Thomas MeyerWertkritik als Mogelpackung1. EinleitungSeit der Spaltung der Krisis und damit eingehenden Auflösung des früheren Krisis-Zusammenhanges sind mittlerweile einige Jahre vergangen (vgl. Kurz 2004). Über die Jahre wurden Texte von Krisis (und Streifzüge) seitens Exit immer wieder einer Kritik unterzogen.1 Sei es, dass diese eine verkürzte Arbeitskritik propagieren, unter Ausblendung oder Hintanstellung von Sexismus-, Antisemitismus-, und Rassismuskritik, sei es, dass diese einen Mittelschichtsstandpunkt prekär-werdender Männer ausdrücken (vgl. Scholz 2005). Spätestens mit dem positiven Bezug auf »freie-Software« und mit dem Skandalisieren von Waren, die angeblich keine mehr sein sollen: d.h. mit der Propagation sog. »Universalgüter« als angeblicher »Schwester der Ware«, war die Fixierung auf die Zirkulationssphäre und das Verbleiben im methodologischen Individualismus evident (vgl. dazu Kurz 2008). Seit der Veröffentlichung des Buches »Die große Entwertung« (Lohoff; Trenkle 2012) kursiert durch mancherlei Texte Ernst Lohoffs der Begriff »Ware 2. Ordnung« (Wertpapiere, Finanzprodukte usw.), wobei die Waren 1. Ordnung die üblichen Gebrauchsgüter darstellen (Äpfel, Autos, Schränke usw.). Die »Waren 2. Ordnung« seien, statt der Arbeitskraft, die »neue Basisware« als neue »Grundlage der Wertverwertung« (Lohoff 2016, 17), ja schlussendlich seien die Waren 2. Ordnung die neue »Geldware«, die an Stelle des Goldes getreten seien (Lohoff 2018, 11). Wobei die neue Geldware »nur auf der Aktiva-Seite der Zentralbankbilanz [existiert] (ebd., 38)«. Die Krise des Kapitalismus wird dahingehend geleugnet, dass allen Ernstes formuliert wird, die Akkumulation von fiktivem Kapital sei gar nicht fiktiv und keineswegs sei die Arbeit einzige Quelle von Mehrwertproduktion. Diesen Standpunkt teilt auch Norbert Trenkle und schreibt in dem Nachwort zur Neuauflage des »Manifestes gegen die Arbeit«: »Die Akkumulation an den Finanzmärkten hatte also aus unserer damaligen Sicht im Grunde bloßen Scheincharakter – im Unterschied zur ›echten Akkumulation‹ durch die Vernutzung von Arbeitskraft – und es erschien daher logisch, dass sie sehr bald schon an ihre Grenzen stoßen musste. Daraus ergab sich auch, dass wir über die Finanzmarktdynamik und ihre innere Logik sowie über ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft nur sehr allgemeine und unkonkrete Aussagen treffen konnten. Schon allein in Anbetracht der langen Dauer der Epoche des fiktiven Kapitals war das jedoch äußerst unbefriedigend und verwies auf Schwächen in der theoretischen Analyse. In jüngerer Zeit haben wir deshalb das Augenmerk verstärkt darauf gerichtet, die Binnengeschichte der Epoche des fiktiven Kapitals zu analysieren. Dazu bedurfte es allerdings einer Präzisierung des Begriffs des fiktiven Kapitals und eines entsprechenden kategorialen Instrumentariums, mit dem sich die Vermehrung fiktiven Kapitals als eine eigene Form von Kapitalakkumulation begreifen ließ. Zu erklären war dabei erstens, worauf die eigenständige Akkumulationspotenz des fiktiven Kapitals beruht, die keinesfalls bloß ›scheinbar‹ ist, zweitens aber auch, woraus sich die inneren Grenzen dieser spezifischen Form der Kapitalakkumulation ergeben und wie sie erreicht werden. Diesen theoretischen Schritt hat Ernst Lohoff vor einigen Jahren in dem Buch Die große Entwertung unternommen [...] Wenn wir die Akkumulation des fiktiven Kapitals nun nicht mehr bloß als ›Scheinakkumulation‹ begreifen, sondern als eine spezifische Form der Akkumulation, die ihren eigenen Gesetzen folgt (und ihre eigenen inneren Schranken besitzt), dann können wir auch genauer bestimmen, welche Konsequenzen sich daraus für die Kategorie der Arbeit ergeben – und damit natürlich auch für die Masse der Menschen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind. Zunächst ergibt sich, dass die Arbeit, ökonomisch betrachtet, einen ganz grundsätzlichen Bedeutungsverlust erfährt, wenn das Kapital sich nicht mehr maßgeblich durch die Vernutzung von Arbeitskraft vermehrt, sondern sich direkt auf sich selbst bezieht« (Trenkle 2019, Hervorh. i. O.). Im Folgenden soll also Lohoffs »pseudo-›politökonomische‹ Unsinnstheorie« (Kurz 2008,166) einer weiteren Kritik unterzogen werden. Ich setzte hierbei bisherige Kritiken an »Die große Entwertung« fort (vgl. Czorny 2016; Hüller 2015, 345–357.), beziehe mich aber vorwiegend auf neuere Texte Lohoffs (d.h. Lohoff 2014, 2016, 2018) und nicht auf »Die große Entwertung«. Zuvor werde ich Wesentliches zu abstrakter Arbeit, der Geldware und dem kapitalistischen Verwertungsprozess als einem gesamtgesellschaftlichen Prozess in Erinnerung rufen. 2. Abstrakte Arbeit, der ›Gesamtprozess‹ und die GeldwareFür eine Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, die die Unzulänglichkeiten des Arbeiterbewegungsmarxismus hinter sich lassen will, ist unbedingt der negative Begriff der abstrakten Arbeit zur Kenntnis zu nehmen, und der kapitalistische Produktionsprozess als ein Gesamtprozess ist auszubreiten.2 In mehrfacher Hinsicht scheiterten der Arbeiterbewegungsmarxismus daran und auch viele bis heute, die sich auf Marx beziehen (wie Michael Heinrich, Rainer Trampert u.a.). So kaprizierte sich die traditionell marxistische Kritik faktisch auf die Zirkulationsebene, thematisierte Eigentumsverhältnisse, Verteilung und Klassenkampf. Nicht der Wert und die Arbeit galten als Skandalon, sondern der den Arbeitern vorenthaltene Mehrwert. Dies ist offensichtlich dem Verbleiben in einer bürgerlichen Arbeitsontologie geschuldet, sowie dem Ontologisieren oder Enthistorisieren real-gesellschaftlicher Kategorien überhaupt. In aller Deutlichkeit wurde dieses ahistorische Denken auch schon von Engels ausgebreitet, der die Gültigkeit des Wertgesetzes schon vor Jahrtausenden unterstellte (in: Ergänzung und Nachtrag zum III. Buche des »Kapitals«). Eine staatlich moderierte nachholende Variante des Kapitalismus, samt