Der Text geht zurück auf eine Tagung des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saar, von pax christi Trier und dem Institut für Theologie und Politik im Januar 2020. Dieser etwas abgewandelte und ergänzte Text erschien in erster Fassung in dem Sammelband des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saar (Hg.), Bruch mit der Form: Die Überwindung des Kapitalismus in Theorie und Praxis. Ein Dank an langjährige Vorstandsmitglieder und die Weiterführung des ‚Gesprächs‘ von Gesellschaftskritik und Theologie, Koblenz 2020.
Badious Paulus als politisch-theologische Steilvorlage?Kurzschlüsse in gesellschaftskritischer TheologieHerbert BöttcherAlain Badiou, französischer Philosoph und Kommunist, ist auch in gesellschaftskritischer Theologie angekommen. Im Horizont der von Johann Baptist Metz entwickelten ‚politischen Theologie‘ sucht Philipp Geitzhaus, seinerzeit Mitarbeiter beim Institut für Theologie und Politik in Münster, nach Anschlussmöglichkeiten an die politische Philosophie von Alain Badiou (Geitzhaus 2018). Er bezieht sich vor allem auf Badious Paulusrezeption, in der die Konturen seiner Philosophie deutlich werden (Badiou 2009). Darin spielen Kategorien eine Rolle, die auch für die ‚politische Theologie‘ von zentraler Bedeutung sind: die Frage nach dem Subjekt und seiner (revolutionären) Handlungsfähigkeit ebenso wie die Frage nach einer universalen Wahrheit angesichts des Erstarkens eines identitären Partikularismus. Die aktuelle Faszination, die von Badiou ausgeht, liegt in der Situation des globalisierten und postmodernen Kapitalismus begründet. Seine vermeintliche Alternativlosigkeit provoziert die Frage, wie das ohnmächtig gewordene Subjekt Handlungsfähigkeit zurückgewinnen kann. Das ist nach Badiou nur möglich, wenn es Träger einer Wahrheit sein kann, die an alle adressiert und damit universal ist. Im Horizont dieser Fragestellungen wird für Badiou Paulus interessant. In ihm sieht er eine Figur, die durch ein Ereignis zum Subjekt einer Praxis geworden ist, die an alle adressiert ist und auf die Gleichheit aller zielt. Sie bricht mit dem Bestehenden und eröffnet so neue Handlungsmöglichkeiten. Damit wird Paulus zum Träger einer neuen militanten Praxis. Sie generiert eine universale Wahrheit und markiert einen Bruch mit dem bisherigen Denken und Handeln. Berührungspunkte mit der ‚politischen Theologie‘ von J.B. Metz lassen sich in seinem Verständnis christlichen Glaubens erkennen. Er beschreibt ihn als „eine Praxis in Geschichte und Gesellschaft, die sich versteht als solidarische Hoffnung auf den Gott Jesu als den Gott der Lebenden und der Toten, der alle ins Subjektsein vor seinem Angesicht ruft“ (Metz 2016, 97). Auch bei Metz geht es um die Frage nach dem Subjekt-Werden. Sie zielt insofern auf Universalität, als es um das Subjektsein aller geht. Die Wahrheit, die darin zur Geltung kommt, ist eine praktische, weil auf Verwirklichung ausgerichtete Wahrheit. Auch die praktische Wahrheit des Glaubens bricht sich an der vermeintlichen Alternativlosigkeit der kapitalistischen Verhältnisse, deren Krise immanente Handlungsmöglichkeiten schwinden lassen. Das durch seine Handlungs- und Reflexionsfähigkeit bestimmte und auf Universalität ausgerichtete Subjekt ist zudem in den Prozessen der Individualisierung auf sich selbst und auf sein Krisenmanagement als durch Konkurrenz bestimmtes „unternehmerisches Selbst“ (Bröckling 2013) zurückgeworfen. Damit gerät die für die ‚politische Theologie‘ konstitutive „Verknüpfung von Subjektwerdung und Solidarität“ (Lis 2019, 288) in die Krise. Da Solidarität als ‚universale Solidarität‘ verstanden wird, ist sie durch identitäre Partikularismen ebenso bedroht wie die Universalität des Gottesglaubens1 durch einen jeden universalen Wahrheitsanspruch in Frage stellenden postmodernen Pluralismus. Angesichts der gemeinsamen Problemlagen und Aporien liegt es auf den ersten Blick für ‚politische Theologie‘ nahe, an Badiou anzuknüpfen, scheint er doch durch seine Neubegründung von Subjekt, Praxis und universaler Wahrheit Auswege aus Alternativlosigkeit und lähmender Handlungsohnmacht ebenso wie aus bedrohlichem Partikularismus anzubieten. Im Folgenden wird es um die Frage gehen, ob Badious Denken an die ‚politische Theologie‘ anschlussfähig sein kann: zum einen unter dem Aspekt der Denkformen, also der das jeweilige Denken formenden Kategorien, zum zweiten unter dem Aspekt einer Weiterentwicklung ‚politischer Theologie‘ im Zusammenhang einer Kritik des Kapitalismus, die – wie die Wert-Abspaltungskritik – den Kapitalismus als „konkrete Totalität“ (Scholz 2009) versteht und damit in der Auseinandersetzung mit seiner konkreten Verlaufsgeschichte den Formzusammenhang der kapitalistischen Verhältnisse zum Gegenstand der Kritik macht.
1. Zur Kontextualisierung ‚politischer Theologie‘ und Badious politischer PhilosophieCharakteristisch für das Denken von J.B. Metz ist sein Verständnis von Theologie als einer Theologie „in Geschichte und Gesellschaft“ (Metz 2016a). Dabei sind „Geschichte und Gesellschaft“ nicht als Feld zu verstehen, auf das ontologische Wahrheiten der Theologie angewendet werden, sondern als für das theologische Denken konstitutive Kategorien. Die von „Geschichte und Gesellschaft“ bestimmte Situation gehört zum Denken der Theologie. Deshalb kommt theologisches Denken nicht ohne die „Besonderheit einer Situationsvergewisserung“ (ebd., 25) aus. Die Situation, vor der theologisches Denken in der Gegenwart steht, hat Metz mehr und mehr als „Situation nach Auschwitz“ (Metz 2017, 45ff) bestimmt, die er im Zusammenhang der Katastrophen sieht, die mit der Moderne einhergehen. Mit dieser Kontextualisierung steht das Christentum „vor der Frage, ob es die Katastrophengeschichte unserer Zeit und den damit verbundenen Kontingenzschock wahrgenommen hat, der es ihm verwehrt, von Gott ausschließlich in abstrakter, leidfreier Begrifflichkeit, sozusagen außerhalb der konkreten menschlichen Leidensgeschichte zu reden“ (ebd., 45f). Solche Situationsbezogenheit steht gegen idealistisches Denken in der Theologie, in dem Sinn und Heil, Wahrheit und Rettung ontologisch als zeitlose Wahrheit gesichert erscheinen, und das sich durch die Leidensgeschichten der Menschen nicht irritieren lässt. Entsprechend versteht Metz seine ‚politische Theologie‘ als ‚nachidealistische‘ Theologie (Metz, 2016b, 125-142). In seinem Versuch, Theologie ‚nachidealistisch‘ zu formulieren, greift er Adornos Kritik an vermeintlich zeit- und geschichtslosen Ontologien und dessen negativ-dialektisches Denken auf. Demnach straft „die kleinste Spur sinnlosen Leidens in der erfahrenen Welt … die gesamte Identitätsphilosophie Lügen, die es der Erfahrung ausreden möchte … Darum ist Identitätsphilosophie Mythologie als Gedanke“ (Adorno 2003, 203; vgl. auch Adorno 2008). Wenn es um die Anschlussfähigkeit ‚politischer Theologie‘ an Badious Denken im Blick auf seine Paulusrezeption und darin um „die Begründung des Universalismus“ (Badiou 2009) geht, ist Badiou vor dem Hintergrund einer situationsbezogenen und nachidealistischen Perspektive auf die Kontextualisierung seiner Paulusinterpretation zu befragen. Er schreibt sein Paulus-Buch Mitte/Ende der 1990er Jahre. Dabei spielt die Beobachtung eine Rolle, dass sich in Frankreich mit der „Installation der Partei Le Pens“ (ebd.,16) ein „Identitätsfanatismus“ (ebd., 17) ausbreitet. Er ist geprägt von einer identitären Logik, die Frankreich den Franzosen zuschreibt und die eigene Nation gegen alle abgrenzt, die nicht Franzosen sind. Badiou sieht sie im Zusammenhang dessen, was er „die kapitalistische Monetäre Abstraktion“ (ebd., 17) nennt. Mit diesem Begriff zielt er auf die „ständige Ausweitung der Automatismen des Kapitals“ (ebd.) auf dem Weltmarkt. Während das Kapital auf dem Weltmarkt frei zirkulieren kann und dabei mit Prozessen der Homogenisierung verbunden ist, wird die „Zirkulation von Personen“ (ebd.) eingeschränkt. Eine identitäre Logik zeigt sich auch in der Affirmation kultureller Vielfalt. Auch sie ist mit dem Weltmarkt verknüpft, da sie den Anstoß „zu neuen Produkten, zu speziellen Zeitschriften, zu ‚freien‘ Einkaufszentren...“ (ebd., 18) gibt. Die ‚monetäre Abstraktion‘ geht also einher mit einer „kulturalistischen und relativistischen Ideologie“, einem „Prozess der Fragmentierung in geschlossenen Identitäten“ (ebd., 17). Badious Beobachtungen lassen sich so zusammenfassen: „Während die Bewegungen des Kapitals den Raum homogenisieren, bilden sich gleichzeitig subjektive und nationale Identitäten aus. Sie werden zum Anknüpfungspunkt einer nationalen Identitätspolitik, die mittels des Rechts diejenigen verfolgt, die nicht in den Raum nationaler Identitäten eingeschlossen sind“ (Böttcher 2019, 89). Die monetäre Homogenität des Kapitals als dessen abstrakte und falsche Universalisierung sowie die Partikularitäten von Teilmengen konstituieren eine vermeintlich alternativlose gesellschaftliche Situation. Einen Ausweg kann es nur über einen Bruch geben, der eine universale Singularität bzw. einen singulären und wahren Universalismus ermöglicht. Die Sehnsucht nach einem solchen Bruch verbindet sich mit der „Suche nach einer neuen militanten Figur … einer Figur, die berufen wäre, derjenigen nachzufolgen, die am Beginn des Jahrhunderts Lenin und die Bolschewiken verkörpert haben und die man als Kämpfer im Dienst der Partei ansehen kann“ (Badiou 2009, 8). Dabei kommt Paulus in den Blick. Er steht für die Verbindung „zwischen der generellen Idee eines Bruchs, eines Umsturzes, und der einer Praxis und eines Denkens …, welches die subjektive Materialität dieses Bruches darstellt“ (ebd.). Paulus hat mit identitärem Partikularismus gebrochen und einen singulären Universalismus bzw. eine universale Singularität begründet. Singularität und Universalität sind so miteinander verbunden, dass die Partikularitäten vom Prinzip der Egalität, wie es in Gal 3,28 – „nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich“ – grundgelegt ist, relativiert, außer Kraft gesetzt oder überwunden werden. Nach Badiou hat Paulus „eine kulturelle Revolution ausgelöst“ (ebd., 24), „indem er entschied, dass niemand von dem, was eine Wahrheit fordert, ausgenommen ist“ und dabei „das Wahre vom Gesetz losriss“ (ebd., 23f). Auf den ersten Blick gibt es also eine Reihe von Berührungspunkten zwischen Badious politischer Philosophie und der ‚politischen Theologie‘. Was auf den ersten Blick so nahe beieinander zu liegen scheint, wird aber in sehr unterschiedlichen Ansätzen des Denkens entfaltet. Die Differenzen verschärfen sich noch, wenn die ‚politische Theologie‘ aus der Perspektive radikaler Kapitalismuskritik, wie sie als Kritik von Wert und Abspaltung von Robert Kurz und Roswitha Scholz entwickelt worden ist, selbst noch einmal kritisch reflektiert wird und so Möglichkeiten ihrer Korrektur und Weiterentwicklung in den Blick kommen. Beide Differenzen – die zwischen Metz und Badiou und die die zwischen Metz und radikaler Kapitalismuskritik – sollen im Folgenden deutlich gemacht werden. 2. Badious Philosophie und die Begründung des Universalismus mit Paulus2Paulus ist für Badiou ein Beispiel, an dem er seine Philosophie darstellt. Sie lässt sich als Frage nach der Beziehung zwischen Ereignis und Sein (Badiou 2016) charakterisieren. Das Ereignis lässt in der Geschichte eine Möglichkeit erscheinen, „die unsichtbar, sogar undenkbar war“ (Badiou 2012, 17). Es stellt einen Einschnitt, einen Bruch dar, der die Gesamtlage verändert. Die Wahrheit des Ereignisses wird in einem „generischen Prozess“ hervorgebracht. Dieser Prozess bringt nicht nur die Wahrheit, sondern auch das Subjekt hervor (Badiou 2016, 439ff). Es entsteht dadurch, dass Menschen die Möglichkeiten ergreifen, die ihnen das Ereignis eröffnet, und ihm die Treue halten. Die Wahrheit des Ereignisses darf nicht so missverstanden werden, als setze sie „eine inhaltlich definitive und substantielle Wahrheit frei“ (ebd., 161). Sie bleibt offen, unbestimmbar und kann nur als generische, d.h. in Treue zum Ereignis entstehende Wahrheit verstanden und in geschichtlichen Veränderungsprozessen dadurch zur Geltung kommen, dass Subjekte dem Ereignis die Treue halten. Im Unterschied zu postmodern dekonstruktivistischem Denken ist Badious Wahrheit zurückgebunden an das Sein, also an eine allgemeine, d.h. ontologische Wahrheit. Sein ist aber nicht Sein in der Einzahl, kein 'unum', sondern Sein in der Unendlichkeit von Mannigfaltigkeiten, die unendlich in neue Mannigfaltigkeiten zerlegbar sind. Mannigfaltigkeiten ‚bestehen‘ – wie Badiou unter Berufung auf die Mengenlehre darstellt – aus einer substanzlosen Leere3 ohne inhaltliche Bedeutung. Sein steht also für „Mannigfaltigkeiten, die in die Unendlichkeit gehen und als letztes Ende nichts als die bedeutungslose Leere haben“ (Badiou 2012, 155). Aus dieser Unbestimmbarkeit, d.h. aus solcher Inhalts- und Objektlosigkeit kann mit dem Ereignis etwas Neues entstehen. Das Ereignis stellt das an der Mengenlehre gewonnene rein formale ontologische Denken in den Kontext politischen Denkens. In ihm blitzt die Leere auf, die unter der Struktur verborgen ist bzw. von den herrschenden Zuständen unterdrückt wird. Es ist Ergebnis der Immanenz einer Welt, die in einer leeren Vielheit gründet, und deren unendliche Vielheit Bestandteil ihrer Immanenz ist. Das Ereignis bricht also gleichsam aus dem Nichts in die Geschichte ein und löst eine Wahrheitsoperation oder einen Wahrheitsprozess aus. Aber auch sie bleiben leere, nicht mit Inhaltlichkeit verbundene Verfahren. Sie generieren eine Wahrheit, die zurückgebunden ist an eine Wahrheit, die ihren ontologischen Grund in einer leeren Vielheit hat. Damit das Ereignis ein Wahrheitsverfahren – eine Wahrheitsoperation oder einen Wahrheitsprozess – auslösen kann, muss es selbst inhaltlich leer bleiben. Für Paulus – so Badiou – ist das Ereignis eine Stimme, die ihn auf seinem Weg zur Verfolgung der Christen_innen unterbricht und ihn zum Apostel des von ihm verfolgten Messias macht. In dieser Bekehrung erkennt er die Wahrheit seiner Existenz. Sie macht ihn zum Subjekt, zum militanten Kämpfer für die Wahrheit einer Universalität, die mit den Grenzen zwischen Juden und Griechen ethnische und kulturelle Differenzen überwindet. Das Ereignis der Bekehrung wiederum ist „das subjektive Zeichen des eigentlichen Ereignisses, welches die Auferstehung Christi ist“ (Badiou 2009, 26). Dieses Ereignis beruht auf einer Fabel, deren einziger geschichtlicher Bezug die – inhaltlich jedoch zu vernachlässigende – Realität das Kreuzes ist. Als reines Ereignis ohne Inhalt bedeutet die Auferstehung die „Eröffnung einer Epoche, Veränderung der Beziehung zwischen Möglichem und Unmöglichem“ (ebd., 58). In Treue zum Ereignis der Auferstehung, das den Bruch mit dem Bestehenden markiert und neue Möglichkeiten eröffnet, kann Paulus sich als ein militantes Subjekt konstituieren, eine neue Praxis verwirklichen und darin die Wahrheit des Universalismus generieren. Kritisch können die folgenden Aspekte festgehalten werden. 