zu können (außer vielleicht auf Elendsniveau), kann nicht durch eine ‚Umwertung von Werten’ durchbrochen werden. Insofern erweisen sich Felbers Ideen gemessen an der Wirklichkeit kapitalistischer Vergesellschaftung als illusionär, weil er von der Ebene der Phänomene nicht zum Wesentlichen, zum Kern des Kapitalismus vorstößt. So erscheint Felbers Gemeinwohlökonomie zwar als konkret und handhabbar – dieser illusionäre Schein aber ist erkauft durch das Ausblenden des gesellschaftlichen Formzusammenhangs, der nicht ohne Wert, Arbeit, Geld und Abspaltung zu begreifen ist.

Ohne Blick auf die gesellschaftliche Totalität und die Formen von Wert und Arbeit

Felber dringt also bei seiner Darstellung einer Gemeinwohlökonomie und seinen Geld- und Welthandelsvorstellungen weder zum Wertgesetz noch zum Fetischcharakter des Kapitalismus als Unterwerfung der Gesellschaft unter den abstrakten Selbstzweck der Vermehrung des Geldes und der davon abgespaltenen Momente vor.

Bereits Felbers unbegründete Annahme, dass Messbarkeit in jeglicher Produktionsweise notwendig sei – was an den Gemeinwohlpunkten, die er in einer Matrix sehr detailliert ausgearbeitet hat (s. Kapitel 1.3) –, zeigt seine uneingestandene Nähe zur Abstraktheit des rein quantitativen Werts. Die Suche nach einer anderen Messbarkeit zeigt nur den Versuch, die abstrakt-quantitative Vergleichbarkeit, in die qualitative Aspekte eingefügt werden, aufrecht zu erhalten. Er kann nicht erkennen, dass der Kapitalismus als ganzer eine real-abstrakte Fetischkonstitution ist, in der die Gesellschaft real den abstrakten Kategorien von Wert und Abspaltung, und damit dem abstraktesten Ausdrucks des Werts, dem Geld, unterworfen ist. Weil er nicht zu dieser analytischen Einsicht vordringt, beginnt das illusionäre Spiel des Herausbrechens einzelner Kategorien aus dem gesellschaftlichen Formzusammenhang immer wieder von neuem.

So auch bei der Kategorie der Arbeit. Sie wird nicht als abstrakte Arbeit im Gesamtzusammenhang der kapitalistischen Fetischkonstitution und so als Verausgabung abstrakter Arbeit für die Produktion von Wert und Mehr-Wert erkannt und kritisiert. Daher bleibt es bei der berechtigten, aber verkürzten Kritik schlechter Arbeitsbedingungen und dem Insistieren auf der globalen Regulierung von Unternehmensverhalten (vgl. u.a. Felber 2017: 150-156). Statt die Arbeit als Realkategorie zu kritisieren und zu negieren, soll in der Gemeinwohlökonomie die Arbeit als konkrete Erwerbsarbeit lediglich reduziert werden. Für ihn ist Arbeit weiterhin sinnvoll, zumindest setzt er sie schlichtweg voraus (vgl. u.a. Felber 2017: 63-64 und 73).

An keiner Stelle reflektiert Felber die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit und kommt so über die Kritik schlechter Arbeitsbedingungen und der Aneignung des Mehr-Werts durch Unternehmen nicht hinaus. Weil er konkretistisch die mit dem ‚Konkreten’ untrennbar verbundene abstrakte Ebene ausblendet und so ignoriert, dass die konkrete Arbeit Träger der abstrakten Arbeit ist wie der Gebrauchswert Träger des Tauschwerts, bleiben auch seine Alternativvorschläge konkretistisch und simpilizistisch illusionär. Er glaubt tatsächlich, dass sich das Verhalten von Unternehmen grundsätzlich umprogrammieren ließe.

Da die Formen von Wert und Arbeit und damit die Arbeit als ‚Substanz des Kapitals’ (K. Marx) unbegriffen bleiben, bleibt es auch die Krise des Kapitalismus. Der Begriff der Krise bezieht sich zwar auch auf die konjunkturellen Krisen. Sie sind immer dann entstanden, wenn das Kapital auf Grenzen seiner Verwertung stieß. Solcherart Krisen konnten durch neue Technologien, Produktinnovationen, erweiterte Absatzstrategien und das Erschließen neuer Märkte überwunden werden. So war es möglich, den Wertschöpfungsprozess nach einer Akkumulationskrise wieder neu in Gang zu setzen. Die Auswirkungen der Krise in Gestalt von Arbeitslosigkeit und Armut konnten – mindestens kurzfristig – aufgefangen oder abgefedert werden.

Heute entscheidender und akut ist jedoch die Krise, die Marx im Kapital als ‚prozessierenden Widerspruch’ begründet sah. Wir haben gesehen, dass der Verwertungs- bzw. Akkumulationsprozess des Kapitals von der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft lebt. Nur ihre Verausgabung schafft Wert und Mehrwert. Die betriebswirtschaftliche Konkurrenz, in der Einzelkapitale ihre Waren produzieren, zwingt sie dazu, Arbeit als Grundlage von Wert und Mehrwert durch Technologie (Maschinen, Computer, Roboter) zu ersetzen. Diesen logischen Selbstwiderspruch, im von der Konkurrenz erzwungenen Produktivitätsfortschritt Arbeit als Substanz des Kapitals zu untergraben, nennt Marx den prozessierenden Widerspruch. Er stellt eine logische Schranke für die Verwertung von Kapital dar. Der damit einhergehende Zwang, Arbeit durch Technologie zu ersetzen, und Strategien eines ständigen Wachstums zu verfolgen, entspringt nicht einfach dem subjektiven Wunsch nach mehr Geld und Wachstum oder einem ethisch falschen ‚Anreizsystem’, sondern den Zwängen, die mit der Produktion von Waren für den abstrakten Selbstzweck der Vermehrung von Geld untrennbar verbunden sind.

Wer in der Konkurrenz um Produktivität nicht mithalten kann, wird aus dem Rennen geworfen. Der Kapitalismus ist eben nicht durch das Profitstreben Einzelner konstituiert, das dann durch Regulierungen in richtige bzw. erträgliche Bahnen gelenkt werden kann, sondern durch die ‚abstrakte Herrschaft’ (K. Marx) des Wertgesetzes, das weder der Wille Einzelner oder ein politischer Wille außer Kraft setzen kann. Spielräume für ethisches Handeln von Unternehmern/Managern ebenso wie für politische Regulierungen im Sinne eines sozial-staatlichen Rahmens gibt es nur in den Grenzen, die der Verwertungsprozess des Kapitals zulässt.

Seit der Kapitalismus nach einer Jahrhunderte langen Entstehungsphase und der gewaltförmigen Integration der Menschen in sein Arbeitsregime ab dem 18./19. Jahrhundert begann, ‚auf seinen eigenen Grundlagen zu prozessieren’ (K. Marx), hat er sich in immer neuen ‚schöpferischen Zerstörungsprozessen’ (J. Schumpeter) mit einer sagenhaften Dynamik entwickelt. Das Ersetzen der Arbeit durch Technologie konnte er durch die Diversifizierung von Produkten und die Ausweitung der Produktion, d.h. die Verbilligung durch Massenproduktion und die Erweiterung von Märkten, kompensieren (vgl. Kurz 2009/1999 und Kurz 2012; vgl. auch Konicz 2016). Mit der mikroelektronischen Revolution seit den 1970/1980er Jahren beginnen diese Kompensationsmöglichkeiten zu erlöschen. Nun wird mehr Arbeit wegrationalisiert als durch neue Produktion und neue Märkte aufgefangen werden kann. Bereits die von Felber ausschließlich phänomenologisch betrachtete Globalisierung seit den 1960er und vermehrt seit den 1970/80er Jahren mit ihren desaströsen sozialen und ökologischen Folgen sowie der mit ihr einhergehenden sog. Finanzialisierung des Kapitalismus (s. Kapitel 3.2) war eine Expansion, die aus der zunehmenden Krise des Kapitalismus heraus geboren wurde: Bereits im prosperierenden Fordismus nahmen die Waren- und Kapitalexporte zu. Aber erst in der Krise des Fordismus, die Ende der 1960er Jahre einsetzte und sich stetig und spätestens ab den 1980/90er Jahren exorbitant verschärfte, kam es zu dem, was wir Globalisierung nennen. Die schwindende (Mehr-)Wertmasse und die steigenden Kosten zogen keine Erweiterungs-, sondern Rationalisierungsinvestitionen nach sich. Dies zog die Auslagerung von (Teil-)Produktionen und Steuerersparnis in sog. Freien Exportzonen (oder auch ganz ohne Produktion in ‚Steuerparadiesen’) nach sich. Das Kapital wurde unmittelbar transnational, Weltkapital, immer unabhängiger von Nationalökonomien und ihrer Politik. Dabei wurden globale Kostengefälle und Möglichkeiten von Steuerersparnissen ausgenutzt. Die Folge war eine zunehmende Zersetzung von Nationalstaaten (vgl. Kurz 2005b).

Nicht einfach das subjektive Profitstreben sowie die politischen Entscheidungen für Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung und der Abbau von Staatsinterventionen (mit der berühmten Mont Pèlerin Gesellschaft im ‚Lobby-Hintergrund’) trieb sog. multinationale Unternehmen dazu, im Ausland zu produzieren. Sie standen vielmehr unter Systemzwängen, die durch die Krisenhaftigkeit des Verwertungsprozesses wesentlich verschärft wurden. So ist es kein Zufall, dass mit der mikroelektronischen Revolution die Konkurrenz schärfer wird und die Spielräume für Regulation schwinden. Die Konsequenz sind der Abbau des Sozialstaates einhergehend mit dem Versuch, über Deregulierungen Investitionsbarrieren zu minimieren, um die sich weiter zuspitzende Akkumulationskrise zu entlasten. Die logische Schranke des Kapitals ist nun auch auf ihre historische Grenze gestoßen, d.h. auf das Ende der Kompensationsmöglichkeiten für den Verlust der Arbeitssubstanz. Aus den Krisen des Kapitalismus ist seine finale Krise geworden, aus der offensichtlich kein Ausweg mehr durch neue Möglichkeiten der Wertschöpfung gefunden werden kann.

Konkurrenz und Wachstum als Systemzwänge

Weil der Kapitalismus als ein System abstrakter Herrschaft konstituiert ist, erweisen sich Felbers Vorstellungen, ein neues Anreizsystem in einem letztlich kapitalistisch bleibenden Zusammenhang zu kreieren, mit dem Gewinnstreben und Konkurrenz überwunden werden können, als illusionär. Karl Marx erläutert den System- bzw. Herrschaftscharakter des Kapitalismus im Blick auf die Konkurrenz in den ‚Grundrissen’ der Kritik der Politischen Ökonomie: „Die freie Konkurrenz ist die reelle Entwicklung des Kapitals. (…) Die Herrschaft des Kapitals ist die Voraussetzung der freien Konkurrenz, ganz wie die römische Kaiserdespotie die Voraussetzung des freien römischen ‚Privatrechts’ war. (…) Keine Kategorie der bürgerlichen Ökonomie, nicht die erste, z.B. die Bestimmung des Werts, wird daher erst wirklich durch die freie Konkurrenz; d.h. durch den wirklichen Prozeß des Kapitals, der als Wechselwirkung der Kapitalien aufeinander erscheint und aller andren vom Kapital bestimmten Produktions- und Verkehrsverhältnisse. Daher andrerseits die Abgeschmacktheit, die freie Konkurrenz als die letzte Entwicklung der menschlichen Freiheit zu betrachten; und Negation der freien Konkurrenz = Negation individueller Freiheit und auf individueller Freiheit gegründeter gesellschaftlicher Produktion. Es ist eben nur die freie Entwicklung auf einer bornierten Grundlage – der Grundlage der Herrschaft des Kapitals" (Marx 1974/1857/58: 544-545).