bürgerlichem Geschlechterverhältnis, Technokratie und Naturbeherrschungswahn usw. war für den Arbeiterbewegungsmarxismus nur allzu folgerichtig. Daran zeigt sich, dass der Marxismus in seinen üblichen Ausprägungen Motor der Modernisierung selbst gewesen ist. Mit der Arbeitsontologie und dem Nichtverstehen der Destruktivität abstrakter Arbeit wurde auch eine Krisentheorie konsequent abgewehrt, die allerdings nur sehr minoritär vertreten wurde und selbst arbeitsontologisch und zirkulativ verkürzt blieb (vgl. zur Krisentheorie Luxemburgs und Grossmanns: Kurz 2005). Eine Krise des Kapitalismus schien den Marxisten nur als Resultat eines kollektiven Willens denkbar (Sturz der Kapitalistenklasse durch die Arbeiterklasse usw.), d.h. die Möglichkeit einer Krise der Substanz, d.h. der abstrakten Arbeit selbst, kam überhaupt nicht in den Blick. Ein Ende das Kapitalismus schien also nur durch die Machtübernahme des Proletariats denkbar, und dies bedeutete nichts anderes, als dass das Proletariat (unter Anleitung und Führung der ›Avantgarde‹-Partei) den Laden übernehme (vgl. Kurz 2005, 189ff.). ›Überholen ohne Einzuholen‹ hieß es dann in der DDR. Die Aversion gegen eine Krisentheorie hat vor allem damit zu tun, dass »die als solche empfundene Drohung und Zumutung, ein objektiver Zusammenbruch der Verwertung an ihren eigenen Widersprüchen, […] dem Proletariat, der wunderbaren Arbeiterklasse, gewissermaßen seinen Beruf wegnehmen und es nicht nur im Sinne der unmittelbaren Reproduktion, sondern auch als historisches Subjekt arbeitslos machen [könnte]. Das ist der tiefer liegende Grund der Phobie gegen den Zusammenbruchsgedanken. Es handelt sich hier wesentlich gar nicht um eine Frage der ökonomiekritischen Reflexion im Kontext marxistischer Krisentheorie, sondern um einen basalen ideologischen Zusammenhang, der nicht krisentheoretisch, sondern ideologiekritisch erfasst werden muss« (Kurz 2005, 189, Hervorh. i. O.). Ein Verbleiben auf der Zirkulationsebene, ein Vertreten einer Arbeitsontologie führt schlussendlich dazu, dass die Negativität und reale Destruktivität der abstrakten Arbeit nicht zur Kenntnis genommen wird, so dass die destruktiven Folgen der kapitalistischen Produktionsweise unterbelichtet bleiben (oder gar unbelichtet). Robert Kurz schrieb dazu in Die Substanz des Kapitals: »Unter dem Diktat dieser Produktion und Realisation des abstrakten Reichtums werden tagtäglich Produktionen selbst für elementare Bedürfnisse mangels Rentabilität und Zahlungsunfähigkeit stillgelegt, während die Produktion destruktiver Produkte für destruktive Bedürfnisse (nicht allein qua Rüstungsindustrie) sogar noch forciert wird. Aber nicht nur in diesem Sinne macht sich die Abstraktion von Bedürfnisinhalten im Produktionsprozess selbst massiv geltend. Auch die scheinbar an sich nicht destruktiven Produktionsinhalte werden im Sinne abstrakter Arbeit destruktiv zugerichtet. Ob Tomaten ohne Rücksicht auf Geschmack nach Verpackungsnormen für kontinentale Distributionen gezüchtet, Äpfel zwecks längerer Haltbarkeit atomar bestrahlt oder überhaupt Lebensmittel ausschließlich im Sinne des Verwertungszwecks denaturiert werden und der ganze historisch aufgehäufte Reichtum einer Vielfalt von Nutzpflanzen und Nutztieren verloren geht zugunsten einer reduzierten ›Sortenarmut‹ zwecks betriebswirtschaftlicher Vereinfachung, ob beim Bau von Häusern unter dem Diktat der betriebswirtschaftlichen Kostensenkung gesundheitsschädliche Bauteile zum Einsatz kommen, eine dysfunktionale Raumaufteilung und ästhetische Zumutungen entstehen: Der stoffliche Inhalt richtet sich an der Verwertungsbestimmung aus, nicht umgekehrt; und zwar mit fortschreitender kapitalistischer Entwicklung in historisch wachsendem Ausmaß« (Kurz 2004, 119). Die Destruktivität und Verrücktheit kapitalistischer Produktion wird also bereits in den sog. Gebrauchswerten und ihrer Produktion deutlich. Eine theoretische Kritik, die bei bloßer Umverteilung der Gebrauchswerte (oder Vermögenswerte) oder bei einer Regieübernahme des bestehenden Produktionsapparates (und des Staatsapparates) verbleibt, würde definitiv am Wesentlichen vorbeigehen. Entsprechend verkürzt oder unsinnig sähe dann auch die entsprechende Praxis aus. Ein zweites schwerwiegendes Defizit liegt im Verbleiben auf der Ebene des Einzelkapitals. Zum Teil ist es der Darstellungsproblematik bzw. -schwierigkeit des Marxschen Werkes selbst geschuldet, so liefert der Erste Band des Kapitals durchaus die Vorstellung, es gäbe so etwas wie individuell bestimmbare Werte (vgl. Kurz 2012, 167ff.). Zum anderen ist es aber auch Ausdruck einer Denkverweigerung, womit man sich die Krise schönreden kann: So kann man mit der Einzelkapitalebene immer argumentieren, dem Kapital könne es ja nicht schlecht gehen, schließlich sacken so manche Konzerne saftige Profite ein, nebst zahlreichen Steuergeschenken, die sie von allerhand korrupten Regimen in den Rachen geworfen bekommen. Ein Standpunkt seitens eines Einzelkapitals aber verfehlt ein Verständnis der kapitalistischen Verwertungsdynamik, also des Gesamtprozesses, der sich hinter dem Rücken der Akteure, als Verhängnis gegen diese, durchsetzt. Der stumme Zwang der Konkurrenz bleibt unbegriffen: Wenn man die in dem einzelnen Produkt ›enthaltene‹ Arbeit und damit seinen individuellen Arbeitswert bestimmen könnte (z.B. durch ›Rückrechnung‹)3 und der Kapitalist tatsächlich das auf dem Markt realisiert (bei erfolgtem Verkauf), was dieser in seinen eigenen vier Wänden produziert hat, bliebe ungeklärt, um was die Einzelkapitale eigentlich konkurrieren; es bliebe unklar, was es bedeutet, wie es bei Marx heißt, dass nicht die Arbeitszeit schlechthin wertbestimmend sei, sondern die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (vgl. Marx 2005, 53f.). Die Perspektive des Einzelkapitals ist natürlich auch die Perspektive des bornierten bürgerlichen Subjekts auf dem Markt. Letztendlich landet