2.1 Das Ereignis – eine Geschichte ohne GeschichteDie Ereignisse der Bekehrung des Paulus und der Auferstehung Christi geschehen zwar in der Geschichte. Sie sind formal geschichtlich, aber bleiben ohne inhaltliche Bedeutung. Entscheidend ist, dass sie Paulus zum Subjekt einer neuen Praxis und eines Wahrheit generierenden Prozesses machen. Damit löst Badiou die reale Geschichte in Geschichtlichkeit als Existential menschlicher Existenz auf. Geschichte und Gesellschaft haben in seinem Denken kategorial keinen Platz. Mit der Geschichtslosigkeit verbindet sich die Objektlosigkeit von Badious Denken. Indem er die Wahrheit strikt mit der Leere des Ereignisses verbindet, trennt er sie von inhaltlicher Gegenständlichkeit. In Badious Interpretation des Paulus wird dies daran deutlich, dass der von Paulus verkündete Jesus von seiner Geschichte und damit von der Inhaltlichkeit seines Lebens getrennt wird. Badiou gesteht lediglich zu, dass Jesus am Kreuz hingerichtet wurde. Für Paulus jedoch ist die Inhaltlichkeit wesentlich, die mit dem Kreuz des Auferstandenen verbunden ist. Ohne sie macht die Rede von der Auferstehung keinen Sinn, gerade weil sie leer bleibt. Obwohl oder gerade weil Paulus keine Erzählungen über das Leben Jesu weitergibt, markiert das Kreuz den Bezug auf die Inhaltlichkeit des Lebens Jesu als eines Lebens, das im Widerspruch zur Herrschaft Roms steht. Deshalb ist das Kreuz kein Zufall, sondern die Konsequenz, die Rom aus dem Leben des Messias gezogen und exekutiert hat. Wenn das Kreuz in seiner herrschaftskritischen Inhaltlichkeit gesehen wird, kann auch die Rede von Jesu Auferstehung nicht inhaltsleer bleiben, sondern verbindet sich mit der inhaltlichen Aussage: Gott hat dem von Rom im Namen seines Gesetzes Verurteilten und Hingerichteten Recht gegeben. Er hat Rom ins Unrecht gesetzt und so Roms Herrschaft delegitimiert. Mit der Inhaltlichkeit verschwindet bei Badiou die für Paulus wesentliche Kritik an der römischen Herrschaft. Durch die Ontologisierung einer leeren Vielheit und ihrer Verbindung mit einem leeren Ereignis, das zwar ‚geschichtlich‘ ist, aber leer und objektlos bleibt, eliminiert Badiou gerade jenen ‚Zeitkern‘, der für das Denken von Wahrheit unverzichtbar ist und die Wahrheit kategorial mit der Geschichte verbindet. Weder die historische Situation römischer Herrschaft noch die heutige ‚konkrete Totalität‘ kapitalistischer Vergesellschaftung haben in Badious philosophischen Kategorien Platz. 2.2 Begründungslose Wahrheit und Dezisionismus als Ermächtigung zum HandelnAls subjektive Widerfahrnis ist das leere Ereignis der Begründbarkeit und Analyse entzogen. An die Stelle kritischer Reflexion tritt das aus dem religiösen Kontext entliehene Bekenntnis zum Ereignis. Sein Wahrheitsgehalt kann zwar nicht begründet, wohl aber in existentieller Treue zum Ereignis bezeugt werden. Grundlage dafür ist eine existentielle Entscheidung. Sie verbindet sich mit dem Willen, dem Ereignis die Treue zu halten. Über den Weg der Entscheidung und der Treue konstituiert sich das Subjekt in einer universalen Singularität oder in einem singulären Universalismus neu und gewinnt seine Handlungsfähigkeit zurück. Das entschwundene ‚revolutionäre Subjekt‘ ist als militanter politischer Aktivist auferstanden. Die Annahme des Ereignisses lässt Rettung aus dem Nichts imaginieren, ohne die konkrete Totalität kapitalistischer Gesellschaft analysieren und negieren zu müssen. In der Trostlosigkeit ohnmächtiger Selbstunterwerfung unter die zur Uniformität zwingenden Verhältnisse verspricht die entschiedene existentielle Annahme des Ereignisses einen Ausweg, bei dem die Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung unbegriffen und unangetastet bleiben kann. 2.3 Weder jüdischer noch griechischer Diskurs als Weg zum Universalismus?Mit dem in einer Ontologie leerer Mannigfaltigkeit gründenden leeren Ereignis zielt Badiou auf einen ‚wahren‘ Universalismus, der sich dem ‚falschen‘ Universalismus der ‚monetären Abstraktion‘ und ihren identitär geschlossenen Mengen, also identitärer Singularität, entgegensetzt und eine Praxis ‚wahrer‘ Universalität ermöglicht. Paulus eröffnet den Weg zu solch ‚wahrem‘ Universalismus, weil er sich von der Partikularität des jüdischen und griechischen Diskurses befreit. Wenn Badiou Paulus als Paradigma für seine Begründung des Universalismus vereinnahmen will, muss er ausblenden, dass es Paulus nicht um kulturalistische Diskursanalyse, sondern um die Kritik geschichtlicher Herrschaft geht. Hinter Badious Interpretation des Paulus verschwindet die reale Herrschaft Roms und das Leiden von Menschen unter dieser Herrschaft. Dafür steht bei Paulus das Kreuz Christi und das Leben des Gekreuzigten. Löst sich das Kreuz Christi in der Symbolisierung der ‚Schwachheit‘ von Diskursen auf, die auf Zeichen und Beweise verzichten, wird die Kreuzigung von dem Gekreuzigten und damit vom realen Zusammenhang mit der römischen Herrschaft und ihren Opfern getrennt. Die historische Wirklichkeit verflüchtigt sich in eine geschichtsferne Unsagbarkeit oder in die vermeintliche Zeitlosigkeit ontologischer Wahrheiten und deren Existenzialisierung. Nur so jedoch wird Paulus tauglich für die Exemplifizierung für Badious Ereignis, dessen Begründungslosigkeit durch Dezisionismus kompensiert und als „Antiphilosophie“ (ebd., 68) gefeiert wird. Das Subjekt verdankt seine Handlungsfähigkeit nicht einer Erkenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern einem gnadenhaften Charisma, der Gabe eines aus dem Nichts hereinbrechenden begründungslosen leeren Ereignisses. „Für Paulus besteht zwischen dem Universalismus und dem Charisma, zwischen der Kraft der universalen Botschaft des Einen und der absoluten Unbegründetheit des Kämpfertums, eine fundamentale Verbindung“ (ebd., 97). Der Bezug zur Wirklichkeit wird hergestellt durch den souveränen Willen, der im Akt der Entscheidung Wirklichkeit setzt. Was als Wahrheit gilt, entscheiden begründungslose Überzeugungskraft und Stärke, die sich letztlich als Wille zur Macht durchsetzen. 2.4 Unter dem Patronat von Nietzsche und Heidegger?Die Leere des Seins und des Ereignisses erinnern an Nietzsches Nihilismus (vgl. Rudhof-Seibert 2020). Er ergibt sich aus dem von Nietzsche proklamierten „Tod Gottes“. An die Stelle des einen Gottes tritt bei Badiou das Sein als Mannigfaltigkeit. Sie ist kein Verlust, die als desorientierender Nihilismus zu erleiden wäre, sondern zu bejahende „erste aller Wahrheiten“ (Rudhof-Seibert 2020, 77). Die Wahrheit der Leere bzw. des Nichts tritt an die Stelle des Seins. Sie fundiert Ereignis, Subjekt und Wahrheitsprozess in einer leeren Immanenz. Dies mündet in eine Ethik, deren ‚höchstes Gut‘ die Treue des Subjekts zum leeren Ereignis und seiner leeren Wahrheit ist. Darin findet das Subjekt zu seinem Da-Sein. Bei solchen ontologischen Konstruktionen und dezisionistischen Existenzialisierungen ist der Ober-Ontologe Heidegger – nach Badiou „der letzte Philosoph der universell anerkannt werden kann“ (Badiou 2016, 15) – nicht allzu weit. Seine Präsenz in Badious Ontologie der Leere ließe sich sogar angelehnt an traditionelle christliche Trinitätstheologie formulieren: Die ontologische Leere der Mannigfaltigkeit als der leer gewordene Gott (Vater) lichtet sich, erschließt sich in der Leere des Ereignisses als dem inkarnierten, nun aber inhaltslosen Sohn. Diese Erschlossenheit eröffnet dem Subjekt die Möglichkeit des ‚Da-Seins‘ in der Wahrheit, das Existieren im Geist auf dem Weg einer Ethik der Treue. Hier wird das sich erschließende Sein zum vom Subjekt bejahte Entschlossenheit. Nun ist der entscheidende Unterschied zu Heidegger nicht zu übersehen. Während bei Heidegger das Sein mit Bedeutung und einer Aura der Erhabenheit aufgeladen ist, ontologisiert Badiou die Abwesenheit von Bedeutung in einer Ontologie der Leere. Darin ist er aber Gott nicht losgeworden. Er ist als Fetisch in die Immanenz eingewandert. Seine Zeitlosigkeit als Herrschaft über die Zeit verschmilzt mit einer immanenten Unendlichkeit, aus deren Leere sogar Rettung als Heil, Ereignisse als Heilsereignisse generiert werden sollen. Solange eine „erste aller Wahrheiten“ in einer Ursprungsphilosophie gesichert und bejaht werden soll, ist dem Bann und den Verblendungszusammenhängen identitär-idealistischen Denkens nicht zu entkommen, mag es sich noch so erhaben atheistisch gebärden. Mit ihr verbunden ist der affirmative Charakter des Denkens und die Distanz zu einer negativ kritischen Dialektik.
2.5 Antidialektik und leerer FormalismusGegen die Dialektik des Hegelschen Totalitätsdenkens positioniert Badiou sein antidialektisches Denken. In seiner Paulus-Interpretation verdeutlicht er es in einem antidialektischen Verständnis von Tod und Auferstehung. Darin setzt sich Badiou von Hegels dialektisch gedachter Selbstentäußerung des Absoluten bis hinein in seine Passion ab. Badious Kritik zielt darauf, dass es im dialektischen Denken der Selbstentäußerung des Absoluten eine „wesentlich erlösende Funktion des Leidens und des Martyriums“ gebe, während die Auferstehung „lediglich die Negation der Negation“ (ebd., 83) sei. Darin werde das Leiden überhöht, während das Böse als notwendiges Übel im Gang des Fortschritts in der Selbstentäußerung des Absoluten und der Rückkehr zu sich selbst gerechtfertigt werde.
Für Paulus – so Badiou – ist das Ereignis nicht der Tod, sondern die Auferstehung. Der Tod ist lediglich ein inhaltlich zu vernachlässigender Anhalt an der Realität, die Träger von etwas anderem ist: dem Ereignis der Auferstehung. Schwachheit und Erniedrigung, die an Jesu Tod sichtbar werden, werden bei Badiou zum Ausdruck für die Zerbrechlichkeit des Ereignisses, dessen Schatz „in zerbrechlichen Gefäßen“ (1 Kor. 4,7) bewahrt wird und dessen Wahrheitskraft „in dem liegt, was für die etablierten Diskurse Schwäche oder Wahn ist (ebd., 84). Der Tod ist weder „notwendiges Exerzitium der immanenten Macht des Bösen“ (ebd., 83) noch hat er eine erlösende Dimension. In der antidialektisch verstandenen Position des Paulus ist die Gnade des Ereignisses reine Affirmation, ohne vorausgehende Negation. „Diese Entdialektisierung des Christusereignisses erlaubt es, aus dem mythologischen Kern seiner Botschaft eine gänzlich laizisierte formale Konzeption der Gnade zu extrahieren. Die Frage ist einzig und allein die, ob einem Dasein im Bruch mit der unerbittlichen Gewöhnlichkeit der Zeit das materielle Glück begegnet, einer Wahrheit zu dienen und so ... jenseits der Überlebensnotwendigkeiten des Menschentiers, unsterblich zu werden“ (ebd., 84). Die formale Konzeption der Gnade des Ereignisses macht den Menschen zu einem Wesen, für das die „Überlebensnotwendigkeiten des Menschentiers“ und damit die körperlichen Bedürfnisse bedeutungslos werden; denn das im Ereignis auferstandene Subjekt ist ein Subjekt, das sich für den Weg des Geistes und damit für den Weg des Lebens entschieden hat. Der Tod steht auf Seiten des Fleisches. Er „hat nichts Biologisches, so wenig übrigens wie das Leben. Tod und Leben sind Denkweisen …“ (ebd., 86). Deshalb ist der Tod „nicht ein biologisches Faktum, sondern ein Gedanke des Fleisches“ (ebd., 88).