Weil die Konkurrenz den Systemzwängen des Kapitalismus entspringt, kann ihre Überwindung alleine als einzelner zu verändernder Aspekt der kapitalistischen Marktwirtschaft den Kapitalismus als ganzes nicht überwinden. Die Konkurrenz ist als Teil des Ganzen der kapitalistischen Gesellschaft zu verstehen und kann nur mit dem Ganzen dieser Gesellschaftsform überwunden werden. Max Weber, der den Kapitalismus als Ergebnis der neuzeitlichen Prozesse der Rationalisierung als Fortschritt affirmiert, hat den Kapitalismus als ‚herrenlose Sklaverei’ beschrieben und nüchtern festgestellt: „Im Gegensatz zu anderen Herrschaftsformen ist die ökonomische Kapitalherrschaft ihres ‚unpersönlichen’ Charakters halber ethisch nicht reglementierbar. (…) Diese ‚herrenlose Sklaverei’, in welche der Kapitalismus den Arbeiter oder Pfandbriefschuldner verstrickt, ist nur als Institution ethisch diskutabel, nicht aber ist dies – prinzipiell – das persönliche Verhalten eines (…) Beteiligten, welches ihm ja bei Strafe des in jeder Hinsicht nutzlosen ökonomischen Untergangs im wesentlichen durch objektive Situationen vorgeschrieben ist" (Weber 1972/1921/22: 565).

Ebenso wenig wie die Konkurrenz ist das Wachstum als ein simples Streben nach mehr Geld zu verstehen, das die Gier als Untugend oder Zielvorgabe zur Grundlage hat, wie Felber meint. Auch Wachstum ist ein Zwangsverhältnis. Es entspringt dem Zwang zur Steigerung der Produktivität, um auf dem Markt konkurrenzfähig zu sein. Diesem Zwang sind Unternehmen unterworfen, insofern sie auf höchstem, heute global gewordenem, Produktivitätsniveau produzieren müssen, wenn sie in der Konkurrenz bestehen wollen. Angesichts der globalisierten Konkurrenz sind auch Staaten und innerhalb von Staaten einzelne Regionen der globalen Konkurrenz unterworfen. Sie müssen als Standorte konkurrenzfähig sein, um Kapital anzulocken. Und konkurrenzfähig ist, wer mithalten kann in den Prozessen des Wachsens. Mit der Krise der Akkumulation kommt aber auch das Wachstum in die Krise. Mit der Möglichkeit der Wertschöpfung schwinden auch die Möglichkeiten des Wachstums. Statt die sich hier ausagierenden immanenten und zerstörerischen Grenzen des Kapitalismus zu erkennen, wird die Krise in eine Chance umgelogen. Nicht zufällig setzt wohl die Wachstumskritik vor allem dann ein, wenn das Wachstum am Schwächeln ist: „Die Not des globalen Wachstumseinbruchs soll zur Tugend einer ‚ökologischen Wirtschaft’ ohne Wachstumszwang gemacht werden. (…) Der Begriff des Wachstums wird zum Fetisch einer oberflächlichen Kritik, die nur die äußeren Resultate der kapitalistischen Geldmaschine anklagt, während die inneren Mechanismen von ‚abstrakter Arbeit’, Warenform, Geldform und Mehrwertproduktion nicht (…) grundsätzlich thematisiert werden" (Kurz 2008).

Automatisches Subjekt

Wenn Marx die abstrakte Herrschaft des Wertgesetzes mit dem Begriff des ‚automatischen Subjektes’ in Verbindung bringt, benennt er damit das Paradox von kapitalistischer Struktur und ihrer Vermittlung durch die Subjekte, also durch die diesem Prozess Unterworfenen (von subicere, lat., (sich) unterwerfen). Damit ist keinem platten Determinismus der Menschen durch die Struktur das Wort geredet, sondern das paradoxe Verhältnis betont, dass der Kapitalismus zum einen nicht ohne bewusste, d.h. mit Erkenntnis und Willen ausgestattete HandlungsträgerInnen funktionieren kann; zum anderen aber Freiheit der Erkenntnis und des Willens insofern determiniert sind, als sie nicht einfach frei und willentlich die objektiv gesetzten Automatismen des Wertgesetzes außer Kraft setzen können, sondern nur im Rahmen dieser Automatismen bewusst, d.h. dann frei und nach ihrem Willen handeln können.

So lässt sich aus dem Bild des automatischen Subjekts nicht ableiten, es gebe keine individuelle Verantwortung für das Handeln von Menschen. Dennoch sind ihr insofern objektive Grenzen gesetzt, als dass im Rahmen dieser Grenzen nicht die Möglichkeit besteht, andere Anreize zu setzen: Felbers gut gemeinte Änderungsvorschläge zur Veränderung der Anreizstruktur, in der keine Übervorteilung von anderen geschehen, sondern auf Kooperation gesetzt werden soll, können ohne Überwindung der Warenproduktion nicht funktionieren. Er bleibt bei einer unbestimmten Darstellung einer „Anreizstruktur" stehen, die unreflektiert voraussetzt, dass auch im Rahmen einer warenproduzierenden Marktwirtschaft andere Anreize möglich seien. Bei ihm gibt es nicht einmal eine Ahnung davon, dass mit den politisch-ökonomisch kapitalistischen Kategorien von Wert, Arbeit, Geld und Staat, also den Grundlagen der kapitalistischen ‚Struktur’ gebrochen werden muss. Weil er offensichtlich vor der Notwendigkeit mit der kapitalistischen Form zu brechen, zurück schreckt, verbleibt er bei illusionärer Struktur-Kosmetik.

Dabei vermischt er Willensebene und Strukturebene, wobei letztlich der Wille entscheidend bleibt: Wenn wir nur wollen, können wir die Struktur in Richtung anderer, kooperativer und humaner ‚Anreize’ verändern und ihre Institutionen ‚demokratisch weiterentwickeln’ und damit einen vermeintlich anderen ‚Ordnungsrahmen’ schaffen.

Weil aber Menschen als Individuen in den Automatismen der Strukturen nicht aufgehen, müssen sie diese nicht affirmieren, nicht die mit ihnen verbundenen Ideologien reproduzieren. Sie können über sie hinaus denken und handeln, sie in andere Strukturen des Zusammenlebens hin überwinden. Sie können aber nicht im Rahmen des Kapitalismus ihre Wünsche und Ideale kraft ihres Willens verwirklichen. Mittels menschlicher Reflexionsfähigkeit aber lässt sich die Notwendigkeit erkennen, mit dem kapitalistischen Rahmen zu brechen, wenn die Grundlagen des Lebens nicht endgültig zerstört werden sollen.

3.2 Die Kritik des Finanzkapitalismus als konkretistisch verkürzte Kapitalismuskritik und ihre Verbindung zu strukturellem Antisemitismus

Weil Felber seine kritischen Anmerkungen zu problematischen Einzelphänomenen im Kapitalismus nicht auf die gesellschaftliche Totalität des Kapitalismus bezieht, er Arbeit nicht als Substanz des Kapitals erkennt, bleibt ihm auch das Verhältnis des Finanzkapitalismus zur Produktion von Waren verschlossen. Statt Waren- und Finanzkapitalismus in ihrem Zusammenhang zu betrachten, löst er den Finanzkapitalismus von der Warenproduktion samt der ihr immanenten Krisendynamik und kommt so zu einer isolierten Kritik der Deregulierung der Finanzmärkte, der wiederum die verkürzte Forderung nach deren Re-Regulierung entspricht. Als vermeintlich konkrete Lösungen kann er präsentieren: eine staatliche Geldschöpfung, die Kontrolle des Geldes durch Geldkonvente und ein Verbot spekulativer Finanzprodukte.

Um solche Kurzschlüsse zu vermeiden bzw. Felbers Vorschläge als nur scheinbar konkret zu begreifen, ist es wichtig, sich des Zusammenhangs zwischen der sog. Finanzialisierung des Kapitalismus und der Krise des Kapitalismus zu vergegenwärtigen: Mit der mikroelektronischen Revolution seit den 1970er/80er Jahren stößt die innere logische Schranke des Kapitals als ‚prozessierender Widerspruch’ nun auch auf ihre historischen Schranken. Die enorme Produktivität des Kapitalismus muss nun mit dem Verlust der Grundlage des kapitalistischen Werts, der (abstrakten) Arbeit als Substanz des Kapitals ‚zurecht’ kommen. Dies trieb angesichts des nicht mehr weiterführbaren Ausbaus von Massenmärkten und Warendiversifizierung im Fordismus den kapitalistischen Wachstumsprozess nun auch ohne wert-schaffende Arbeit (den kapitalistischen Wachstumsprozess) voran. Wenn Kapital sich nicht mehr so einfach in der Realwirtschaft durch die Produktion von Waren vermehren lässt (nach der Formel G-W-G’), der Kapitalismus aber nicht ohne Wachstum sein kann, das sich in Geld ausdrücken muss, scheint ein Ausweg aus der Krise die Vermehrung des Geldes durch den Handel mit Geld bzw. Wertpapieren zu sein (G-G’). Diese Verlagerung der Akkumulationsdynamik von der Produktion in die Finanzwirtschaft ist der Krise geschuldet, die den Kapitalismus an die Grenzen seiner Finanzierbarkeit und so in die Verschuldung bringt. Die Verwissenschaftlichung der Produktion, insbesondere im Zuge der mikroelektronischen Revolution, und der damit verbundenen gesamtgesellschaftliche Wertverlust verbinden sich nun mit dem „Problem des Kredits" (Böttcher 2016a: 8). Vorfinanzierungen von Sachkapital auf dem höchsten technologischen Stand führen zu steigendem Risiko und Verschuldung bei Einzelkapitalen. Ebenso muss sich der Staat zur Finanzierung von Bildung, Forschung, Sicherheit, sozialen und ökologischen Folgen der kapitalistischen Produktionsweise verschulden, da er ohne Verschuldung die kapitalistische Gesamtveranstaltung, die ihm ohnehin immer mehr aus den Händen gleitet, nicht mehr bewältigen kann.8