man mit dieser Perspektive in der bürgerlichen VWL, die von einer Ebene des Gesamtkapitals keinen Schimmer hat, unterstellt sie doch, das Gesamtkapital ergäbe sich schlussendlich nur durch Addition oder Extrapolation der Perspektive der Einzelkapitalien. Der VWL und der ›Werttheorie des individuellen Werts‹ ist daher der sog. methodologischer Individualismus zu eigen, der eben es nicht zur Kenntnis nimmt, dass das ›Ganze‹ gegenüber dem ›Einzelnen‹ eine Eigenqualität hat und nicht nur dies: dass das ›Ganze‹ eine okkulte Eigenmächtigkeit hat, die sich formbestimmend gegen das ›Einzelne‹ verhält. Eben dies macht den Fetischismus der Warenproduktion aus. Marx deutet dies bereits in den Grundrissen an, dass in der bürgerlichen Gesellschaft das »Privatinteresse selbst schon ein gesellschaftlich bestimmtes Interesse« sei (Marx 1953, 74). Das ›Ganze‹ bildet also gewisserweise die Voraussetzung des ›Einzelnen‹. Kurz führt dazu aus: »Wenn aber dieses Ganze oder der ›Gesamtprozess‹ als Kapitalfetisch oder ›automatisches Subjekt‹ die wirkliche Voraussetzung und damit die ihren eigenen Akteuren gegenüber verselbstständigte, ihnen entglittene Wesensbestimmung ihres Verhältnisses bildet, dann sind auch die scheinbar ›voneinander unabhängigen‹ Privatproduzenten oder Einzelkapitale in Wirklichkeit ›hinter ihrem Rücken‹ bereits vergesellschaftet, bevor sie empirisch auf dem Markt in Beziehung treten. Sie können als reale Akteure erst im Nachhinein durch den Markt vollziehen, was objektiv schon im Vorhinein existiert, nämlich die allseitige Vermitteltheit, wechselseitige Abhängigkeit und tief gestaffelte Funktionsteilung der gesellschaftlichen Reproduktion. […] Das, was diese Akteure konstituiert und was in ihrer bornierten Wahrnehmung nicht als distinkter Gegenstand erscheint, nämlich die vorausgesetzte Entität des ›Gesamtprozesses‹, verschwindet in einer unmittelbaren Tatsachenwelt. Deshalb sind die gängigen Begriffe des Kapitalverhältnisses subjektivistisch bestimmt, im traditionellen Marxismus wie auf andere Weise in der VWL oder im postmodernen Denken, während andererseits der unerkannte Bedingungsgrund zur positiven, unüberschreitbaren Objektivität von äußeren ›Gesetzmäßigkeiten‹ gerinnt« (Kurz 2012, 173, 177). Die Einzelkapitale verwirklichen nicht den Wertanteil, den sie in ihren eigenen vier Wänden vergegenständlicht haben, sondern denjenigen Anteil, den sie durch Konkurrenz gegen andere Kapitalien auf sich ziehen können (ebd., 181). Durch die Konkurrenz entscheidet sich auch, ob ein Einzelkapital überhaupt einen Anteil der gesamtgesellschaftlichen Wertmasse für sich realisieren kann. Zirkulation und Produktion sind Momente eines Gesamtprozesses und nicht voneinander trennbar. Dabei fallen Wertproduktion und -realisation auseinander. Die Produktion ist dabei »wesentlich Produktion von Wert« und stellt »die Wertgegenständlichkeit in einem realen Abstraktionsvorgang« her, »während die Zirkulation die gesellschaftlich gültige Quantität dieser Wertgegenständlichkeit feststellt, indem diese ›realisiert‹ wird« (Kurz 2005, 221). Kurz argumentiert dazu weiter (gegen Michael Heinrich): »Gesellschaftlich ist die konkrete Arbeit nichts anders als die Erscheinungsform abstrakter Arbeit, gesellschaftlich ist die Verausgabung der Arbeitskraft nichts anderes als ein Quantum abstrakter Arbeit. Aber dieser gesellschaftliche Charakter der Arbeit als real abstrakter kann nicht unmittelbar Gestalt annehmen, weil das Produktionsverhältnis kein unmittelbar gesellschaftliches Verhältnis ist, sondern sich in voneinander getrennten Produktionseinheiten (›Unternehmen‹) darstellt. Das heißt aber eben nicht, dass die ›spezifische Weise der Vergesellschaftung‹ im Kapitalismus bloße Zirkulationsweise sei [...] vielmehr vermittelt die Zirkulation bloß den spezifisch gesellschaftlichen Charakter der Produktion. […] In gesellschaftlicher Hinsicht ist jeder einzelne Produktionsprozess nichts anderes als ein Bruchteil der Verausgabung einer gesamtgesellschaftlichen Masse abstrakter Arbeit. Die ›Gültigkeit‹ der Verausgabung kann somit auch nur eine gesamtgesellschaftliche sein, sich aber nicht als solche darstellen. Deshalb erscheint diese Darstellung auch nicht unmittelbar als Arbeitszeit, sondern nur in verwandelter Gestalt als Geld, als realisierter Preis. […] Indem die einzelne Ware als Wertgegenständlichkeit, als bereits auf abstrakte Arbeit reduzierte ›gespenstische‹ gesellschaftliche Qualität in die Zirkulation eintritt, kann die Quantität dieser abstrakten Arbeit nur in der verwandelten, verdinglichten Gegenständlichkeit des Geldes erscheinen und festgestellt werden. Der Fetischismus der abstrakten Arbeit als Selbstzweck erscheint im Fetischismus des Geldes als Selbstzweck« (ebd., 224f., Hervorh. i. O.). Das Einzelne ist also durch das Ganze, durch den kapitalistischen Gesamtprozess, bestimmt. Diesem Sachverhalt muss auch eine Geldtheorie entsprechend Rechnung tragen. Marx betonte bereits den Warencharakter des Geldes und grenzte sich damit von einer Zeichentheorie des Geldes ab. Weil das Geld von einem Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann, kam die Vorstellung auf, Geld sei selber nur ein Zeichen, ein bloßes Mittel zur Preisauskunft. Diese Vorstellung, Geld sei substanzlos, nur ein Zeichen, findet bis heute weite Verbreitung, heißt es doch an verschiedenen Stellen, Geld sei alles, was als Geld fungieren kann. Diese Vorstellung ist selbst Ausdruck der bornierten Markt-Subjektivität und resultiert aus dem zirkulationsideologischen Missverständnis, im Kapitalismus ginge es darum, Waren nur auszutauschen. Doch auch hier ist die Ebene des Einzelkapitals, des einzelnen Markteilnehmers, irreführend: Das Geld »ist nämlich in der Marxschen Theorie kein passives Hilfsmittel oder ›Auskunftsmittel‹ für Marktteilnehmer mehr, sondern die allgemeine Erscheinungsform des kapitalistischen irrationalen Selbstzwecks und gerade deshalb nicht