Wenn der Tod zu einer Denkweise des Fleisches wird, dann kann beim Tod Jesu das biologische und gefolterte Fleisch ruhig verschwinden. Es reicht, wenn Jesus jenseits seiner biologischen und geschichtlichen Körperlichkeit zur von allen gesellschaftlichen und physischen Umständen bereinigten formalen Stätte des Ereignisses wird. Sein Tod ist lediglich eine Bedingung der Immanenz und damit „die Montage einer Immanentwerdung des Geistes“ (ebd.). Nur die Auferstehung ist Ereignis. Den Tod nimmt sie in den Dienst ihrer Operation, die das Heil ist. Er ist „eine Operation innerhalb der Situation, eine, die die Stätte des Ereignisses immanent macht, während die Auferstehung das Ereignis selbst ist. Darum ist dem paulinischen Denken jedwede Dialektik fremd: Die Auferstehung ist weder eine Aufhebung noch eine Überwindung des Todes“ (ebd., 89). Im Unterschied zu Badiou verschwinden aber bei Paulus die historischen und physischen Bedingungen des Todes Jesu keineswegs. Wo er davon spricht, der Schatz des Glaubens werde „in zerbrechlichen Gefäßen“ (1 Kor. 4,7) getragen, bezieht er sich auf „das Todesleiden Jesu“, von dem er sagt: „Immer tragen wir“ es „an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird“ (1 Kor. 4,10). Wie Jesus ist auch Paulus dem Tod ausgeliefert. Was das heißt, beschreibt er als „Ohnmacht, Mißhandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste“ (2 Kor 12,10) oder als „Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger und oder Kälte, Gefahr oder Schwert“ (Röm 8,35). Der Gekreuzigte ist so sehr Inhalt seiner Verkündigung, dass er das, was sein Leben prägte, am eigenen Leib zu spüren bekommt. Wenn Paulus die Auferweckung Jesu verkündet, macht er den Gekreuzigten zum Inhalt seiner Verkündigung. Auf ihn als grammatikalisches Subjekt bezieht sich die Auferstehung als Prädikat. Genau dies impliziert für Paulus die Negation der Verhältnisse, die zur Hinrichtung Jesu geführt haben, ebenso wie die Negation nicht der Tora, sondern des Gesetzes, das diese Hinrichtung legitimiert, und zugleich den Beginn eines messianischen Lebens, das sich Ansprüchen römischer Herrschaft widersetzt. Wo diese Dialektik aufgelöst wird, ist die Flucht in die Existentialisierung nur konsequent. Der Bruch mit den Verhältnissen entschwindet in einen Bruch im Dasein, in den „Bruch mit der unerbittlichen Gewöhnlichkeit der Zeit“, zu deren ‚Gewöhnlichkeit‘ die „Überlebensnotwendigkeit des Menschentiers“ (Badiou 2009, 84) gehört. Wo objektive Verhältnisse sich in Existentialisierung auflösen und der Tod im Gegensatz zu einem „Zustand der Dinge“ zu einer „Dimension des Subjekts“ wird, ist auch der Dezisionismus nicht fern: „Der Tod ist kein Schicksal, sondern eine Wahl, denn es kann uns, in der Subtraktion des Todes, die Wahl des Lebens offen stehen“ (ebd., 92). Durch Entdialektisierung wird es Badiou möglich, aus dem Christentum eine „gänzlich laizisierte formale Konzeption der Gnade zu extrahieren“ (ebd., 84). Die abstrakte, von jeder Inhaltlichkeit freie Form spiegelt sich in Badious Kategorie der Leere. Seine Ontologie ist reines Denken einer leeren, nicht präsentierbaren Vielheit. In Badious Ontologie gibt es keine Gegenständlichkeit. Sie ist frei von jedem Inhalt und unbefleckt vom Blut der Geschichte. Ebenso leer bleibt das Ereignis. Es ereignet sich etwas, aber was sich ereignet, ist als Objekt begrifflich nicht greifbar, sondern nur im Bekenntnis ausdrückbar. In der Reduktion des Denkens auf einen reinen Formalismus steht Badiou in den Fußstapfen Kants. In der Struktur des kantischen Systems kündigt sich – wie Adorno angemerkt hat „die vom inhaltlichen Ziel verlassene Organisation des gesamten Lebens an“ (Adorno 2003a, 108). Vernunft und Ethik können funktionalisiert und allen möglichen Zwecken dienstbar gemacht werden. Gegen Badious leere Ontologie und seinem leeren Ereignis wäre mit Adorno die Objektbeziehung des Denkens zu betonen: „Die Wahrheit des Denkens hängt an dem Bezug zur Sache, die gedacht wird. Wo die Sache in leere Formen aufgelöst wird, … gebärdet sich solches Denken als hätte es kein Material. Es versenkt sich in sich selbst als in eine Sphäre des vermeintlich Reinen. Hegel denunziert sie als leere Tiefe. Die Schimäre eines von keiner Gegenständlichkeit beschlagnahmten und verschandelten Seins ist schließlich nichts anderes als die Spiegelung des ganz bestimmungslosen und formalen Denkens an sich“ (ebd., 603). 3. Zur Anschlussfähigkeit Badious an die ‚politische Theologie‘Wenn wir vom Selbstverständnis der ‚politischen Theologie‘ als einer situationsbezogenen und so ‚nachidealistischen‘ Theologie ausgehen, steht Badious Formalismus dem entgegen. Er versucht, eine reine Form ohne materiell-inhaltlichen Gehalt zur Grundlage des Denkens zu machen. Diesem Denken sind Geschichte und geschichtliche Kontexte äußerlich. Sie spielen kategorial keine Rolle, sondern kommen erst nachträglich als Ermöglichung einer neuen Praxis von Subjekten ins Spiel, eines existentzialisierten Subjekts, das durch Geschichtlichkeit als Existenzial, aber kaum durch den Kontext einer bestimmten Geschichte geprägt ist. Ob Badiou damit als idealistischer und/oder existenzialistischer Denker hinreichend bestimmt ist, sei dahingestellt. Jedenfalls ist der Gegensatz zu dem, was Metz unter ‚nachidealistischer Theologie‘ versteht, unverkennbar: einer Theologie, die Geschichte und Gesellschaft kategorial in ihren Logos aufnimmt und sich einer nur nachträglichen ‚Anwendung‘ ihres Denkens auf geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge widersetzt. 3.1 Universalismus und ‚memoria passionis‘Seine Inhaltlichkeit gewinnt das Metz‘sche theologische Denken dadurch, dass Geschichte und Gesellschaft mit der aus biblischem Denken gewonnenen Kategorie der ‚memoria passionis‘ verstanden und mit Adornos ‚Negativer Dialektik‘ im Blick auf die Gegenwart profiliert wird (Metz 2017, vgl. Taubald 2001, 63ff). Badious Denken ist nun gerade dadurch gekennzeichnet, dass es von der Leidensgeschichte abstrahiert. Das Kreuz Jesu ist lediglich eine Bedingung der Immanenz, auf die das leere Ereignis der Auferstehung bezogen werden kann. Mit dem Kreuz und dem Gekreuzigten wird das entwichtigt bzw. zum Verschwinden gebracht, was als das Nicht-Identische zentraler Bezugspunkt kritischer Gesellschaftstheorie wie kritischer Theologie ist. Das Nicht-Identische und mit ihr die Opfer geschichtlicher Katastrophen verschwinden in der formalen, also inhaltslosen Konzeption der Gnade des Ereignisses. In der Frage nach Leben und Tod geht es weder um den natürlichen physischen Tod noch um gewaltsamen Tod, sondern um blut- und geschichtslose Denkweisen. In Badious antidialektischem Denken kann Nicht-Identität nicht vorkommen. Es ist konzentriert auf die reine Affirmation eines leeren Ereignisses und dabei ohne vorhergehende Negation, ohne Negation der Verhältnisse, die Menschen aufs Kreuz legen, und der Gesetze, die dies legitimieren. Erst nachträglich, durch ein leeres Ereignis und die mit ihm verbundene Begründung eines abstrakten Universalismus kommt es zur Negation des Gesetzes. Weil das Denken negativer Dialektik und der davon inspirierten ‚politischen Theologie‘ kategorial so weit voneinander entfernt sind, erscheint es kaum möglich, „die Kategorie des Leidens und der ‚Autorität der Leidenden‘ in“ Badious „Konzept zu integrieren“ – wie Philipp Geitzhaus meint (Geitzhaus 2018, 127). Dies gilt um so mehr als für Badiou der Zugang zum Universalen „durch die Kreuzung zwischen kulturalistischer Ideologie und der Auffassung vom Menschen als Opfer“ (Badiou 2009, 13) zunichte gemacht wird. Für ihn sind die Opfer schlicht „Zuschreibungen an eine Partikularität“ (ebd.). Wie andere partikulare Mengen oder Identitäten stehen sie im Gegensatz zu einem Universalismus, der über die abstrakte Proklamation von Gleichheit nicht hinauskommen kann, weil er aufgrund seines Formalismus Geschichte und Nicht-Identität kategorial nicht aufnehmen kann. Auch Badious Unterscheidung zwischen der ‚falschen Universalität‘ der monetären Abstraktion und der ‚wahren Universalität‘, die in Treue zu einem Ereignis erreicht werden soll, bewegen sich im ‚Jargon der Eigentlichkeit‘ (Adorno 2003, 413ff). Ein Bruch mit dem Bestehenden (l‘état) wird zwar als Ereignis proklamiert und als Weg zu ‚wahrer Universalität‘ gedeutet. Es kann aber nicht deutlich gemacht werden, mit welchen historischen Kategorien des ‚Bestehenden‘ denn gebrochen (werden), was also negiert werden soll. Und so stehen sich ein ‚falscher‘ und ein ‚eigentlicher‘ Universalismus gegenüber, den individuelle oder kollektive Subjekte durch- bzw. umsetzen sollen. 3.2 Gesellschaftstheorie und KapitalismuskritikDie Flucht in ‚Eigentliches‘ wiederum ist einer fehlenden bzw. defizitären und eher assoziativen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet. Zu einer Auseinandersetzung mit der Form bzw. dem Formzusammenhang der kapitalistischen Veranstaltung, die, wenn ein Bruch mit ‚dem Bestehenden‘ Wirklichkeit werden soll, negiert werden muss, kann es in einem von einem leeren Formalismus geprägten Denken kaum kommen. Zudem ist die Rede des Bruchs mit einem Zustand (l‘ état) zu unbestimmt, als dass er Orientierung für eine neue Praxis sein könnte. In der von Robert Kurz und Roswitha Scholz entwickelten Kritik der Wert-Abspaltung wird der Kapitalismus als ‚konkrete Totalität‘ verstanden. Die Kritik muss auf das ‚Ganze‘ des kapitalistischen Formzusammenhangs ausgreifen. Dabei ist die Kritik des Werts, also der Verwertung des Kapitals, für den abstrakten Selbstzweck der Vermehrung des Reichtums durch die Produktion von Waren ebenso konstitutiv wie die der Abspaltung der weiblich konnotierten Reproduktion von der männlich konnotierten Produktion. Vor diesem Hintergrund greift Badious Rede von der ‚monetären Abstraktion‘ zu kurz, da sie sich lediglich auf die Zirkulation von Waren bezieht und über eine Kritik des Marktes nicht hinauskommt. Dass mit dem Kapitalismus wesentlich verbundene Geschlechterverhältnis, also die Gleichursprünglichkeit von Wert und Abspaltung, kennt er überhaupt nicht. Wert und Abspaltung als grundlegendes Formprinzip kapitalistischer Totalität können nicht ohne die Formen der Verausgabung abstrakter Arbeit für die Produktion von Wert- und Mehrwert ebenso wenig wie ohne die reproduktiven Tätigkeiten, nicht ohne das Subjekt als Handlungsträger der abstrakten Arbeit, das Geld als Ausdruck abstrakten Reichtums, den Staat als Anwalt kapitalistischer Allgemeinheit und des Rechts etc. verstanden werden. Diese Totalität ist keine Ganzheit von Formen, die von empirisch Konkretem unberührt bliebe. Sie existiert nicht für sich, sondern als ‚konkrete Totalität‘, d.h. im Zusammenhang mit empirisch greifbaren Entwicklungen und Verlaufsformen – in all ihren Gebrochenheiten. Zu diesen Verlaufsformen gehören wesentlich die dem Kapitalismus inhärenten Krisen und vor allem die finale Krise, die sich aus dem Kapitalverhältnis als ‚prozessierender Widerspruch‘ (Karl Marx) ergibt, der die in der Konkurrenz agierenden Produzenten dazu zwingt, Arbeit durch Technologie zu ersetzen und mit der Arbeit die Quelle von Wert und Mehr-Wert zu entsorgen. Mit der mikroelektronischen Revolution stößt diese ‚logische Schranke‘, die Marx als ‚prozessierenden Widerspruch‘ beschrieben hat, auch historisch auf Grenzen, die nicht mehr überwunden werden können, weil die schwindenden Verwertungsmöglichkeiten nicht mehr durch Ausweitung von Märkten und Verbilligung der Waren kompensiert werden können. Damit verlieren Produktion und Reproduktion, abstrakte Arbeit wie reproduktive Tätigkeiten ihre Grundlagen, brechen Erwerbsarbeit und Familie ein, verliert das Subjekt seine Grundlage und verwildert. Diese immanent nicht mehr zu überwindende Krise ist der Hintergrund des Neoliberalismus, der über die Deregulierung von Märkten und rechtlichen Bindungen noch einmal versucht, die Akkumulation in Gang zu bringen. Genau deshalb greift eine auf die Kritik des Neoliberalismus begrenzte Kapitalismuskritik zu kurz und kann in ihrer Hilflosigkeit gegen den Markt lediglich den Staat anrufen. Die Handlungsfähigkeit des Staates wiederum hängt am Tropf des Verwertungsprozesses. Dagegen sind auch neu kreierte politische Subjekte machtlos ebenso wie Badious ‚Idee des Kommunismus‘, die es mit der Abschaffung des Privateigentums, der Transformation der Arbeitsteilung, einer Internationalisierung der Politik und der Abschaffung des Staates durch eine globale Regierung versuchen will (vgl. Geitzhaus 2018, 170). Der sich zuspitzenden Krise, die in den Zentren mit Sozialabbau und doppelter Vergesellschaftung von Frauen sowie an den Peripherien mit dem Zerfall von Staaten, der Verwilderung sozialer Zusammenhänge mit Frauen als Krisenverwalterinnen und Überlebenskünstlerinnen einhergeht, wäre nur durch analytische Kritik beizukommen – und nicht durch das Warten auf ein zufälliges Ereignis, das aus dem Nichts neue militante Subjekte kreiert. Bevor sich zufällige Ereignisse einstellen, haben die mit den Krisen einhergehenden Prozesse der