„Die Finanzierung durch Kredite bedeutet aber, dass nicht die Vernutzung gegenwärtiger Arbeit, sondern die Vernutzung künftiger Arbeit die Grundlage der Finanzierung bildet. Die Verschuldung der Staaten (seit Ende der 1960er Jahre) bereitet(e) dem Neoliberalismus den Weg. An die Stelle der Finanzierung der kapitalistischen Veranstaltung durch Staatsverschuldung (die gleichzeitig durch Sozialabbau und Privatisierungen abgebaut werden musste, D.K.) und private Kreditaufnahme tritt die Finanzierung durch spekulative Geldvermehrung – Kreditgeld wird zur Ausgangsbasis für Spekulationen. Nicht bezahlbare Kredite werden umgeschuldet, d.h. faul gewordene Kredite werden mit neuen Krediten und höheren Zinsen bedient. Der Handel mit Eigentumstiteln erzeugt rein fiktive Wertsteigerungen. Das Kapital akkumuliert nicht real durch die Verausgabung von Arbeit, sondern fiktiv durch Kauf und Verkauf von Finanztiteln. Akkumulation wird zur Scheinakkumulation, die nicht mehr durch realen Wert gedeckt ist. Sie entkoppelt sich von der Arbeitssubstanz. Gleichzeitig kommt es zu einer Rückkoppelung. Substanzlose, weil durch keinen Wert gedeckte Gelder, fließen in die Realwirtschaft und dienen der Finanzierung von Konsum und Produktion (Verschuldung von Produzenten und Konsumenten, D.K.). Die Realwirtschaft hängt am Tropf der Scheinakkumulation. Wenn die durch Scheinakkumulation (…) (entstandenen) Blasen platzen, kommt es zu Krisen (…). Im Platzen der Finanzblasen wird die mangelnde reale Akkumulation sichtbar. Nachdem mit dem Neoliberalismus das Problem der Staatsverschuldung auf die Finanzmärkte verlagert worden war, kommt es mit dem Platzen der Immobilienblase 2008 und der darin wirksamen globalen Dimension der Krise zur (partiellen, D.K.) Rückverlagerung des Problems von den Finanzmärkten auf den Staatskredit" (Böttcher 2016a: 9).

Dies wirft ein kritisches Licht auf Felbers Analyse, der zwar die Spekulation und ihre phantasievollen ‚Produkte’ kritisiert und abschaffen will, aber keinen Zusammenhang zur schwindenden (Mehr-)Wertmasse und damit zur gesamtgesellschaftlichen Ebene herstellt. Er verbleibt, ganz getreu seiner früheren attac-Tätigkeiten, bei einer oberflächlichen Kritik des Finanzkapitalismus auf der Zirkulationsebene, ohne Bezug zur Produktionsebene. „Die Kritik am Casinokapitalismus greift (aber) ebenso zu kurz wie die Forderung nach Re-Regulierung der Finanzmärkte (…). Die Analyse ‚des Ganzen’ hat ja gezeigt, dass ‚Realwirtschaft’ und ‚Finanzwirtschaft’ durch den Krisenzusammenhang entkoppelt und zugleich miteinander verbunden sind. Die Deregulierung der Finanzmärkte ist Ausdruck der Krise, die mehr Geld erforderlich macht als durch die Produktion von Wert gedeckt werden kann. Re-Regulierungsmaßnahmen bis hin zur Transaktionssteuer könnten zwar vorübergehende Entlastung u.a. durch Entschleunigung bringen, würden aber langfristig den Kompensationsmechanismus einer notwendigen (simulierten) Geldquelle zum Erliegen bringen. Entweder agiert sich die Krise an fehlendem Geld, also fehlenden Investitionsmitteln mit Folgen wie Deindustrialisierung und Sozialabbau aus. Oder das Platzen von Blasen – die als Geld ohne Wert heiße Luft sind – befördert die Krise" (Böttcher 2012: 11).

Felbers auf die Finanzmärkte zugespitzter Kritik des Kapitalismus entspricht sein problematisches, weil unbestimmtes Verständnis von Geld. Es bleibt unbestimmt und so beliebig, weil es nicht im Zusammenhang der kapitalistischen Totalität begriffen wird. Isoliert von diesem Zusammenhang kritisiert er vor allem die (Buch-)Geldschöpfung durch andere Institutionen als die staatlichen Zentralbanken und die diversen Spekulationen mit immer verrückteren Finanztiteln. Er sieht sogar Gutes im Geld, wenn es nur ‚demokratisch geschöpft’ und dem ‚Leben dienend genutzt’ würde. Es kann umstandslos vom ökonomischen Zweck zum Mittel für das Gemeinwohl umprogrammiert werden. Damit verbleibt er auf der Erscheinungsebene des Geldes, affirmiert es, kann es kategorial aber nicht fassen. Im Zusammenhang der kapitalistischen Vergesellschaftung ist das kapitalistische Geld – und von nichts anderem kann gesprochen werden – der abstrakteste Ausdruck des Werts. Es ist Anfang und Ende des Prozesses der Kapitalverwertung, sein abstrakter und irrationaler Selbstzweck.

Weil das Geld als abstrakter Selbstzweck der Warenproduktion untrennbar mit dem Ganzen der kapitalistischen Verhältnisse verbunden ist, ist es nicht einfach nur negativ ‚besetzt’, an ‚falschen Werten’ orientiert und kann deshalb auch nicht mir nichts dir nichts zum Mittel für ein menschliches Gemeinwohl umgebogen werden. Ebenso wenig sind extrinsisch motivierte, geldgierige und machtgeile Banker, Konzerne oder um Standorte konkurrierende StaatslenkerInnen das Problem, die aus simplem Eigeninteresse Regulierungen abgeschafft und Privatisierung, Deregulierung sowie Liberalisierung durchgesetzt haben, um dem Geld freien Lauf zu lassen und sich selbst zu bereichern. Ebenso wenig sind es die durch Deregulierung entstandenen diversen, spekulativen Finanzprodukte und die damit zusammenhängende politisch beschlossenen neoliberalen Trias simplizistisch (ein zu regulierendes Problem). Der Neoliberalismus war nicht einfach gewollt und kann durch eine Änderung des politischen Willens auch nicht wieder beendet werden, um zur guten, alten sozialen bzw. „vollethische(n) (…) (und) tatsächlich liberale(n) Marktwirtschaft" (Felber 2016: 4) zurückzukehren, die dann nicht mehr – oder nur noch partiell? – kapitalistisch sein soll.

Felber setzt aber genau auf diese Illusion, wenn er beklagt, es fehle nur der politische Wille zur guten Regulierung, insbes. von Geld. Alles wäre gut, wenn nur seine zahlreichen konkreten Vorschläge in Form von Bretton Woods II u.v.m. (vgl. Felber 2014) politisch aufgegriffen und umgesetzt würden. Da aber das ‚Geld-Problem’ in der schwindenden Wertsubstanz von abstrakter Arbeit und damit in der Aushöhlung des Geldes als abstraktestem Ausdruck des Werts, also ‚Geld ohne Wert’ (R. Kurz) liegt, gibt es kein Zurück mehr. Geld ist eben nicht einfach ein praktisches Tauschmittel, das ethisch reguliert werden kann. Es kann nicht einfach anders besetzt werden. Es muss vielmehr seiner gesellschaftlichen Form enthoben werden, was aber nur mit der Sprengung und Auflösung eben dieser Form geschehen kann. Ein Festhalten am Geld – noch zudem mit größtenteils der gleichen Rolle als Äquivalenz- und Tauschmittel, nur ohne spekulative Momente – weist damit genau nicht auf eine Kritik des Kapitalismus, so sehr diese auch betont wird, sondern auf eine verkürzte Geldkritik (vgl. Hüller 2014) sowie den uneingestandenen Wunsch, an dieser Gesellschaftsformation festzuhalten – nur ohne Spekulation, etwas menschlicher und sogar mit „vielfältigen Eigentumsformen" (vgl. Felber 2014 und 2017).

Der Kapitalismus ist mit der mikroelektronischen Revolution historisch an das Ende seiner Reproduktionsfähigkeit gekommen, da keine Kompensierungsmöglichkeiten für die schwindende Wertmasse in Sicht und auch kaum denkbar sind. Auch die Scheinakkumulation, d.h. die Vermehrung von Geld ohne Bindung an realen Wert, gerät an ihre Grenzen, wie die vielen Finanzkrisen mit zunehmenden globalen Krisenerscheinungen seit den 1980er Jahren deutlich machen. Die ‚Leere des Werts’ (Robert Kurz), d.h. Waren ohne hinreichende Vergegenständlichung abstrakter Arbeitssubstanz, wird nun auch mit der Aushöhlung seines Ausdrucksmittels des Geldes, das immer mehr seinen Wert (wenn auch nicht seine Bedeutung) verliert, historisch real, und kann kaum noch durch den Casinokapitalismus mit exorbitanten Verschuldungs- und Blasenprozessen auf allen Ebenen aufrecht erhalten werden. Felbers oberflächliches oder unmittelbares Verständnis von Kapitalismus als Finanzkapitalismus, der zum größten Problem auserkoren und in keinerlei Bezug zur Realökonomie gesetzt wird (Verkehrung von Ursache und Wirkung), zeigt, dass seiner Kritik zum einen eine ontologisch-idealistische Vorstellung von Geld zugrunde liegt, nach der das der Zeit enthobene Geld ganz anders und doch noch mit z.T. identischen Funktionen und innerhalb der gleichen Institutionen genutzt werden kann. Zugleich geht er in seinem schon fetischisierten Drang, konkrete Lösungen präsentieren zu wollen, die aber letztlich keine sind, einer falschen Unmittelbarkeit auf den Leim.

Felbers ontologisch-idealistische Denkweise verfehlt also den Gegenstand: Er beschreibt das Geld bzw. die Ökonomie hinsichtlich der Differenz zwischen (eigentlichem) Sein und (schlechter) Wirklichkeit, die aber zum ‚Eigentlichen’ finden kann und soll, wenn nur hinreichend viele Menschen das wollen. Aus diesem ‚Eigentlichen’ leitet er ein Sollen ab, also vermeintlich konkrete Vorschläge und ethische Forderungen an Einzelne wie an politische Akteure, die alle darauf zielen, die schlechte Wirklichkeit der ‚eigentlichen’ wahren Wirklichkeit anzunähern. Damit dies plausibel erscheint, muss der Gegenstand des Geldes oder auch der Ökonomie (als Ganzes) vom gesellschaftlichen Ganzen (der ‚konkreten Totalität’) isoliert werden.

Eine adäquate Kritik des Geldes hingegen muss das Geld als grundlegende kapitalistische Kategorie und gleichzeitig in seiner historischen Vermittlung und damit in Prozessen historischer Veränderung verstehen. So wird es auch möglich, einer personalisierten Geldkritik, wie sie ‚links’ wie ‚rechts’ nur allzu oft und nicht zufällig ohne kritischen Bezug zur Arbeit gängig ist, zu entgehen, und damit der Gefahr eines ‚strukturellen Antisemitismus’. Dieser ist verbunden mit der Vorstellung der Vermehrung von Geld ohne Arbeit und der ihm entsprechenden Unterscheidung zwischen ‚schaffendem’ und ‚raffendem’ Kapital. Genau diese Vorstellung wurde auf Juden projiziert, wodurch das Bild ‚des Juden’ als Spekulant entstand, dessen Geld die Welt regiert. Struktureller Antisemitismus geht oft einher mit einer personalisierten und konkretistischen Kapitalismuskritik. Diese meidet das ‚Abstrakte’, die Reflexion der kapitalistischen Totalität als Realabstraktion, um sich mit der abstrakten Herrschaft des Kapitalismus nicht auseinander setzen zu müssen und einem nach konkreten Alternativen gierenden Publikum scheinbar unmittelbar einleuchtende konkrete Lösungen anbieten zu können. So lassen sich die Illusionen einer billigen Überwindung des Kapitalismus bedienen – und zugleich doch alles Altbekannte beibehalten.