nur allgemeine Ware, sondern ›Königsware‹. Das eigentliche Selbstzweckmedium kann unmöglich eine mehr oder weniger vernachlässigenswerte Sonderform für den Hausgebrauch der Marktsubjekte sein, sondern es muss in seiner Besonderheit gegenüber dem ›Warenpöbel‹ eine zentrale (negative) Bedeutung einnehmen und selber die Marktsubjekte bestimmen statt von ihnen bestimmt zu werden als bloße Spielmarke ihres vermeintlich ›freien‹ Handelns« (Kurz 2012, 211). Das bedeutet aber auch, dass Geld nicht vom einzelnen Tauschakt her gedacht werden sollte, sondern es ist aus »dem kapitalistischen Gesamtprozess abzuleiten« (ebd., 214) bzw. Geld ist nur »vom ›Gesamtprozess‹ her [zu] erklären« (ebd., 216). Während alle Waren Wert und Gebrauchswert sind (wobei der Gebrauchswert nur eine Erscheinungsform des Wertes ist, da die Produktion eines Gebrauchswerts schon unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen stattfindet), so ist der Gebrauchswert der Geldware ihre Wertgegenständlichkeit selbst. Der Gebrauchswert der Geldware besteht darin, »den abstrakten Wert aller anderen Waren (ihre paradoxe abstrakt-sinnliche Wertgegenständlichkeit als Repräsentanzgegenstand vergangener abstrakter Arbeitsenergie) auszudrücken oder real darzustellen« (ebd., 215). Die Selbstzweckbewegung des Kapitals G-W-G’ ist die Metamorphose von Geld in Ware und von Ware in mehr Geld: Der Anteil der Gesamtwertmasse, die ein Einzelkapital durch Konkurrenz auf sich ziehen kann, muss sich in Geld verwandeln können und das Geld muss diesen Anteil ausdrücken. Dazu muss sich die »Gesamtwertmasse der Waren […] verdoppeln in der Gesamtwertmasse des Geldes« (ebd., 219). Wenn nicht, so könnte sich die Wertmasse gar nicht realisieren und die »Metamorphosen des Kapitals« (ebd., 220) könnten sich nicht vollenden. Wenn man es also in der Finanzsphäre mit einer Kapitalakkumulation zu tun hat, die in keinem Verhältnis mehr steht zum realen Kapital, dann ist diese Kapitalakkumulation, anders als Lohoff glaubt, tatsächlich nur eine scheinbare und hat definitiv nichts mehr mit Mehrwertproduktion zu tun (s.u.). Es sei denn, Kapitalakkumulation ist auf die Verausgabung abstrakter Arbeit nicht angewiesen, wobei wir letztendlich beim Standpunkt der bürgerlichen VWL und ihrer subjektiven Werttheorie landen, gegen die sich Lohoff vorgeblich verwahrt. 3. Krisis ohne KrisentheorieHiermit sollte bereits deutlich geworden sein, dass Robert Kurz die Geldware als Ausdruck der Arbeitssubstanz bestimmt, als Wertaufbewahrungsmittel. Solange die Geldware Arbeitssubstanz repräsentiert, ist es einerlei, ob die Geldware Gold oder etwas anderes ist, entscheidend ist, dass sie Ausdruck von realer Arbeitssubstanz, also der tatsächlich rentabel verausgabten abstrakten Arbeit, ist. Von daher ist es ein wenig seltsam, wenn Lohoff Robert Kurz unter die Metalllisten einreiht (Lohoff 2018, 9). Das zeigt nur, dass er Kurzens Position nicht wirklich verstanden hat. Wenn also das Geld sich von der Goldkonvertibilität verabschiedet, dann heißt dies nicht, dass Geld wesentlich doch nur Zeichen und auf einen Goldleib (oder ein anderes Edelmetall) gar nicht wirklich angewiesen war, sondern vielmehr, dass die Aufhebung der Goldkonvertibilität Ausdruck einer Krise der Arbeitssubstanz selbst ist (vgl. Kurz 2012, 321ff, sowie Kurz 2005b, 114ff.), und schon gar nicht stellt sich dann die Frage, »wo denn seit der endgültigen Ablösung des Geldes vom Gold Anfang der 1970er-Jahre die Geldware zu suchen sei« (Lohoff 2018, 8). Wie schon in der Einleitung erwähnt, vertritt Lohoff in seinen letzten Texten die These, dass die fiktive Akkumulation gar nicht fiktiv oder nur scheinbar sei. Die Begründung ist eher mau und erinnert an Michael Heinrichs Positivismus (vgl. Kurz 2012, 294ff.). So schreibt Lohoff: »Wer der empirischen Wirklichkeit des heutigen Kapitalismus daher keine Gewalt antun will, muss von einer eigenen, den Geld und Kapitalmärkten innewohnenden Kapitalbildungstendenz ausgehen« (Lohoff 2016, 7). Und an anderer Stelle ein wenig ausführlicher: »Die Annahme, jede Vermehrung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ließe sich stets auf vorgängige tatsächliche Arbeitsvernutzung zurückführen, definiert das Hauptmerkmal unserer Epoche weg und ist nur gewaltsam mit den empirischen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte zur Deckung zur bringen. Allein die Größenverhältnisse sprechen eigentlich eine recht deutliche Sprache. Welche gigantische Steigerung der globalen Mehrwertproduktion müsste in den letzten drei Jahrzehnten stattgefunden haben, wenn sie das Material für den steilen Anstieg der globalen Finanzvermögen von 12 auf 231 Billionen Dollar geliefert haben soll? Wie kann der Gesamt-›Wert‹ der im Umlauf befindlichen Derivate das Zwölffache des globalen BIP erreichen, wenn dieser nur umverteilten Mehrwert repräsentieren soll? Schließlich liegt die Mehrwertmasse stets deutlich niedriger als das BIP, das sämtliche Arten von Gewinnen und Einkommen addiert. Genauso gut könnte man davon ausgehen, dass man aus einem Liter Milch 100 kg Käse machen kann« (Lohoff 2014,11). In seiner Argumentation setzt Lohoff faktisch voraus, dass es fiktives Kapital nicht gebe (bzw. dass diese Fiktion selbst nur fiktiv sei), nur dann macht es Sinn, den zirkulierenden Derivaten reale Wertsubstanz zuzusprechen. Sonst wäre Lohoffs Metapher genau anders herum zu lesen: Wenn aus einem Liter Milch 100 kg Käse hergestellt wurde, dann kann es sich nur um fiktiven Käse handeln. Dass die Realwirtschaft zu einem Anhängsel des Finanzkapitals seit den 1970er Jahren wurde, nennt Lohoff »inverse[n] Kapitalismus« (Lohoff 2016, 13). Im inversen Kapitalismus sei nicht mehr die Arbeit die »Basisware« (also die Ware, die Mehrwert schaffen kann), »sondern die Ware Geldkapital und ihre okkulte Fähigkeit, sich im Verkauf zu verdoppeln« (ebd.,17f.). Der Umbruch durch den Neoliberalismus und der Aufstieg des finanzgetriebenen