Zerstörung längst schon ihr blutiges Werk eines Todes verrichtet, den Badiou als ‚uneigentlich‘ weg philosophieren will. Die Attraktivität an Ereignisse anzuknüpfen, die handlungsfähig machen und neue militante Subjekte kreieren, dürfte darin begründet sein, dass sie Auswege versprechen, ohne durch das Purgatorium radikaler Kritik und die Negation der kapitalistischen Formen hindurch zu müssen. An die Stelle der Kritik tritt dann die existenzielle Treue zu einem Ereignis aufgrund einer Entscheidung. Deshalb dürfte Robert Kurz entgegen der Sicht von Geitzhaus (ebd., 110) durchaus richtig liegen, wenn er nicht nur allgemein darauf hinweist, dass „das Konzept der Entscheidung von einer kapitalistischen und daher krisenhaften Gesellschaft geprägt“ (ebd.) sei. Ihm kommt es dabei auf den Verzicht auf Begründung und damit auf rationale Reflexion an, darauf, dass die mit dem Ereignis verbundene Wahrheit als „begründungslos“ dargestellt wird, so als habe sie „nichts mit Gesetzmäßigkeiten, Bedingungen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun“ (Kurz 2013, 170). Dies gilt um so mehr angesichts der Beobachtung einer um sich greifenden Theoriefeindlichkeit, der Verdächtigung, die Kritik an der ‚konkreten Totalität‘ des Kapitalismus sei selbst totalitär. Vor diesem Hintergrund – so Robert Kurz – soll die Theorie „das gesellschaftliche Ganze in Ruhe lassen. Der reale gesellschaftliche Widerspruch, der in der Krise nicht bewältigbar ist, soll einfach aus dem Denken verbannt werden“ (ebd., 66). In dieser Situation bieten sich begründungsloser Dezisionismus und Existenzialisierung als Auswege an. Dem entspricht in der Theologie das Insistieren auf nicht mehr zu begründender Erfahrung, auf Entscheidung und existenzielle Befindlichkeiten wie sie sich nicht zufällig bereits bei Kierkegaard und Bultmann finden. Sie reagieren auf die mit der Aufklärung und mit ihrer Kritik an der Metaphysik verbundene Krise des Glaubens, die sich an seiner Begründungsnot entzündet (vgl. Böttcher 2019, 165ff). Der Zusammenhang von krisenbedingter Reflexionsfeindlichkeit und Dezisionismus ist im Blick auf Badiou auch nicht durch den Hinweis zu entkräften, Badious Subjekt sei „als Agent eines egalitären, egalisierenden und prinzipiell universalen Prozesses“ (Geitzhaus 2018, 114) aufzufassen. Dies kann es ja erst aufgrund seiner begründungslosen Entscheidung sein, dem Ereignis existenziell die Treue zu halten. Trotz ihrer Empfindsamkeit für die menschliche Leidens- und Katastrophengeschichte greift auch die ‚politische Theologie‘ gesellschaftskritisch zu kurz. Sie verharrt im ‚Politischen‘ und scheut sich davor, sich mit Ökonomie zu ‚beschmutzen‘, Politik im Zusammenhang politischer Ökonomie zu begreifen und die Totalität kapitalistischer Vergesellschaftung in den Blick zu nehmen. Dabei könnte die Reflexion des Zusammenhangs von Ökonomie und Politik, von Markt und Staat die alle systemüberwindende Praxis lähmende Falle überschreiten helfen, die Politik gegen die Ökonomie, den Staat gegen den Markt anzurufen wie es oft da anzutreffen ist, wo die Kritik des Kapitalismus auf die Kritik des Neoliberalismus (als ökonomische Doktrin und Herrschaftsmodell, vgl. ebd., 140) reduziert wird. Wo die immanente Polarität von Ökonomie und Politik, Markt und Staat nicht als Ausdruck der ‚abstrakten Herrschaft‘ in der Form von Wert und Abspaltung erkannt wird, greift die Praxis ins Leere, weil sie auf die Immanenz der kapitalistischen Verhältnisse als ‚abstrakter Herrschaft‘ vergattert bleibt, deren Grundlage der ins Leere laufende Verwertungsprozess ist. In diesen Zusammenhang bleibt auch das Subjekt eingebunden. Seine Autonomie gilt nur im Rahmen der reflexionslos vorausgesetzten gesellschaftlichen Verhältnisse. Auch ein solidarisches Subjekt – wie es die ‚politische Theologie‘ einfordert – , das von anderen her denkend eine Praxis universaler Solidarität entwickelt, kann aus diesem Herrschaftszusammenhang nicht durch eine Entscheidung als Ausdruck subjektiver Treue zu einem Ereignis aussteigen. Deswegen muss das Subjekt im Neoliberalismus scheitern (vgl. ebd., 137ff). Es scheitert aber im Unterschied zu Geitzhaus‘ Annahme nicht an der Postmoderne, weder an ihren Weltbildern noch am ‚Ende der Geschichte‘ oder der ‚Großen Erzählung‘, sondern an der logischen Schranke der Kapitalverwertung, die in der Krise des Kapitalismus auf ihre historische Schranke stößt. Sie ist deshalb ‚final‘, weil sie immanent nicht mehr zu bewältigen bzw. zu kompensieren ist. Mit dem Subjekt und seiner an die polare Immanenz der kapitalistischen Verhältnisse gebundenen Praxis ist nicht über diese Verhältnisse hinaus zu kommen. Subjekt und Praxis rotieren in der (tendenziell wertlosen) Leere des kapitalistischen Vewertungsprozesses und ‚drehen durch‘, weil beidem in der Immanenz des Krisenzusammenhangs die Basis entzogen ist. Statt am Subjekt – wie gelegentlich beschwörend betont wird (vgl. Lis 2019; dies., 2020, 157ff) – mit Badious Hilfe ‚festzuhalten‘, müsste die Erkenntnis der Grenze, auf die das Subjekt stößt, Anlass für eine kritische Reflexion des Subjekts und mit ihm der Aufklärung sein, in der – über die ‚Dialektik‘ der Aufklärung hinausgehend – die Aufklärung als ideologische Begleitung in der Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus reflektiert wird (vgl. Kurz 2004). So könnte sichtbar werden, dass in ihrem Rahmen das Subjekt und seine Praxis aus der Immanenz des Kapitalismus begriffen werden. Es müsste also auch zu einem Bruch mit der Aufklärung kommen, ohne ihrem Gegenpol der Gegenaufklärung zu verfallen. Im Unterschied zu Badiou hat die ‚politische Theologie‘ Kategorien entwickelt, die es ermöglichen, die kapitalistische Totalität und damit auch ihren Bezug zur Aufklärung selbstkritisch in den Blick zu nehmen. Es sind genau die Kategorien, die Badious Denken fremd sind: Geschichte und Gesellschaft, die Frage nach dem Nicht-Identischen und darin nach den Opfern und ihrer Rettung. Für sie gilt Adornos Diktum: „Das Leiden von Menschen gibt zu denken“. Genau das gehört zum Kern der nachidealistischen Konstitution ‚politischer Theologie‘. 3.3 Identität und Gleichheit – Partikularismus und UniversalitätFür Badious Denken ist die Polarität von Identität und Gleichheit wesentlich. Identität stellt er in den Zusammenhang mit der ‚monetären Abstraktion‘ und ihrem ‚falschen Universalismus‘. Er zeigt sich im Rückgriff auf partikulare Identitäten, die sich von einem ‚wahren Universalen‘ aggressiv abgrenzen. Im Blick auf die globale Migration und die sog. Flüchtlingskrise, mit der Deutschland sich 2015 konfrontiert sah, und den sich mit ihr verschärfenden Tendenzen identitärer Abschließung scheint sich Badious Problembeschreibung von Ende der 1990er Jahre zu bestätigen (Geitzhaus 2018, 168). Aber auch hier ist noch einmal genauer hinzusehen. In seinem posthum erschienenen Text ‚Null-Identität‘ hatte Robert Kurz darauf hingewiesen, dass sich die postmodernen, nach dem Motto „heißa, was sind wir identitätslos“ in „johlendem Jux“ vollzogenen Identitäts- bzw. Kostümwechsel mit sich zuspitzenden Krisenerfahrungen und -ängsten dem Ende nähern und überlagert werden von der Suche nach einem „Identitätskostüm“, das „wieder als veritable Haut, als essentielles Sein halluziniert“ (Kurz 2018, 170) werden kann. Die Substanzlosigkeit der postmodernen Inszenierungen entspricht der Substanzlosigkeit des auf den Kapitalmärkten akkumulierten Geldes als „Geld ohne Wert“ (Kurz 2012), weil ohne Arbeitssubstanz. Der simulierten Vermehrung von Geld, der sog. Finanzialisierung, entspricht die inhaltsleere Virtualität des Designs. In postmodernen Inszenierungsdesigns wird ein Ich simuliert, das sich in Auflösung befindet, das die in Buntheit inszenierte Leere aber nicht wahrhaben will, ebenso wenig wie die Krise des Kapitalismus, dessen Verwertungsprozess ins Leere läuft. Es ist ein ‚Ich‘, dem die Arbeit als Basis abhanden gekommen und das auf sich als selbst als leeres Selbst zurückgeworfen ist. Mit der auf den Finanzmärkten simulierten, also ohne reale Wertverwertung vollzogene, Akkumulation von ‚Geld ohne Wert‘, war die Vorstellung verbunden: Alles geht. Vor diesem Hintergrund ist sowohl das „‚antidogmatische‘ Dogma der Postmoderne“ (Kurz 2014, 60) und sein „Relativismusgebot“ (ebd., 53) als auch der postmoderne Identitäts- und Kulturkarneval zu verstehen (vgl. Kurz 1999). Entgegen der mit dem ‚Alles geht‘ verbundenen Illusionen meldet sich die Krisenwirklichkeit zurück – spätestens mit der Finanzkrise seit 2007. Das durch simulierte Akkumulation verdrängte Leerlaufen des Verwertungsprozesses meldet sich zurück. Die Botschaft ‚Alles geht‘ entpuppt sich als Illusion. Die realen Verhältnisse signalisieren: ‚Nichts geht mehr‘. Die Zeichen der Krise lassen sich nicht mehr überspielen: Armut und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Bedrohung durch gesellschaftlichen Abstieg, sich weiter verschärfende Konkurrenzkämpfe um Selbstbehauptung als ‚unternehmerisches‘ und ‚resilientes Selbst‘ (Bröckling 2013 und 2017) bis zur Depression in einem ‚erschöpften Selbst‘ (Ehrenberg 2008). Das alles vermischt sich mit den globalen Krisenzusammenhängen wie sie ihren Ausdruck finden in zerfallenden Staaten, Klimakrise, der Zerstörung der Lebensgrundlagen. Identität im Kapitalismus ist nicht jenseits des Verwertungszusammenhangs zu haben. In Anlehnung an Badiou, der einen Zusammenhang zwischen Identität und Gesetz sieht, könnte gesagt werden: Das Wertgesetz ist die Grundlage kapitalistischer Identität. Es zählen diejenigen, deren Arbeitskraft sich verwerten lässt. Die nationale ist also von einer globalen vom Verwertungsprozess bestimmten Identität überlagert, ohne in ihr aufzugehen. Deshalb können bei Bedarf für ‚verwertbare‘ ausländische Fachkräfte die nationalen Grenzen geöffnet werden, während sie für die ‚Nicht-Verwertbaren‘ geschlossen werden. Sie werden ihrem Schicksal überlassen. Da helfen auch keine universalen Menschenrechte; denn auch sie stehen nicht außerhalb des Wertgesetzes. Gelingt der Verwertungsprozess – auch wenn nur scheinbar in der simulierten Variante (G – G‘), also ohne Umweg über die Warenproduktion (G – W – G‘) –, dann kann die (Uni-)Form des Verwertungsprozesses durch bunte Vielfalt auf der kulturellen Ebene übertüncht werden. Meldet sich die Leere des Verwertungsprozesses mit den Einbrüchen bei der Kompensation durch simulierte Akkumulation zurück, verschärft sich die Suche nach essentiellen Identitätskostümen als Nation oder Region, als Islamismus oder vermeintlich ‚christliches Abendland‘. Wegbereiter solcher Identitätskonstruktionen ist eine ‚falsche Unmittelbarkeit‘ (Adorno) als Begleiterscheinung von Theorie- und Reflexionsfeindlichkeit. Auf der Basis eigener völkischer, kultureller, religiöser etc. Identität werden unmittelbar Schuldige des Desasters in (zähl- und damit) konkreten Identitäten ausgemacht: in Arbeitslosen, Flüchtlingen, Ausländern, Juden…, die ausgeschlossen, als Bedrohung abgewehrt und – wenn es sein ‚muss‘ – vernichtet werden. Immer mehr Individuen geraten unter den sich verschärfenden Druck, sich als ‚unternehmerisches Selbst‘ in der Konkurrenz bis zu depressiver Erschöpfung zu behaupten. Gleichzeitig werden Flüchtlinge und Klimakatastrophe als Bedrohung von außen wahrgenommen. Wo es keinen Halt angesichts der Krisenverhältnisse mehr zu geben scheint, die in den sozialen Abstieg treiben und Flexi-Identitäten zur Erschöpfung führen, kommt es zur Suche nach identitärer Stabilität, die sich vor Bedrohungen identitär und aggressiv abschottet. Gegen den ‚falschen‘, den Globus spaltenden und zerstörenden Universalismus des Verwertungszusammenhangs und der Abspaltung der nicht-produktiven Elemente einen ‚wahren‘ Universalismus der Gleichheit zu setzten, wirkt wie ein hilf- und ohnmächtiger Appell, der gegenüber den (nicht analysierten) Verhältnissen abstrakt bleibt. Er kommt über die Rede von einem Bruch mit ‚dem Bestehenden‘ nicht hinaus, weil er die Auskunft darüber verweigert, worin denn ‚das Bestehende‘ besteht. Ebenso wenig kann er sagen, was denn das ‚Neue‘ sein soll, das durch die in Treue zum Ereignis freigesetzte Praxis entstehen soll. Illusorisch ist es, soziale Gleichheit und Solidarität über den Weg der Politik dem Kapitalismus hinzufügen zu wollen. Der Bruch mit ‚dem Bestehenden‘ muss zum begriffenen Bruch mit dem Kapitalismus und den Formen werden, die ihn konstituieren. Deshalb kann die „Aufgabe der Theologie“ nicht einfach „im Festhalten und Postulieren an der Hoffnung, dass Ereignisse weiterhin möglich sind“, bestehen und Badious leere Ereignisse zu „Heilsereignissen“ (Geitzhaus 2018, 143) zu ernennen. Im Gegensatz zu den biblischen Heilsereignissen, die durch die ‚Große Erzählung‘ der Befreiung inhaltlich bestimmt sind, bleiben Badious Ereignisse leer, also inhaltlich unbestimmt, führen zu einem unbestimmten Bruch mit ‚dem Bestehenden‘ und kreieren eine Praxis, die über die Proklamation von Gleichheit als idealistischem Prinzip nicht hinauskommt. In solcher Unbestimmtheit ist Badious Ereignis