3.3 Frauen als Retterinnen?

Die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter im Kapitalismus beschränkt sich bei Felber auf Randbemerkungen. Er konstatiert kritisch, dass Frauen weltweit, mit kulturell unterschiedlichen Ausprägungen, strukturell erniedrigt werden.

Die ist für ihn aber nicht in der Form des Kapitalismus begründet, sondern eher eine Fehlentwicklung, die durch Integration von Frauen in die Gesellschaft korrigiert werden kann. Dabei wird der strukturell im Kapitalismus Frauen zugewiesene Bereich der Reproduktion überhöht und werden die damit verbundenen Verhaltensweisen des ‚Sich-Zeit-Nehmens’, der Beziehungspflege, der Fürsorge und damit verbundener positiv konnotierter Werte auch auf die gemeinwohlorientierte Wirtschaft übertragen. Dass diese Reproduktionsleistungen die andere Seite der Produktion des Wertes sind, erkennt Felber nicht. Der Kapitalismus lässt sich nicht allein vom männlich konnotierten Wert und damit allein von der Produktion her bestimmen. Mit dem Wert gleichursprünglich verschränkt ist die weiblich konnotierte Abspaltung der Reproduktion.

Das vom Wert Abgespaltene ist all das, was nicht von der Dimension des Wertes gefasst werden kann. Dabei sind Wert und Abspaltung nach Roswitha Scholz (vgl. Scholz 2011/2000) die beiden gleichursprünglichen Grunddimensionen, die auf abstraktester Ebene den Kapitalismus bzw. das ‚warenproduzierende Patriarchat’ (Roswitha Scholz) bestimmen. Abgespalten werden alle Momente, die nicht vom Wert erfasst werden, der mit Männlichkeit konnotiert ist: Der Mann als harter Arbeiter, als Familienernährer, der sich außerhalb des Hauses in der Öffentlichkeit bewegt; die reproduktiven Tätigkeiten (Kinder erziehen, Alte pflegen, Haushaltstätigkeiten…), vor allem auf das (private) Haus beschränkt, sind hingegen weiblich konnotiert. Sie bilden die ‚stumme Voraussetzung’ für den Verwertungsprozess, der gleichzeitig blind bleibt gegenüber der Abspaltung. Der Reproduktionsbereich ist allerdings kein ‚Nebenwiderspruch’ des Kapitalismus, sondern gehört zur Konstitution des Ganzen der kapitalistischen Form. „Die Abspaltung ist der Wert und der Wert ist die Abspaltung. Beides ist im anderen enthalten, ohne deshalb mit ihm identisch zu sein. Es handelt sich um die zentralen, wesentlichen Momente desselben in sich widersprüchlichen und gebrochenen gesellschaftlichen Verhältnisses, die auf demselben hohen Abstraktionsniveau erfasst werden müssen" (Scholz 2011/2000: 21).

„Trotz der Gleichursprünglichkeit in der Bestimmung kapitalistischer Gesellschaft erfährt der abgespaltene Bereich eine Abwertung. Damit verbunden ist die Abwertung von Frauen, deren Tätigkeiten im abgespaltenen Bereich der Reproduktion verrichtet werden. Sie stehen der von betriebswirtschaftlicher Rationalität bestimmten höher bewerteten männlichen Arbeit gegenüber. Den mit Frauen konnotierten Tätigkeiten und der männlich konnotierten Arbeit werden unterschiedliche Haltungen zugeschrieben. Frauen stehen – entsprechend ihrer Tätigkeit in Betreuung und Pflege – für menschliche Zuwendung, Emotionalität, Erotik etc., Männer hingegen für Intellekt und Durchsetzungskraft. Frauen werden mit Natur, Männer mit Herrschaft über die Natur verbunden. Ohne die Unterwerfung der Gesellschaft unter den abstrakten Selbstzweck der Vermehrung des Geldes und die damit einhergehende strukturelle Erniedrigung von Frauen kann er nicht verstanden werden. Deshalb kann auch die Gleichstellung von Frauen diese Grundstruktur nicht aufheben. Dies wird darin sichtbar, dass auch da, wo Frauen Zugang zu Arbeit haben, sie dennoch schlechter bezahlt werden und eher in untergeordneten Stellungen zu finden sind. Hinzu kommt, dass sie zu ihrer beruflichen Arbeit auch noch den größten Teil der Hausarbeit zu verrichten haben.

Die unterschiedliche Vergesellschaftung von Frauen und Männern – wie sie in den Dichotomien von Natur und Geist, Unterwerfung und Herrschaft zum Ausdruck kommen – bleibt ihnen nicht äußerlich, sondern geht in ihr Denken, Fühlen und Handeln ein. Strukturelle Benachteiligungen und Abwertung von Frauen impliziert ein konfliktträchtiges Verhältnis zwischen den Geschlechtern und das Leiden von Frauen, dem ein besonderer Platz einzuräumen ist – dies umso mehr als ‚gerade ‚weibliches Leiden’ in androzentrisch geprägten Handlungs- und Denkmustern kaum Artikulationsmöglichkeiten findet’ (Elisabeth Böttcher). Damit wird die kulturell-symbolische und sozialpsychologische Dimension der Wert-Abspaltung deutlich, die der psychoanalytischen Reflexion bedarf" (Böttcher 2016a: 4).

Statt nun die beiden Pole von Wert und Abspaltung der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu überwinden, hypostasiert Felber die Reproduktion und meint Frauen dadurch aufwerten zu können, dass er ihnen auch noch die Rolle von Retterinnen aus dem Desaster zuweist, das die Wert-Abspaltungsvergesellschaftung hervorbringt. Er betont, dass die Gesellschaft „auf die unsichtbare Beziehungsarbeit von Frauen angewiesen (ist), deren essenzielle, lebenserhaltende und Glück bringende Leistungen kaum gesehen, wertgeschätzt und belohnt werden" (Felber 2010: 82). All das, was in der Reproduktion als positiver Kontrast zur rohen, zeitsparenden und konkurrenzgetriebenen Wertproduktion wahrgenommen wird, wird nicht in Beziehung zum kapitalistischen Gesamtverhältnis gesetzt, sondern einfach als positiver Kontrast der Reproduktion gegenüber der Produktion ausgemalt.

An den Fähigkeiten der Frauen, die in der Berufsarbeit erfolgreich sind und zugleich die reproduktiven Aufgaben bewältigen, soll die zerfallende Welt des Kapitalismus genesen. Hier ist eine Analogie zu den Alternativkonzeptionen festzustellen, deren Ausgangspunkt der ‚gute’, weil für das Leben nützliche Gebrauchswert ist. Der Nutzen des Gebrauchswerts ist aber nur insofern zu haben, als er Tauschwert ist. Der Gebrauchswert lässt sich ebenso wenig vom Tauschwert trennen wie die Reproduktion von der Produktion, die Abspaltung vom Wert. Gebrauchswert und Tauschwert, Reproduktion und Produktion, Abspaltung und Wert können aber nicht wie Gutes und Böses gegeneinander gestellt werden in der Illusion, das Böse ließe sich so durch das Gute überwinden. Statt Wert und Abspaltung zu überwinden, wird nun die minderbewertete Rolle von Frauen überhöht und ihnen auch noch die illusionäre Bedeutung als Retterinnen der kapitalistischen Gesellschaftsform zugeschrieben.

3.4 Die Affirmation von (National-)Staat und Demokratie

„Im Standortwettbewerb passen die Staaten fast alle Politikfelder den Bedürfnissen der Konzerne an" (Felber 2010: 54). Stattdessen müssten die Konkurrenz unter den Standorten aufgehoben und Unternehmensverhalten reguliert werden. Dies könnte unter „Wahrung nationalstaatlicher Autonomie und Demokratie (…) bei globaler Kooperation in Bezug auf die Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz, sozialen Zusammenhalt und kulturelle Vielfalt (Sustainable Development Goals)" (Felber 2017: 142) zur Gemeinwohlökonomie führen.

Auch viele soziale Bewegungen sehen „Möglichkeiten von Regulierung, also die Einbettung der Ökonomie in soziale und gesellschaftliche Zusammenhänge" (Böttcher 2012: 9). Entsprechende Forderungen richten sich an die Politik. Sie soll also als vermeintliche gestaltende Gegeninstanz der Ökonomie diese im Zaum halten bzw. die Ökonomie so regulieren, dass sie in den sozialen Zusammenhang einer Gesellschaft integriert ist, statt ihn zu dominieren. Der Staat und mit ihm die von Staaten gelenkten internationalen Institutionen, für die sich gerade Felber in seinen Geld- und Welthandels-Büchern so stark macht – während er in seinem Gemeinwohlbuch die ‚Allmende’ und damit eine von Staat und Privatwirtschaft unabhängige ‚Institutionalisierungsform’ erwähnt, um zumindest die wichtigste Daseinvorsorge, sprich Energie, Gesundheit, Bildung und Soziales, zu organisieren –, sind aber keine regulierenden Gegeninstanzen zum Verwertungsprozess. Im Gegensatz zu Felber, der explizit Strukturen wie Nationalstaaten, EU und UN affirmiert, die seines Erachtens nur demokratischer gestaltet werden sollten, um auch ‚wirklich’ zu funktionieren, wären diese Strukturen als notwendiger, institutioneller Bestandteil des kapitalistischen Formzusammenhangs zu begreifen. Dieser ist nötig, weil einzelne Unternehmen „nicht nur arbeitsteilig und ohne planenden Bezug aufeinander, sondern zudem in Konkurrenz zueinander Waren produzieren" (Böttcher 2016a: 6). Gegenüber den chaotisch in einem ‚Kampf aller gegen alle’ aufeinander prallenden Einzelkapitalinteressen repräsentiert der Staat das kapitalistische Gesamtinteresse des Verwertungsprozesses. Er agiert als ‚ideeller Gesamtkapitalist’ (Friedrich Engels). Hierin bleibt er an das Wertgesetz, an eine funktionierende Verwertung gebunden. Am deutlichsten kommt dies in seiner Abhängigkeit von den Steuern als ‚Abfallprodukt’ des Verwertungsprozesses zum Ausdruck. Ohne Steuern kann der Staat nicht steuern.

Wie seit Jahrzehnten auch empirisch sichtbar ist, werden die staatlichen Handlungsspielräume aufgrund der schwindenden Wertsubstanz enger, sodass auch vor diesem Hintergrund konkrete Steuer- und Rentenkonzepte (vgl. Felber 2014) idealistische Gedankenspiele sind. Aus dem Kapitalismus und seinem Krisenzusammenhang können weder Unternehmen noch Staaten aussteigen. Angesichts der mit der Krise schwindenden Spielräume für staatliches Handeln werden Forderungen nach sozialen und ökologischen staatlichen Regulierungen immer mehr zur Illusion. Sie sind nur noch insofern berechtigt, als es nicht in jedem Einzelfall ausgemacht ist, ob noch Spielräume, z.B. Forderungen zur Verhinderung einer Abschiebung, genutzt werden können. Zum anderen können politische Forderungen auch ihre Unerfüllbarkeit im Kapitalismus verdeutlichen und damit die Notwendigkeit aufzeigen, den Kapitalismus zu überwinden. Der Staat ist eben kein außerhalb des Kapitalismus existierendes Wesen, sondern in der Polarität von Markt und Staat in den kapitalistischen Formzusammenhang eingebunden. Markt und Staat „können nur zusammen existieren und überwunden werden" (Böttcher 2012: 9).