Kapitalismus wird dahingehend gedeutet, dass es sich hier nur um einen bloßen Strukturumbruch innerhalb des Kapitalismus handelt, einen Wechsel des Akkumulationsmodells sozusagen, der Hintergrund eines Abschmelzens der Arbeitssubstanz wird nicht mehr richtig zur Kenntnis genommen, es wird von Lohoff unterstellt, dass die Arbeitssubstanz eigentlich nicht mehr so wichtig und entscheidend sei, sondern einfach durch eine neue Basisware, die Kapital akkumulieren kann (ohne Mehrwert dabei schaffen zu müssen), ersetzt wurde bzw. ersetzt werden konnte. So ist das halt. Daher schreibt Lohoff an verschiedenen Stellen auch, der Finanzkapitalismus sei nicht mehr Ausdruck einer Krise, sondern schlussendlich »selbsttragend« (zumindest bis 2008) (so z.B., ebd., 16, 28). Dass der Finanzkapitalismus in der Tat lange Zeit ›lief‹, wird dahingehend missverstanden, dass hier keine Krise der Akkumulation mehr vorlag: »Mit der Krise des Fordismus erreichte der Kapitalismus als ein immer mehr lebendige Arbeit vernutzendes System seine historische Schranke. Er konnte die Krise denn auch nur überwinden (!) und auf den Wachstumspfad (!) zurückfinden, weil die Ablösung vorgängiger Wertproduktion eine ganz neue Qualität gewann. Seit den 1980er Jahren übernahm die Dynamik fiktiver Kapitalschöpfung die Rolle des eigentlichen (!) Wachstumsmotors« (Lohoff 2018, 7). Was da eigentlich wächst und was dies gesamtgesellschaftlich bedeutet, darüber macht sich Lohoff keine Gedanken. Da der finanzgetriebene Kapitalismus seine eigene Zukunft verbrauchen muss, um seine eigene Misere hinauszuzögern, ist Ausdruck der inneren Schranke der Kapitalverwertung selbst und keineswegs ein selbsttragender Motor neuer Wachstumsdynamik. Zwar wird mit fiktiver Kapitalschöpfung ›investiert‹, wie es so schön heißt, und damit fiktives Kapitals in die Realwirtschaft »recycelt« (vgl. Kurz 2005b, 236ff.), so dass man in der Tat, als isolierte Tatsache (!), Wachstum vor sich sieht, aber der Ausgangspunkt bleibt hier doch gesamtgesellschaftlich ›ungültig‹. So schreibt Kurz in Geld ohne Wert vor dem Hintergrund des Platzens der Immobilienblase in Spanien vor einigen Jahren: »Wer kein Geld (Wert) für die Produktionskosten hat, kann eigentlich nicht produzieren; und wer kein Geld (Wert) für die Nachfrage hat, kann eigentlich nicht konsumieren. Wenn die entsprechende Kaufkraft beiderseits durch gar nicht einlösbare Kredite bzw. Finanzblasen scheinfinanziert worden ist, muss der faule Zauber auffliegen. […] Die vermeintlich muntere Profitproduktion mit allen Schikanen relativer und absoluter Mehrwertsteigerung löst sich in einem grandiosen Entwertungsknall auf; wie aktuell in Spanien schlägt die von der Immobilienblase getragene Scheinkonjunktur übergangslos in eine tiefe Rezension mit explodierender Massenarbeitslosigkeit um, was so nicht geschehen könnte, wenn es sich um reale Mehrwertproduktion gehandelt hätte« (Kurz 2012, 339f.). Für Lohoff ist das alles kein Problem. Die Waren 2. Ordnung, d.h. sog. Kapitalmarktwaren, ermöglichen Lohoff zufolge Kapitalakkumulation ohne Wertakkumulation: »Als Fetisch der Ware 2ter Ordnung besteht der Kapitalfetisch aber nicht im falschen Schein, wonach Kapital sich auch ohne vorgängige Verwertung durch die Produktion von Gütermarktwaren bilden könnte; stattdessen bewirkt der besondere Fetisch der Kapitalmarktwaren, dass sich die Kapitalbildung tatsächlich von vorgängiger Wertproduktion ablösen konnte. [...] Produktive Arbeit, die noch gar nicht geleistet ist und möglicherweise auch nie geleistet werden wird, nimmt Kapitalgestalt an. Kapitalbildung beruht hier also nicht auf Wertproduktion, sondern ist das Resultat von Wertantizipation« (Lohoff 2014, 42, Hervorh. i.O.). Wenn also Lohoff immer wieder von einer Kapitalakkumulation ohne Wertakkumulation redet, scheint er damit eine Dualität zwischen Tauschwert und Wert aufzumachen (vgl. auch Hüller 2015, 352). Diese Auftrennung von Wert und Kapital macht aber nur dann ›Sinn‹, wenn man zwischen Zirkulation und Produktion trennt. Schlussendlich erinnert die Formulierung ›Kapitalakkumulation ohne Wertakkumulation‹ an Lohoffs eigentümliche Erfindung von Waren, die eigentlich keine Wareneigenschaft mehr hätten (vgl. Kurz 2008). ›Kapitalakkumulation ohne Wertakkumulation‹ ist also eine weitere von Lohoffs ersonnenen pseudo-›politökonomischen‹ Unsinnstheorien (ebd., 166). Wenn auf gesamtgesellschaftlicher Ebene Mehrwert nicht mehr realisiert werden kann, dann heißt dies auch, dass gar nicht genügend Mehrwert produziert wurde. Worum die Einzelkapitalien dann konkurrieren ist eine schrumpfende gesamtgesellschaftliche Wertmasse: »Die mangelnde Nachfrage als mangelnde Kaufkraft in der Geldform ist dann nichts anderes als die Kehrseite einer mangelnden Wertsubstanz der Produkte als Waren selber, also einer mangelnden Produktion von Wert überhaupt« (Kurz 2012, 259). Kapitalismus basiert auf der Verausgabung abstrakter Arbeit, die abstrakte Arbeit ist damit notwendig die Substanz des Kapitals und das Kapital ist auf eine ausreichend große rentable Verausgabung abstrakter Arbeit, auf der Höhe des historisch erreichten Produktivitätsniveaus, angewiesen. Laut Lohoff haben die Waren 2. Ordnung die Akkumulation übernommen, nach der abstrakten Arbeit als »neue Basisware« und bei den Zentralbanken als »neue Geldware«, und damit stellt das Abschmelzen der Arbeitssubstanz für Wachstum usw. offenbar kein Problem mehr dar. Dieses Urteil hat wesentlich damit zu tun, dass Lohoff einen Substanzbegriff überhaupt zurückweist, heißt es doch bei ihm: »Kapital ist kein Ding, sondern als Ding erscheinendes gesellschaftliches Verhältnis und dementsprechend ist auch seine Vermehrung Ergebnis gesellschaftlicher Beziehungen« (Lohoff 2018, 29) und damit eben nicht ein Ergebnis der Akkumulation von abstrakter Arbeit selbst. Es bleibt Lohoffs Geheimnis, wie er ohne einen Substanzbegriff eine innere Schranke des Kapitals