nicht davor gefeit, mit Intentionen und Vorstellungen gefüllt zu werden, denen rechte, identitäre Bewegungen und ‚besorgte Bürger‘ in aktionistischem Eifer die Treue halten. Aufgabe der Theologie wäre es, sich auf gesellschaftskritische Theoriezusammenhänge einzulassen, die auf einen Bruch mit dem theoretisch begriffenen Kapitalismus hinaus wollen. Auch der Begriff der Universalität changiert zwischen Singularität und Universalität. Badiou spricht von einer ‚singulären Universalität‘ oder einer ‚universalen Singularität‘. Die Beziehung zwischen Singularität und Universalität bleibt jedoch offen. Singularität ist irgendwie Teil des neuen Subjekts, das seine Partikularität nicht einfach ablegen kann. Auch Paulus spricht von der Bindung an Partikularitäten, wenn er sagt: „Den Juden bin ich ein Jude geworden, um die Juden zu gewinnen. … Den Gesetzlosen … ein Gesetzloser …, um die Gesetzlosen zu gewinnen. Den Schwachen … ein Schwacher …, um die Schwachen zu gewinnen“ (1 Kor 9,20-22). Tritt Paulus hier als Pädagoge oder pastoraler Vermittler auf, der die jeweiligen Gruppen da abholt, wo sie in ihrer Identität stehen? Dann würde er lediglich taktisch in die Haut ihrer Identität schlüpfen, um partikulare Identität in universale Gleichheit zu transformieren. Die Partikularitäten sollen überquert werden, um sie außer Kraft zu setzen. Aber was heißt das? Läuft das auf eine Universalität hinaus, die von allen Singularitäten gereinigt wäre? Oder impliziert auch Badious Rede von ‚singulärer Universalität‘, dass Singularität nicht einfach abgestreift werden kann, sondern – wenn auch ‚außer Kraft‘ gesetzt – ‚irgendwie‘ doch eine Rolle spielt? In dieser Unklarheit steckt eine aus der Diskussion über die Inkulturation des Christentums bekannte Problematik. Inkulturationsprozesse können nicht so verstanden werden, dass das Christentum auf eine von kulturellen Kontexten bereinigte reine Idee reduziert werden könnte, die dann nachträglich auch ein anderes kulturelles Gewand anlegen würde. Kultur und Religion kann es nicht ‚rein‘, sondern nur in kulturellen bzw. geschichtlich-gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhängen geben, so auch Universalität nur über die Vermittlung mit ‚Singularitäten‘. Genau das aber wäre noch einmal ein Einwand gegen Badious Verständnis des Paulus, das ihn aus seinen kontextuellen Zusammenhängen löst und so mit ihm die Idee eines von geschichtlichen Kontexten abstrahierenden Universalismus und universaler Gleichheit verbindet. Der Versuchung zu Zeit- und Geschichtslosigkeit unterliegen auch Versuche, Kategorien der Gegenwart – so auch Ökonomie, Politik und Ideologie oder Egalität und Autonomie (vgl. z.B. Veerkamp 2012) – auf andere Gesellschaftsformationen wie die Verhältnisse, in deren Zusammenhang die biblischen Texte stehen, zu projizieren und davon auszugehen, alle Gesellschaften funktionierten nach diesen Kategorien. Es ist ein identitätslogisches Verfahren, das den Versuch impliziert, die Vergangenheit der Gegenwart gleich zu machen ohne Rücksicht auf das, was in diesen Kategorien nicht aufgeht oder die Angemessenheit der Kategorien in Frage zu stellen. In Beziehung zu setzen wären nicht Begriffe und Ideen, sondern Erfahrungen und Begriffe in ihren jeweiligen historischen Kontext. 3.4 Praxis und SubjektFür Badiou wie für die ‚politische Theologie‘ sind Praxis und Subjekt miteinander verbunden. Bei Badiou ermöglicht das Ereignis als Bruch mit ‚dem Bestehenden‘ das Werden eines Subjekts und eröffnet damit zugleich Möglichkeiten einer neuen Praxis, die auf Universalität als Gleichheit aller ausgerichtet ist. Das Subjekt „findet die lebendige Einheit von Denken und Handeln wieder“ (Badiou 2009, 153). Eine Nähe Badious zur ‚politischen Theologie‘ sieht Geitzhaus darin, dass beide daran arbeiten, „Veränderung theoretisch zu denken“ (Geitzhaus 2018, 153). Die ‚theoretische Praxis‘ ‚politischer Theologie‘ bestimmt er im Anschluss an Althusser „als eingreifendes Denken in einen Praxiszusammenhang“ (ebd.)4. Als ‚nachidealistische‘ Theologie ist die ‚politische Theologie‘ gekennzeichnet durch „die Wende zum Primat der Praxis“ (Metz 2016a, 75), die nicht nur als sittliche (Kant), sondern auch als gesellschaftliche Praxis (Marx) verstanden werden muss (vgl. ebd., 76). Sie ist mit dem Subjekt als Handlungsträger verbunden. Deshalb versteht Metz seine „Praktische Fundamentaltheologie als Politische Theologie des Subjekts“ (ebd., 83ff). In seinem Handeln ist das Subjekt – Badious Zusammenhang von Gleichheit und Universalität vergleichbar – auf universale Solidarität und damit auf das Subjektsein aller ausgerichtet (vgl. ebd., 90ff, 97ff). Beide sehen das Subjekt als bedroht an: Badiou im Blick auf seine Rolle als Handlungsträger universaler Gleichheit, Metz im Verschwinden des Menschen in seiner Einpassung „in die komplexen, selbst schon nahezu subjektlos funktionierenden Gesellschaftssysteme“ (ebd., 96), wodurch der Mensch „ein anpassungsschlaues Tier … eine sanft funktionierende Maschine“ (ebd., 97) zu werden drohe. Die Praxis, auf deren Denken beide zielen, ist auf die Veränderung ‚des Bestehenden‘ ausgerichtet. Der von ihnen aufgerissene Problemhorizont und ihre praktische Perspektive zielen auf die Konstitution des Subjekts und seiner Praxis und damit auf die Einheit von Denken und Handeln in der Einheit von Theorie und Praxis. Das Praxisverständnis von Metz unterscheidet sich jedoch von Badiou dadurch, dass es – wenn auch um die ökonomische Dimension verkürzt – nach der Konstitution der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Praxis von Subjekten fragt. Damit ist die Praxis nicht mehr rein subjektiv, sondern auf ein Objekt und auf die Erkenntnis dieses Objekts bezogen. Im Blick auf die durch Praxis entstandenen Verhältnisse als deren Objektivierung erkennt Metz den Bürger als entscheidendes Handlungssubjekt in der Konstitution der Moderne. Das ist der Hintergrund seiner Charakterisierung ‚moderner Theologie‘ als ‚bürgerliche(r) Theologie‘, die immer schon den Bürger als Subjekt voraussetzt (ebd., 53ff). Der Bürger als das uneingestandene heimliche Subjekt ‚moderner Theologie‘ wird aber im „Begriff einer subjektlosen Wahrheit“ (ebd., 82) unsichtbar. Gegen den Bürger als partikulares Subjekt einer partikularen Praxis und daran gebundenene theologische Wahrheitsansprüche verbindet Metz Wahrheit mit Universalität, nämlich mit „jener Relevanz …, die für alle Subjekte gilt: Wahr ist das, was für alle Subjekte relevant ist – auch für die Toten und Besiegten“ (Hervorh. i. O.) (ebd., 82). Für Metz wie für Badiou gilt: Praxis bricht mit dem ‚Bestehenden‘. Jedoch unterscheiden sich beide im Blick auf die Rolle, die dem ‚Bestehenden‘ zukommt. Während Praxis bei Badiou durch die subjektive Treue zum Ereignis konstituiert ist, bezieht Metz eine neue Praxis auch kategorial auf ein Objekt, nämlich auf die Verhältnisse, die durch Praxis entstanden sind. Es ist kein Zufall, dass Badious Aussagen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr sind als eine assoziative Gegenwartsdiagnostik. Bei Metz wäre hingegen ein – wenn auch auf die politisch-kulturelle Dimension verkürzter – Bezug auf die Verhältnisse zu konstatieren. Er identifiziert zwar den Bürger als Handlungsträger und damit als Subjekt der Moderne. Weil er jedoch den politisch-ökonomischen Zusammenhang ausblendet, übersieht er, dass das Subjekt in ‚Citoyen‘ und ‚Bourgeois‘, in einen ‚homo politicus‘ und einen ‚homo oeconomicus‘ gespalten und diese Spaltung eingebunden ist in den Prozess der Verwandlung von Geld in Ware und deren Rückverwandlung in mehr Geld (G – W – G‘). Substanzielle Basis dieses Prozesses ist die Verausgabung abstrakter Arbeit durch Subjekte, die deren Handlungsträger sind. Weil dieser Prozess die ökonomische Grundlage des Ganzen der kapitalistischen Gesellschaft ist, sind auf unterschiedlichen Vermittlungsebenen alle Handelnden strukturell eingebunden in diesen Mechanismus, den Marx mit dem paradoxen Begriff eines ‚automatischen Subjekts“ (Marx 1984, 169) benennt. Dieser Zusammenhang macht den Charakter moderner Gesellschaften als „nahezu subjektlos funktionierende Gesellschaftssysteme“ (Metz 2016a, 96) aus. Ihm steht das Subjekt nicht autonom als freier, d.h. in autonomer Erkenntnis und autonomem Willen gründender Handlungsträger gegenüber, sondern ist selbst in Erkenntnis und Willen vermittelt mit den kapitalistischen Verhältnissen. Deshalb kann das Subjekt aus der Partikularität des Bürgers nicht einfach auf alle erweitert und in den Horizont einer unsiversalen Solidarität eingebunden werden. Noch weniger kann es, da selber kapitalistisch vermittelt, „begründungs- und bedingungslos eine andere Wahrheit setzen“ (Kurz 2013, 171). Ohne kritische Reflexion des objektiven gesellschaftlichen Zusammenhangs kann ein Bruch ‚mit dem Bestehenden‘ nicht gedacht und eine neue Praxis nicht konstituiert werden. Dennoch hat Metz mit seinem Hinweis auf die Anpassung des Menschen an einen nicht weiter erläuterten Systemzusammenhang etwas Wichtiges erkannt. Es müsste weitergedacht werden in Richtung der mit dem Kapitalismus verbundenen ‚abstrakten Herrschaft‘ seines Systems im Prozess der Krise. Auf diese Grenze stößt das Subjekt und seine Handlungsfähigkeit – um so krasser je weiter die Krise voranschreitet. Den Subjekten fällt es deshalb so schwer, diese Grenzen zu erkennen und über sie hinaus zu denken, weil ihre Autonomie und damit auch ihre Handlungsfähigkeit auf die bestehenden kapitalistischen Formen vergattert ist, die immer schon reflexionslos vorausgesetzt sind. Da liegt es offensichtlich näher, hartnäckig an Subjekt und Praxis ‚festzuhalten‘ und dies ohne Frage nach den politisch-ökonomischen Grenzen der Handlungsfähigkeit in Badious Ontologie der Vielheit zu fundieren, die Ereignisse hervorbringen soll, die ihrerseits existentialistisch in begründungsloser Treue angenommen werden müssen (vgl. Ramminger 2020). Nach dem Motto ‚Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her‘ kommt bei Badiou zufällig ein Ereignis daher, das Veränderungsprozesse aufgrund seiner „aleatorischen Momente“ (Geitzhaus 2018, 148) anstößt. Praxis gründet nicht in der Erkenntnis dessen, was durch Praxis entstanden und sich als System verselbständigt hat, sondern darin, einem Ereignis treu zu sein. Und „treu zu sein, heißt das Legalwerden eines Zufalls zusammenzufügen und hervorzuheben“ (Badiou 2016, 268). Dem gegenüber ermöglicht das Praxisverständnis der ‚politischen Theologie‘, das ‚Bestehende‘ als Ergebnis der Handlungen von Subjekten und eines dadurch konstituierten Systemzusammenhangs zu begreifen, einen Weg über die eigenen Verkürzungen hinaus zu suchen. Es ließe sich erkennen, dass sich durch das Handeln von Menschen eine ‚abstrakte Herrschaft‘ etabliert hat, die sich vom Handeln entkoppelt hat und zu einem System geworden sind, das sich dem unmittelbaren Zugriff durch Praxis entzieht. Genau das macht die Krise des Subjekts und seiner Praxis aus. Beide sind unreflektiert mit den Verhältnissen verschmolzen, die sie verändern wollen, ohne es in der Immanenz der Verhältnisse zu können. Um handlungsfähig zu werden, bedarf es der Erkenntnis dessen, was die Verhältnisse konstituiert und wie das Subjekt mit ihnen vermittelt ist. Nach Robert Kurz bedarf es „heute einer bewussten und zähen Gegenvermittlung, um die Geschichte der kapitalistischen Konstitution kritisch aufzurollen, die moderne Realmetaphysik als inneren Zusammenhang der politisch-ökonomischen Formen zu dechiffrieren und die eigene Verfasstheit als bürgerliches Subjekt negativ in ihrem Gewordensein zu begreifen“ (Kurz 2013, 171). Ohne solche Erkenntnis besteht die Gefahr, dass der Kampf um Gleichheit und Anerkennung in den immer schon vorausgesetzten Formen stecken bleibt. Es geht dann um (partielle) Gleichheit und Anerkennung in den kapitalistischen Formen (vgl. Böttcher 2018, 359ff): um die Anerkennung als Arbeiter, als Frauen etc. im Rahmen der Verhältnisse. Je mehr sich die Krisenprozesse mit dem Einbrechen des Verwertungsprozesses zuspitzen, schwinden für solch immanente Gleichheit die materiellen Grundlagen – auch für die abgespaltenen Bereiche. Statt Anerkennung und Gleichstellung der Arbeiter gibt es prekäre Beschäftigungsverhältnisse und ‚Überflüssige‘, statt Gleichheit der Frauen die ‚doppelte Vergesellschaftung von Frauen‘, die sich in der Krise verschärft und Frauen zu Krisenverwalterinnen in Pflege und Haushalt oder zu Kämpferinnen um das Überleben in den Zusammenbruchsregionen werden lässt. Praxis bedarf also der Rückbindung an Theorie – und zwar an eine Theorie, die nicht mit Praxis verschmilzt, sondern ihr gegenüber ihre Selbständigkeit wahrt. „Dass Theorie ihre Selbständigkeit zurückgewinnt, ist das Interesse von Praxis selbst“, heißt es in Adornos ‚Negativer Dialektik‘ (Adorno 2003, 146f). Hintergrund dieser Feststellung ist die Einsicht, dass in der geforderten Einheit von Theorie und Praxis, die Theorie unterlag und „ein Stück Politik“ wurde, „aus der sie herausführen sollte; ausgeliefert der Macht“ (ebd., 146). Wenn