Felber bleibt in der Polarität von Markt und Staat und damit im (klein-)bürgerlich-kapitalistischen Käfig gefangen. Er glaubt an eine stärkere globale Unternehmensregulierung. In diesem Glauben kann ihn auch nicht die Tatsache erschüttern, dass darauf seit Jahrzehnten mit einem riesigen Aufwand von Seiten zahlreicher Nichtregierungsorganisationen auf nationaler und internationaler Ebene tendenziell erfolglos gedrängt wird. Verblüffungsfest verharrt er innerhalb der polaren Dualität von Markt und Staat. Der (demokratische) Staat, am besten als „demokratische Weltgesellschaft" (Felber 2016/2015: 103), soll in Kombination mit gemeinwohlorientierten Unternehmen, im Idealfall Allmenden und intrinsisch motivierten Individuen innerhalb staatlicher und überstaatlicher Institutionen eine harmonische Welt schaffen. Einerseits soll der Staat bzw. EU und vor allem UN, mehr regulieren und kontrollieren, auf der anderen Seite sollen alle zusammen arbeiten, da ja bei intrinsisch Motivierten kaum noch Kontrolle nötig sein werde. Dies ist eine unlösbare Aufgabe: Die Überwindung des Kapitalismus soll innerhalb der Kategorien des Kapitalismus stattfinden, und letztlich soll es vor allem der (demokratische) Staat richten. Sogar auf Weltebene soll es wohl eine Art Staat geben, wenn nach Maßgabe des Völkerrechts ein ethischer Handel entstehen soll, der nach dem Prinzip ökonomischer Subsidiarität operiert. Nationalstaaten würden aber nicht hinfällig werden, denn an „nationalstaatlicher Autonomie und Demokratie bei (…) progressiver globaler Kooperation" will Felber weiter festhalten (Felber 2017: 142).

Abgesehen davon, dass der auf Partikularität ausgerichtete Nationalstaat gar nicht auf Weltniveau existieren kann, zeigt gerade die historische Entwicklung, wie sehr Kapitalismus und (demokratischer) Staat zusammen hängen. Demokratie entstand in den historischen Zusammenhängen, in denen auch der Kapitalismus begann ‚auf seinen eigenen Grundlagen zu prozessieren’ (K. Marx). Sie war gegenüber den absolutistischen Staaten im Vorteil, da im Zuge der Demokratisierungstendenzen die Freiheit des Marktes und der auf ihm agierenden Menschen sich als effizientere Rahmenbedingungen für die Verwertung des Kapitals erwiesen.9

Mit der sich zuspitzenden Krise des Kapitalismus werden nun Recht und Demokratie verstärkt abgebaut – wie sich ja nicht zuletzt am Umgang mit den Flüchtlingen und auch im Ausbau staatlicher Repressionsmechanismen zeigt (vgl. Kurz 2003 und Böttcher 2016b in dieser Publikation). Mit dem Verwertungsprozess kommen eben auch Staat und Demokratie in die Krise. Da macht es keinen Sinn, die Demokratie anzurufen, um gleichsam beim politischen Krisenprozess gegen den ökonomischen Krisenprozess Hilfe einzufordern. Einer demokratischen Verwaltung der Krise wird die ökonomische Grundlage entzogen, sodass sie keine Grundlage für die Rettung aus der Krise dieser fetischisierten Gesellschaftsformation sein kann.

3.5 Die Zeitlosigkeit der Aufklärung und die Verewigung ihrer Werte

Als ‚Letztbegründung’ für das Konzept seiner Gemeinwohlökonomie bezieht sich Felber auf die Ethik: „Die Ethik ist rational und emotional ausreichend, um politische Vorschläge, Maßnahmen und Gesetze letztzubegründen – und für die Postulierung von Werten ist die freie menschliche Vernunft als Letztbegründung ausreichend. (…) Der Mensch hat Würde, weil wir es so sehen – Punkt. Die Menschenwürde ist, was die Begründung betrifft, ein glücklicher Grenzfall: Sie ist sowohl in der Tradition der Aufklärung als auch in der christlichen Theologie und Ethik der höchste Wert" (Felber 2015: 22). Zudem beruft sich Felber immer wieder auf „zeitlose(n) Werte und Verfassungsziele" (Felber 2016: 2), die in der Aufklärungsphilosophie ihre Begründung erhalten.

Die Denkfigur der ‚Letztbegründung’ kommt aus der aristotelischen Philosophie, die nach einem ersten und zugleich letzten Grund für das Sein sucht. Bei Aristoteles ist es Gott als ‚unbewegter Beweger’. Nachdem der ‚unbewegte Beweger’ mit der Aufklärung entthront ist, bleibt die Figur der ‚Letztbegründungen’ dennoch erhalten. Sie taucht immer dann auf, wenn es darum geht, nach etwas ‚Ursprünglichem’ zu fragen, in dem Leben und Geschichte fundiert und so ontologisch auf ein sinnvolles Ziel, einen Telos, ausgerichtet sind. Mit der Wende vom vormodernen eher kosmozentrischen zum modernen anthropozentrischen Denken steht nicht Gott, sondern ‚der’ Mensch im Zentrum. Kraft seiner Vernunft kann er autonom sich selbst und der Geschichte Orientierung und Sinn geben.

In Felbers Berufung auf die Denkfigur der ‚Letztbegründung’ werden zwei Probleme deutlich: seine Orientierung an der Aufklärung sowie sein Versuch, sein Projekt in einem unanfechtbaren Fundament, d.h. folglich fundamentalistisch, zu verankern. Mit der Orientierung an der Aufklärung, ihrem autonomen Subjekt, das nicht mehr auf Tradition und Autorität, sondern auf der Vernunft gründet, macht er genau jene Philosophie zur Grundlage seiner Überlegungen, die den Kapitalismus in seiner Durchsetzung als ideologische Legitimation begleitet und die sich neu entwickelnde Gesellschaft dabei reflexionslos vorausgesetzt hatte. So konnte das (bürgerliche) Subjekt zu ‚dem’ Menschen, die Arbeit im Kapitalismus zu ‚der’ Arbeit und schließlich die Würde des bürgerlichen Subjekts als Handlungsträger der abstrakten Arbeit zur Würde ‚des’ Menschen geadelt werden. Weil die reale gesellschaftlich-geschichtliche Voraussetzung der Aufklärung nicht reflektiert, sondern schlicht vorausgesetzt wurde, konnte es dazu kommen, dass Subjekt, Vernunft, Arbeit etc. als ideologische Legitimationskategorien in der Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus ontologisiert und universalisiert wurden.

Herausgekommen ist dabei unter ökonomischem Aspekt der Mensch als ‚homo oeconomicus’ und unter staatlich-politischem und rechtlichem Aspekt der Mensch als ‚homo politicus’. Beider Vernunft und Handlungsmacht ist eingebunden in die übergreifende Form des Wert-Abspaltungsverhältnisses und seines Verwertungszusammenhangs, den Marx mit der paradoxen Formulierung des ‚automatischen Subjekts’ charakterisiert hatte. Abstrakt frei und gleich ist ‚der’ Mensch nur im Rahmen dieser Form. „Die Universalität seines Rechts auf Leben und Anerkennung im Rahmen der Menschenrechte ist real gebunden an seine ‚Wertschätzung’ als Arbeitskraft, als Kunde, an seine Verkaufs- und Finanzierungsfähigkeit. Nur die Existenz wird ‚wertgeschätzt’, die rentabel ist. Die abstrakte Universalität der Menschenrechte bleibt an die ‚Rentabilität’ des Menschen geknüpft" (Böttcher 2016a: 7).

Jener aufgeklärte Mensch, den Felber als ‚Letztbegründung’ seiner Gemeinwohlökonomie voraussetzt, ist weder autonom noch universal im Sinne von allgemein. Seine Autonomie reicht im Denken und Handeln nur so weit wie die Spielräume des Verwertungsprozesses reichen. Seine Universalität ist die universale Dominanz des weißen, westlichen Mannes als ‚homo oeconomicus’ und ‚homo politicus’. Ausgeschlossen bleiben die in der Reproduktion abgespaltenen Frauen ebenso wie Nicht-Weiße. Da bleiben die Würde des Menschen ebenso wie die darin fundierten Menschenrechte zunächst einmal den weißen Männern vorbehalten (vgl. Kurz 2004a und Späth 2011). Die spätere – von vielen sozialen Kämpfen begleitete – Ausweitung auf Frauen und Nicht-Weiße war vor allem eine formal-rechtliche Erweiterung. Worauf es bei der Anerkennung von (Menschen-)Rechten nämlich ankommt, ist die Nützlichkeit von Menschen innerhalb des Verwertungsprozesses. Trotz Menschenrechten und rechtlicher Gleichstellungen in den meisten nationalen Gesetzgebungen sind die Mehrheit der Menschen und gerade Frauen weiterhin real benachteiligt. Es ist also kein Zufall, dass gegenüber Menschen, die nicht verwertbar oder gar Kostenfaktoren für den Verwertungsprozess sind, die vermeintliche Universalität der Menschenrechte nicht gilt bzw. nicht durchgesetzt wird. „So verbinden sich der universelle Einschluss der Verwertbaren mit dem universellen Ausschluss der Nicht-Verwertbaren" (Böttcher 2016a: 7), die gleichwohl in Form ‚einschließender Ausschließung’ (G. Agamben) nicht einfach aus dem kapitalistischen Gesamtzusammenhang aussteigen können, sondern noch als Nicht-Verwertbare in den ‚eisernen Käfig’ (Max Weber) des globalen Kapitalismus eingeschlossen bleiben (vgl. hierzu Kurz 2003). Die Anerkennung in der Wert-Abspaltungsform ist somit gleichzeitig eine Selektion, die nach den objektiven Sachgesetzen der Verwertung und ihrer Konkurrenzverhältnisse sowie auf der Subjektebene nach ideologischen (sexistisch, rassistisch, antisemitisch und antiziganistisch) Kriterien geschieht.

Weil Felber die ‚Ideale’ der Aufklärung – immun gegenüber deren ‚Dialektik’ (T.W. Adorno / M. Horkheimer) oder vielmehr ihrer Funktion als Legitimation des Kapitalismus – unreflektiert voraussetzt, meint er naiv die ‚menschlichen Werte’ der Aufklärung auf die Wirtschaft übertragen und damit eine Alternative zum Kapitalismus formulieren zu können. Auf diese ‚menschlichen Werte’ lässt sich aber nicht einfach abstrakt zugreifen, weil sie mit dem kapitalistischen Formzusammenhang verbunden sind. Sie sind eben nicht ‚zeitlos’, sondern eingebettet in die Zeit des Kapitalismus und von ihr her bestimmt.