überhaupt noch begründen will.4 Statt sich über die »lange[] Dauer der Epoche des fiktiven Kapitals« zu wundern, wie im anfangs zitierten Interview, wäre also nicht die Krisentheorie selbst zu revidieren, sondern es wäre notwendig zu untersuchen und auszubreiten, wie sich die Entwertungsbewegung des Gesamtkapitals konkretisiert und worin sie sich empirisch zeigt (Defizitkreisläufe5 innerhalb der EU und USA/China, Bauboom und gleichzeitige Mietenexplosion u.a.). So wie Lohoff/Trenkle ihre Position formulieren, kann man sie zurecht unter dem Positivismus eines Michael Heinrich einreihen. Auffällig ist auch, dass Lohoff und Trenkle das ›Argument‹ bemühen, so arg und fundamental könne es mit der Krise nun doch nicht sein, da der ›finanzgetriebene Kapitalismus‹ schon einige Jahre dabei sei und das fiktive Kapital folglich gar nicht so fiktiv sein könne. Dieser Einwand ähnelt dem ›Argument‹, »der ›Zusammenbruch‹ müsse sich so augenblicklich vollziehen, wie ein Individuum, das einen schweren Infarkt erleidet, auf der Stelle tot umfällt. Wenn in diesem Sinne der Kapitalismus weder nach der Dotcom-Krise […] noch […] nach dem großen Finanzcrash 2008/09 zu Staub zerfallen ist, dann wird das eilfertig als ›empirische Widerlegung‹ der radikalen Krisentheorie genommen, weil sich ja die angebliche ›Prophezeiung‹ wieder einmal nicht bestätigt hätte. Die Metapher [des Zusammenbruchs, TM] wird so eulenspiegelhaft wörtlich genommen, indem man den Zeithorizont der theoretischen Erklärung auf eine Art Tagesaktualität schrumpfen lässt. Der Unterschied zwischen aktueller oder lebensweltlicher und historischer Zeit wird gelöscht« (Kurz 2012, 362, Hervorh. TM). Letztendlich bleibt unklar, warum sie überhaupt noch von einer Krise des Kapitalismus oder einer inneren Schranke reden, zumal sie alle Begründung einer solchen über Bord geworfen haben! Sie erwähnen zwar, dass auch die nicht scheinbare Scheinakkumulation ihre »eigenen inneren Schranken besitzt« (s.o.), welche das sein sollen und wie ihr Verhältnis zur Entsubstanzialisierung des Kapitals, also der inneren Schranke des Kapitals sei, wird in den neueren Texten nicht ausgeführt. In »Die große Entwertung« wird deutlich, dass für Lohoff eine innere Schranke objektiv gar nicht mehr gegeben ist, sondern die innere Schranke stellt sich durch ein Nichtvorhandensein eines »Hoffnungsträgers« (!) ein, also eines Einzelkapitals oder einer Branche, durch welches bzw. welche die Akkumulation fiktiven Kapitals weiterlaufen kann. So heißt es beispielsweise: »Die Expansionsfähigkeit des fiktiven Kapitals steht und fällt letztendlich mit den Perspektiven, die sich den realwirtschaftlichen Hoffnungsträgern bieten. […] Fiktive Kapitalschöpfung ist also auf eine Ressource angewiesen, die sich selbst nicht finanzindustriell schaffen lässt: auf realwirtschaftliche Hoffnungsträger. […] Um nun den im Laufe der Entwicklung des inversen Kapitalismus exponentiell anschwellenden Bedarf an neu produzierten Eigentumstiteln zu decken, muss zum einen die Nutzung der bereits aktivierten Hoffnungsträger entsprechend intensiviert werden, indem immer neue Eigentumstitel auf ihnen angehäuft werden; zum anderen bedarf es regelmäßig neuer Hoffnungsträger, welche die aufgebrauchten ersetzen können. Solange der Nachschub gesichert ist, ist auch die Vorabkapitalisierungspotenz des inversen Kapitalismus gesichert. Wird er vorübergehend unterbrochen, kommt es zu einem Kriseneinbruch wie z.B. jenem der New Economy, der gegebenenfalls durch die Implementierung neuer Hoffnungsträger überwunden werden kann. Reißt der Nachschub an Hoffnungsträgern jedoch dauerhaft ab, bedeutet das den GAU für den inversen Kapitalismus« (Lohoff; Trenkle 2012, 258f.). Selbst wenn man von Lohoffs VWL-Standpunkt absieht, ist es doch unglaublich, wie inkonsistent Lohoffs Ausführungen sind. Wenn die Finanzsphäre schlussendlich von der Realwirtschaft, also der Arbeitssubstanz abhängt, wie es in »Die große Entwertung« noch geschrieben wurde, dann ist am Finanzkapitalismus gar nichts selbsttragend und keineswegs kann davon die Rede sein, dass Waren 2. Ordnung die Verausgabung von Arbeit als Mehrwert schaffende »Basisware« ersetzt hätten oder die neue Geldware darstellen würden. 4. Unredlichkeit und DenunziationEs sollte hiermit klar geworden sein, dass eine Krisentheorie mit Krisis nicht mehr wirklich begründbar ist und dass Krisis das Etikett »Wertkritik« strenggenommen ablegen sollte. Es wäre einigermaßen unredlich und absurd, die Krisentheorie faktisch unmöglich zu machen und sich dennoch mit Ansagen wie »Kritik der Warengesellschaft« zu schmücken. Es wirkt daher schon wie ein missglückter Witz, wenn Krisis ausgerechnet noch eine Neuauflage des Manifestes gegen die Arbeit herausgibt. Doch eine gewisse Unredlichkeit ist bei Krisis allem Anschein nach mittlerweile Gewohnheit. So ist bereits in dem Buch »Die große Entwertung« deutlich gemacht worden, dass für Trenkle und Lohoff es keineswegs Not tat, sich im Ausbreiten der Krisentheorie nennenswert auf Robert Kurz beziehen zu müssen, nicht einmal der zentrale Ausgangsartikel »Die Krise des Tauschwerts« wurde erwähnt (vgl. Kurz 1986). Obgleich die Abspaltungskritik von Trenkle/Lohoff einst zurückgewiesen wurde, klingt das in einem kürzlichen Interview ganz anders: Nicht nur dass sie sich positiv auf sie beziehen, meinen sie auch allen Ernstes, sie selbst hätten die Kritik des Subjekts angegangen, wozu die Wert-Abspaltungs-Kritik angeblich nicht in der Lage gewesen sei. Trenkle formuliert dazu in dem Interview: »Das Theorem der Wertabspaltung stellt einen wichtigen Schritt in der theoretischen Entwicklung der Wertkritik dar, weil es die patriarchale Struktur der kapitalistischen Gesellschaft konsequent auf die historisch-spezifische Form der Vergesellschaftung über Ware, Wert und Arbeit bezieht. Das macht einen grundsätzlichen Unterschied zu den gängigen kapitalismuskritischen Ansätzen im Feminismus