es gelingen soll, die Fetischkonstitution kapitalistischer Verhältnisse zu durchbrechen, müssen Theorie und Praxis „über sich hinausgehen und (können) erst im Resultat verschmelzen … Die berühmte ‚Einheit von Theorie und Praxis’ kann also nicht Voraussetzung sein, sondern nur immanentes Telos einer kategorialen Kritik; sie fällt mit der realen Transzendierung zusammen oder sie wird nicht sein“ (Kurz 2007, 102f). Solche Transzendierung ist im Interesse sozialer Emanzipation. Sie eröffnet Möglichkeiten, die Grenzen zu erkennen und zu negieren, die der Praxis durch die kapitalistische Vergesellschaftung gesetzt sind. Ohne solche Erkenntnis kann die „Praxis, die immerzu verändern will, nicht verändert werden“ (Adorno 2003, 147). Gegen Badious Aleatorik wäre zudem einzuwenden, dass auf der Grundlage der Negation der die kapitalistische Gesellschaft konstituierenden Formen eine neue Gesellschaft aus den Potentialen der negierten Gesellschaft entwickelt werden muss. Anzuknüpfen wäre an den Widerspruch zwischen Stoff und Form (Ortlieb 2009). Demnach zählt stofflicher Reichtum im Kapitalismus nur, wenn er in die Form abstrakten Reichtums gepresst wird, der sich im Geld ausdrückt. Die Fülle des stofflichen Reichtums einschließlich von technologischen Möglichkeiten, die sich im Kapitalismus herauskristallisiert haben, könnte für alle (universal) zur Geltung kommen, wenn es gelingt, den stofflichen Reichtum aus der Form des abstrakten Reichtums und damit vom Kapitalismus zu befreien. Auf dieser Grundlage – des Transzendierens von Theorie und Praxis – müsste über neue Praktiken nachgedacht werden, die in Erkenntnis und Negation der Verhältnisse einer Transformation den Weg bahnen. ‚Eingreifende Praxis‘ dürfte nicht ‚aleatorisch‘ sein, sondern müsste begreifen und begründen, was sie tut. Mit einer „unerhörten Geste“ (Badiou) ist der kapitalistischen Gesellschaft und ihren Krisenprozessen nicht zu entkommen. „Als Ersatz für die kritische Gegenvermittlung“ ist sie „ein miserabler Mythos, mit dem die Postmodernen ebenso billig wie großspurig davonzukommen hoffen“ (Kurz 2013, 171). 3.5 Die Leere und die HölleGeitzhaus fragt, ob es bei Badious „Konzept der ‚leeren Menge‘ … vielleicht strukturelle Ähnlichkeiten dieses Begriffs zum theologischen Begriff der Hölle“ (Geitzhaus 2018, 166) gebe. Ähnlichkeiten könnten darin gesehen werden, dass die Hölle ähnlich wie die ‚leere Menge‘ zwar definierbar, aber leer sei. Es fällt auf, dass die Leere den vermeintlichen Totalansprüchen eines substantialistischen und essentialistischen Denkens Möglichkeiten zu bieten scheint, Politik und Subjekt nicht-identitär zu begründen. In dieser Nähe bewegt sich auch Agmabens Kategorie der Schwelle (vgl. Agamben 2014), mit deren Unbestimmtheit sich die Offenheit für Messianisches verbindet. Sie kann zum Ausdruck einer neuen, nicht essentialistisch/substantialistischen Begründung von Identität und einer schwachen Vernunft werden. Auch eine „negative neue politische Theologie“, wie sie Ulrich Engel skizziert, knüpft an „Leerstellen“ (Engel 2016, 81) an: Sie „sucht solche Leerstellen gegen alle politischen und religiösen Schließungsversuche zu verteidigen“ (ebd.). Dabei hält sie „im Sinne eines Messianismus ohne Messias“ die Leerstelle für den Messias „inmitten von Staat und Gesellschaft“ (ebd.) offen. In der Leere, mit der Badiou – und auf seine Weise auch Agamben – Essentialismus und Identitätszwang entkommen wollen, spiegeln sich Abstraktheit und Inhaltsleere der gesellschaftlichen Form des Kapitalismus: „die metaphysische Leere des Werts“ (Kurz 2003, 69). Ohne hinreichende Arbeit als ‚Substanz‘ von Wert und Mehr-Wert laufen der Verwertungsprozess und mit ihm die abgespaltenen Bereiche ins Leere. Die Leere des Verwertungsprozesses entzieht mit der Arbeit auch den Subjekten ihre ‚substantielle‘ Grundlage und darin ihre Handlungsspielräume innerhalb der kapitalistischen Formen. Ähnliches gilt für die Leere von Staat und Politik bis hin zur Leere des Geldes als abstraktestem Ausdruck des Selbstzwecks der Vermehrung von Reichtum. Es hat keinen anderen Zweck als den seiner Selbstverwertung als Kapital und ist darin paradoxer Ausdruck einer (inhalts-)leeren Form. „Die Inhaltsleere von Wert, Geld und Staat muss sich in ausnahmslos alle Dinge dieser Welt entäußern, um sich als real darstellen zu können: von der Zahnbürste bis zur subtilsten seelischen Regung, vom einfachsten Gebrauchsgegenstand bis zur philosophischen Reflexion oder zur Umgestaltung ganzer Landschaften und Kontinente. Leben und Tod, das gesamte menschliche Dasein und das gesamte Dasein der Natur dienen einzig dieser proteus-artigen Darstellung des gesellschaftlich metaphysischen Vakuums von Kapital und Staat“ (Kurz 2003, 69f). In der metaphysischen Leere des Werts und des Subjekts als dem Handlungsträger des Verwertungsprozesses „gründet ein Potential der Weltvernichtung, weil nur in der Vernichtung der Widerspruch zwischen metaphysischer Leere und ‚Darstellungszwang‘ des Werts zu lösen ist“ (ebd., 69). In den gegenwärtigen Krisenzusammenhängen, vor allem in den mit der Finanzkrise seit 2007 noch einmal sich verschärfenden Prozessen globaler Entwertung, wird sichtbar, dass das warenproduzierende System auch historisch auf die innere Schranke seiner Reproduktionsfähigkeit stößt. Dies setzt eine Dynamik der Zerstörung der eigenen Grundlagen frei und entzieht den in die Subjektform gebannten Individuen die Grundlagen ihrer Existenz. Dies läuft darauf hinaus, dass immer mehr für die Verwertung Überflüssige in die Abgründe barbarisierender Verwilderung ‚abgeschoben‘ werden. An dieser Grenze zeigt sich „die reale Metaphysik der Moderne in ihrer abstoßendsten Weise: Nachdem das bürgerliche Subjekt alle seine Hüllen abgestreift hat, wird deutlich, dass sich hinter diesen Hüllen nichts verbirgt, dass der Kern dieses Subjekts ein Vakuum ist, dass es sich um eine Form handelt, die ‚an sich‘ keinen Inhalt hat“ (Hervorh. i. O.) (ebd., 68). In einer Situation, in der die vernichtende Leere der kapitalistischen Formen sich mit immer dramatischeren historischen Prozessen der Vernichtung verbinden, soll ein leeres messianisches Ereignis Rettung ‚ex nihilo‘ bringen. Dies entspricht der „antisessentialistischen postmodernen Ideologie“, zu deren „Essentials“ es gehört,, „dass das referentielle Verhältnis von Darstellung und Gegenstand, von Modus und Inhalt, von Zeichen und Bezeichnetem gelöscht werden soll“ (Kurz 2012, 76). Die leere Form ist das, woraufhin der prozessierende Widerspruch der Kapitalverwertung tendiert: die illusionäre Trennung dieses Prozesses von der Materie. Aus dieser Leere kann nichts Rettendes entstehen, sondern droht das Nichts als Vernichtung. Die inhaltliche Leere und die Gleichgültigkeit gegenüber der Vernichtung des Lebens drängen sich um so mehr in den Vordergrund, je dramatischer sich die Krise zuspitzt. Zugleich eröffnet dabei die Unbestimmtheit der Leere die Möglichkeit, mit Identitärem wie Familie, Region, Nation, Religion aufgeladen zu werden. Als Rettungsanker soll ausgerechnet das neu zur Geltung gebracht werden, was durch den Krisenprozess zerstört wird. Im hier beschrieben Zusammenhang gib es dann tatsächlich die von Geitzhaus angesprochene strukturelle Nähe von Badious Leere zur Hölle – und zwar zur kapitalistischen Hölle auf Erden. 4. Gottesgedanke, universale Solidarität und WahrheitBadiou bringt den paulinischen Universalismus mit dem monotheistischen Gedanken an den einen Gott in Verbindung. Diesen Gedanken versteht er nicht als Ergebnis philosophischer Spekulation über eine allem Seienden zugrunde liegende Substanz eines ‚höchsten Wesens‘, sondern als ‚Adressierung an alle‘. Grundlage des Einen ist also „die Wendung an alle“ (Badiou 2009, 96). Auch der biblische Gottesgedanke wendet sich an alle. Im Unterschied zu Badious Ontologie einer leeren Mannigfaltigkeit ist er aber nicht leer, sondern mit Inhalten verbunden, die in der ‚Großen Erzählung‘ mit der Geschichte und ihren Abgründen verbunden sind und die über Israel und seinen Messias an alle adressiert sind. Während bei Badiou das Universale als „prinzipielle Geltung für alle“ (so Geitzhaus 2020, 86) verstanden wird, bleibt das Universale als ‚Adressierung an alle‘ in den Traditionen des jüdisch-christlichen Gottesgedankens an die ‚Letzten‘ bzw. an die Opfer sowie an damit einhergehende herrschaftskritische Inhalte gebunden. Darin hat die Rede von der ‚Autorität der Leidenden‘ als universalisierende Perspektive ihre Wurzeln. Universalität gründet also nicht in einem idealistischen Prinzip, sondern in der Reflexion geschichtlicher Erfahrungen, die darauf drängen, dass den Letzten, den Opfern von Herrschaft Gerechtigkeit widerfährt. Diese besteht – darin marx‘schem Denken sehr nahe – in der Befriedigung der Grundbedürfnisse (vgl. Mt 25,31ff; Lk 1,53, 6,20ff) als Basis eines solidarischen Lebens. Auf dieser Grundlage verbindet sich der Gedanke der Gleichheit mit der Überwindung von Herrschaft (vgl. Lk 1,51f, 22,24-30; Mt 20,24-28; Mk 10,41-45) wie sie auch in dem von Paulus (vgl. Gal 3,26ff) zitierten Taufbekenntnis zum Ausdruck kommt, nach dem das Zusammenleben nicht mehr durch Überordnung von jüdischer über nicht-jüdischer Tradition, von Herren über Sklaven, von Männlichem über Weiblichem geprägt sein soll. Auch dies ist wiederum nicht ‚prinzipiell‘ gedacht bzw. aus einem allgemeinen Prinzip abgeleitet, sondern Ergebnis der in der ‚Großen Erzählung‘ reflektierten Erfahrungen mit Herrschaftsverhältnissen, denen Menschen zum Opfer fallen. Der Gedanke der Überwindung von Herrschaftsverhältnissen – wiederum der marx‘schen Vorstellung eines ‚Vereins freier Menschen‘ nicht unähnlich – ist keine reine Affirmation von etwas Neuem, sondern ergibt sich aus der Negation bestehender Herrschaftsverhältnisse, heute aus der Negation der kapitalistischen Vergesellschaftung. Die mit dem jüdisch-christlichen Gottesgedanken verbundene ‚Adressierung an alle‘ umfasst nicht nur aktuell lebende Generationen, sondern die ganze Menschheit. Insofern muss Gott – soll dem Gottesgedanken nicht seine transzendierende Kraft als Einspruch gegen geschlossene Immanenz genommen werden – als ein „Gott der Lebenden und der Toten“ (Metz 2016a, 99f) verstanden werden und ‚universale Solidarität‘ über die Lebenden hinaus bis zu den Toten reichen – zu den Opfern von Unrecht und Gewalt zuerst. Die Beunruhigung durch den Tod der Opfer verbindet ‚politische Theologie‘ mit Adornos Denken einer Negativen Dialektik, nach der „die Erfahrung, dass der Gedanke, der sich nicht selbst enthauptet, in Transzendenz mündet, bis zur Idee einer Verfassung der Welt, in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich vergangene widerrufen wäre“ (Adorno 2003, 395). Dass das Denken bis zu dieser Grenze getrieben wird, hängt an dem somatischen Moment, das der Negativen Dialektik inhärent ist. „Das leibhafte Moment“, das der Erkenntnis meldet, „dass Leiden nicht sein, dass es anders werden solle“, straft als „kleinste Spur sinnlosen Leidens in der erfahrenen Welt … die gesamte Identitäsphilosophie Lügen, die es der Erfahrung ausreden möchte“ (ebd., 100). Wo Denken so materialistisch ist, dass „das somatische Moment“ das Denken kategorial bestimmt, können die Erfahrung des Todes als Vernichtung und die blutigen Leiber der Opfer nicht aus dem Denken verbannt werden. Die Frage nach Leben und Tod lässt sich dann nicht reduzieren auf einen Tod, der als Unterwerfung unter das Gesetz verstanden wird und auf eine Auferstehung, die in „der wiedergefundenen Konjunktion von Denken und Tun“ (Badiou 2009, 106) ein neues Subjekt einschließlich einer neuen Praxis und Wahrheit entstehen lässt. Gegen die geschichtslosen Interpretationen des Gesetzlichen als Diskurse wäre daran zu erinnern, dass die Tode, die unter der Herrschaft von Gesetzen – vom römischen Gesetz bis hin zum Wertgesetz – gestorben wurden und werden, ausgesprochen blutig sind, so dass Badious Existenzialisierung des Todes Ausdruck der Ignoranz gegenüber den unhintergehbaren somatischen Dimensionen des Lebens ist. Badious Materialismusverständnis mag ja mit der ‚politischen Theologie‘ die formale und prinzipielle Einsicht teilen, „dass es der materialistischen Theorie um die Veränderung der Welt geht“ (Geitzhaus 2018, 147). Badious „Materialismus der Gnade“ (Badiou 2009, 84) eines leeren die Wahrheit der Universalität begründenden Ereignisses bleibt aber idealistisch, weil ohne jeden somatischen Bezug. Anti-idealistisch und materialistisch wäre mit Adorno auf dem Leiden als Ausdruck des Nicht-Identischen, der Geschichte in ihrem somatischen Charakter als Objekt des Denkens zu bestehen. Der Materialismus mit seiner „Sehnsucht, die Sache zu begreifen“ kommt „mit der Theologie dort überein, wo er am materialistischsten ist. Seine Sehnsucht wäre die Auferstehung des Fleisches; dem Idealismus, dem Reich des absoluten Geistes, ist sie ganz fremd“ (Adorno 2003 207). Adorno denkt somatisch-materialistisch bis an die Grenzen der Immanenz, ohne sie zu überschreiten. Ihr Überschreiten kann