Felber meint von dieser bestimmten Zeit abstrahieren zu können, um je nach Bedarf ‚Zeitloses’ aus der Zeit herauszugreifen, um es als Legitimationsmaterial für seine Alternative verwerten zu können. So kritisiert er zwar Adam Smith’ ‚unsichtbare Hand’, durch deren wundersames Wirken sich das Wohl aller ereignen soll, meint aber idealistisch abstrahierend an Smith’ Begriff des ökonomischen Gemeinwohls anknüpfen zu können bzw. diesen anderweitig ‚füllen’ zu können. Auf der politischen Ebene ist ihm Rousseaus Werk ‚Vom Gesellschaftsvertrag’ wichtig. Dem Gemeinwohl als ‚allgemeinem’ Wohl entspricht hier der Begriff des ‚allgemeinen Willens’. Der Begriff eines ‚allgemeinen Willens’ „wirkt emanzipatorisch, weil er einen Prozess vorauszusetzen scheint, in dem freie Individuen sich in einem Vertrag darauf verständigen, wie sie zusammen leben wollen. Vor diesem Hintergrund wird auch heute nach einem neuen ‚Gesellschaftsvertrag’ gerufen. Er soll angesichts der Krisenerscheinungen das gesellschaftliche Zusammenleben auf eine neue Grundlage stellen, die das Gemeinwohl zum Ziel hat" (Böttcher/Kloos 2014: 5). Rousseau unterscheidet zwischen dem ‚Willen aller’ als Verständigung der Einzelnen über ihre partikularen Interessen und dem allgemeinen Willen, der dieser Verständigung und damit dem Willen der Einzelnen „vorausgeht, also a priori und transzendental bestimmt ist. Dieses dem einzelnen und seinem Willen vorausgesetzte Prinzip als eine Art ‚göttlicher Gesetzgeber’ ist nichts anderes als die gesellschaftliche vorausgesetzte Wert(-Abspaltungs)Form, die Unterwerfung der Gesellschaft unter den Selbstzweck der Vermehrung des Geldes (und ihrer abgespaltenen Momente; auch wenn all dies weder Rousseau noch anderen Auklärern bewusst gewesen war, D.K.). Individuelle Freiheit und staatliche Souveränität sind damit immer schon an den vorausgesetzten irrationalen Selbstzweck gebunden. Er erscheint als ‚Allgemeinwohl’. Gegenüber Hobbes erzwingt nun nicht mehr ein leviathanischer Despot von außen den gesellschaftlichen Zusammenhang. Vielmehr beginnen die Individuen sich den ‚äußeren’ despotischen Souverän ‚zu eigen’ zu machen. Der gesellschaftliche Zusammenhang erscheint nicht mehr willkürlich erzwungen, sondern als Willensform, als allgemeiner Wille. Unterwerfung wird zur Freiheit, zur Selbstunterwerfung unter ein abstraktes Prinzip" (ebd.: 5).

Das heißt: Weil eingebunden in die kapitalistische Form, haben wir weder als ‚homo oeconomicus’ noch als ‚homo politicus’, haben weder der Staat noch das nicht nur von Felber als quasi übermächtig angesehene Subjekt „die Freiheit, zu SchöpferInnen unseres eigenen Lebens zu werden" (Felber 2016/2015: 70), schon gar nicht dadurch, dass die vermeintlich ‚zeitlosen’ ideologischen Werte der kapitalistischen Gesellschaft zur Grundlage ihrer Überwindung gemacht werden. Die Affirmation der Aufklärung und der mit ihr und damit dem Kapitalismus verbundenen Kategorien und Werte wird zum Grab einer jeden Alternative, die sich auf sie beruft. Die Aufklärung kann also nicht gleichzeitig Grundlage des Kapitalismus und seiner Überwindung sein, sondern muss als Teil des Ganzen negiert werden, was Felber – trotz der Behauptung, auf der Suche nach dem Ganzen zu sein (Felber 2016/2015: 27-28) – nicht im Blick hat.

So unterliegt Felber einer ähnlichen Naivität, wie Jürgen Habermas, der meint, die kommunikativ strukturierte Lebenswelt neben die vom Produktionsparadigma bestimmte Ökonomie stellen und sie vor ihrer Kolonialisierung durch die Ökonomie sichern zu können (vgl. Habermas 1981/1982). Felber geht sogar noch darüber hinaus, insofern er glaubt, kommunikative Ziele und Werte wie Vertrauen, Ehrlichkeit, Kooperation auf die Ökonomie übertragen zu können. Die Werte, die in der Lebenswelt gelten, sollen auch in der Wirtschaft maßgebend sein und dadurch das Wohl aller – in beiden ‚Welten’ – mehren. Diese Sphären sind aber nicht einfach voneinander zu trennen und schon gar nicht lassen sich abstrakte kommunikative Werte auf die Ökonomie übertragen. Ökonomie und Lebenswelt müssen als Polarität ebenso überwunden werden wie Wert und Abspaltung, Markt und Staat oder Ökonomie und Politik, Objekt und Subjekt einschließlich ihrer aufgeklärten ideologischen Verewigung.

3.6 Die psychosoziale Matrix des (post-)modernen Subjekts und seine kulturellen und ideologischen Ausdrucksweisen

Neben der ethischen ‚Letztbegründung’ des Subjekts als ‚des’ Menschen in der Aufklärung, die – universal und vernünftig – allen über Einsicht zugänglich ist, verweist Felber noch auf eine zweite Grundlage für seine Gemeinwohlökonomie: eine Spiritualität. In ihr gibt es nicht einmal mehr eine ‚Letztbegründung’. Es gibt gar keine Begründung mehr. Vielmehr wird das Begründen durch Fühlen ersetzt und gegen Rationalität polarisiert. Gefühlt werden das „In-Beziehung-Sein (…) und die damit verbundenen Werte" (Felber 2015: 17), die „Allverbundenheit" mit der Natur (ebd.: 25f). Die Natur spricht zum Menschen. Und aus der Natur und aus dem Innern Menschen, dem menschlichen Herzen, spricht die unfehlbare Stimme des Selbst und offenbart ihre göttliche Botschaft als eine Orientierung, die nicht fremdbestimmt von außen kommt, sondern einem mit sich identischen Selbst entspringt. So wird der ‚Herzensgehorsam’ zum Gehorsam gegenüber dem eigenen Selbst. Eine Vermittlung des Selbst mit der gesellschaftlichen Totalität gibt es nicht. Sie verschwindet hinter der mystischen Verbundenheit über eine unmittelbare Beziehung zu anderen Menschen und zur Einheit mit der Natur. Da gibt es keine Dialektik im Blick auf die/den EinzelneN und die gesellschaftliche Totalität zu reflektieren.

Während in den ‚Letztbegründungen’ der Ethik die aufgeklärte Vernunft und das Subjekt als Handlungsträger zum letzten und alles tragenden Grund werden, ist es in der Spiritualität die gefühlte Verbundenheit, deren Träger das eigene Selbst ist. Ganz auf der Linie C.G. Jungs wird das Selbst zur Quelle der Heilung und des Heils. In ihm sprudeln die Quellen heilender Archetypen als Ur-Grund allen Lebens. ‚Werde, der du bist’ lässt sich in Anknüpfung an C.G. Jung als spiritueller Imperativ zum ‚Herzensgehorsam’ formulieren. Im Ursprung des Selbst ist alles schon gut ‚programmiert’. Alles kann gut werden, wenn es gelingt, über ökonomische und politische Barrieren hinweg den Zugang zu diesen Quellen zu erschließen. Das identitäre Ursprungsdenken der aufgeklärten Vernunft wird ergänzt oder wahlweise ersetzt durch einen heilenden Ur-Grund allen Seins. In diesem identitären Fundamentalismus werden ‚Denken’ und ‚Fühlen’ so eins, dass ‚Denken’ überflüssig zu werden scheint.

Felbers Berufung auf aufgeklärte Vernunft und esoterische Spiritualität plaudert einiges über den Zustand der Gesellschaft am Ende des Kapitalismus aus. Sie mündet ein in den Zustand einer ‚reflexionslosen Gesellschaft’ (Robert Kurz), die nicht in kritischer Reflexion der gesellschaftlichen Widersprüche und so im Blick auf ‚konkrete Totalität’ der Wert-Abspaltungsvergesellschaftung nach Emanzipation sucht, sondern sich in Pseudoalternativen rettet, die dem aufgeklärten Denken, das den irrationalen Selbstzweck der Vermehrung des Kapitals immer schon zur unreflektierten Voraussetzung hat, ebenso entsprechen sollen wie der Flucht in die Irrationalität einer mystischen All-Einheit. Sie sind darin miteinander verbunden, dass sie angesichts der nicht mehr zu bewältigenden Krise des Kapitalismus die Reflexion dieser Krise verweigern und so in der „Einheit von Krisenignoranz und Theorieverweigerung" (Kurz 2013: 210) zusammenfinden. Daraus entsteht das eklektizistisch zusammen geschusterte Alternativangebot einer Gemeinwohlökonomie, das auf Nachfrage bei Menschen stößt, die eine Alternative wollen, ohne durch das ‚Purgatorium kritischer Reflexion’ hindurch gehen zu wollen.

Es wird eine alternative Zuflucht für Menschen, die spüren, dass ihnen am Ende des Kapitalismus mit der abstrakten Arbeit ebenso wie mit der (bürgerlichen) Familie die Grundlagen ihres Subjektseins entzogen sind, die sich aber dennoch nicht von der Wert-Abspaltungsvergesellschaftung trennen wollen oder können, die verwildert auch dann weiter prozessiert, wenn ihre Grundlagen zusammenbrechen.

Die Psychoanalyse Freuds und ihre wert-abspaltungskritische Deutung durch Leni Wissen (vgl. Wissen 2017) helfen, Reaktionen auf die Krise von Arbeit (Produktion) und Familie als Ort der Reproduktion zu begreifen – etwa die aggressive Abwehr von kritischer Reflexion, die Überhöhung des Selbst angesichts des Zerfalls von Identitäten. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Möglichkeiten von Sublimierung des bürgerlichen Subjekts, die mit Arbeit und ihren Versprechen auf ‚Sinngehalt’ und/oder Wohlstand verbunden sind, zerbröseln. Die Zentrierung auf das eigene Selbst als erzwungene Reaktion auf die Krisenerscheinungen des Kapitalismus führt zu einem ‚narzisstischen Sozialcharakter’. Weder Triebsublimierung noch die Bindung an ein Objekt ergeben noch Sinn: Die Grundlagen des Triebaufschubs, der eine spätere Belohnung unterstellt und den Freud als ‚Kulturleistung’ zugunsten von Arbeit bzw. Leistungsverausgabung verstanden hat, zerbrechen immer weiter. Die Sublimierung wird durch das Bedürfnis nach Unmittelbarkeit, nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung ersetzt. So wird ein äußeres Objekt – sei es ein Mensch oder ein Inhalt – entweder vereinnahmt oder als Bedrohung abgewehrt. In dieser sozialpsychischen Matrix sind Inhalte nur dann von Bedeutung, wenn sie „in unmittelbarem Bezug auf das eigene Selbst wahrgenommen und verarbeitet werden" (Wissen 2017: 31) können bzw. als Fragen mit persönlichem Bezug Betroffenheit auslösen. Zudem sollen sie dann gleich handhabbar gemacht werden. Wenn weder unmittelbarer persönlicher Bezug noch konkretistische Bedienungsanleitung dabei sind, werden Inhalte als kränkende Überforderung oder Bedrohung ignoriert oder aggressiv abgewehrt.