aus, die in der Regel rein additiv vorgehen und das Patriarchat als eine zusätzliche Form der Herrschaft neben der Klassenherrschaft und der rassistischen Herrschaft verstehen, die sogenannte triple oppression. Entgegen diesem äußerlichen Bezug zwischen verschiedenen Formen der Herrschaft insistiert das Abspaltungstheorem auf einem inneren, konstitutiven Zusammenhang von männlicher Dominanz und kapitalistischer Gesellschaft. Demnach ist die Vergesellschaftung über den Wert notwendig auf die ständige Herstellung eines abgespaltenen, weiblich eingeschriebenen ›Anderen‹ angewiesen, in welches all jene Momente gewissermaßen ausgelagert werden, die in der versachlichten, warenförmig konstituierten Rationalität keinen Platz finden. […] Im Prinzip stimmen wir also mit dem zuerst von Roswitha Scholz entwickelten Abspaltungstheorem überein. Allerdings sehen wir ein Ungenügen darin, dass sie den Wert im Grunde nur als abstraktes Strukturprinzip auf einer Metaebene denkt (!) und daher die Subjektform als eine Art Anhängsel des Werts erscheint (!), das von diesem determiniert wird. Damit bleibt aber auch die Kritik an der Wertabspaltung auf eine sehr abstrakte Metaebene beschränkt, die dann durch ideologiekritische und sozialpsychologische Anbauten ergänzt werden muss. Wir haben deshalb nach der Trennung von Robert Kurz und Roswitha Scholz versucht, das Abspaltungstheorem aus der Perspektive einer grundsätzlichen Subjektkritik weiter zu denken. Dazu gibt es einige Texte vor allem von Ernst Lohoff und Karl-Heinz Lewed […]« (Lohoff; Trenkle 2018, Hervorh. i. O.) Das ist nicht das erste Mal, dass seitens Krisis Anderen Positionen unterstellt werden, die sie selbst mal vertraten (oder nach wie vor vertreten ?): Robert Kurz wurde mit dem Text »Subjektlose Herrschaft« ein »Objektivismus« dergestalt vorgeworfen, dass die Menschen nur Marionetten des Wertes wären (vgl. Kurz 2013, 83ff.). So etwa von besagtem Subjektkritiker Karl-Heinz Lewed in seinem Artikel »Eine ›Theorie zur Verletzbarkeit von Herrschaft‹« von 2007. Dort heißt es: »Der ehedem für die Subjektkritik in der krisis relativ zentrale Beitrag ›Subjektlose Herrschaft‹ von Robert Kurz … ist noch in dieser Perspektive formuliert. Das (männliche) Subjekt wird als reine ›Marionette‹ (!!) der eigenen gesellschaftlichen Form bestimmt« (Lewed, zit. nach Kurz 2013, 91). Dies kommentiert Robert Kurz wie folgt: »Die hemmungsloses Dreistigkeit, mit der Lewed hier die theoretische Auseinandersetzung im alten ›Krisis‹-Zusammenhang verfälscht und ins Gegenteil verkehrt, ist wirklich bemerkenswert. Wohlweislich wird aus dem Text ›Subjektlose Herrschaft‹ nicht ausgewiesen zitiert, sondern diesem eine darin nicht enthaltene, sondern ins Gegenteil kritisierte Position einfach denunziatorisch zugeschrieben. Offenbar setzt Lewed mit vollem Risiko darauf, dass ein Großteil des Publikums die älteren Texte nicht kennt und niemand sie nachprüft, ja sogar die Betroffenen seine unverschämte Klitterung der wertkritischen Theoriegeschichte ungestraft durchgehen lassen. Anders ist es nicht zu erklären, dass er den ›Marionetten‹-Begriff ausgerechnet dem Text anzuhängen versucht, der diese falsche Bestimmung, gestützt auf die zuvor schon geleistete und von Lewed natürlich nicht erwähnte Kritik von Roswitha Scholz, auseinandergenommen hatte. Der wirkliche Urheber der kruden ›Marionetten‹-Vorstellung, nämlich Ernst Lohoff, wird in die Sicherheit des Vergessens seiner krassen Fehlleistung gebracht, um sie eben deren KritikerInnen wie ein falsches Beweisstück unterzuschieben. Ob seiner Durchsichtigkeit ein Fall für Kinderdetektive. Aber so wird ›Theoriepolitik‹ gemacht von Leuten, die sich nicht nur mit fremden Flügelfedern schmücken, sondern auch die eigenen Hühnerarsch-Federn anderen anzukleben versuchen« (Kurz 2013, 91f.). Aufs Denunzieren versteht sich auch Lohoff. In einem Text von 2017, in dem es um die Debatte »Zwei Bücher – Zwei Standpunkte« ging, rügte Lohoff Robert Kurz, dass er sich positiv auf Rudolf Hilferding bezog (vgl. Kurz 2005b, 246ff.). Dabei hätte Hilferding ein mit dem »wertkritischen Ansatz unvereinbares Kapitalismusverständnis«. Hilferding »[fasste] die ›Herrschaft des Finanzkapitals‹ soziologisch« und setzte diese »mit der sukzessiven Aufhebung der Konkurrenz und des Wertgesetzes« gleich, und behauptete, dass »an deren Stelle angeblich ein von den Banken kontrolliertes kapitalistisches Generalkartell träte« (Lohoff 2017). Übrigens alles Punkte, die Kurz an Hilferding kritisiert hat (vgl. Kurz 2005b, 321ff.) Wenn man jedoch Lohoff liest, gewinnt man den Eindruck, Kurz hätte dies nicht getan. Offenbar hält Lohoff sein Publikum für vollkommen verblödet. Wie auch Karl-Heinz Lewed (s.o.) vertraut er wohl darauf, dass niemand Robert Kurz wirklich gelesen hat und auch jede Mühe scheut, irgendetwas nachzuprüfen. Regelrecht unverschämt ist es, wenn Lohoff im gleichen Text schreibt, Robert Kurz hätte mit dem Buch Geld ohne Wert, »die gemeinsam erarbeiteten Grundlagen der Wertkritik für ungültig erklärt« und »alles wieder zunichte [gemacht], was er und andere über Jahrzehnte mühsam aufgebaut« hätten (Lohoff 2017). Sicherlich ist zur Kenntnis zu nehmen, dass eine theoretische Revolution nicht in einem Zug zu bewerkstelligen ist, so dass diverse Aspekte vorerst unausgearbeitet und unausgegoren bleiben, wie z.B. der Status vormoderner Gesellschaften im Unterschied zur Fetisch-Konstitution des warenproduzierenden Patriarchats, oder das Verständnis des Kapitalismus als Gesamtprozess, so dass manches bereits Geschriebene auch zum Teil wieder revidiert wird. Schaut man sich aber an, was Lohoff und Trenkle revidieren, dass die Akkumulation von fiktiven Kapital gar nicht scheinbar sei und die Akkumulation durch soziale Beziehungen bewerkstelligt werde, statt durch Verausgabung abstrakter Arbeit, dann ist die unterschiedliche Qualität der Revisionen offensichtlich. Noch unverschämter ist