nicht gedacht werden, ohne in ontologischen Idealismus zurück zu fallen. Negative Dialektik widerstreitet einem ontologischen Denken, das – wie im ontologischen Gottesbeweis (Anselm v. Canterbury) – aus der Idee deren Wirklichkeit ableitet. Sie widerstreitet aber auch „dem Versuch verzweifelten Bewusstseins, Verzweiflung als Absolutes zu setzen“ (ebd., 325f). Sie kann sich nicht bei sich beruhigen, „als wäre sie total“ (ebd., 398) Auch die Theologie verfügt über keine Einsichten, die es ihr ermöglichten, die Gewissheit einer ‚Auferstehung des Fleisches‘ zu behaupten. Sie reflektiert eine Hoffnung, die sich in biblischen Traditionen des Einspruchs gegen Herrschaft und Gewalt Bahn bricht und sich zur Hoffnung auf die ‚Auferstehung des Fleisches‘ verdichtet. Darin spiegelt sich die Sensibilität für die somatische und verwundbare Dimension des Lebens, das gefolterte und vernichtete ‚Fleisch‘. Die Hoffnung auf die ‚Auferstehung des Fleisches‘ ist ‚an alle adressiert‘. Sie verschafft sich Ausdruck im Zusammenhang der Hoffnung auf eine andere Welt, einen ‚neuen Himmel und eine neue Erde‘ als Gegenbild zu Babylon bei Jesaja (Jes 64, 16bff) und zu Rom in der Offenbarung des Johannes (Offb 21). Im Unterschied zu Badious Rede von Auferstehung bleibt diese Hoffnung weder geschichts- und inhalts- noch ‚fleischlos‘. Der Bruch mit den Verhältnissen kann daher auch nicht als Einbruch eines unvermittelten und leeren Novums verstanden werden, das in einer Ontologie fundiert ist, die „nicht von einem Ganzen bzw. einer Totalität ausgeht“ (Geitzhaus 2020, 62). Das, womit gebrochen wird, bleibt präsent und so wird zu reflektieren sein, mit welchen Verhältnissen gebrochen werden soll. Der Bruch ist nicht Ergebnis einer begründungslosen „Entscheidung für das Ungewisse und die daraus gezogenen Konsequenzen“ (ebd., 65), sondern gründet in der Negation der als gebrochenes Ganzes in ihrer Dialektik zu begreifenden Verhältnisse. Eine sich gesellschaftskritisch artikulierende Theologie steht damit vor einer doppelten Herausforderung. Sie muss den Bruch mit der ‚konkreten Totalität‘ (vgl. Scholz 2009) der in Vernichtung treibenden Wert-Abspaltungsvergesellschaftung reflektieren und transzendieren. Als ‚Rede von Gott‘ ist sie zugleich mit allen Menschen, also mit der Geschichte der Menschheit und der Schöpfung als Ganzer verbunden. Auf dieser Ebene geht es um einen Bruch, der auch die vergangenen Leiden einbezieht und eine Hoffnung artikuliert, in die die Wunden der Vergangenheit miteinbezogen sind. Mit dem ‚doppelten Bruch‘ verbindet sich ein ‚doppeltes Transzendieren‘: ein Überschreiten der Immanenz kapitalistischer Verhältnisse, aber auch der Geschichte als Ganzer. Erkenntnis und Einspruch zielen darauf praktisch, also Wirklichkeit zu werden. Das ist aber nur möglich, wenn auch die Praxis mit der Immanenz der kapitalistischen Verhältnisse bricht. Ohne Reflexion der damit verbundenen Grenzen der Praxis bleibt der Ruf nach Praxis ebenso abstrakt wie die Proklamation ‚des Neuen‘ als Bruch mit ‚dem Alten‘ (Ramminger 2020, 37ff) und von der Versuchung begleitet, die Aporien der Praxis durch eine Existenzialisierung der Treue zu einem Ereignis zu überspringen. Von der Treue „sagt Badiou, dass sie einfach darin besteht, etwas zu tun, etwas zu organisieren“ (ebd., 45). Was dann bleibt, ist das unbestimmte Festhalten an unbestimmten Möglichkeiten. Der Einspruch gegen geschlossene Immanenz ist dagegen auch ein Einspruch gegen eine Praxis, die in der Immanenz der kapitalistischen Verhältnisse verharrt und über die Wiederkehr des Gleichen im Rahmen der kapitalistischen Polaritäten von Markt und Staat, Ökonomie und Politik, Subjekt und Objekt nicht hinaus kommt (vgl. Böttcher 2018). Darüber hinaus ist für eine jüdisch-christliche Praxis, die auf den Bruch mit der Immanenz der Verhältnisse besteht, die Kultur bzw. der Kultus einer Erinnerung konstitutiv, in der die Opfer und Leiden der Vergangenheit einen Ort haben und darin die Unabgeschlossenheit der offenen Wunden in der Geschichte jenseits von Verklärungen und Sinnstiftungen, aber nicht ohne Hoffnung auf Rettung, zur Geltung kommen. Er inszeniert sich nicht in theologischen Gewissheiten, sondern als Rückfrage an Gott angesichts des Widerspruchs zwischen Verheißung und Wirklichkeit. Im Gegensatz zu Verklärungen und Sinnstiftungen artikuliert er sich theologisch als Klage und Rückfrage an Gott, ob und wann er denn wahr mache, was mit seinem Namen versprochen ist. Die mit diesem Namen verbundenen Verheißungen hätten sich erst dann als wahr erwiesen, wenn sie mit dem Ende der Zeit Wirklichkeit würden. Darauf zielt – gewissermaßen als Vorgriff – gesellschaftskritisches theologisches Denken und ein Handeln, das in aller Fragmentarität auf die Rettung aller zielt. 5. Einige NachträgeIm vorliegenden Text konnte die 2020 unter dem Titel „Ereignis, Freiheit, Transzendenz“ erschienenen „Auseinandersetzungen mit Alain Badiou“ aus dem Umfeld des Instituts für Theologie und Politik nur am Rande einbezogen werden (Geitzhaus, Ramminger 2020). Drei Anmerkungen seien nachgetragen: Badiou, komm uns zu Hilfe – beim ‚Festhalten‘!Das Motiv des ‚Festhaltens‘ zieht sich durch den Text von Julia Lis (2020). ‚Festgehalten‘ werden soll u.a. „an einer grundlegenden egalitären Perspektive“ (ebd., 150), an der „Idee des Kommunismus“ (ebd., 155, 162, 165), „an der Möglichkeit der Unterbrechung des Bestehenden“ (ebd., 160), „an der Möglichkeit eines biblisch bezeugten Lebens in Fülle für alle Menschen“ (ebd., 166). Zu recht betont Lis dabei die Notwendigkeit eines Bruchs mit den bestehenden Verhältnissen. Worin sie bestehen, bleibt jedoch – wie bei Badiou – weitgehend unbestimmt. Im Blick ist vor allem der Staat. Im Hintergrund steht Badious Wortspiel, das sich aus dem Französischen aus den Begriffen ‚État‘ für Staat und ‚état‘ für Zustand/Verfassung ergibt (Badiou 2016, 123). In diesem Sinn repräsentiert der Staat die Verfassung der bestehenden Verhältnisse (ebd., 124ff). Badiou unterscheidet nun zwischen dem Politischen und der Politik (Badiou 2010). Während das Politische dem ‚Bestehenden‘ zugeordnet wird, eröffnet Politik die Möglichkeit eines Bruchs mit dem ‚Bestehenden‘. Diese – so Lis – „konstituiert sich als ein Denken jenseits der Verwaltung von Zwängen“ (Lis 2019, 152), das durch ein Ereignis ermöglicht wird, welches aus der Unendlichkeit der Möglichkeiten einbricht und neue Möglichkeiten eröffnet, die das ‚Bestehende‘ durchbrechen. „Der Staat ist für Badiou immer die Endlichkeit der Möglichkeiten und eine Politik aus dem Ereignis heraus bedeutet diese Möglichkeiten ins Unendliche zu wenden“ (ebd., 153). Das unableitbare, zufällige Ereignis kreiert ein neues Subjekt, das sich in seiner Handlungsfähigkeit dadurch konstituiert, dass es kraft seiner Entscheidung dem Ereignis treu bleibt und so eine Wahrheit generiert, die sich in neuen unableitbaren Verhältnissen Ausdruck verschafft. Dadurch wird es möglich, an der „Idee des Kommunismus“ und seiner „grundlegenden egalitären Perspektive festzuhalten“ (ebd., 150). Gelöst ist zugleich ein Problem der heutigen Linken auf das Slavoj Žižek hingewiesen hat: Der Staat wird mit im Rahmen der Verhältnisse unerfüllbaren sozialen Forderungen konfrontiert. Dies führe jedoch nicht zur Überwindung der Verhältnisse, sondern zu rechtsextremem Populismus (Žižek 2012; Lis 2019, 148). Statt der Negation der Verhältnisse kann eine „positive Idee“, „die Idee des Kommunismus“, über die Verhältnisse hinaus weisen und Horizonte für eine emanzipatorische Politik eröffnen. Im Zusammenhang mit seiner an lacan‘scher Psychoanalyse orientierter Perspektive rückt de facto das Subjekt in den Vordergrund. Den Wert sieht Lacan als Phantasma, das die Realität erst herstellt. Dabei wird die real-abstrakte Konstitution der kapitalistischen Verhältnisse zu einem „subjektinduzierten Gedankending“ (Scholz 2020, 56) ohne materielles Substrat. Dieses wird sodann auf äußerliche Weise altmarxistisch hinzu gefügt, als Zutat gewissermaßen. Auch wenn, was Žižek durchaus registriert, Arbeiter_innen und damit auch das Kapital überschüssig werden (vgl. Scholz 2020, 51), ist es möglich, aus der objektiven Aporie kapitalistischer Verhältnisse durch einen Akt (nach Lacan) oder mit einem Ereignis (nach Badiou) heraus zu kommen. Das Phantasma (Lacan) kann gebrochen und an der positiven „Idee des Kommunismus“ fest gehalten werden. Subjekt und Praxis sind neu geboren und der Klassenkampf kann – in welche kruden Formen auch immer – wieder neu aufgenommen werden, ohne sich um die Objektivität der Verhältnisse zu scheren, die Subjekt und Praxis obsolet werden lassen. Die „Idee des Kommunismus“ beinhaltet nach Badiou einen Bruch mit der „Logik des Profits … als den einzigen Antrieb der wirtschaftlichen Entwicklung … – also letztlich die Abschaffung des Privateigentums, des Eigentums der Produktionsmittel…, vollständige Transformation der Logik der Arbeitsteilung, Internationalismus (sowie) aufgrund der Notwendigkeit einer weltweiten globalen Regierung ein Absterben … der juristisch und militärisch von einander getrennten Nationalstaaten“ (Badiou 2017, 25f). Bereits diese Charakteristika machen deutlich, dass es zu keinem Bruch kommt, sondern die auf ihre logischen und historischen Schranken stoßenden Verhältnisse – wenn auch nur in der Illusion der Idee – weitergehen. Die „Logik des Profits“ lässt an die unternehmerischen Akteure denken, jedenfalls nicht an ein „automatisches Subjekt“ im Sinn von Marx (1984, 189). Die Abschaffung des Eigentums bleibt auf der Ebene des Rechts und lässt die ihm zugrundeliegende Warenproduktion unangetastet. Nicht die Arbeit als Formelement der Verhältnisse wird zur Disposition gestellt, sondern sondern die Arbeitsteilung bzw. deren „Logik“. Der Staat wird nicht überwunden, sondern auf die Ebene einer „weltweiten globalen Regierung“ (ebd.) gehoben. Mit der „Idee des Kommunismus“ soll „fest gehalten“ bzw. neu konstituiert werden, was in der Krise des Kapitalismus immer haltloser wird: Subjekt und Praxis. Mit dem Einbruch der Arbeit als seiner materiellen Basis fällt das Subjekt immer weiter ins Leere. Seine Autonomie und Handlungsfähigkeit verlieren ihren Halt. Zurückgeworfen auf sich selbst bzw. seine eigene Leere und einhergehend mit einem narzisstischem Sozialcharakter, der Inhalte nur noch in unmittelbarem Bezug auf sich selbst wahrnehmen und verarbeiten kann (Wissen 2017, vor allem 30ff), wächst die Versuchung, Halt in identitären Illusionen, Bewegungen und Wahnvorstellungen zu finden. Sie changieren – wie ja die Corona-Krise nachdrücklich und erschreckend zeigt – zwischen rechten Orientierungen über Verschwörungswahnsinn bis zur Beschwörung der ‚Idee der Demokratie‘, zwischen Autoritärem und Freiheitlich-Anarchischem. Vor allem mit letzterem verbindet sich die Illusion von Autonomie im Rahmen individueller Selbstsetzung und angesichts von Corona die Sehnsucht nach Rückkehr zur kapitalistischen (Krisen-)Normalität und ihrer demokratischen Verfassung. Dass diese den Ausnahmezustand gegen Flüchtende – einschließlich der Möglichkeit ihrer Inhaftierung – gerade wieder einmal verschärft, kann da kaum irritieren. Aus der Leere steigt kein rettendes Ereignis, keine rettende Idee auf. Die mit einem unableitbaren Ereignis verbundenen Illusionen einer an alle adressierten Egalität, einer globalen Regierung, einer Neubegründung des Subjekts und einer egalitären Praxis bleiben kategorial dem ‚Bestehenden‘ verhaftet und damit auch die ‚Idee des Kommunismus‘. Die ‚politische Theologie‘ hat mit Subjekt und Praxis genau jene Kategorien zur Grundlage ihrer Konzeption gemacht, die im Zerfall des Kapitalismus ihren Halt verlieren. Vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass diese Kategorien ‚irgendwie‘ nicht mehr greifen, kann Badiou „uns hier helfen, politisch-theologisch auf eine Spur zu kommen, unter welchen Bedingungen sich heute von einer emanzipatorischen Politik sprechen ließe...