Felber verbindet die Affirmation des Subjekts mit einem Angebot eines doppelten Auswegs aus den Überforderungen, denen es ausgesetzt ist, ohne den Zusammenhang mit der Gesellschaftsform begreifen zu müssen: den einer unmittelbar machbar erscheinenden Alternative, die verspricht, mit dem Kapitalismus zu brechen, ohne seinen Formzusammenhang begreifen und negieren zu müssen, sowie den einer Aufwertung des zerfallenden Subjekts durch seine eigene Überhöhung, in dem alles Gute schon im Ursprung gegeben ist und zu dem durch mystische Verschmelzung nur noch ein Zugang erschlossen werden muss. Dabei ist es kein Zufall, dass Felber C.G. Jung statt Sigmund Freud als Referenzpunkt wählt. Während das Freud’sche Ich über seine Triebstruktur nicht konfliktfrei und nicht ohne Auseinandersetzung mit einem ‚äußeren’ Objekt gedacht werden kann, bietet C.G. Jung das Ideal eines Selbst an, dem sich Menschen auf dem Weg, sie selbst zu werden, nur annähern müssen, ohne sich mit Widersprüchen kritisch auseinandersetzen zu müssen. Die Verbundenheit mit dem Selbst verspricht Harmonie und Verschmelzung.

Mit seiner ‚Spiritualität’ bedient er die post- und spätpostmodernen Bedürfnisse der Unmittelbarkeit von Erfahrung, die durch keine theoretische Reflexion getrübt werden will, sowie Harmoniesucht, Pluralität und das Aus-Sich-Selbst-Heraus-Denken bis hin zum heideggerianisch angehauchten Todestrieb: „Heimweh und Todessehnsucht können Synonyme für die Wiedervereinigung mit dem Ganzen sein" (Felber 2016/2015: 28).

Damit scheint er ein gesellschaftliches Bedürfnis und einen Nerv der Zeit getroffen zu haben: Bei immer mehr Menschen ist dies die Suche nach einem ‚Sinn’, an dem sie sich aufrichten und festhalten können sowie nach einer (am besten direkt umsetzbaren) Alternative zum übermäßig gestressten oder überflüssig erscheinenden eigenen Leben in der kapitalistischen Welt. Am besten wäre eine Alternative, die gar keine ist, eine, die in der Illusion wiegt, mit dem Kapitalismus gebrochen zu haben, aber es real doch bei den alten Bekannten von Arbeit, Geld, Staat, Aufklärung etc. belassen zu können.

4. Gemeinwohlökonomie: Die große Alternative, die keine ist!

Eine solche ‚Alternative’ hat Felber leider nur anzubieten. Damit dürfte auch das Geheimnis der großen Nachfrage zu erklären sein, auf die ihr Angebot stößt. Das Angebot hält aber nicht, was es verspricht: Die Gemeinwohlökonomie kann keine Alternative zum Kapitalismus sein, so sehr sie sich auch als solche inszeniert. Sie ist nichts anderes als eine (idealistische) Spielart desselbigen. Ihre ontologisierten Kategorien von Arbeit und Geld, Markt und Staat, Objekt und Subjekt sowie der abgespaltenen Reproduktion werden idealistisch aufgeladen, sodass der Kapitalismus mit anderem Design im gleichbleibenden Formzusammenhang weiterleben soll.

Die gesellschaftliche Form als negativ dialektisch und in sich gebrochene konkrete Totalität zu begreifen, liegt Felber fern. Und so steht in seinem Fokus das Bild einer von Interessen bestimmten Wirtschaft und Politik, die es direkt zu (re-)regulieren und zu modifizieren gilt. So bleibt er einem idealistisch-utopistischen Modelldenken verhaftet, das in einem unendlichen Prozess die schlechte Wirklichkeit asymptotisch dem Ideal anzupassen verspricht.

Felbers Idealbild scheint sich aus dem Bild eines Marktes mit kleinen und mittelständischen Unternehmen zu speisen; hinzu kommt eine globale politische Kontrolle, die im Idealfall transnationale Konzerne gänzlich unmöglich macht. Getragen ist dieses Bild von einem kleinbürgerlichen, irrationalen Glauben an die historische Ewigkeit der (tendenziell lokalen) Marktwirtschaft und ihre ‚heilenden Kräfte’. Die Verewigung eines ‚wirklich liberalen Marktes’ macht die Affirmation der kapitalistischen Gesellschaftsform wohl am deutlichsten. Nach dem Wegbrechen einer vermeintlichen realsozialistischen, etatistisch gewendeten Systemalternative meint nun Felber aus dem verbliebenen marktorientierten Strang des Kapitalismus eine Alternative modeln zu können.

Weil er im Glauben an die Ewigkeit und an die ständige Wandelbarkeit der gegebenen, kapitalistischen Realkategorien gezwungen ist, die Krise zu leugnen, muss ihm entgehen, dass diese immer schon destruktive gesellschaftliche Reproduktionsform (egal ob in ‚privater’ oder etatistisch-realsozialistischer Variante) an ihr Ende gelangt ist. Vor dieser Realität rettet weder ein esoterisches Gesundbeten noch aufgeklärte ‚Letztbegründungen’, die sich am ewigen Pendeln zwischen den kapitalistischen Polaritäten festhalten.

5. Fazit: Alternativen durch negative Bestimmung

Die Berufung auf ein abstraktes Allgemeinwohl oder auf die konkret erscheinende Felbersche Gemeinwohlökonomie vereint unterschiedliche Gruppen: Ob ökumenische Bewegung, entwicklungspolitische und ökologische NGO-Szene, oder auch social entrepeneurship und Hochschul-Gruppen – die Kreise, die die Berufung auf das Gemeinwohl bzw. die Gemeinwohlökonomie zieht, werden immer größer. Darin äußert sich zwar ein nachvollziehbares Unbehagen gegenüber dem Kapitalismus und seinen unzähligen zerstörerischen Phänomenen, die bumerangartig von der Peripherie in die Zentren der kapitalistischen Bestie zurückschlagen und ein Ignorieren der externalisierten Folgen unmöglich machen. Aber eine Vermittlung der wahrgenommenen Phänomene mit dem realgesellschaftlichen Zusammenhang10 geschieht nur verkürzt oder gar nicht. Entsprechend konkretistisch sind viele Projekte, und abstrakt die Visionen, die umgesetzt werden sollen.

„Die Spannweite (der Handlungen von sozialen Bewegungen, D.K.) reicht von der Flucht ins Konkrete bis ins Allgemeine – je nach Bedarf. Mal sind es konkrete Projekte oder konkrete Handlungsträger als Adressat von Forderungen, mal sind es auch allgemeine ethisch-moralische Appelle oder abstrakte Visionen, die Orientierung versprechen. Um jeden Preis vermieden werden soll jedoch die Frage, wie denn die einzelnen Erscheinungen von der Flucht von Menschen bis hin zur permanenten Verschlechterung der Arbeits- und sozialen Rahmenbedingungen, die uns ‚im schlechten Bestehenden’ begegnen, mit der Totalität der aufzuhebenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu tun haben" (Böttcher 2018: 358). Das Herumdoktern an Einzelaspekten und die unkritische und voraussetzungslose Affirmation gesellschaftlicher Kategorien können aber keine anti-kapitalistischen Alternativen hervorbringen und den kapitalistischen Käfig nicht sprengen.

Statt immer wieder neu nach positiven Handlungsoptionen und ‚konkreten’ Alternativen zu fragen oder gar illusionäre Modelle vorzuschlagen, die sich dann doch wieder als formimmanent erweisen und damit im Rahmen eines ‚ewig’ voranschreitenden Kapitalismus verharren, wäre die kapitalistische Gesellschaftsform entsprechend der Komplexität ihrer Vermittlungsebenen zu negieren und zu überwinden. Eine ‚bestimmte Negation’ (T.W. Adorno) würde dabei bereits ‚positive’ Pflöcke einschlagen können, nämlich diejenigen, die zeigen, wie es nicht geht. „Aus der Analyse der realen Widersprüche und der damit verbundenen Kritik kann sich eine soziale Bewegung bilden, die in einen praktischen Prozeß der Umwälzung eintritt. Dafür kann die kritische Theorie Kriterien entwickeln. Aber das Ergebnis steht nicht a priori als Modell fest, deshalb kann ein wirklich transzendierendes Denken nicht utopisch sein. Die kapitalistische Welt, die wir kritisieren, ist selbst nicht Resultat der Verwirklichung eines Modells, sondern das Resultat eines historischen Prozesses von komplexen Vermittlungen. Um aus dieser Welt hinaus zu kommen, bedarf es einer ebenso komplexen ‚Gegenvermittlung’, eines historischen Prozesses der Transformation. Daran muß ein Denken in positiven Modellen scheitern" (Kurz 2006).

Noch bei der Suche nach Alternativen zum Kapitalismus wird aber marktkonform agiert: „Wer eine (…) Gebrauchsanweisung einfordert, verlangt unbewusst, dass selbst noch die Überwindung der Marktgesellschaft nach dem gewohnten Muster des Kaufens und Verkaufens vonstatten gehen soll: er sieht die kritische Theorie in der Rolle des Verkäufers, der gefälligst ein Angebot mit garantiertem Rückgaberecht zu machen hat, und sich selbst in der Rolle des wählerischen (und ewig betrogenen) Konsumenten, der eine umfassende Produktinformation wünscht, um die erworbene Ware problemlos konsumieren zu können" (Kurz 2010/2006: 393).

Die Suche nach Alternativen zum Kapitalismus steht aber vor der Herausforderung, durch radikaler Kritik hindurchzugehen, wenn es nicht nur darum gehen soll, einzelnen Elemente der kapitalistischen Form umzumodellieren11: Dabei zeigt sich, dass mit der komplexen Wert-Abspaltungsform als Ausdruck und Vermittlung des gesellschaftlichen Zusammenhangs zu brechen ist, also mit der Produktion von Waren mittels Verausgabung abstrakter Arbeit und der weiblich konnotierten Abspaltung der Reproduktion als stummer Voraussetzung der Wertproduktion. Die einzelnen Realkategorien und ihre Darstellung in der historischen Realität müssen abgewickelt werden, ein Programm der Abschaffungen müsste entwickelt werden.

An Orten kritischer Reflexion auffindbare radikale Kritik kann deutlich machen, in welche Richtung Alternativen denkbar werden, ohne dass eine Blaupause entwickelt werden könnte. „Angesichts der Negation der Bedürfnisse durch die Abstraktion des Werts, die Negation der Fähigkeiten angesichts der Abstraktion der Arbeit und die Negation reproduktiven ‚Zeitverschwendens’ angesichts der minderbewerteten Abspaltung als Voraussetzung für die Produktion könnte die alte Formel ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen’ orientierende Kraft bekommen" (Böttcher 2011). Die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, den sinnvollen Einsatz menschlicher Fähigkeiten und natürlicher Ressourcen kann es aber nur geben, wenn die Befriedigung der Bedürfnisse und der Einsatz von Ressourcen zu diesem Zweck nicht mehr vermittelt sind über die Produktion abstrakten Reichtums im Rahmen der kapitalistischen Kategorien von Wert und Abspaltung auf den verschiedenen Ebenen von Produktion und Reproduktion.