Lohoff, wenn er Robert Kurz einen naturalistischen Begriff der abstrakten Arbeit vorwirft, d.h. einer »physiologisch-mechanischen Arbeitssubstanz-Vorstellung« (ebd.) obwohl Kurz solche Interpretationen längst widerlegte (vgl. Kurz 2005, 214ff.) und zeigte, dass solche aus einem Fehl- oder Nichtverständnis des negativen Begriffs der abstrakten Arbeit resultieren! Doch dies war noch nicht die Krönung der Unverschämtheit: Lohoff meint allen Ernstes, es ginge nicht an, jetzt noch von »Scheinakkumulation« zu reden, da man sich sonst ein »Abgrenzungsproblem« einhandele, »gegen die verschiedenen Spielarten des anachronistischen Traums von der Rückkehr zu einem auf ehrlicher Arbeit gründenden ›gediegenen‹ Kapitalismus« (Lohoff 2017). Also hinfort mit der Substanz des Kapitals und der Krisentheorie, sonst gilt man gar noch als rechtsradikal! Man kann also mit Recht zusammenfassen: Die heutige Krisis ist nichts mehr als eine Mogelpackung. Mit Wertkritik hat dies nichts mehr zu tun.6 Literatur Czorny, Bernd: Ernst Lohoff und der methodologische Individualismus, 2016, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=2&posnr=560 Hüller, Knut: Immer mühsamer hält sich die Profitrate – Eine Studie über theoretische und praktische Rettungsversuche am Spätkapitalismus, 2019, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=21&posnr=587&backtext1=text1.php Hüller, Knut: Kapital als Fiktion – Wie endloser Verteilungskampf die Profitrate senkt und ›Finanzkrisen‹ erzeugt, Hamburg 2015. Kurz Robert: Seelenverkäufer – Wie die Kritik der Warengesellschaft selber zur Ware wird, 2010, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=30&posnr=446&backtext1=text1.php Kurz, Robert: Das Weltkapital – Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden System, Berlin 2005b. Kurz, Robert: Der Unwert des Unwissens – Verkürzte »Wertkritik« als Legitimationsideologie eines digitalen Neo-Kleinbürgertums, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr.5, Bad Honnef 2008, 127–194, auch online: https://exit-online.org/pdf/Wertkritik%20als%20Legitimationsideologie.pdf Kurz, Robert: Die Revolution der Nettigkeit: Etikettenschwindel und Tonfallschwindel beim neuen Betroffenheitskitsch und Kult des Ressentiments von »Krisis« und »Streifzügen« – Zur Genesis eines exemplarischen Beziehungskonflikts, 2004, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=30&posnr=442&backtext1=text1.php Kurz, Robert: Die Substanz des Kapitals – Abstrakte Arbeit als gesellschaftliche Realmetaphysik und die absolute innere Schranke der Verwertung. Erster Teil: Die negative historisch-gesellschaftliche Qualität der Abstraktion »Arbeit«, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr.1, Bad Honnef 2004, 44–129. Kurz, Robert: Die Substanz des Kapitals – Abstrakte Arbeit als gesellschaftliche Realmetaphysik und die absolute Schranke der Verwertung. Zweiter Teil: Das Scheitern der arbeitsontologischen marxistischen Krisentheorie und die ideologischen Barrieren gegen die Weiterentwicklung radikaler Kapitalismuskritik, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr.2, Bad Honnef 2005, 162–235. Kurz, Robert: Geld ohne Wert – Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 2012. Kurz, Robert: Krise des Tauschwerts – Produktivkraft Wissenschaft, produktive Arbeit und kapitalistische Reproduktion, 1986, online: https://exit-online.org/pdf/Robert_Kurz-Krise_des_Tauschwerts.pdf Kurz, Robert: Krise und Kritik – Die innere Schranke des Kapitals und die Schwundstufen des Marxismus, Teil II, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr.11, Berlin 2013, 64–111. Lohoff, Ernst; Trenkle, Norbert: »Es bedarf einer neuen Perspektive gesellschaftlicher Emanzipation« – Ein Gespräch über die Entstehung und Entwicklung der Wertkritik, die fundamentale Krise des Kapitalismus und den fortschreitenden gesellschaftliche[n] Irrationalismus – Interview mit Ernst Lohoff und Norbert Trenkle von Marcos Barreira und Javier Blank, 2018, online: http://www.krisis.org/2018/es-bedarf-einer-neuen-perspektive-gesellschaftlicher-emanzipation/ Lohoff, Ernst; Trenkle, Norbert: Die große Entwertung – Warum Spekulation und Staatsverschuldung nicht die Ursache der Krise sind, Münster 2012. Lohoff, Ernst: Die allgemeine Ware und ihre Mysterien, Krisis – Kritik der Warengesellschaft, Beitrag 2/2018, Nürnberg 2018. Lohoff, Ernst: Die letzten Tage des Weltkapitals – Kapitalakkumulation und Politik im Zeitalter des fiktiven Kapitals, Krisis – Kritik der Warengesellschaft, Beitrag 5/2016, Nürnberg 2016. Lohoff, Ernst: Kapitalakkumulation ohne Wertakkumulation – Der Fetischcharakter der Kapitalmarktwaren und sein Geheimnis, Krisis – Kritik der Warengesellschaft, Beitrag 1/2014), Nürnberg 2014. Lohoff, Ernst: Zwei Bücher – zwei Standpunkte: Zur Diskussion um Die große Entwertung und Geld ohne Wert, (2017) online: http://www.krisis.org/2017/zwei-buecher-zwei-standpunkte/ Marx, Karl: Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie I, (MEW 23), 21. Aufl., Berlin 2005. Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953. Scholz, Roswitha: Das Geschlecht des Kapitalismus – Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Kapitals, 2. erw. Aufl. Bad Honnef 2011, zuerst 2000. Scholz, Roswitha: Der Mai ist gekommen – Ideologische Verarbeitungsmuster der Krise in wertkritischen Kontexten, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr.2, Bad Honnef 2005, 106–137. Scholz, Roswitha: Editorial, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr.14, Angermünde 2017, 7–18, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=theoriezeitschrift&index=2&posnr=63&backtext1=text1.php Trenkle, Norbert: Das Manifest gegen die Arbeit zwanzig Jahre später – Nachwort zur vierten Auflage, 2019, online: http://www.krisis.org/2019/das-manifest-gegen-die-arbeit-zwanzig-jahre-spaeter/ Walcher, Jakob: Ford oder Marx – Die praktische Lösung der sozialen Frage, Berlin 1925.
|