“ (Lis 2019, 149). Badiou kommt als Helfer in Frage, weil zwischen seiner Philosophie und ‚politischer Theologie‘ eine Nähe konstatiert wird. Lis sieht sie in der Kritik von Vorstellungen eines linearen Verlaufs der Geschichte, dem Gedanken des Bruchs mit dem Bestehenden (151ff) und einer Neuorientierung auf den Gedanken einer universalen, d.h. an alle adressierten Gleichheit. Wie bei Badiou ist der Bruch mit dem Bestehenden über Ereignisse vermittelt. In der jüdisch-christlichen Traditionen werden sie als Ereignisse der Befreiung erinnert. In der Treue zu solchen Ereignissen, die einen Bruch mit dem Bestehenden beinhalten, werden das Subjekt und seine Praxis in einem Prozess, der die mit dem Ereignis verbundene Wahrheit generiert, neu fundiert. Der Marxismus hat mit Badiou, Žižek und Co. nach dem Verlust des ‚revolutionären Subjekts‘ ein neues militantes Subjekt gefunden, das nicht der Dialektik der Geschichte, sondern einem unableitbaren Ereignis entspringt. Die politische Theologie kann ‚festhalten‘: an Subjekt und Universalität, an Praxis und Solidarität – ohne sich die beschwerliche und desillusionierende Frage zu stellen, warum ihre konstituierenden Kategorien sich an der Realität des Krisenkapitalismus brechen. Nur über diesen Weg wäre ein Bruch möglich – nicht abstrakt mit ‚dem Bestehenden‘, sondern mit dem zu bestimmenden „warenproduzierenden Patriarchat“ (Roswitha Scholz), mit einem Kapitalismus, der durch die Gleichursprünglichkeit von Wert und Abspaltung konstituiert ist und in der Krise mehr und mehr seine ‚Fassung‘ verliert. Da kann nichts mehr ‚festgehalten‘ werden: keine Arbeit und keine Reproduktion, kein Subjekt und keine Praxis, keine Idee des Kommunismus und keine Idee der Demokratie. Bei der Frage nach einer emanzipatorischen Praxis führt an der Negation des zu analysierenden Bestehenden kein Weg vorbei. Da hilft kein ‚höheres Wesen‘ und auch kein Badiou. Richtig bleibt, dass aus der Analyse des Bestehenden eine emanzipatorische Praxis nicht einfach abgeleitet werden kann (vgl. 4.4). Der unverzichtbare „Bruch mit den patriarchal-kapitalistischen Formkategorien“ eröffnet aber Horizonte und Perspektiven für eine über die Form hinausgreifende emanzipatorische Praxis, kann sie aber „nicht ersetzen“ (Kloos 2020, 7). „Emanzipatorische Praxisfähigkeit“Zu Beginn seines Textes greift Michael Ramminger (2020, 29ff) eine Bemerkung von Roswitha Scholz zu „emanzipatorischen Praxisfähigkeit“ (Scholz 2006, 172) auf. Sie steht im Zusammenhang ihrer Auseinandersetzung mit einer sich damals bereits abzeichnenden Wende von einem oberflächlichen Denken in Differenzen und eines in Pluralität verschwindenden Wahrheitsbegriffs hin zu autoritärem, zum Teil religiös aufgeladenem Denken, „das Ordnung verspricht“ (ebd.). Daraus – so ihre Diagnose – kann keine „wirkliche emanzipatorische Praxisfähigkeit resultieren“ (ebd.). Entscheidend dafür wäre es, „sich dem Grundprinzip der Wert-Abspaltung in all seiner Komplexität als einem historischen Prozess seit der frühen Neuzeit zu stellen“ (ebd.). Michael Ramminger (2020, 29) ignoriert den Kern der Aussage: nämlich dass erst im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit dem „Grundprinzip der Wert-Abspaltung“ sich „emanzipatorische Praxisfähigkeit“ entwickeln lässt. Statt dessen zitiert er lediglich die „Komplexität als einem historisch dynamischen Prozeß seit der frühen Neuzeit“ (Ramminger 2020), also Scholz‘ Hinweis, dass das „Grundprinzip der Wert-Abspaltung“ in einem komplexen historisch dynamischen Prozess verstanden werden müsse. Ignoriert wird die „Wert-Abspaltung“ als Kernpunkt von Scholz‘ Argumentation und es bleibt ein irgendwie gearteter historisch-dynamischer Prozess. Ramminger will auf die Aussage hinaus, dass Praxisfähigkeit nicht in „zwangsläufig oder vielleicht überhaupt“ (ebd.) nicht in solchen analytischen Zusammenhängen entstehe, und fügt hinzu: „wie sich mancher Marxist als selbsternannte fortgeschrittenste Form aufgeklärten Denkens verstehen mag“ (ebd., 29f). Nun spricht nichts gegen polemisierende Formulierungen. Nur mit Roswitha Scholz hat das nun gar nichts mehr zu tun. Mit der von ihr entwickelten und von Ramminger ignorierten Theorie der „Wert-Abspaltung“ steht Scholz genau für das Gegenteil von dem, was Ramminger als „fortgeschrittenste Form aufgeklärten Denkens“ von Marxisten unterstellt: für die Kritik von Fortschritt und von Aufklärung als philosophischer Begleitmusik in der Durchsetzung des Kapitalismus, für die Kritik eines Marxismus, der sich mit dem Insistieren auf Arbeit und Klassenkampf in der Immanenz des Kapitalverhältnisses bewegt. Und vor allem hat sie die Kategorie der Abspaltung des Weiblichen nicht als Nebenwiderspruch, sondern als gleichursprünglich mit dem männlich konnotierten Wert als wesentliches Element der Theorie entwickelt. Genau deshalb geht es nicht um Wertkritik, sondern um die Kritik von Wert und Abspaltung. Scholz‘ Kritik, „Komplexität in reduktionistischen Vereinfachungen zu ersäufen, aus denen keine wirklich emanzipatorische ‚Praxisfähigkeit‘ erwachsen kann“ (Scholz 2006, 172), wendet Ramminger kurzerhand gegen „die Wertkritik“. Ihr werde „eine Unmittelbarkeit mit Blick auf Praxis oder mindestens Praxishinweise zugetraut..., die … eine Naivität und Unterkomplexität im Blick auf das Verhältnis von Theorie, theoretische Praxis und gesellschaftliche Praxis impliziert“ (Ramminger 2020, 30), um – genervt oder auch etwas ressentimentträchtig(?) – hinzuzufügen: „Der ewige Hinweis auf verkürzte Kapitalismuskritik hilft nicht weiter“ (ebd.). Dabei ist es gerade die „verkürzte Kapitalismuskritik“, die nicht wahr haben will, dass eine Praxis scheitern muss, die sich in der Immanenz des Kapitalverhältnisses bewegt. Erst die Überwindung einer „verkürzten Kapitalismuskritik“ könnte den Weg bahnen zu einer Praxis, die den Kapitalismus überwinden könnte. Solange bereits die Kritik an verkürzter Kapitalismuskritik abgewehrt wird, liegt die Ausflucht in die Ontologisierung der Praxis als vermeintliche Begründung ihrer prinzipiellen Möglichkeiten und der existenziell-religiösen Annahme einer aus der Ontologie über ein Ereignis hereinbrechenden Praxis nahe. Letztlich kommt auch der philosophische Aufwand, der betrieben wird, um dies zu begründen, nicht über den Attac-Slogan hinaus: ‚Eine andere Welt ist möglich‘. Und so ist Scholz‘ Verdacht einer „christlich-messianische(n) Umdeutung von Gesellschaftskritik“ (Scholz 2006, 166) alles andere als aus der Luft gegriffen. Übereinstimmung mit Ramminger zeigt sich da, wo er schreibt: „Eine ausgiebige Kapitalismuskritik ist kein Garant für eine den Verhältnissen angemessene emanzipatorische Praxis“ (Ramminger 2020, 30). Praxis kann aus theoretischer Erkenntnis nicht einfach abgeleitet werden. Theorie kann aber sehr wohl deutlich machen, wo und warum Praxis auf Grenzen stößt und in ihren Illusionen gegen die Wand der Verhältnisse anrennt. Emanzipatorische Praxis lässt sich erst auf der Grundlage der Negation der den Kapitalismus konstituierenden Formen entwickeln. Was das strategisch und praktisch heißen kann, wäre zu buchstabieren und auszuprobieren. Dabei könnten Praxisformen entdeckt werden, die gezielt auf die Überwindung der kapitalistischen Formen ausgerichtet sind. Sie können beginnen bei Forderungen, die gestellt werden, weil sie von den Bedürfnissen und Lebenszusammenhängen von Menschen her richtig und notwendig sind, ohne sich von der Frage der Finanzierbarkeit zensieren zu lassen. Es käme zu einer Umverteilung der Beweislast: Nicht die Fordernden müssen die Finanzierbarkeit nachweisen. Vielmehr müsste ihre Ablehnung als eine Dokumentation ihrer Unerfüllbarkeit in den Grenzen eines Systems verstanden werden, das es zu überwinden gilt. Über Forderungen, die über die Grenzen des Systems hinaus gehen, ließen sich Formen des Widerstands entwickeln. Entscheidend ist, dass mit der Legitimität im Sinne der Systemlogik – mit ihrem ‚Gesetz‘ – gebrochen wird. In der Entwicklung solcher Praxis wäre viel Luft nach oben. Sie geht unverzichtbar einher mit theoretischer Reflexion, hat aber zugleich einen Überschuss, der nicht aus ihr abgeleitet werden kann. In welche Richtung eine solche Praxis zu entwickeln wäre, hat Robert Kurz deutlich gemacht: „Der vernünftige Umgang mit den Dingen selber ist … nicht aus den Abstraktionen der kritischen Theorie herzuleiten, sondern diese kann nur als Begründung dafür dienen, dass sich die Individuen bewusst zu einer negatorischen Organisation zusammenschließen, um die kapitalistische Antivernunft zu sprengen, sich die gesellschaftlichen Potenzen anzueignen und in einem von den irrational betriebswirtschaftlichen Zwängen befreiten praktischen Umgang mit den Dingen erst herauszufinden ist...“ (Kurz 2010/2006, 395f, vgl. auch Kloos 348ff). Badiou und kritische TheorieDie von Metz entwickelte ‚politische Theologie‘ gewann wesentliche Konturen in der Auseinandersetzung mit Strömungen in der kritischen Theorie. Dazu steht die Rezeption von Badious Philosophie in einem Spannungsverhältnis. Dies greift Philipp Geitzhaus in einem Abschnitt seines Aufsatzes auf, der überschrieben ist mit „Statt eines Fazits: Fragen“ (2020, 68ff). Sie beziehen sich vor allem auf Fragen nach dem Ganzen, nach dem emanzipatorischen Subjekt und der Universalität von Emanzipation bzw. Erlösung. Die Frage nach dem Ganzen greift den Ausgriff der kritischen Gesellschaftstheorie auf das Ganze der gesellschaftlichen Verhältnisse, wert-abspaltungskritisch auf ‚konkrete Totalität‘, auf Wert-Abspaltung, die als historisch-dynamischer Prozess (vgl. Scholz 2006, 172) zu verstehen ist. Ob von Badious Ablehnung des Einen bzw. Ganzen auf der ontologischen Ebene eine Brücke zu schlagen ist zu einem gesellschaftlichen Ganzen auf der historischen Ebene, mag eine offene und spannende Frage sein. Problematischer erscheint Badious Insistieren auf einer Leere sowohl auf der ontologischen (leere Vielheit) als auch auf der historischen Ebene (leeres Ereignis). Damit ist sein Denken von einem leeren Formalismus geprägt wie er für Kant bzw. auch für die an ihn anknüpfende Freiheitstheologie (u.a. Striet, Pröpper, Essen) signifikant ist5. Dieses Denken orientiert sich an reinen Formen (Freiheit, sittlicher Sollensanspruch im Rahmen der Autonomie moralischen Handelns) bzw. an den leeren Formen von Sein und Ereignis. Solch reines Denken kann, obwohl es sich aus historischen Erfahrungen speisen muss, erst ein nachträgliches Verhältnis zu den gesellschaftlichen Verhältnissen im Sinne einer ‚Konkretisierung‘ herstellen. Es kann nicht Form und Materie als Einheit und damit Form als Inhalt, Totalität als ‚konkrete Totalität‘ denken. In seinem Zentrum steht „die Anbetung der leeren Abstraktion ‚einer Form überhaupt‘ (Kant)“ (Kurz 2003, 70). Die „Suche … nach emanzipatorischen Subjekten“ (Geitzhaus 2020, 68) ist ein wunder Punkt in der kritischen Theorie von Horkheimer und Adorno wie auch in der ‚politischen Theologie‘. Das Subjekt, das sich als autonom und handlungsfähig versteht, ist gebunden an den Rahmen der kapitalistischen Vergesellschaftung, setzt also deren kategoriale Bestimmungen immer schon voraus. Auch das revolutionäre Subjekt bleibt Handlungsträger der abstrakten Arbeit und an die Immanenz der Fetischkonstitution von Arbeit und Kapital gebunden. Mit dem Subjekt ist also nicht über die Verhältnisse hinaus zu kommen – erst recht, wenn die Verhältnisse nur als Tauschverhältnisse und damit lediglich von der Ebene der Zirkulation her bestimmt werden. Auch Geitzhaus bleibt bei „Tauschprinzip, Normierung durch die verwaltete Welt, Pluralisierung durch Neoliberalismus“ (ebd., 69) und erreicht damit nicht die gesellschaftliche Tiefenstruktur in ihrer Konstitution durch die Einheit von Produktion und Zirkulation auf der Ebene des Werts und der abgespaltenen Reproduktion samt der damit einhergehenden politischen, sozialen und kulturellen (z.B. Pluralismus) und symbolischen (z.B. Normierungen) Vermittlungen. Für die ‚politische Theologie‘ reicht es nicht, das bürgerliche Subjekt zu universalisieren und als solidarisches Subjekt zu verstehen. Der Bruch, der ja – wenn auch nur abstrakt gegenüber den historischen Verhältnissen – eingefordert wird, muss ein Bruch auch mit der Kategorie Subjekt sein, das seine liberale wie vermeintlich revolutionäre Handlungsfähigkeit immer schon im Rahmen des kapitalistischen Formzusammenhangs konstituiert. Diese Grenzen treten in der Krise immer deutlicher hervor. Das müsste Anlass sein, über solche Grenzen und das, was sie konstituiert, hinaus zu denken statt illusionär an einem Subjekt ‚festzuhalten‘, das mit der Arbeit zunehmend die Substanz seiner Existenz und Handlungsfähigkeit verliert. Während kritische Theorie und ‚politische Theologie‘ kategorial dazu in der Lage sind, über ihre immanenten Grenzen hinaus zu denken, ist das im Blick auf Badiou eher zu bezweifeln. Er sucht die realen Aporien, auf die das Handeln im Rahmen der Verhältnisse stößt, durch Ontologisierung seiner Möglichkeiten und die Existenzialisierung der Annahme der Möglichkeit eines Ereignisses durch einen dezisionistischen Akt zu kompensieren. Zu recht betont Geitzhaus, dass sich ‚politische Theologie‘ gegen ein „existentialistisches Glaubensverständnis richtet“ (ebd., 69). Gegen die Vorherrschaft existenzialistisch geschichtsloser Kategorien hatte sie ja mit den Kategorien von Erinnerung als ‚memoria passionis‘ und Erzählung einen konstitutiven und nicht erst nachträglichen – als Konkretisierung oder Konsequenzen gedachten – Bezug zu ‚Geschichte und Gesellschaft‘ hergestellt. Er ist vermittelt über die Erinnerung des Leidens in Gegenwart und Vergangenheit. Von daher wären Emanzipation und Erlösung im Horizont von Compassion zu denken. Emanzipation geht nicht ohne an somatische Bedürfnisse anzuknüpfen und die durch Herrschaft geknechteten und verwundeten Körper ernst zu nehmen. Erlösung geht nicht ohne eine „‘Solidarität nach rückwärts‘“ (ebd.), die auch die Opfer und Toten der Vergangenheit einbezieht. Wie könnte sie sonst als universal, als ‚adressiert an alle‘ gelten können?
Literatur
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