Stattdessen wäre „an den Widerspruch zwischen Stoff und Form in der Immanenz kapitalistischer Vergesellschaftung" anzuknüpfen. „Grundlage des Kapitalismus ist natürlicher stofflicher Reichtum verbunden mit einem hoch entwickelten technologischen (…) Niveau. In der Wert-Abspaltungsform und der mit ihr verbundenen logischen Schranke kann es nur noch zu Verlängerungen und Verschärfungen der Krise und damit zur Verschärfung der Destruktionsprozesse kommen. Wir stehen also vor einer Situation, in der auf einem neuen Niveau Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse in Widerspruch zueinander geraten: Die stofflichen Möglichkeiten stehen im Widerspruch zum Gefängnis der Wert-Abspaltungsform. Sie ermöglichen es, diese Form zu sprengen, implizieren aber auch die Gefahr der Katastrophe in dieser Form" (Böttcher 2011).

Globale antikapitalistische Versuche könnten an das erreichte Niveau der Produktivkräfte andocken: „Auf deren Grundlage wäre es möglich, Produktionsmittel und Produkte ihrem stofflich-sinnlichen Inhalt entsprechend auf das zum Überleben und zum Genießen Notwendige auszurichten. In diesem Zusammenhang wäre eine gesellschaftliche Planung zu entwickeln. Ihre Aufgabe wäre es, die Ressourcenflüsse – die Grundlagen des Lebens – so zu koordinieren, dass sie der Reproduktion des Lebens dienen und nicht dem Wertgesetz unterworfen sind. Zu fragen wäre also, wie das Problem, das die bürgerliche Ökonomie unter den Begriff der ‚Allokation der Ressourcen’ fasst, ‚jenseits von Markt und Staat’ geregelt werden kann: Wie soll das funktionsteilige Zusammenwirken der Menschen in ihrer Reproduktion organisiert werden? Eine Gesellschaft, die dies organisiert, wäre nicht eine harmonische Gesellschaft ohne Konflikte und ohne Verlierer. Dennoch wäre der gravierende Unterschied zur Vergesellschaftung in der Wert-Abspaltungsform, dass Produktion und Verteilung nicht über eine universelle Konkurrenz vermittelt sind, die zugleich Ausdruck der abstrakten Herrschaft des Kapitalverhältnisses ist: Kein fetischistisches Medium würde mehr zwischen die gesellschaftlichen Individuen und die Welt treten" (Böttcher 2011). In dieser Perspektive, die auf einen bewussten statt fetischisierten Umgang mit den Dingen zielt, ließen sich Schritte zur Abwicklung des Kapitalismus entwickeln.

„Der vernünftige Umgang mit den Dingen selber ist (…) (dabei) nicht aus den Abstraktionen der kritischen Theorie herzuleiten, sondern diese kann nur als Begründung dafür dienen, dass sich die Individuen bewusst zu einer negatorischen Organisation zusammenschließen, um die kapitalistische Antivernunft zu sprengen, sich die gesellschaftlichen Potenzen anzueignen und in einem von den irrational betriebswirtschaftlichen Zwängen befreiten praktischen Umgang mit den Dingen, deren vernünftigen Gebrauch eigentlich erst herauszufinden ist, also die vom Kapitalismus in einer destruktiven Form hinterlassenen Produktivkräfte gewissermaßen ‚auszusortieren’, sie umzuformen, in andere Konstellationen zu bringen, teilweise auch wegen erwiesener Unsinnigkeit oder Gemeingefährlichkeit stillzulegen usw." (Kurz 2010/2006: 395-396; vgl. dazu auch Kurz 2004a: 89-152).

Erst die Negation der Wert-Abspaltungsvergesellschaftung und ihrer Real-Kategorien kann Überlegungen ermöglichen, wie hinreichend Nahrung usw. für alle produziert und verteilt werden könnte, oder wie ganze ‚Produktionen’ umgekrempelt werden müssten, um so ‚nachhaltig’ wie möglich für die Bedürfnisse von Menschen zu produzieren. Dies setzt aber jenen Bruch mit den kapitalistischen Kategorien von Wert und Abspaltung sowie den damit zusammenhängenden Ideologien, Symbolen und dem narzisstischen Sozialcharakter voraus. Zudem müssten solche Prozesse – durchaus ungleichmäßig – weltweit ablaufen: „Für einen neuen Antikapitalismus (…) wird es darauf ankommen, dass er als universelle, bewusst a-nationale (und damit antinationale), global vernetzte und kommunizierende Weltbewegung gleichzeitig unterschiedliche Formen und Ausgangsbedingungen entwickeln und in sich bergen kann" (Kurz 2010/2006: 402). Ob dies realisierbar ist, hängt zum einen davon ab, inwieweit sich Menschen von der kapitalistischen Form lösen können, zum anderen aber auch davon, wie eine solche Alternative gegen Widerstände erkämpft werden kann.


Literatur

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  1. Die Wert-Abspaltungskritik, die in diversen Publikationen expliziert wird – teilweise auch online unter www.exit-online.org, aber auch unter www.oekumenisches-netz.de –, basiert auf den zahlreichen Arbeiten von Robert Kurz, Roswitha Scholz und der Gruppe Exit (sowie zuvor Krisis). Besonders wichtige Werke sind: Kurz 1991, Kurz 2009/1999, Kurz (2013/1999), Kurz 2003, Kurz 2004a, Kurz 2004b, Kurz 2005a, Kurz 2005b, Kurz 2010/2006, Kurz 2010, Kurz 2011, Kurz 2012, Ortlieb 2009, Scholz 2011/2000, Scholz 2005, Scholz 2009 (Text in dieser Publikation); vgl. dazu auch zusammenfassend Böttcher 2012 und 2016a.^

  2. In den nächsten Jahren sollen weitere theoretische und praktische Ansätze betrachtet werden (so etwa Parecon (Participatory Economy), Commons/Gemeingüter, Postwachstumsökonomie, Öko-Sozialismus, Buen Vivir, Peer Economy etc., um beurteilen zu können, ob diese das Potential eines ‚Ausweges’ beinhalten, auch wenn – wegen der zunehmenden Anzahl – nicht alle Ansätze vorgestellt und diskutiert werden können.^

  3. Von mehr als 2300 Unternehmen und 200 Organisationen wird der Ansatz unterstützt, zahlreiche Personen und öffentliche Institutionen sowie Schulen und Universitäten aus halb Europa und weiten Teilen Lateinamerikas beteiligen sich; vgl. https://www.ecogood.org/de/community und Klappentext der Neuausgabe von 2018 (Felber 2018).^

  4. Aus dem Bereich der katholischen Soziallehre ist ebenfalls der Ansatz einer Gemeinwohl-Ökonomie bekannt (vgl. Sikora/Hoffmann 2001), der viele Ähnlichkeiten mit Felbers Positionen aufweist und eine Art Vorläufer seines Konzeptes darstellt, hier aber nicht analysiert wird.^

  5. Eine ausführliche Kritik an Felbers Geldverständnis hat Knut Hüller unternommen (vgl. Hüller 2014).^

  6. Die menschliche Arbeitskraft ist eine Ware, die auf dem (Arbeits-)Markt ver- und gekauft wird. Ihr Gebrauchswert besteht darin, dass sie Waren produzieren kann, wobei sie die einzige Ware ist, die mehr Wert produzieren kann als für ihre Reproduktion (Essen, Trinken, Wohnen, Erziehung, Ausbildung etc.) aufgewendet werden muss. Der Besitzer der Arbeitskraft kann sie über die Zeit, die zu ihrer Reproduktion notwendig ist (notwendige Arbeit),hinaus einsetzen. Die Mehr-Arbeit über die notwendige Arbeitszeit hinaus ist die Quelle des Mehr-Werts. Das Ergebnis der Mehr-Arbeit, also der Mehr-Wert, steht zwar dem Besitzer der Arbeitskraft zu (vor allem Unternehmen), da die Ware Arbeit vorab gekauft wurde und damit das Recht, ihren Gebrauchswert und sein Ergebnis zu nutzen. Allerdings verläuft die tatsächliche Aneignung bzw. genauer ausgedrückt Realisierung des Mehr-Werts wiederum konkurrenzvermittelt auf der Zirkulationsebene ab. Das heißt, dass sich Einzelkapitale (vulgo Unternehmen) auf gesamtgesellschaftlicher, global gewordener Ebene, in Konkurrenz zueinander Anteile an der Gesamt-(Mehr-)Wertmasse sichern. Dies geschieht unabhängig davon, wie viel Wert durch die Verausgabung von Arbeit in ihrer eigenen Produktion in diese Wertmasse eingeflossen ist (vgl. ausführlich dazu Kurz 2012). So kommt nach der Realisierung des Werts im Tausch am Ende Mehr-Geld heraus, das z.T. wieder in dem Verwandlungsprozess von G-W-G’ eingesetzt wird. Damit ist der Selbstzweck der Veranstaltung klar geworden: aus Geld mehr Geld zu machen.^

  7. Vgl. hierzu diverse Texte von Claus-Peter Ortlieb unter https://www.math.uni-hamburg.de/home/ortlieb/.^

  8. Dass einige wenige Staaten sich weniger verschulden als andere, ist den globalen Defizitkreisläufen und den damit entstandenen makroökonomischen Ungleichgewichten geschuldet, aber kein Gegenargument gegen die globale Verschuldung, die überall und in sämtlichen Bereichen auch empirisch offensichtlich ist (vgl. u.a. Mckinsey 2017).^

  9. Dass damit auch einige persönliche Freiheiten (zunächst nur für weiße Männer) im Vergleich zum autoritären Absolutismus (und seinen mittelalterlich-feudalistischen Restbeständen) einhergingen, wird hier logischerweise nicht verneint, aber es war der Weg von einem gesellschaftlichen Käfig in den nächsten und ganz und gar keine Emanzipation, wie sie von der Aufklärung verklärt wurde (s. Kap. 3.5).^

  10. Zu einer Kritik eines verkürzten Realitätsbegriffs vgl. Scholz 2018.^

  11. Dabei ist klarzustellen, dass der humanitäre Einsatz gegen die Zumutungen des Kapitalismus (ob gegen schweinische Arbeitsbedingungen, gegen Abschiebungen oder auch für mehr Brunnen…), der das Leid von Menschen lindert, als unbedingt notwendig erachtet wird. Dieser kann aber nicht den Anspruch erheben, eine Strategie zur Überwindung des Kapitalismus zu sein; nur die Verbindung von ‚humanitären’, aber auch ‚politisch-immanenten’ Aktivitäten mit einer radikalen Kritik der Verhältnisse könnte ein Ansatz sein, die kapitalistischen Widersprüche deutlich und damit sprengbar zu machen.^




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